OGH 7Ob807/79

OGH7Ob807/7931.1.1980

SZ 53/21

Normen

EVO §111
EVO §94
EVO §111
EVO §94

 

Spruch:

Die Frachtführerhaftung der Eisenbahn ist nach § 94 EVO im Sinne einer Gefährdungshaftung verschärft, in anderen Punkten aber beschränkt; so verjähren frachtrechtliche Ansprüche selbst bei Verschulden der Eisenbahn nach der Sonderregelung des § 111 EVO. Auch die Ausfolgung des Frachtgutes an einen nicht berechtigten Empfänger kann einen Fall des gänzlichen Verlustes des Frachtgutes bilden

OGH 31. Jänner 1980, 7 Ob 807/79 (HG Wien 1 R 215/79; BGHS Wien 1 C 1436/78)

Text

Am 18. August 1976 wurden mit Frachtbrief Nr. 15 387 bei der Beklagten 37 Paar Skier zur Beförderung von M an das Sporthaus Erna D in W, als frachtbriefmäßige Empfängerin aufgegeben. Das Frachtgut wurde jedoch von der Beklagten nicht an die Empfängerin, sondern an die Firma Sport-D- Warenhandelsgesellschaft mbH in W ausgefolgt. Über deren Vermögen wurde in der Folge das Ausgleichsverfahren eröffnet. Die Klägerin erhielt daher vom Frachtwert des Frachtgutes von 36 570.92 S von dieser Firma nur die 40%ige Ausgleichsquote im Betrage von 14 628.37 S.

Mit ihrer beim Erstgericht am 23. Juni 1978 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin den Ersatz des ihr durch das Verschulden der Beklagten (Ausfolgung des Frachtgutes an einen nicht berechtigten Empfänger) verursachten Schadens von 21 942.55 S samt Anhang.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Diese habe außerdem die Ausfolgung des Frachtgutes an die Sport-D-Warenhandelsgesellschaft mbH dadurch genehmigt, daß sie den Kaufpreis für die Skier gegen diese geltend gemacht und teilweise auch erhalten habe.

Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens. Nach seinen Feststellungen begehrte die Klägerin zunächst die Bezahlung der versendeten Ware von Erna D, die jedoch auf die Mahnung nicht reagierte und erst anläßlich eines Besuches des Gebietsvertreters der Klägerin im Sommer 1977 bestritt, die Ware erhalten zu haben. Erst im Oktober oder November 1977 erhielt die Klägerin vom Bahnhof M die Auskunft, daß das Frachtgut an die Sport-D-Warenhandelsgesellschaft mbH ausgefolgt worden war.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es war entgegen der Ansicht des Erstgerichtes der Meinung, daß die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede berechtigt sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionswerberin beharrt auf ihrer Ansicht, daß ein Verlust des Frachtgutes nicht vorliege, weil die von der Beklagten zur Beförderung übernommenen 37 Paar Skier nicht in Verlust geraten, sondern einem falschen Adressaten ausgefolgt worden seien. Es komme daher die allgemeine Bestimmung des § 1489 ABGB zur Anwendung, nach der die Verjährung einer Entschädigungsklage erst dann beginne, wenn dem Beschädigten der Schaden und die Person des Schädigers bekannt geworden seien. Dies sei jedoch hier frühestens Ende des Jahres 1977 der Fall gewesen. Im Zeitpunkt der Klagserhebung sei daher die Verjährungsfrist des § 111 Abs. 1 EVO noch nicht abgelaufen gewesen.

Die Ausführungen der Revisionswerberin vermögen nicht zu überzeugen. Nach § 94 des Bundesgesetzes vom 19. April 1967, BGBl. 170, i. d. F. des Bundesgesetzes vom 24. März 1977, BGBl. 163 (Eisenbahn-Verkehrsordnung = EVO), haftet die Eisenbahn für die Überschreitung der Lieferfrist und für den Schaden, der durch gänzlichen oder teilweisen Verlust oder durch Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Annahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entsteht. Ansprüche aus einem Frachtvertrag verjähren in einem Jahr (§ 111 Abs. 1 EVO). In zwei Jahren verjähren jedoch a) Ansprüche auf Auszahlung einer Nachnahme, welche die Eisenbahn vom Empfänger eingezogen hat, b) Ansprüche auf Auszahlung des Erlöses eines von der Eisenbahn vorgenommenen Verkaufes, c) Ansprüche wegen eines durch Vorsatz verursachten Schadens, d) Ansprüche im Falle eines Betruges, e) Ansprüche aus einem der der Neuaufgabe vorangehenden Frachtverträge in dem im § 96 Abs. 1 vorgesehenen Falle (§ 111 Abs. 2 EVO). Die Verjährung beginnt bei Entschädigungsansprüchen wegen gänzlichen Verlustes des Gutes mit Ablauf des 30. Tages nach Ablauf der Lieferfrist (§ 111 Abs. 3 lit. b EVO).

Ein gänzlicher Verlust des Gutes liegt dann vor, wenn die Eisenbahn nicht in der Lage ist, das Frachtgut dem Empfangsberechtigten auszufolgen. Hiebei ist es gleichgültig, warum die Eisenbahn nicht in der Lage ist (Zerstörung, Vernichtung, Diebstahl, Ausfolgung an einen nicht Berechtigten, von dem das Gut nicht mehr zurückzuerlangen ist, Konfiskation), das Frachtgut an den Berechtigten auszuliefern (Goltermann, Anm. 3 zu dem dem § 94 Abs. 1 EVO entsprechenden § 82 der deutschen EVO; Becker, Die Haftung der Eisenbahn nach nationalem und internationalem Frachtrecht 95; Wick,

Das internationale Eisenbahnfrachtrecht 242 zu Art. 27 § 1 des Internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr = CIM, vgl. auch Schlegelberger, Kommentar zum HGB[5] VI 584 und 755 f.; Ratz in RGRK zum HGB[2]V 154 und 416; EvBl. 1973/77). Auch hier ist das Frachtgut in Verlust geraten, weil die von der Revisionswerberin der Beklagten zur Beförderung übergebenen 37 Paar Skier an einen nicht berechtigten Empfänger ausgeliefert wurden, von dem eine Rückforderung nicht mehr möglich war, weil die Revisionswerberin von der irrtümlichen Ausfolgung erst nahezu 1 1/2 Jahre nach der Auslieferung Kenntnis erlangte. Die Revisionswerberin erhebt somit einen Entschädigungsanspruch wegen Verlustes des Frachtgutes, der im Hinblick auf die Regelung des § 111 Abs. 1 EVO (ein Sonderfall im Sinne des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle liegt nicht vor) der einjährigen Verjährung unterliegt, die mit Ablauf des 30. Tages nach Ablauf der im vorliegenden Fall gemäß § 83 EVO am 25. August 1976, 0 Uhr, endenden Lieferfrist in Gang gesetzt wurde. Im Zeitpunkte der Klagserhebung (23. Juni 1978) war daher der Klagsanspruch bereits verjährt.

Der Revisionswerberin ist darin beizupflichten, daß § 94 EVO die Frachtführerhaftung der Eisenbahn im Sinne einer vom eigenen Verschulden unabhängigen Gefährdungshaftung erweitert. Dieser Haftungsverschärfung stehen aber andererseits weitgehende Beschränkungen der Haftung der Eisenbahn hinsichtlich des von ihr zu leistenden Schadenersatzes und auch sonstige Vorteile (z. B. kürzere Verjährungsfristen) gegenüber (Wick, Das internationale Eisenbahnfrachtrecht, 240). Die Eisenbahnverkehrsordnung trifft daher hinsichtlich der im § 94 EVO angeführten Ersatzansprüche eine Sonderregelung für die Haftung der Eisenbahn, die verkehrs- und wirtschaftspolitisch bedingt ist und auch die Verjährungsfrage betrifft (Finger, Eisenbahnverkehrsordnung[5], Anm. lit. a - e zu § 82 deutsche EVO). Maßgebend für die Inanspruchnahme der Eisenbahn wegen Verlustes oder Beschädigung des Gutes und wegen Lieferfristüberschreitung sind daher ausschließlich die Bestimmungen der §§ 94 ff. EVO. Die Verjährung dieser frachtrechtlichen Ansprüche richtet sich nach § 111 EVO auch dann, wenn die Eisenbahn ein Verschulden am Schadenseintritt trifft (Goltermann, Anm. 1 zu dem mit § 111 EVO weitgehenden übereinstimmenden § 94 deutsche EVO; Finger, Anm. 1 a - e zu § 82 deutsche EVO; vgl. auch Schlegelberger[5] VI, 819; Ratz in RGRK[2] V, 455). Hiefür spricht auch der Umstand, daß die Sonderregelung des § 111 EVO selbst für vorsätzlich zugefügte Schäden gilt (§ 111 Abs. 2 lit. c EVO). Kommt aber die Bestimmung des § 1489 ABGB nicht zur Anwendung, so ist es auch ohne Belang, daß die Revisionswerberin erst Ende 1977 von der Ausfolgung des Frachtgutes an einen nicht berechtigten Empfänger erfahren hat.

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