OGH 5Ob710/81

OGH5Ob710/8117.11.1981

SZ 54/170

Normen

EheG §55 Abs1
EheG §55 Abs1

 

Spruch:

Die Frist des § 55 Abs. 1 EheG beginnt nicht schon mit einer vom Willensentschluß der Ehegatten unabhängigen durch rein äußere Umstände erzwungenen faktischen Trennung (hier: Strafhaft) zu laufen, sondern erst dann, wenn wenigstens ein Partner zeigt, daß er diese Trennung so empfindet, als hätte er selbst sie herbeigeführt oder gebilligt

OGH 17. November 1981, 5 Ob 710/81 (OLG Wien 15 R 95/81; LGZ Wien 14 Cg 40/80)

Text

Die Klägerin und der Beklagte - österreichische Staatsangehörige - haben am 9. Dezember 1976 vor dem Standesamt Wien-Favoriten die Ehe geschlossen. Am 3. März 1977 wurde der Beklagte verhaftet. Er befindet sich seither in Untersuchungs- und Strafhaft. Die über ihn verhängte Freiheitsstrafe wird der Beklagte am 3. Feber 1982 verbüßt haben.

Ein zu AZ 14 Cg 83/77 des Erstgerichtes eingeleitetes Ehescheidungsverfahren wurde nicht fortgesetzt. Am 28. Juli 1978 gab die Klägerin eine auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Beklagten (§ 49 EheG) gerichtete Klage zu Protokoll. Der Beklagte trat der Scheidung entgegen. Er habe keine Eheverfehlungen gesetzt. Am 12. April 1979 vereinbarten die Eheleute, daß das Verfahren ruhen solle. Am 6. Feber 1980 beantragte die Klägerin, das Verfahren fortzusetzen. Sie zog in der Verhandlungstagsatzung am 8. Juli 1980 ihr Begehren auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens zurück und begehrte die Scheidung der Ehe nur mehr aus dem Gründe des § 55 Abs. 1 EheG. Die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten sei seit seiner Verhaftung am 3. März 1977 aufgelöst. Der Beklagte verlangte, dem Scheidungsbegehren nicht stattzugeben. Er sei durch seine Haft gehindert worden, die Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau fortzusetzen, und werde durch die Scheidung härter getroffen als die Klägerin durch Abweisung ihres Scheidungsbegehrens.

Das Erstgericht wies das Scheidungsbegehren ab. Es ging dabei im wesentlichen von dem folgend dargestellten Sachverhalt aus: Der Beklagte wuchs zunächst bei einer Tante, dann bei seinen Eltern auf, wurde von seinem Vater mißhandelt und zu einer ungeliebten Berufsausbildung gezwungen. Er zeigte schon früh eine Neigung zu Gewaltdelikten. Zwei frühere Ehen des Beklagten wurden geschieden. Er wurde 14 mal strafgerichtlich verurteilt und wiederholt nach Selbstmordversuchen im psychiatrischen Krankenhaus aufgenommen. Anzeichen einer Geisteskrankheit wurden nicht festgestellt, wohl aber Symptome von chronischem Alkoholismus und Psychopathie. In der kurzen Zeit seiner Beziehung zu der Klägerin von Oktober 1976 bis Feber 1977 wurde ihm menschliche Zuneigung zuteil. Die Zeit verlief nicht ungetrübt. Der Beklagte versetzte der Klägerin nach der Eheschließung einmal Ohrfeigen und bedrohte sie zu Silvester 1976, als er betrunken randalierte. Von der Anklage, er habe die Klägerin am 11. August 1976 durch gefährliche Drohung zur Aufnahme einer Lebensgemeinschaft zu nötigen versucht, wurde der Beklagte am 10. Dezember 1976 freigesprochen. Seit seiner Verhaftung am 3. März 1976 ist die Lebensgemeinschaft der Ehegatten auf Dauer aufgehoben. Die Klägerin schickte dem Beklagten vor allem im Jahr 1977 Billetts mit eigenen Zeichnungen und Gedichten und schrieb ihm eine große Anzahl ausführlicher Briefe, in denen sie ihm ihre Zuneigung versicherte. Ihre Neigung zum Beklagten hat erst allmählich nachgelassen. Er ist seit seiner Überstellung in die Strafvollzugsanstalt Stein an der Donau in psychiatrischer Behandlung, wird durch das Scheidungsverfahren seelisch schwer belastet und hat auch in der Haft Selbstmordversuche unternommen. Die Klägerin war einer der wenigen Menschen, die dem Beklagten bisher menschliche Zuneigung entgegenbrachten. Seine Versicherung, er habe außer ihr nichts, was seinem Leben Sinn und Inhalt gebe, ist subjektiv glaubhaft.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, daß von einem Scheitern der Ehe noch nicht gesprochen werden könne. Eine Interessenabwägung im Sinne der Härteklausel des § 55 Abs. 2 EheG finde zwar nicht statt, weil die Klägerin die Zerrüttung nicht allein oder überwiegend verschuldet habe. Die Lebensgemeinschaft der Ehegatten sei hier nicht aus dem Willen eines Partners, sondern durch die gegen den Beklagten gesetzte Zwangsmaßnahme des Freiheitsentzuges unterbrochen worden. Es könne erwartet werden, daß nach der Haftentlassung des Beklagten die Lebensgemeinschaft wieder auflebe und eine tragfähige Grundlage für die Fortsetzung der Ehe bilde. Es sei noch nicht abschätzbar, wie der Beklagte nach der Haftentlassung seine Chance nützen werde, der Klägerin seine Zuneigung umfassend zu beweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen dieses ihr Scheidungsbegehren abweisende Urteil Folge, hob die Entscheidung auf, verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück und sprach zugleich aus, daß dieses das Verfahren erst nach eingetretener Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen habe. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und ging in die Prüfung der Frage ein, ob eine durch zufällige äußere Umstände bewirkte Trennung der Eheleute die Dreijahresfrist des § 55 Abs. 1 EheG überhaupt in Lauf setzt oder ob diese Frist erst zu laufen beginnt, wenn ein Ehepartner dem anderen erklärt, er wolle die häusliche Gemeinschaft nicht wieder aufnehmen oder diese seine Haltung erkennbar ist, und gelangte nach eingehender Darlegung der Lehre und Rechtsprechung zu der Ansicht, das Tatbestandselement der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft sei rein objektiver Natur. Der inneren Einstellung der Ehegatten komme nur im Rahmen der Beurteilung der tiefgreifenden Zerrüttung der Ehe Bedeutung zu. Da die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit dem 3. März 1977 tatsächlich aufgehoben sei, müsse ohne Rücksicht auf das Verhalten der Klägerin davon ausgegangen werden, daß die Frist des § 55 Abs. 1 EheG abgelaufen sei. Es fehle aber an ausreichenden und unmißverständlichen Tatsachenfeststellungen, ob dem klagenden Ehegatten der ernstliche Wille zur Fortsetzung der Ehe fehlt und ob die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft ausnahmsweise dennoch zu erwarten ist. Die Klägerin habe die Scheidungsklage nicht zurückgezogen. Nach 1977 geschriebene Briefe mit dem Ausdruck ihrer Zuneigung lägen nicht vor. Grundsätzlich sei die Ehe auch dann tiefgreifend zerrüttet, wenn die eheliche Gesinnung nur bei einem Eheteil zerstört sei. Es bedürfe dann einer Klärung im Bereich der Tatsachenfeststellungen, ob und warum auch unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beklagten die tiefgreifende Zerrüttung nicht vorliege.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsmeinung, die durch den strafgerichtlichen Freiheitsentzug erzwungene faktische Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten erfülle bereits das Tatbestandsmerkmal des § 55 Abs. 1 erster Halbsatz EheG, sodaß die Frist von drei Jahren mit dem Tag der Verhaftung (3. März 1977) zu laufen begann, kann nicht beigetreten werden. Der wohl am deutlichsten von Schwind (in Klang[2] I/1, 810; Eher[2], 231) zum Ausdruck gebrachten Ansicht, die häusliche Gemeinschaft sei eben aufgehoben, wenn die Ehegatten, aus welchem Gründe immer, nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben, weil dieses lokale Element rein objektiver Natur sei, steht die auch vom OGH in Übereinstimmung mit der schon vom Berufungsgericht erwähnten deutschen Lehre und Rechtsprechung (Dölle, Familienrecht I, 535; Gernhuber, Familienrecht[2], 272) mehrfach vertretene Meinung gegenüber, eine bloß faktische Abwesenheit eines Ehegatten oder eine rein durch äußere Umstände verursachte Trennung der Ehegatten bewirke die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft erst von dem Zeitpunkt an, wenn zu erkennen sei, daß die Wiedervereinigung nicht beabsichtigt werde (so etwa 7 Ob 7/71, 7 Ob 619/81). Die Beantwortung dieser Frage in der Rechtsprechung ist nicht einheitlich erfolgt. Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung an, daß bei der Beurteilung des Begriffes der "Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft" ein subjektives Element mitbedacht werden muß. Die Frist des § 55 Abs. 1 EheG beginnt nicht schon mit einer vom Willensentschluß der Ehegatten unabhängigen, durch rein äußere Umstände erzwungenen faktischen Trennung zu laufen, sondern setzt voraus, daß der eheschädliche Wille zumindest eines Eheteiles erkennbar wird, daß also wenigstens ein Partner zeigt, daß er unabhängig von den rein äußeren Ereignissen die eingetretene Trennung so empfindet, als hätte er selbst diese herbeigeführt oder gebilligt. Erst dann kann von der Aufhebung der Gemeinschaft gesprochenwerden. Halten hingegen trotz vom Willensentschluß nicht beeinflußbarer äußerer Zwänge die Ehegatten, deren gemeinsames Wohnen - etwa durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe eines Teiles - vorübergehend gehindert wird, an ihrer Gemeinschaft fest, kann die Ehescheidung nicht schon dann erfolgen, wenn nach Ablauf von drei Jahren ein Teil den Ehewillen aufgibt und daher die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten ist. Andernfalls würde schon die erzwungene Trennung, die von beiden Ehepartnern mißbilligt wird, von ihnen aber nicht abgewendet werden kann, trotz einer vorerst auf die Erhaltung der Ehe gerichteten Gesinnung der Ehegatten jenem Teil, der später selbst einen Scheidungsgrund setzt und aus der Ehe strebt, die Scheidung unter Berufung auf den Ablauf der Frist des § 55 Abs. 1 EheG ermöglichen, was ihm sonst verwährt wäre. Vorliegend hat die Klägerin aber schon am 28. Juli 1978 durch Erhebung der Scheidungsklage deutlich erkennen lassen, daß sie unabhängig von der erzwungenen Trennung die Ehe nicht fortführen will. Da der OGH im Verfahren über den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß nie in der Sache selbst entscheiden kann und das Berufungsgericht bei seiner Sachentscheidung auch Neuerungen beachten muß (Jud. 57 neu - SZ 25/331; Fasching IV, 157), ist das Verfahren jedenfalls nicht schon mangels Ablauf der Frist des § 55 Abs. 1 EheG im Sinne einer Abweisung des nur mehr auf § 55 EheG gestützten Scheidungsbegehrens spruchreif. Allerdings wird auch noch zu untersuchen sein, aus welchen Erwägungen die Klägerin in dem Rechtsstreit untätig blieb und mit dem Beklagten vereinbarte, daß das Verfahren ruhen solle, weil diese Umstände bei der von der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes abweichenden Beurteilung der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft Bedeutung gewinnen können. Die Frist des § 55 Abs. 1 EheG ist nur abgelaufen, wenn während der erzwungenen Trennung durch drei Jahre der Wille der Klägerin erkennbar war, an der Ehegemeinschaft nicht festzuhalten. Hingegen verkennt der Beklagte die Rechtslage, wenn er - obwohl kein Schuldantrag nach § 61 Abs. 3 EheG vorliegt - dem Umstand Bedeutung beimißt, ob die eheliche Gesinnung der Klägerin wegen der Trennung oder eines Verhaltens des Beklagten verloren ging, oder ob die Gründe dafür im persönlichen Bereich der Klägerin zu suchen seien. Ist die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten durch mehr als drei Jahre in dem aufgezeigten Sinne aufgehoben, bleibt nur mehr die tiefgreifende Zerrüttung der Ehe zu prüfen. Dem Scheidungsbegehren ist nicht stattzugeben, wenn das Gericht zur Überzeugung gelangt, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft zu erwarten ist. Das Berufungsgericht hat im Bereich der zur Beurteilung der Prognose wesentlichen Tatsachen Feststellungsmängel erblickt und deshalb den Aufhebungsbeschluß gefaßt. Da diese Ansicht nicht auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruht, kann dem Auftrag zur Vervollständigung des Sachverhaltsbildes nicht entgegengetreten werden.

Das Erstgericht wird allerdings vor Befolgung der Aufträge des Berufungsgerichtes auch das Tatbestandsmerkmal des Ablaufes der Dreijahresfrist und ihrer allfälligen Unterbrechung zu untersuchen haben, die Parteien zu einem diesbezüglichen Vorbringen anzuleiten und angebotene Beweise aufzunehmen haben.

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