Spruch:
Zu besonders günstigen Bedingungen angebotene Waren müssen - von zufälligen Lieferschwierigkeiten oder anderen unvorhersehbaren Ereignissen abgesehen - für eine gewisse Zeitspanne in einer solchen Menge vorhanden sein, daß damit die üblicherweise zu erwartende Nachfrage gedeckt werden kann
Der Unterlassungsanspruch nach § 2 UWG setzt kein Verschulden des Beklagten voraus
OGH 15. Jänner 1980, 4 Ob 407/79 (OLG Wien 4 R 201/79; HG Wien 19 Cg 141/79)
Text
Die Beklagte betreibt (u. a.) den Einzelhandel mit Schallplatten. Am 8. August und am 9. August 1979 kundigte sie jeweils auf Seite 1 der Tageszeitungen "Kurier" und "Neue Kronen-Zeitung" die Langspielplatten "Dunkelgraue Lieder" von Ludwig Hirsch und "Spirits Having Flown" der Bee Gees zum "Sonderpreis" von "nur 79.90" - anstelle des empfohlenen Verkaufspreises von 160 S - an. Das erstgenannte Angebot galt nur für den 8. August 1979 und nur für die Filiale Wien 1, A-Gasse 13, das Angebot der Bee Gees-Platte nur für den 9. August 1979 und nur für die Filiale Wien 1, B-Straße 4. In beiden Fällen waren die Schallplatten noch am selben Tag ausverkauft.
Die klagenden Mitbewerberinnen bezeichnen ein solches Ankundigen von Waren, die der Händler nicht oder nicht ausreichend lagernd hat, als Verstoß gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs. Sie beantragen daher, zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, Tonträger, insbesondere Schallplatten, anzukundigen, wenn sie über keine zur Befriedigung des Bedarfs ausreichende Menge der angekundigten Tonträger verfügt.
Die Beklagte stellt jeden Gesetzesverstoß in Abrede. Nach den in der Vergangenheit mit ähnlichen Werbeaktionen gemachten Erfahrungen sei damit zu rechnen gewesen, daß 25 Schallplatten eines Titels zur Deckung des Bedarfs der jeweiligen Interessenten ausreichen würden; tatsächlich habe dann aber die Nachfrage alle Erwartungen übertroffen, wobei es gewichtige Anhaltspunkte dafür gebe, daß die bereitgestellten Vorräte systematisch aufgekauft worden seien. Im übrigen hätten die beanstandeten Zeitungsinserate den ausdrücklichen Vermerk "Angebot solange Vorrat reicht" enthalten.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab und nahm dabei folgenden weiteren Sachverhalt als bescheinigt an:
Die Schallplatte von Ludwig Hirsch ("Dunkelgraue Lieder") war am 8. August 1979 in der Filiale A-Gasse 13 um 10.30 Uhr ausverkauft, die Schallplatte der Bee Gees ("Spirits Having Flown") am 9. August 1979 in der Filiale B-Straße 4 schon um 10 Uhr. Die Beklagte führt seit ihrem Bestehen solche Sonderaktionen durch, wobei sie den einzelnen Filialen jeweils 10 bis 35 Exemplare der angekundigten Platten zur Verfügung stellt. Dieser Vorrat reicht üblicherweise aus, um die Nachfrage zu befriedigen; manchmal sind derartige Aktionsplatten auch noch nach Tagen und Wochen vorrätig. Von der Plate "Dunkelgraue Lieder" waren der Filiale A-Gasse 13 zirka 30 Exemplare zur Verfügung gestanden, während von der Platte "Spirits Having Flown" in der Filiale B-Straße 4 jedenfalls mehr als 20 Stück vorhanden gewesen waren. Um ein Aufkaufen
on Aktionsplatten durch Händler oder andere Personen zu verhindern, werden sie auf Weisung der Zentrale der Beklagten nur einzeln abgegeben.
Rechtlich meinte das Erstgericht, die Beklagte habe nach ihren geschäftlichen Erfahrungen davon ausgehen dürfen, daß sie ihren Filialen eine ausreichende Menge der angekundigten Aktionsplatten zur Verfügung gestellt habe. Daß am 8. und 9, August 1979 die Nachfrage stärker als erwartet gewesen sei und daher an diesen beiden Tagen der Vorrat nicht ausgereicht habe, um den Bedarf des Publikums zu befriedigen, begrunde noch keinen Wettbewerbsverstoß der Beklagten.
Das Rekursgericht erließ die einstweilige Verfügung. Der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch setze kein Verschulden des Handelnden voraus; es genüge vielmehr, daß sein Verhalten objektiv gegen das Gesetz verstößt und alle von diesem verlangten Merkmale aufweist. Auch wenn daher die Beklagte in schuldloser Unkenntnis des zu erwartenden Interesses an den beiden angebotenen Schallplatten gehandelt habe, könne sie das vom Vorwurf eines Wettbewerbsverstoßes dann nicht befreien, wenn die objektiven Unrechtselemente ihres Verhaltens, wie hier, offenkundig seien:
"Lockvogel"-Angebote aller Art, die geeignet sind, den Verbraucher irrezuführen, verstießen gegen §§ 1 und 2 UWG; dazu gehörten insbesondere auch solche Angebote, in denen bestimmte Waren als besonders preiswert angekundigt werden, dann aber im Geschäft überhaupt nicht oder nur in unzureichender Menge erhältlich sind, werde im Einzelhandel der Verkauf bestimmter Artikel werbemäßig angekundigt, dann erwarte der Kunde, daß diese Waren durch eine gewisse Zeit - insbesondere also in jedem Fall für die Dauer des einzigen im Inserat angekundigten Tages - in ausreichender Menge vorhanden sind. Die Größe des hiezu notwendigen Vorrates bestimme sich - unabhängig von den Erwartungen des Werbenden - im Verhältnis zur Nachfrage; nur unvorhersehbare Umstände, für die der Werbende nicht verantwortlich ist - so etwa ein Diebstahl oder zufällige Lieferschwierigkeiten -, könnten das Fehlen eines ausreichenden Warenvorrates rechtfertigen. Solche Umstände lägen aber diesmal nicht vor: Die Beklagte habe ihre Sonderangebote jeweils nur in einer einzigen Filiale verkauft und diese Aktionen auf der Titelseite zweier in Wien viel gelesener Tageszeitungen angekundigt. Da es sich um besonders aktuelle Schallplatten gehandelt habe, habe sie keinesfalls erwarten dürfen, mit jeweils 20 bis 30 Exemplaren das Auslangen zu finden; selbst wenn sie aber subjektiv von einer solchen Erwartung ausgegangen wäre, könnte sie dies vom Vorwurf eines Wettbewerbsverstoßes nicht befreien. Im übrigen habe die Beklagte weder vorgebracht noch bescheinigt, inwiefern sie daran gehindert gewesen wäre, den beiden Filialen weitere Exemplare der angepriesenen Schallplatten zur Verfügung zu stellen, um den angeblich überraschend aufgetretenen Mehrbedarf zu befriedigen.
Auch aus dem in die Inserate aufgenommenen Hinweis "Angebot solange Vorrat reicht" sei für die Beklagte nichts zu gewinnen: Dieser Zusatz besage schon deshalb nichts, weil es sonst der Werbende in der Hand hätte, den Vorrat willkürlich zu begrenzen, um seine wettbewerbswidrige, auf die Ankündigung von Lockartikeln gerichtete Absicht noch besser verwirklichen zu können. In jedem Fall wäre es Sache der Beklagten gewesen, für eine Befriedigung des durch ihre Sonderangebote geweckten Bedarfs Sorge zu tragen, wollte sie sich nicht dem Vorwurf einer Täuschung des interessierten Publikums aussetzen. Der vom Erstgericht als bescheinigt angenommene, im Rekursverfahren nicht mehr bekämpfte Sachverhalt begrunde somit einen Verstoß der Beklagten gegen § 2 UWG.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zu Unrecht bekämpft die Beklagte die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch kein Verschulden des Handelnden voraussetze, sofern nur das beanstandete Verhalten objektiv gegen das Gesetz verstoße und alle von diesem geforderten Merkmale aufweise. Die zur Widerlegung dieser Auffassung herangezogenen Ausführungen Hefermehls (in Baumbach - Hefermehl, Wettbewerbsrecht[12], 220 EinlUWG Anm. 137) betreffen ausschließlich die - in der österreichischen Lehre und Rechtsprechung nicht ganz einheitlich beantwortete - Frage, ob und wie weit bei der Beurteilung eines Verhaltens unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 1 UWG auch subjektive Elemente (Kenntnis oder schuldhafte Unkenntnis der bei objektiver Betrachtung ein solches Unwerturteil begrundenden Umstände) zu berücksichtigen sind (vgl. etwa ÖBl. 1977, 30 und ÖBl. 1977, 159, jeweils mit kritischen Bemerkungen von Schönherr, sowie Hohenecker - Friedl, Wettbewerbsrecht, 17: ferner auch Baumbach - Hefermehl a.a.O., 211 f. Anm. 121 f.). Daß hingegen der Unterlassungsanspruch nach § 2 UWG kein Verschulden des Beklagten voraussetzt und daher unabhängig davon besteht, ob der Handelnde die Eignung seiner Angaben zur Irreführung - insbesondere also deren Unrichtigkeit - kannte oder kennen mußte, ist in Österreich unbestritten (ÖBl. 1977, 30; ÖBl. 1973, 131 u. a., zuletzt etwa 4 Ob 331, 332/76; Hohenecker - Friedl a. a. O., 90; ferner Schönherr in ÖBl. 1977, 162) und wird auch bei Baumbach - Hefermehl hinsichtlich der korrespondierenden Bestimmung des § 3 dUWG nicht in Zweifel gezogen (a. a. O., 1083 Anm. 400). Um einen solchen Verstoß gegen § 2 UWG - durch irreführende Angaben über die "Menge der Vorräte" - geht es aber auch bei der hier beanstandeten "Lockvogel"-Werbung der Beklagten:
Werden im geschäftlichen Verkehr Waren zu besonders günstigen Bedingungen angeboten, dann müssen sie - von zufälligen Lieferschwierigkeiten oder anderen unvorhersehbaren Ereignissen im Einzelfall abgesehen - für eine gewisse Zeitdauer in ausreichender Menge vorhanden und zu haben sein, sodaß die üblicherweise zu erwartende Nachfrage auch tatsächlich gedeckt werden kann (ÖB. 1979, 129 mit weiteren Hinweisen; s. dazu auch ÖBl. 1964, 99; ÖBl. 1967, 135; ÖBl. 1970, 77). Sind die angebotenen Waren - wie hier - schon am Tag des Einsetzens der Werbung nicht mehr erhältlich, dann ist es nicht Sache des Klägers, die Unzulänglichkeit des vorhandenen Vorrates zu behaupten und zu beweisen; in diesem Fall hat vielmehr der ankundigende Unternehmer darzutun, warum sein Angebot dennoch für eine längere Zeitspanne als ausreichend anzusehen gewesen sei (ÖBl. 1979, 129).
Die Beklagte hat zur Rechtfertigung ihrer Annahme, auch bei den beanstandeten Sonderpreisangeboten mit jeweils 20 bis 30 "Aktionsplatten" das Auslangen finden zu können, auf ihre Erfahrungen mit früheren Werbeaktionen ähnlicher Art verwiesen, bei welchen sich - wie auch die Vorinstanzen als bescheinigt angenommen haben - ein solcher Plattenvorrat stets als ausreichend erwiesen hatte. Demgegenüber haben aber die Klägerinnen schon in ihrem Rekurs mit Recht hervorgehoben, daß in diese früheren Aktionen ("Angebot der Woche") immer sämtliche Verkaufsstellen der Beklagten in Wien und in den übrigen Bundesländern und darüber hinaus noch alle B- und M-Filialen in ganz Österreich einbezogen worden waren, während die beiden jetzt beanstandeten Sonderpreisangebote jeweils auf eine einzige Filiale im ersten Wiener Gemeindebezirk beschränkt geblieben sind. Wird überdies berücksichtigt, daß dabei zwei - nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten - besonders "aktuelle" Platten um weniger als die Hälfte des empfohlenen Verkaufspreises angekundigt worden waren, wobei dieses gewiß attraktive Angebot nur für einen einzigen Tag Geltung haben sollte, dann war es auch für die Beklagte durchaus nicht unvorhersehbar, daß eine solche - noch dazu auf der Titelseite der beiden meistgelesenen Wiener Tageszeitungen angekundigte - Werbeaktion auf entsprechend reges Publikumsinteresse stoßen würde. Deshalb, aber auch ganz allgemein wegen der Unsicherheit, mit der gerade im Bereich der sogenannten "Unterhaltungsmusik" jede Vorhersage über den Publikumserfolg einer Schallplatte erfahrungsgemäß behaftet ist, durfte daher die Beklagte die Erfolgsaussichten der gegenständlichen - im August 1979 erstmals durchgeführten - Sonderpreisaktion nicht einfach auf Grund jener Absatzzahlen beurteilen, die sie bei den vorangegangenen "Angebot der Woche"-Aktionen unter ganz anderen Voraussetzungen erzielt hatte. Sie hätte vielmehr durch Bereitstellung eines entsprechend großen Vorrates von Platten dafür Sorge tragen müssen, daß auch eine die Erwartungen übertreffende Nachfrage nach den beiden Aktionsplatten während des ganzen "Aktionstages" gewährleistet war. Der in das Angebot aufgenommene Hinweis;,Angebot solange Vorrat reicht" konnte, wie das Rekursgericht unter Hinweis auf Baumbach - Hefermehl (a. a. O., 1050 § 3 dUWG Anm. 339) richtig erkannt hat, die Verantwortung der Beklagten für das Vorhandensein einer zur Deckung der zu erwartenden Nachfrage ausreichenden Warenmenge nicht ausschließen. Daß aber die angebotenen Aktionsplatten nur zufolge systematischen Aufkaufens durch Konkurrenten der Beklagten schon nach wenigen Stunden vergriffen gewesen wären, haben die Vorinstanzen nicht als bescheinigt angenommen.
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