OGH 6Ob505/80

OGH6Ob505/8030.1.1980

SZ 53/17

Normen

JN §1
StPO §390 Abs4
StPO §393 Abs3
StPO §395 Abs1
JN §1
StPO §390 Abs4
StPO §393 Abs3
StPO §395 Abs1

 

Spruch:

Für den Anspruch auf Ersatz der Kosten des Strafverfahrens wegen wissentlich falscher Anzeige gemäß § 390 Abs. 4 StPO ist der ordentliche Rechtsweg zulässig

OGH 30. Jänner 1980, 6 Ob 505/80 (LGZ Wien 42 R 927/79; BG Innere Stadt Wien 33 C 707/78)

Text

Der Beklagte erstattete wegen einer näher geschilderten Vorgangsweise der "K Gesellschaft mbH & Co. KG" an das Landesgericht für Strafsachen Wien eine Strafanzeige wegen des Verdachtes des Betruges. Der Kläger (war und) ist Geschäftsführer der genannten Kommanditgesellschaft (und ihrer Komplementär GesmbH). Nach gerichtlichen Vorerhebungen stellte die Staatsanwaltschaft gegen den nunmehrigen Kläger wegen des vom Beklagten angezeigten Sachverhaltes Strafantrag wegen des Vergehens der Veruntreuung. Nach Durchführung der Hauptverhandlung beschloß das Landesgericht Innsbruck die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 227 Abs. 1 StPO. Der Kläger begehrte den Ersatz der Kosten seines Verteidigers. Er machte den Beklagten hiefür unter Berufung auf § 390 Abs. 4 StPO wegen wissentlich falscher Anzeige haftbar. Er erklärte ausdrücklich, den Betrag aus dem Titel des Schadenersatzes zu begehren.

Der Beklagte bestritt das Vorliegen der in § 390 Abs. 4 StPO normierten Anspruchsvoraussetzungen. Überdies machte er geltend, daß die genannte Gesetzesstelle als strafprozessuale Bestimmung nicht geeignet sei, eine zivilrechtliche Haftung herbeizuführen.

Das Erstgericht gab dem Ersatzbegehren statt.

Das Berufungsgericht hob in Stattgebung der Berufung des Beklagten das gesamte Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück.

Die Zulässigkeit des Rechtsweges zur Verfolgung von Ansprüchen des Angezeigten auf Ersatz der Verteidigerkosten gegen den Anzeiger wegen wissentlich falscher Anzeige erachtete das Erstgericht mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung als gegeben.

Dagegen vertrat das Berufungsgericht unter ausdrücklicher Ablehnung der in der Entscheidung SZ 46/65 dargelegten Ansicht die Auffassung, die Bestimmungen der §§ 390 Abs. 4, 393 Abs. 3 und 395 Abs. 1 StPO seien in dem Sinne auszulegen, daß unabhängig von der Art, wie das Strafverfahren gegen den Angezeigten beendet wurde, über die Ersatzpflicht des Anzeigers für die Kosten der Verteidigung des fälschlich Angezeigten unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges vom Strafgericht zu entscheiden sei.

Über Revisionsrekurs des Klägers hob der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Rekursgerichtes auf und trug diesem die Entscheidung über die Berufung des Beklagten auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wer durch eine wissentlich falsche Anzeige ein Strafverfahren veranlaßt, in dessen Verlauf dem Angezeigten Kosten der Verteidigung erwachsen, verursacht dem Angezeigten in Ansehung dieser Verteidigungskosten - wie etwa auch in Ansehung eines durch die Strafverfolgung erlittenen Verdienstentganges oder anderer ersatzfähiger Nachteile - rechtswidrig und schuldhaft einen Vermögensschaden im Sinne der §§ 1295, 1331 ABGB, der aber neben anderen allgemeinen und besonderen Aufwendungen im Strafverfahren gemäß § 381 Abs. 1 Z. 8 StPO zu dessen Kosten zählt, über deren Tragung und Ersatz die StPO in ihrem XXII. Hauptstück (§§ 380 ff.) besondere Regelungen trifft.

Die verfahrensrechtliche Regelung des Kostenersatzes wird von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung gegenüber der bürgerlichrechtlichen Schadenersatzregelung als eine die zweitgenannte ausschließende Sonderregelung abschließender Natur angesehen; damit wird der Sache nach eine Anspruchskonkurrenz verneint (vgl. Julius

v. Wasar, Zur Anwendung der Strafprozeßordnung IX, GZ 1889, 209 f ad 5; JBl. 1929, 256; RZ 1934, 222; JBl. 1954, 493 u. a.; z T anderer Ansicht aber Eisinger, JBl. 1902, 229 ff).

Für die in diesem Rekursverfahren allein entscheidende Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges bedeutete die Annahme einer Gesetzeskonkurrenz, daß für die rechtliche Eigenart des klageweise erhobenen Ersatzanspruches unabhängig von der Qualifikation durch den Kläger ausschließlich der behauptete Tatumstand maßgebend wäre, daß die Kosten, deren Ersatz der Kläger fordert, diesem als Kosten der Verteidigung in dem vom Beklagten durch angeblich wissentlich falsche Anzeige veranlaßten Strafverfahren erwachsen seien.

Der OGH hat allerdings in jüngster Zeit die Bestimmungen des XXII. Hauptstückes der StPO in dem Sinn ausgelegt, daß sie in bezug auf Kosten, die in einem Strafverfahren entstanden sind, das zwar durch Anzeige veranlaßt, in der Folge aber - ohne strafgerichtliche Feststellung einer wissentlich falschen Anzeige - wieder eingestellt wurde, keine Regelung enthielten (SZ 46/65).

Die einschränkende Auslegung der strafprozessualen Regelung des Verfahrenskostenersatzes im Fall wissentlich falscher Anzeige im Sinne der Entscheidung SZ 46/65, der Ansicht von Foregger - Serini StPO[2], Erl. II u. III zu § 390 (vgl. auch 11 Os 98/79) oder in einem sonstigen Sinn ist zu prüfen.

Die Regelung der StPO über den Verfahrenskostenersatz läßt im § 389 Abs. 1 und § 390 Abs. 1 den - im Sinne des § 390 Abs. 3 zum Nachteil des Angeklagten eingeschränkten - Grundsatz der Abhängigkeit der Kostenersatzpflicht vom Sachausgang (Erfolgsprinzip) erkennen, soweit die öffentlich-rechtlichen Beziehungen der (Haupt-) Parteien des Strafverfahrens untereinander in Betracht gezogen werden. Diese Ersatzpflicht der Parteien des Strafverfahrens ist dem Grund nach im verurteilenden Erkenntnis (§ 389 Abs. 1) oder in der (sonst) das Verfahren für die Instanz erledigenden Entscheidung (§ 390 Abs. 1) auszusprechen. Damit ordnet die StPO positiv die Zuständigkeit des Strafgerichtes zur Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Kostenersatzanspruch an.

Inhaltlich wird dieser Kostenersatzanspruch durch § 381 Abs. 1 StPO bestimmt, nach dessen Z. 8 auch die Kosten der Verteidigung und anderer Parteienvertreter zu den Strafverfahrenskosten zählen. § 393 Abs. 3 StPO wiederholt diese inhaltliche Umschreibung des prozessualen Kostenersatzanspruches in Ansehung aller Kosten der Verteidigung und der Vertretung. § 395 Abs. 1 StPO überläßt die Ausmittelung der Höhe dieser Kosten der Verteidigung und Vertretung in erster Linie dem Parteienübereinkommen und unterwirft sie erst bei Abgang einer solchen Einigung der gerichtlichen Bestimmung. Auch hiezu ordnet das Gesetz positiv die Zuständigkeit des Strafgerichtes an (§ 395a StPO stellt dann lediglich eine Besetzungsvorschrift dar).

Dieses in sich geschlossene System des prozessualen Verfahrenskostenersatzes erhält nun durch § 390 Abs. 4 StPO eine Ergänzung deren Eigenheiten in folgenden Umständen gelegen sind: a) die Ersatzpflicht wird einer Person auferlegt, die nicht Verfahrenspartei ist, b) die Ersatzpflicht wird an einen Tatbestand geknüpft, der vor allem, was die subjektive Tatseite des Ersatzpflichtigen anlangt, nicht notwendiger Gegenstand des Verfahrens ist, über dessen Kosten entschieden werden soll, und c) die Ersatzpflicht bestunde nach Grund und Höhe in Ansehung der in § 393 Abs. 3 StPO genannten Kosten der Verteidigung und Vertretung auf Grund bürgerlichen Rechts in derselben Weise.

§ 390 Abs. 4 StPO lautet:

"Wurde endlich das Strafverfahren durch eine wissentlich falsche Anzeige veranlaßt, so hat die Kosten der Anzeiger zu ersetzen."

Im auffallenden Gegensatz zu § 389 Abs. 1 und § 390 Abs. 1 StPO fehlt eine ausdrückliche Anordnung über die Zuständigkeit zur Feststellung der Ersatzpflicht dem Grund nach.

Die Zuständigkeitsnorm des § 395 Abs. 1 StPO, der zufolge über die Höhe der nach § 393 Abs. 3 StPO zu ersetzenden Kosten das näher bezeichnete Strafgericht zu entscheiden hat, ist wohl trotz der ausdrücklichen Erwähnung des nach § 390 Abs. 4 StPO ersatzpflichtigen Anzeigers in § 393 Abs. 3 StPO aus der Erwägung, daß ein Ausspruch über die Höhe eines Anspruches dessen vorherige Anerkennung dem Grund nach voraussetzt, einschränkend in dem Sinn auszulegen, daß das im § 395 Abs. 1 StPO genannte Gericht zur Bestimmung über die Höhe der Verteidigungs- oder Vertretungskosten nur unter der Voraussetzung eines vorausgegangenen strafgerichtlichen Ausspruches über den Grund der prozessualen Kostenersatzpflicht zuständig sein kann. Abzulehnen wäre der gegenteilige Schluß, daß wegen der in § 395 Abs. 1 StPO angeordneten (ausschließlichen) Zuständigkeit des Strafgerichtes zur Entscheidung über die Höhe des prozessualen Kostenersatzes sich auch in allen Fällen die (ausschließliche) Zuständigkeit der Strafgerichte zur Entscheidung über den Grund des Kostenersatzanspruches ergäbe.

Gerade das Fehlen einer Zuständigkeitsnorm im Falle des § 390 Abs. 4 StPO drängte bereits die Frage auf, ob die Entscheidung über den Grund des Verfahrenskostenersatzes in dem Verfahren gegen den fälschlich Angezeigten (in dem der Anzeiger nicht Parteistellung genießt) oder in einem gegen den Anzeiger zu führenden Strafverfahren zu erfolgen habe (vgl. SSt 25/91).

Unzweifelhaft setzt ein Ausspruch über die Kostenersatzpflicht nach § 390 Abs. 4 StPO dem Grund nach eine Feststellung der Wissentlichkeit des Anzeigers bei Erstattung der falschen Anzeige voraus. Nicht nur der Wertungswiderspruch, diese Frage als Vorfrage für den strafprozessualen Nebenanspruch des Kostenersatzes im Verfahren gegen den Angezeigten mit einem unter Umständen unverhältnismäßigen Verfahrensaufwand lösen zu müssen, während gleichzeitig bei positiver Lösung der Vorfrage diese zum Gegenstand einer Anzeige und in der Folge zum Inhalt eines Hauptverfahrens gegen den Anzeiger zu machen wäre, sondern auch Art. VI MRK gebieten die Auslegung, daß wegen der beschränkten Einflußnahme des Anzeigers auf die Stoffsammlung im Verfahren gegen den Angezeigten die für den Kostenersatz erforderliche Feststellung seiner Wissentlichkeit von der falschen Anzeige als Grundlage einer prozessualen Kostenersatzpflicht nur ausnahmsweise (etwa bei unverdächtigem Geständnis) schon im Verfahren gegen den Angezeigten getroffen werden darf.

Unter diesem Gesichtspunkt muß aber auch § 390 Abs. 4 StPO, was die in § 393 Abs. 3 (§ 381 Abs. 1 Z. 8) StPO erwähnten Kosten der Verteidigung und sonstigen Vertretung anlangt, über die ein ziffernmäßiger und damit vollstreckbarer Ausspruch des Strafgerichts gemäß § 395 Abs. 1 StPO nur auf Antrag und nicht von amtswegen zu erfolgen hat, der Sache nach primär als Vorbehalt des bürgerlichrechtlichen Schadenersatzanspruches, wenn auch unter inhaltlicher Beschränkung auf die wissentlich falsche Anzeige, verstanden werden.

In dem hier dargelegten Sinn ist auch die in der Entscheidung SZ 46/65 ausgesprochene Rechtsansicht, daß nur dann, wenn die Erstattung einer wissentlich falschen Anzeige durch das Strafgericht - als Voraussetzung der verfahrensrechtlichen Kostenersatzpflicht - festgestellt wurde, das Strafgericht gemäß § 390 Abs. 4, § 393 Abs. 3 StPO die Kosten des fälschlich Angezeigten zu bestimmen habe, zu präzisieren.

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