Normen
ABGB §1304
3. KFG-Novelle 1976, BGBl. 352/1976 ArtIII Abs2 Z3
VersVG §152 Abs2
ABGB §1304
3. KFG-Novelle 1976, BGBl. 352/1976 ArtIII Abs2 Z3
VersVG §152 Abs2
Spruch:
Die Nichtverwendung des Sicherheitsgurts führt auch bei Schwangerschaft im dritten Monat zur Kürzung des Schmerzengeldes
Keine bedingt vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles, wenn der Lenker das Zustandekommen nicht bedacht und billigend in Kauf genommen hat, sondern sich der Unfall mit leichtsinniger Fahrweise bei geringer Fahrpraxis erklären läßt
OGH 27. November 1980, 7 Ob 62/80 (OLG Graz 3 R 68/80; LGZ Graz 6 Cg 183/78)
Text
Die Klägerin wurde am 9. September 1977 aus Verschulden ihres Ehemannes als Insassin eines von ihm gelenkten PKW verletzt. Sie begehrt vom beklagten Haftpflichtversicherer Schadenersatz. Das Erstgericht sprach der Klägerin 104 181.70 S zu, worin das begehrte Schmerzengeld von 100 000 S ohne Mitverschuldenskürzung enthalten ist, und wies nur ein Mehrbegehren von 9400 S an Pflegekosten für das Kleinkind der Klägerin mangels eines Nachweises dieser Auslagen ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise und der Berufung der Klägerin zur Gänze Folge, bestätigte das Ersturteil als Teilurteil hinsichtlich des Zuspruches eines um 20% gekürzten Schmerzengeldes von 80 000 S und der Barauslagen von 4181.70 S, wies das restliche Schmerzengeldbegehren von 20 000 S mittels "Bestätigung" der Abweisung eines Mehrbegehrens von 9400 S und Abänderung durch Abweisung eines weiteren Mehrbegehrens von 10 600 S, je samt Nebengebühren, ab und hob das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von weiteren 9400 S und im Kostenpunkt unter Rückverweisung an die erste Instanz auf.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien nicht Folge, wohl aber dem Rekurs der beklagten Partei, bestätigte das Teilurteil des Berufungsgerichtes und verwies die Rechtssache im Umfang des Aufhebungsbeschlusses an die zweite Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Im Verfahren über die von beiden Parteien erhobenen Revisionen sind zum Anspruchsgrund die Fragen einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer und der Leistungsfreiheit der Beklagten wegen des behaupteten Unterhaltsanspruches der Klägerin gegenüber dem schuldtragenden Lenker nach Art. 4 lit. c AKHB und in der Höhe nach die Kürzung des Schmerzengeldes wegen Nichtanlegung des Sicherheitsgurtes strittig, im Rekursverfahren die behaupteten Barauslagen für Pflegegebühren des Kindes der Klägerin.
Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstrichters kam der Ehemann der Klägerin bei einer am Unfallmorgen um 3 Uhr oder 3.30 Uhr begonnenen Urlaubsfahrt nach dem Süden um
5.10 Uhr in G mit seinem Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h von der an der Unfallstelle geraden und übersichtlichen Fahrbahn ab, wobei sich das Fahrzeug überschlug. Der Lenker, der nur eine Fahrpraxis von 4000 bis 5000 Kilometer hauptsächlich im Stadtgebiet hatte, war weder alkoholisiert noch übermüdet; es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß er das Zustandekommen eines Unfalles bedacht und billigend in Kauf genommen hätte. Der Unfall läßt sich durch eine leichtsinnige Fahrweise bei geringer Fahrpraxis erklären.
Allein die Feststellung, daß dem Fahrer nicht nachgewiesen werden konnte, die Gefahr eines Unfalles bedacht und in Kauf genommen zu haben, schließt nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanzen die Annahme bedingten bösen Vorsatzes aus. Die Revision der Beklagten erschöpft sich in diesem Punkt in der unzulässigen Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen. Danach wäre selbst bei einer weit überhöhten Durchschnittsgeschwindigkeit, die übrigens gerade für den Bereich der Unfallstelle nicht festgestellt werden konnte, die für einen Risikoausschluß nach § 152 VersVG erforderliche Inkaufnahme bedachter Schadensfolgen (VersR 1977, 753 u. a.) nicht erwiesen. Auch die Unterlassung einer Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht gehört zur unanfechtbaren Beweiswürdigung der letzten Tatsacheninstanz.
Die Verneinung einer Leistungsfreiheit aus dem Titel der Angehörigenklausel des Art. 4 lit. c AKHB bekämpft die Beklagte nur noch mit dem Argument, daß auch jene Leistungen des Versicherungsnehmers als Unterhalt für die Klägerin berücksichtigt werden müßten, die er im Rahmen der für seine Mutter gemeinsam übernommenen Bürgschaft erbringe. Eine solche Beurteilung hat das Berufungsgericht mit Recht abgelehnt, weil die Abzahlung eigener Schulden selbst im Falle der Mithaftung der Ehefrau gegenüber dem Dritten keine Unterhaltsleistung darstellt, sondern umgekehrt den sonst möglichen Unterhalt schmälert. Einen Regressanspruch des Ehemannes gegen die Klägerin hat die Beklagte nicht einmal behauptet. Nach den sonstigen Feststellungen der Vorinstanzen erhält sich die Klägerin selbst.
Die Kürzung des Schmerzengeldes von ziffernmäßig 100 000 S um eine Mitverschuldensquote von 20% wegen Nichtverwendung des Sicherheitsgurtes auf dem vorderen Beifahrersitz bekämpfen beide Parteien. Die Klägerin begehrt wegen Unzumutbarkeit der Verwendung des Sicherheitsgurts infolge ihrer Schwangerschaft den vollen Zuspruch des begehrten Schmerzengeldes, während die Beklagte aus dem Gesichtspunkt einer besonders naheliegenden Unfallsgefahr eine Kürzung um insgesamt 50% anstrebt.
Keiner der Revisionen kann in diesem Punkt gefolgt werden. Nach der zutreffenden Ansicht des Berufumgsgerichtes ist die hier allein in Betracht kommende Ausnahme des Art. III Abs. 2 Z. 3 der 3. KFG-Novelle von der grundsätzlichen Verpflichtung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Sicherheitsgurts, daß dieser wegen der Körpergröße oder schwerster körperlicher Beeinträchtigung des Benützers unmöglich ist, klar auf den Fall eines schlechthin unmöglichen Verlangens abgestellt; ein solches liegt im Falle der Schwangerschaft im dritten Monat ungeachtet einer gewissen Unbequemlichkeit nicht vor, selbst wenn nach dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen die Verwendung von Sicherheitsgurten während der Schwangerschaft nicht zu empfehlen ist, weil dadurch bereits Bauchverletzungen aufgetreten sind. Auf den Vergleich der konkreten und der fiktiven Unfallsfolgen stellt nämlich erst der letzte Satz des Art. III Abs. 1 der Novelle ab, doch konnte die Klägerin im vorliegenden Fall auch diesen, ihr obliegenden Beweis nicht erbringen. Das klare gesetzliche Gebot mußte sie demnach veranlassen, entweder den Sicherheitsgurt zu verwenden oder einen Rücksitz zu wählen. Die subjektive Meinung, daß die Anlegung des Gurts in ihrem Zustand gefährlich sei, vermag sie vom Vorwurf der Mißachtung des Gebotes nicht zu befreien. Andererseits kann auch bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (RZ 1979/1 u. a.) von einem besonders krassen Mitverschulden der Klägerin keine Rede sein. Das Gesetz betrachtet die Verletzung der Gurtenpflicht im Regelfall als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt. Aber auch im Einzelfall waren für die Beifahrerin besonders gefahrdrohende Umstände nicht erkennbar, außer der geringen Fahrpraxis des Lenkers. Hingegen war dessen Verschulden, das gegen jenes der Klägerin abzuwägen ist, gerade nach der Ansicht der Beklagten ein besonders krasses; ihm steht überdies die falsche Einschätzung der Bedeutung der bestehenden Schwangerschaft auf Seite der Klägerin schuldmildernd gegenüber. Gegen die Berücksichtigung eines 20%igen Mitverschuldens der Klägerin bestehen deshalb keine Bedenken.
Im Umfang der Pflegekosten für das Kind war das Berufungsgericht nicht berechtigt, bloß wegen Bedenken gegen die Feststellung, daß die Mutter der Klägerin auch noch nach dem Unfall gearbeitet habe und deshalb ein von der Klägerin zu ersetzender Verdienstentgang nicht erweislich sei, das Ersturteil aufzuheben. Vielmehr muß die zweite Instanz in einem solchen Fall, wenn sie die Feststellungen des Erstrichters nicht übernehmen zu können glaubt, gemäß § 488 Abs. 1 ZPO die zum betreffenden Beweisthema durchgeführten Beweise wiederholen (EvBl. 1978/94 u. v. a.).
Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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