OGH 4Ob129/79

OGH4Ob129/7918.9.1980

SZ 53/120

Normen

ABGB §1162b
BAG §15
GewO 1859 §84
ABGB §1162b
BAG §15
GewO 1859 §84

 

Spruch:

Der Lehrling kann auf den besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz nach dem Berufsausbildungsgesetz verzichten, die vom Lehrberechtigten ohne rechtfertigenden Grund ausgesprochene Auflösung des Lehrverhältnisses akzeptieren und sich auf die daraus resultierenden (Schadenersatz-) Ansprüche nach § 1162b ABGB, § 84 GewO 1859 beschränken

OGH 18. September 1980, 4 Ob 129/79 (LGZ Graz 2 Cg 50/79; ArbG Graz 1 Cr 45/79)

Text

Der Kläger war bei der beklagten Gastwirtin seit 31. Juli 1970 als Koch- und Kellnerlehrling beschäftigt; das Lehrverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für das Gastgewerbe. Die Lehrlingsentschädigung des Klägers betrug monatlich 1740 S brutto. Die Beklagte hat das Lehrverhältnis mit 27. Oktober 1978 vorzeitig aufgelöst.

Mit der Behauptung, daß diese Entlassung nicht gerechtfertigt sei, verlangt der Kläger im vorliegenden, seit 15. Feber 1979 anhängigen Rechtsstreit die Zahlung von a) Lehrlingsentschädigung für den 31. Juli 1978 (66.92 S), b) Feiertagsentlohnung für den 15. August und den 26. Oktober 1978 (133.84 S), c) Überstundenentgelt für 136 Stunden a 15.09 S, d. s. (2052.24 S), d) Kündigungsentschädigung für drei Monate (5220 S), e) anteiliger Jahresremuneration 1978 (1740 S) sowie f) Urlaubsabfindung für die Zeit vom 31. Juli 1978 bis 26. Jänner 1979 (803.04 S) zusammen (10 015.64 S) brutto samt Anhang (richtig S 10 016.04).

Die Beklagte hat die Entgeltansprüche zu a) und b) zur Gänze sowie den zu f) geltend gemachten Anspruch auf Urlaubsabfindung mit einem Teilbetrag von 401.57 S für 13 Wochen anerkannt und überdies außer Streit gestellt, daß der Kläger weder die Jahresremuneration noch eine Urlaubsabfindung erhalten und auch seinen Urlaub bisher nicht konsumiert hat. Die Annahme der Vorinstanzen, daß die Beklagte auch den Anspruch auf Überstundenentlohnung dem Gründe nach anerkannt hätte, ist aktenwidrig; die Beklagte hat vielmehr jede Überstundenleistung des Klägers ausdrücklich bestritten. Im übrigen hält die Beklagte die Entlassung des Klägers deshalb für gerechtfertigt, weil er - zuletzt am 26. Oktober 1978 - trotz wiederholter Ermahnungen gerechtfertigte Anordnungen seines Lehrberechtigten nicht befolgt habe. Seit dem 8. November 1978 sei der Kläger als Lehrling bei dem Gastwirt Josef T beschäftigt.

Unbestritten ist, daß dem Kläger bei einer gerechtfertigten vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses nach dem Kollektivvertrag für das Gastgewerbe keine Jahresremuneration gebühren würde. Die Höhe dieser Jahresremuneration beträgt zwei Kollektivvertrags-Monatslöhne, aliquot für die zurückgelegte Dienstzeit. Dem Rechtsstreit liegen folgende wesentliche Sachverhaltsfeststellungen zugrunde: Wenn die Arbeitnehmer der Beklagten Frühdienst haben, kommen sie um 7.30 Uhr, ziehen sich um und beginnen um 8 Uhr mit der Arbeit; Dienstende ist dann um 16 Uhr, am Samstag um 15 Uhr. Der Abenddienst dauert von 11 Uhr bis 21 Uhr. Wenn der Kläger Abenddienst hatte, war seine Dienstzeit bald länger, bald kürzer; er arbeitete in diesen Fällen am Samstag von 11 Uhr bis 15 Uhr. Der Kläger nahm bei der Beklagten immer das Mittagessen ein; außerdem bekam er beim Frühdienst das Frühstück und während des Abenddienstes ein Abendessen. In der Zeit vom 31. Juli bis 21. Oktober 1978 hatte der Kläger neun Wochen Frühdienst und drei Wochen Abenddienst. Am 26. Oktober 1978 fragte der Kläger den Koch Karl U mehrmals, ob er schon weggehen könne. Als Karl U erwiderte, daß dies wegen der vielen Arbeit nicht möglich sei, begann der Kläger zu weinen, wobei er aber "nebenbei" auch arbeitete. Zwischen 17 Uhr und 18 Uhr fragte der Kläger den Ehegatten der Beklagten, Heribert S, ob er früher weggehen könne. Heribert S antwortete, das sei nicht möglich, er habe keine Kinderstube; er erlaubte aber dem Kläger, seine Eltern anzurufen. Der Kläger sprach darauf telefonisch mit seinem Vater Josef B, und teilte ihm mit, daß er auch an diesem Abend länger arbeiten müsse, er wisse noch nicht, wie lange. Josef B erzählte das seiner Gattin, welche daraufhin bei der Beklagten anrief und Heribert S fragte, was mit ihrem Sohn los sei. Heribert S erwiderte: "Ich habe keine Kinderstube. Wenn Sie Ihren Sohn daheim haben wollen, dann können Sie ihn haben. Wissen Sie was, ich schmeiße ihn hinaus." Etwa eine Viertelstunde nach dem Anruf des Klägers bei seinem Vater kam Heribert S in die Küche und sagte zum Kläger, er könne da verschwinden, er brauche nicht mehr zu kommen. Der Kläger zog sich daraufhin um und ging weg. Der Kläger war Mitte September 1978 "bockig"geworden. Wenn man ihm etwas sagte, nörgelte er hinter dem Rücken des Auftraggebers und erfüllte dessen Anordnungen nur widerwillig. Zwischen dem Kläger einerseits und der Beklagten sowie deren Ehegatten Heribert S, welcher im Betrieb der Beklagten Geschäftsführer ist, bestand deshalb ein gespanntes Verhältnis. Der Kläger wurde von Heribert S einige Male abgemahnt. Am 8. November 1978 hat der Kläger eine neue Lehrstelle bei Josef T angetreten; er bekommt dort die gleiche Lehrlingsentschädigung wie bei der Beklagten.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß die Beklagte das Lehrverhältnis mit dem Kläger ohne gerechtfertigten Grund im Sinne des § 15 Abs. 3 des Berufsausbildungsgesetzes, BGBl. 142/1969 (BAG), vorzeitig aufgelöst habe. Das Lehrverhältnis sei dadurch nicht beendet worden; die Beklagte habe durch ihre Weigerung, den Kläger weiterhin zu beschäftigen, die ihr auf Grund des Lehrvertrages obliegenden Pflichten so gröblich vernachlässigt, daß der Kläger seinerseits berechtigt gewesen wäre, das Lehrverhältnis gemäß § 15 Abs. 4 lit. b BAG vorzeitig aufzulösen. Da er das nicht getan habe, sei das Lehrverhältnis zwischen den Parteien auch jetzt noch aufrecht. Ein Ersatzanspruch nach § 1162b ABGB, wie ihn der Kläger geltend mache, würde die Beendigung des Lehrverhältnisses und damit die Möglichkeit einer Umdeutung der Entlassungserklärung in eine Kündigung voraussetzen; im konkreten Fall könne aber der Kläger von der Beklagten gemäß § 1155 ABGB nur die Fortzahlung des Entgeltes verlangen, wobei er sich das durch anderweitige Verwendung Erworbene anrechnen lassen müsse. Da er bei Josef T die gleiche Lehrlingsentschädigung bekomme wie bei der Beklagten, könne er dieser gegenüber seine Ansprüche nur bis zum Beginn des neuen Lehrverhältnisses am 7. November 1978 geltend machen. Gehe man unter Anwendung des § 273 ZPO davon aus, daß der Kläger bei der Beklagten insgesamt 69 Überstunden geleistet habe, dann bestunden die eingeklagten Ansprüche mit folgenden Beträgen zu Recht: a) Lehrlingsentschädigung für den 31. Juli 1978 und b) Feiertagsentlohnung für den 15. August und den 26. Oktober 1978 wie anerkannt, c) Überstundenentlohnung für 69 Stunden 1040.86 S, d) Lehrlingsentschädigung für die Zeit vom 27. Oktober bis 7. November 1978 669.23 S und e) anteilige Jahresremuneration für den gleichen Zeitraum 936.92 S, zusammen 2847.77 S brutto. Eine allfällige Urlaubsabfindung des Klägers sei noch nicht fällig, weil das Lehrverhältnis weiterhin aufrecht und das Urlaubsjahr noch nicht beendet sei.

Das Urteil des Erstgerichtes wurde von beiden Parteien mit Berufung angefochten, und zwar von der Beklagten im stattgebenden Teil zur Gänze, vom Kläger aber insoweit, als sein Begehren auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung von 5220 S einer Urlaubsabfindung von 803.04 S und einer weiteren Jahresremuneration von 803.08 S, insgesamt also ein Mehrbegehren von 6826.12 S brutto, abgewiesen worden war.

Während die Berufung der Beklagten erfolglos blieb, gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers teilweise dahin Folge, daß es dem Kläger auch eine anteilige Urlaubsabfindung von 468.44 S brutto samt Anhang zuerkannte; das Mehrbegehren auf Zahlung von 6699.43 S brutto samt Anhang blieb abgewiesen. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Prozeßgerichtes erster Instanz, daß die Beklagte den Kläger grundlos entlassen habe, das Lehrverhältnis daher am 26. Oktober 1978 nicht beendet worden sei, vielmehr der Kläger seinerseits zur vorzeitigen Auflösung berechtigt gewesen wäre. Eine solche Auflösungserklärung sei zwar vom Kläger nie abgegeben worden; trotzdem könne aber das Lehrverhältnis schon begrifflich nur bis zum Antritt der neuen Lehrstelle durch den Kläger am 7. November 1978 aufrecht fortbestanden haben. Bis zu diesem Zeitpunkt stunden dem Kläger alle Ansprüche aus dem Lehrverhältnis zu. Die beiden Teilbegehren von 66.92 S und 133.84 S seien von der Beklagten anerkannt worden. Hinsichtlich der anteiligen Jahresremuneration bis zum 7. November 1978, der Lehrlingsentschädigung vom 27. Oktober bis zum 7. November 1978 und des Überstundenentgelts könne auf die zutreffende Begründung des Ersturteils verwiesen werden; die Teilabweisung eines weiteren Überstundenentgelts sei unbekämpft geblieben. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes gebühre aber dem Kläger gemäß § 10 UrlG auch eine Urlaubsabfindung von 468.44 S für die Zeit vom 31. Juli bis 7. November 1978; ihre Fälligkeit sei mit der Auflösung des Lehrverhältnisses eingetreten, wobei es nicht schade, daß die Wartezeit damals noch nicht abgelaufen war. Das Begehren des Klägers auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung sei vom Erstgericht mit Recht abgewiesen worden: Ebenso wie § 29 AngG und § 84 GewO 1859 setze auch § 1162b ABGB ein frei kundbares Arbeitsverhältnis voraus. Da dem Berufsausbildungsgesetz eine Kündigung von Lehrverhältnissen fremd sei, könne diese Gesetzesstelle auf Lehrlinge nicht angewendet werden. Bei ungerechtfertigter Auflösung des Lehrverhältnisses durch den Lehrberechtigten könne der Lehrling nur die Fortzahlung der Lehrlingsentschädigung bis zur Beendigung des Lehrverhältnisses verlangen. Dieses habe aber im konkreten Fall mit dem Antritt der neuen Lehrstelle durch den Kläger am 7. November 1978 sein Ende gefunden.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde vom Kläger insoweit mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bekämpft, als seiner Berufung gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung von 5220 S, einer weiteren Urlaubsabfindung von 334.60 S und einer restlichen Jahresremuneration von 803.08 S, insgesamt also eines Betrages von 6357.68 S brutto samt Anhang, nicht Folge gegeben und das Ersturteil insoweit bestätigt worden war.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers teilweise Folge; er erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger insgesamt 9004.66 S samt Anhang zu zahlen, und wies das Mehrbegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Daß die Entlassungserklärung des Gatten der Beklagten vom 26. Oktober 1978 durch keinen der in § 15 Abs. 3 BAG - taxativ (EB zur RV des BAG, 876 BlgNR XI. GP, abgedruckt bei Kinscher, BAG[2], 79 § 15 Anm. 1; ebenso Berger - Rohringer, BAG, 127 f. § 15 Anm. 12; Berger in ZAS 1977, 25) - angeführten Gründe gedeckt war, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Richtig ist ferner, daß eine unbegrundete Entlassungserklärung des Lehrberechtigten zufolge des besonderen Bestandschutzes nach § 15 BAG das Lehrverhältnis nicht beendet, der Lehrling vielmehr in einem solchen Fall die Fortsetzung des Lehrverhältnisses und die Erfüllung der daraus resultierenden Pflichten des Lehrberechtigten verlangen kann (Arb. 9344 = ZAS 1977, 23 mit Zustimmung Bergers auf S. 25; Jabornegg, Unbegrundete Entlassung eines Lehrlings und Behaltepflicht, RdA 1977, 17;

Floretta in Floretta - Spielbüchler - Strasser, Arbeitsrecht I, 220;

Berger - Rohringer a.a.O., 129 Anm. 18; Tutschka, Handbuch des österreichischen Arbeitsrechts[3], 473; ebenso schon vor dem Berufsausbildungsgesetz: Arb. 5851; Arb. 6598; Kuderna, Das Entlassungsrecht, 21; Kuderna, Zur Anwendung des § 84 GewO auf Lehrverhältnisse, RdA 1965, 64). Soweit jedoch die Vorinstanzen den Kläger aus diesem Grund auf die Ansprüche nach § 1155 ABGB beschränken wollen - wobei sie nur darüber verschiedener Meinung sind, ob das Lehrverhältnis zur Beklagten auch jetzt noch fortbesteht (so das Erstgericht) oder ob es durch den Beginn des neuen Lehrverhältnisses bei Josef T sein Ende gefunden hat (so das Berufungsgericht) -, kann ihnen der erkennende Senat nicht folgen:

Wie schon Kuderna (Entlassungsrecht, 22) zutreffend erkannt hat, kann eine rechtsunwirksam ausgesprochene Entlassung auch in den Fällen eines besonderen Kündigungs- oder Entlassungsschutzes die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewirken, wenn die Rechtsunwirksamkeit der Entlassungserklärung von dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer nicht geltend gemacht wird, dieser vielmehr der rechtsunwirksamen Entlassung - ausdrücklich oder schlüssig (§ 863 ABGB) - zustimmt, damit auf den allein zu seinen Gunsten normierten Bestandschutz des Arbeitsverhältnisses verzichtet und statt dessen die Ansprüche nach § 1162b ABGB, § 29 AngG oder § 84 GewO 1859 geltend macht. Floretta (in Floretta - Strasser, Komm. zum ArbVG, 837 §§ 120 bis 122 Anm. 6) vertritt die Rechtsansicht, daß zwar auf den Kündigungs- oder Entlassungsschutz der §§ 120 ff. ArbVG wegen der zwingenden Wirkung dieser Bestimmungen nicht verzichtet werden könne, daß aber eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotzdem möglich sei, wenn z. B. der nach § 120 ArbVG geschützte Arbeitnehmer sich nach der Kündigung oder Entlassung mit dieser Maßnahme einverstanden erkläre; in diesem Vorgang sei eine einverständliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem in der einseitigen Auflösungserklärung vorgesehenen Termin zu sehen. Auch der OGH hat sich in seiner Entscheidung Arb. 9460 in bezug auf den Kündigungs- und Entlassungsschutz nach dem Vertragsbedienstetengesetz dieser Auffassung angeschlossen: Da die betreffenden Vorschriften des Vertragsbedienstetengesetzes Schutzbestimmungen zugunsten des Vertragsbediensteten seien, stehe es letzterem frei, auf die Geltendmachung dieses Schutzes im konkreten Fall zu verzichten und sich statt dessen auf die für den Fall der ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorgesehenen (Schadenersatz-)Ansprüche zu beschränken, zumal er nicht gezwungen werden solle, ein durch die unbegrundete Auflösungserklärung belastetes Arbeitsverhältnis gegen den erklärten Willen seines Arbeitgebers fortzusetzen; in diesem Fall löse somit auch die an sich rechtsunwirksame Entlassung oder Kündigung das Arbeitsverhältnis auf. Schließlich räumt auch Jabornegg (a.a.O., 20 f.) dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis einem besonderen Kündigungs- oder Entlassungsschutz unterliegt, im Fall einer unbegrundeten oder unwirksamen Entlassung grundsätzlich die Möglichkeit ein, dem Arbeitgeber zu erklären, daß er mit der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses einverstanden sei und die Ansprüche nach § 1162b ABGB geltend mache.

Hält man an dieser Auffassung fest, dann hängt die Entscheidung über die Revision des Klägers primär davon ab, ob die angeführten Grundsätze auch bei ungerechtfertigter Auflösung eines Lehrverhältnisses Geltung beanspruchen können, mit anderen Worten, ob auch dem vom Lehrberechtigten zu Unrecht entlassenen Lehrling das Recht zugebilligt werden muß, auf seinen besonderen Kündigungs- oder Entlassungsschutz zu verzichten und an Stelle der Fortsetzung des Lehrverhältnisses die sich aus § 84 GewO 1859, § 1162b ABGB ergebenden Ansprüche geltend zu machen. Zur Zeit der Geltung der §§ 97 bis 105 a GewO 1859 war diese Frage nicht nur von Kuderna (Entlassungsrecht, 22; ebenso in RdA 1965, 63 f.), sondern auch vom Arbeitsgericht Wien in Arb. 8104 bejaht worden; seit dem Inkrafttreten des Berufsausbildungsgesetzes am 1. Jänner 1970 ist dazu, soweit ersichtlich, weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum ausdrücklich Stellung genommen worden. Berger - Rohringer (a.a.O., 129 f. Anm. 19) räumen dem Lehrling nur ein Wahlrecht zwischen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses und dem vorzeitigen Austritt gemäß § 15 Abs. 4 lit. b BAG ein; die schon erwähnten Ausführungen von Jabornegg (a.a.O., 18 ff.) betreffen unmittelbar nicht das Lehrverhältnis selbst, sondern das für die anschließende Behaltezeit vereinbarte befristete Arbeitsverhältnis.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat sich die Beklagte sowohl in zweiter als auch in dritter Instanz gegen eine Übertragung der in Arb. 9460 entwickelten Grundsätze auf das Lehrverhältnis nach dem Berufsausbildungsgesetz ausgesprochen: Anders als der einseitig zugunsten des Arbeitnehmers normierte Bestandschutz nach dem Vertragsbedienstetengesetz wirke der besondere Bestandschutz des Lehrverhältnisses nach § 15 BAG gegenüber beiden Vertragspartnern; ob der Lehrling auf diesen Schutz verzichten könne, sei daher mehr als fraglich, zumal eine Tendenz, den Lehrling keinesfalls schlechter zu stellen als andere Hilfsarbeiter, dem Gesetz in dieser allgemeinen Form nicht entnommen werden könne. Im übrigen sei auch die Weitergeltung des § 84 GewO 1859 zweifelhaft, weil das Berufsausbildungsgesetz die Lösung des Lehrverhältnisses abschließend geregelt habe; auch eine analoge Anwendung des § 84 GewO 1859 oder des § 1162b ABGB sei daher ausgeschlossen.

Diese Argumente können nicht überzeugen. Richtig ist, daß der besondere Bestandschutz des Lehrverhältnisses nach dem Berufsausbildungsgesetz insofern gegenüber beiden Vertragspartnern wirkt, als - zur Hintanhaltung einer "der Ausbildung nicht zuträglichen Fluktuation" und zur Vermeidung "unbedachter Schritte zur Unterbrechung oder Aufgabe einer Ausbildung, insbesondere bei Jugendlichen im Pubertätsalter" (EB zur RV des Berufsausbildungsgesetzes bei Kinscher a.a.O., 79 f. Anm. 2) - nicht nur der Lehrberechtigte, sondern auch der Lehrling das Lehrverhältnis nur unter den Voraussetzungen der Abs. 2 bis 5 leg. cit. vorzeitig auflösen kann, während eine Aufkündigung des Lehrverhältnisses durch wen immer überhaupt ausgeschlossen ist. Damit ist aber entgegen der Meinung der Beklagten noch nicht gesagt, daß der Lehrling nicht im Einzelfall auf diesen Bestandschutz "verzichten" könnte: Daß das Gesetz dem Lehrling nicht jede Dispositionsfreiheit hinsichtlich des Weiterbestehens des Lehrverhältnisses nehmen wollte, zeigt schon die in § 15 Abs. 2 Satz 2 BAG ausdrücklich vorbehaltene Möglichkeit einer einvernehmlichen vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses. Kann der Lehrling aber dieses Rechtsverhältnis im Einvernehmen mit dem Lehrberechtigten jederzeit beenden, dann muß es ihm auch freistehen, den gleichen Erfolg dadurch zu erzielen, daß er sich mit einer - wenngleich an sich rechtsunwirksamen - einseitigen Auflösungserklärung des Lehrberechtigten ausdrücklich oder schlüssig einverstanden erklärt und damit das Lehrverhältnis rückwirkend mit dem Zeitpunkt des Zugehens dieser Erklärung beendet. Für die Einräumung eines solchen Wahlrechtes auch an den vom Lehrberechtigten zu Unrecht entlassenen Lehrling spricht im übrigen nicht nur die allgemeine Überlegung, daß eine ungerechtfertigte Entlassung regelmäßig eine gespannte, der Erreichung des Lehrziels nicht eben förderliche Atmosphäre schafft und es gerade dem Lehrling regelmäßig nicht zugemutet werden kann, ein solcherart belastetes Lehrverhältnis gegen den erklärten Willen des Lehrberechtigten fortzusetzen; wie Jabornegg (a.a.O., 19 f.) richtig hervorgehoben hat, würde gerade bei einem befristeten Arbeitsverhältnis, wie es das Lehrverhältnis ist, die Beschränkung auf die Ansprüche nach § 1155 ABGB insofern zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung des Lehrlings gegenüber anderen, nicht besonders geschützten Arbeitnehmern führen, als auf die Entgeltansprüche nach § 1155 ABGB ein anderweitiger Verdienst von Anfang an voll anzurechnen ist, während nach § 1162b ABGB (ebenso wie nach § 29 AngG) das Entgelt für die ersten drei Monate ohne Abzug zu gewähren ist.

Verfehlt ist aber auch die Meinung der Beklagten, daß ein Anspruch des Klägers auf Kündigungsentschädigung und andere aus der ungerechtfertigten Auflösung des Lehrverhältnisses abgeleitete Leistungen im konkreten Fall deshalb ausgeschlossen sei, weil das Berufsausbildungsgesetz die Auflösung von Lehrverhältnissen abschließend geregelt habe und daher weder auf § 84 GewO 1859 noch auf § 1162b ABGB zurückgegriffen werden könne: Es ist zwar richtig, daß die von Kuderna in RdA 1965, 63 f. zur Anwendung des § 84 GewO 1859 auf Lehrverhältnisse aus §§ 101, 102 Abs. 4 GewO 1859 abgeleiteten Schlußfolgerungen zufolge der ausdrücklichen Aufhebung dieser Bestimmungen durch § 34 Abs. 4 lit. c BAG ihre rechtliche Grundlage weitgehend verloren haben. Entgegen der Meinung der Beklagten ist aber die "vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses" auch in § 15 BAG keineswegs so "abschließend" geregelt, daß eine - zumindest analoge - Heranziehung anderer Bestimmungen von vornherein ausgeschlossen wäre. Obgleich nämlich § 15 BAG eine Reihe von Gründen anführt, die den Lehrberechtigten (Abs. 3) oder den Lehrling (Abs. 4) zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigen, sagt das Gesetz nichts darüber, welche Rechtsfolgen eine solche (gerechtfertigte) Auflösungserklärung nach sich ziehen soll. Da nicht angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber gerade bei der vorzeitigen Auflösung eines Lehrverhältnisses alle jene (Schadenersatz-)Ansprüche hätte ausschließen wollen, die dem Vertragsteil, der das Arbeitsverhältnis mit Grund vorzeitig auflöst, überall sonst in durchwegs vergleichbarer Ausgestaltung zuerkannt werden (so insbesondere zugunsten des Arbeitgebers: § 1162a ABGB, § 28 AngG, § 28 GAngG, § 86 GewO 1859; zugunsten des Arbeitnehmers: § 1162b ABGB, § 29 AngG, § 29 GAngG, § 84 GewO 1859 u. a.), ist schon aus diesem Grund eine Heranziehung der einschlägigen Bestimmungen der Gewerbeordnung 1859 und des ABGB nicht zu vermeiden. Umso weniger Bedenken bestehen dann aber dagegen, diese Bestimmungen auch dort anzuwenden, wo ein Lehrling - wie hier - die vom Lehrberechtigten ohne gerechtfertigten Grund ausgesprochene vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses akzeptiert und sich auf die daraus resultierenden (Schadenersatz-)Ansprüche beschränkt. Die Frage der Weitergeltung des - durch § 376 Z. 47 GewO 1973 ausdrücklich aufrechterhaltenen - § 84 GewO 1859 kann dabei schon deshalb auf sich beruhen, weil auch bei Bejahung der Anwendbarkeit dieser Bestimmung § 1162b ABGB jedenfalls subsidiär anzuwenden wäre (Floretta, Arbeitsrecht, 210; Berger - Rohringer a.a.O., 129 f. § 15 Anm. 19) und im übrigen der Kläger selbst davon ausgeht, daß ihm eine Kündigungsentschädigung gemäß § 84 GewO unter Heranziehung der Anrechnungsvorschrift des § 1162b ABGB gebühre.

Im konkreten Fall hat der Kläger gegenüber der Beklagten spätestens mit der Zustellung der vorliegenden Klage zu erkennen gegeben, daß er mit der von der Beklagten gewollten vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses einverstanden sei und die sich daraus ergebenden Ansprüche geltend machen wolle. Damit ist das Lehrverhältnis zwischen den Parteien im Sinne der obigen Rechtsausführungen rückwirkend als mit dem Zeitpunkt der - ungerechtfertigten - Entlassungserklärung der Beklagten vom 26. Oktober 1978 beendet anzusehen. Der Kläger war daher berechtigt, von der Beklagten nicht nur den noch offenen Rest seiner Lehrlingsentschädigung bzw. Feiertagsentlohnung sowie die Bezahlung der tatsächlichen geleisteten Überstunden zu verlangen, sondern gemäß § 1162b ABGB (§ 84 GewO 1859) aus dem Titel des Schadenersatzes auAnsprüche auf das Entgelt - hier: Lehrlingsentschädigung und Jahresremuneration - für den Rest der bedungenen Lehrzeit geltend zu machen; überdies hat er gemäß § 10 UrlG auch über den 7. November 1978 hinaus einen Anspruch auf Urlaubsabfindung. Da der Kläger alle diese Forderungen mit drei Monaten (bis zum 26. Jänner 1979) begrenzt hat, scheidet gemäß § 1162b ABGB eine Anrechnung des während dieser Zeit anderweitig Verdienten von vornherein aus. Gegen die in der Klage aufgeschlüsselte Berechnung der Kündigungsentschädigung mit 5220 S, der restlichen Jahresremuneration mit 803.08 S und der restlichen Urlaubsabfindung mit 334.60 S bestehen keine Bedenken; sie ist auch von der Beklagten nicht beanstandet worden. Da dem Kläger jedoch die Lehrlingsentschädigung für die Zeit vom 27. Oktober bis 7. November 1978 in der Höhe von 669.23 S bereits aus dem Titel des § 1155 ABGB rechtskräftig zuerkannt worden ist, kann ihm dieser Betrag nicht nochmals als Kündigungsentschädigung zuerkannt werden; sein Anspruch auf Kündigungsentschädigung reduziert sich deshalb auf (5220 S minus 669.23 S =) 4550.77 S. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung gebühren dem Kläger daher zusätzlich zu dem ihm von den Vorinstanzen rechtskräftig zuerkannten Betrag von 3316.21 S samt Anhang noch an Kündigungsentschädigung 4550.77 S, an restlicher Jahresremuneration 803.08 S sowie an restlicher Urlaubsabfindung 334.60 S, zusammen 5688.45 S samt Anhang.

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