OGH 8Ob139/79

OGH8Ob139/792.7.1979

SZ 52/109

Normen

ABGB §848
ABGB §1175
ABGB §1203
ABGB §1302
ABGB §1315
ABGB §848
ABGB §1175
ABGB §1203
ABGB §1302
ABGB §1315

 

Spruch:

Trug die Verwaltungsbehörde einer Arbeitsgemeinschaft - und damit den Gesellschaftern dieser bürgerlich-rechtlichen Erwerbsgesellschaft - mit Bescheid bestimmte Sicherungsmaßnahmen zur Baustellensicherung auf, dann haften die Gesellschafter für einen durch Nichtbefolgung dieser Schutzvorschrift entstandenen Schaden zur ungeteilten Hand

OGH 2. Juli 1979, 8 Ob 139/79 (OLG Graz 1 R 21/79; LG f. ZRS Graz 14 Cg 266/77)

Text

Am 15. Juni 1977 gegen 21.40 Uhr fuhr der Kläger mit seinem PKW auf der Bundesstraße 9 im Gemeindegebiet Sch. gegen eine Baustellenabschrankung, wodurch sein PKW erheblich beschädigt wurde. Zur Durchführung der Arbeiten an der gegenständlichen Baustelle hatten sich die Beklagte und die Baufirma H, Tief- und Hochbau OHG, zur ARGE A 4-B 9 zusammengeschlossen. Im Zeitpunkt des Unfalles gehörten der ARGE vier aus einem für die ARGE errichteten Baustellenkonto bezahlte Angestellte an, darunter Dipl.-Ing. F von der Firma H als Bauleiter und der Polier N von der Beklagten.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz seines Kfz-Schadens samt Anhang. Er brachte insbesondere vor, der von dem Beklagten mit der Absicherung der Baustelle beauftragte Polier N habe den Unfall des Klägers verschuldet, weil er die gebotene Sorgfalt außer acht gelassen und die Absicherung so mangelhaft vorgenommen habe, daß die Kraftfahrer die Abschrankung erst im letzten Moment bemerkten. Die Beklagte sei auf Grund der mangelhaften Absicherung (unzureichende bzw. fehlende Beleuchtung der Abschrankung) und der Anbringung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h so knapp vor der Baustelle, daß ein Kfz-Lenker sich nicht mehr darauf einstellen konnte, zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Die Beklagte bestritt das Klagsvorbringen und wendete insbesondere ein, N sei zum Unfallszeitpunkt nicht Dienstnehmer der Beklagten, sondern von dieser zur ARGE A 4-B 9 abgestellt gewesen. Eine Haftung für N, der im übrigen ein verläßlicher und erfahrener Polier gewesen sei, käme daher nicht in Betracht. Ferner sei die Baustelle vorschriftsmäßig abgesichert und der Unfall allein auf die Unaufmerksamkeit und vorschriftswidrige Fahrweise des Klägers zurückzuführengewesen. Die Beklagte als Gesellschafter der ARGE könne, wenn überhaupt, nicht solidarisch, sondern höchstens anteilig nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages haftbar sein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wies die Fahrbahn im Unfallsbereich in jeder Fahrtrichtung zwei Fahrstreifen auf. In Fahrtrichtung des Klägers gesehen war der zweite Fahrstreifen zum Unfallszeitpunkt wegen der Baustelle durch eine Abschrankung gesperrt. In Fahrtrichtung des Klägers gesehen war die angeführte Baustelle durch mehrere Verkehrszeichen angekundigt. Trotzdem hat der Kläger die schon erwähnte Abschrankung übersehen. Er nahm diese erst auf 10 bis 20 m wahr, verriß seinen PKW, mit dem er zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h innehatte, nach links, stieß in die Abschrankung, geriet dann auf die Gegenfahrbahn und streifte schließlich die daran anschließende Leitplanke, wodurch sein PKW beschädigt wurde. Eine Ursache der Überraschung des Klägers war der Umstand, daß die Lampen an der Abschrankung noch nicht in Funktion waren, obwohl die Dämmerung schon so weit fortgeschritten war, daß der Kläger mit Abblendlicht fuhr. Kurz vorher waren bereits zwei PKW-Lenker von der Abplankung überrascht und zu auffälligen Fahrmanövern gezwungen worden. Eine weitere Ursache für die Überraschung des Klägers war, daß das Verkehrszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h" entgegen der Anordnung im diesbezüglichen an die ARGE gerichteten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung nicht 40 m, sondern erst 14 m vor der Abschrankung aufgestellt war. Dieser Bescheid ordnete auch die Kennzeichnung der gegenständlichen Baustelle durch geeignete Lampen bei Dämmerung, Dunkelheit und Nebel usw. an.

N war seit 1961 Polier und erwies sich als verläßliche und gute Arbeitskraft mit langjähriger Berufserfahrung. Er stellte die mit Baubewilligungsbescheid gebotenen Verkehrssicherungseinrichtungen mit weiteren Arbeitern auf Anordnung des Bauleiters Dipl.-Ing. F auf, der vor seiner Heimfahrt die Einhaltung seiner Anordnungen überprüfte.

Das Erstgericht verneinte ein Organisations- bzw. Überwachungsverschulden der Beklagten, ferner eine habituelle Untüchtigkeit Ns, für welche die Beklagte einzustehen hätte. Ein Fehlverhalten Ns könnte allenfalls darin erblickt werden, daß er den Baustellenleiter Dipl.-Ing. F nicht auf Mängel der Baustellensicherung aufmerksam machte, daß eine zu schwache oder unerprobte Baustellenausleuchtung verwendet würde, wenn dies für N überhaupt erkennbar war, und daß die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h in ungenügendem Abstand von der Abschrankung angeordnet war, doch seien alle diese Maßnahmen aufspezielle Anordnung des Bauleiters getroffen worden, so daß eine allfällige Verletzung dieser Verpflichtungen nicht auf eine habituelle Untüchtigkeit Ns schließen lasse. Keinesfalls habe die Beklagte für Fehler des Bauleiters F zu haften, dessen sich die Firma H, deren Personalstand er angehörte, zur Besorgung ihrer Angelegenheiten bedient habe, mit welcher die Beklagte lediglich zusammenarbeitete.

Das Berufungsgericht ging davon aus, daß sich der Kläger zur Begründung seines Klagsanspruches ausschließlich auf das Verschulden bzw. die Untüchtigkeit Ns berufen habe, die aber nicht erwiesen worden seien. Die Aufstellung der Geschwindigkeitsbeschränkung 14 m vor der Abschrankung statt 40 m vor derselben falle nicht so ins Gewicht, daß der Polier Bedenken gegenüber dem Bauleiter hätte äußern müssen. Ein verspätetes Einschalten der Lampen, welche Ursachen immer dies gehabt haben möge, könne dem Polier, der die Lampen auf Anordnung des Bauleiters anbrachte, gleichfalls nicht angelastet werden. Eine Haftung der Beklagten für Beschädigung Dritter durch die Firma H, auch wenn diese im Rahmen der gegenständlichen Arbeitsgemeinschaft zugefügt worden sei, bestehe nicht. Da der allein geltend gemachte Haftungsgrund, nämlich ein Verschulden bzw. die Untüchtigkeit des Ns, nicht gegeben sei, müsse der geltend gemachte Anspruch verneint werden, ohne daß auf die Frage eines allfälligen Überwachungs- oder Organisationsverschuldens der Beklagten, die Frage eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers und auf die Höhe der Klagsansprüche eingegangen werden müßte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Vorweg ist festzuhalten, daß - entgegen den Revisionsausführungen - den Vorinstanzen dahin zu folgen ist, daß - ausgehend von ihren Feststellungen - der Baupolier N nicht als untüchtig im Sinne des § 1315 ABGB anzusehen ist. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Klagsabweisung.

Den Ausführungen zum Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit ist zu erwidern, daß das Berufungsgericht keineswegs das Vorbringen des Klägers abweichend vom Akteninhalt wiedergegeben hat. Es hat vielmehr dieses Vorbringen rechtlich dahin gewertet, daß es hiedurch ausschließlich den Haftungsgrund des § 1315 ABGB in Ansehung des Besorgungsgehilfen N und dessen Verschulden als geltend gemacht ansah. Dem kann jedoch, wie der Rechtsrüge des Klägers zuzugeben ist, nicht gefolgt werden. Der Kläger hat u. a. vorgebracht, die Beklagte habe für seinen Schaden auf Grund der mangelhaften Absicherung der von der ARGE betriebenen Baustelle (unzureichende Beleuchtung) und der Aufstellung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h zu knapp vor der Baustelle zu haften. Zwar hat der Kläger die Norm, die eine Verpflichtung zur Beleuchtung der Baustelle und zur Aufstellung des Verkehrszeichens der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h auf größere Entfernung anordnet, nicht konkret bezeichnet (2 Ob 1/71 u. a.) doch haben die Vorinstanzen festgestellt, daß der von der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung erlassene, die Bauarbeiten bewilligende, an die "ARGE A 4-B 9 H-B" gerichtete Bescheid u. a. anordnete, daß der Beginn der Abschrankung bei Dämmerung, Dunkelheit, Nebel oder wenn es die Witterung sonst erfordert, durch geeignete Lampen zu kennzeichnen und das Verkehrszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h" 40 m vor der Abschrankung aufzustellen war. Diese Feststellungen sind im Rahmen des geltend gemachten Haftungsgrundes zu verwerten (8 Ob 78/78 u. a.). Auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanzen ist die Haftung der Beklagten wegen der festgestellten Verletzung dieser Verpflichtung aus folgenden Erwägungen zu bejahen:

Eine Arbeitsgemeinschaft ist als Gesellschaft bürgerlichen Rechts anzusehen. Dieser kommt keine Rechtspersönlichkeit zu. Bei ihr sind nur die Gesellschafter Zurechnungssubjekte von Rechten und Pflichten (EvBl. 1973/30 u. a.; Welser, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Gläubiger und Schuldner, GesRZ 1978, 141). Mit dem oben angeführten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft wurde der Arbeitsgemeinschaft - und damit den beiden Gesellschaftern dieser bürgerlich-rechtlichen Erwerbsgesellschaft - die Sicherung der Baustelle durch die oben näher umschriebene Beleuchtung und die Anbringung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h aufgetragen. Daß der Zweck dieser Vorschrift dem Schutz der Verkehrsteilnehmer vor den mit dem Baustellenbetrieb der Arbeitsgemeinschaft verbundenen Gefahren gerichtet ist, bedarf wohl keiner näheren Erörterung. Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB ist nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn, sondern jede Rechtsvorschrift, die inhaltlich einen Schutzzweck verfolgt, somit auch ein Bescheid der Verwaltungsbehörde (Wolff in Klang[2] VI, 82; ZVR 1969/330; 1 Ob 208/71; ZVR 1974/35 u. a.). Feststeht, daß dieser Schutzvorschrift nicht entsprochen wurde, da die Lampen im Unfallszeitpunkt trotz Dämmerung nicht brannten und das Verkehrszeichen über die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h nicht schon 40 m vor der Abschrankung, sondern erst knapp vor derselben (14 m) aufgestellt war. Daß beide Schutznormenverletzungen eine Ursache des Unfalles und somit des Schadens des Klägers bilden, wurde gleichfalls festgestellt. Da der geltend gemachte Schaden keine atypische, sondern eine geradezu typische Folge solcher Schutznormverletzungen darstellt, ist auch die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu prüfende juristische Kausalität zu bejahen. Daß bei rechtmäßigem Verhalten der gleiche Schaden eingetreten wäre (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I, 124; 8 Ob 38/78 u. a.), ist nicht hervorgekommen. Wer solcherart für die Übertretung einer Schutznorm einzustehen hat, muß, um von der Haftung frei zu sein, beweisen, daß die Übertretung der Schutzvorschriften ohne ein von ihm zu vertretendes Verschulden erfolgte (ZVR 1976/292 und die dort angeführte Lehre und Rechtsprechung; 8 Ob 35, 36/79 u. a.). Blieb nach den Feststellungen die Frage, warum die Lampen im Unfallszeitpunkt trotz Dämmerung noch nicht brannten und die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht schon 40 m vor der Baustelle, sondern nur 14 m vor derselben aufgestellt waren, ungeklärt, dann kann der der Beklagten obliegende Entlastungsbeweis nicht als erbracht angesehen werden. Mangels Erbringung des Entlastungsbeweises haben somit beide Gesellschafter der ARGE für die Verletzung der Schutzvorschriften einzustehen. Ist bei der Verfolgung des gemeinsamen Zwecks der Bauführung durch Verstoß gegen Schutznormen die deliktische Schädigung des Klägers der Gesellschaft (den Gesellschaftern) zuzurechnen, dann muß die Haftung der Gesellschafter zur ungeteilten Hand angenommen werden (Welser a. a. O., GesRZ 1979, 16, 18). Vergleichsweise sei darauf hingewiesen, daß der OGH in seiner Entscheidung ZVR 1974/54 - die allerdings eine Haftung aus einem Beförderungsvertrag betraf - ungeachtet der verschiedenen Beteiligung zweier Gesellschafter an einem als bürgerlich-rechtlicher Erwerbsgesellschaft betriebenen Liftunternehmen der Klage gegen einen Gesellschafter auf Ersatz des ganzen aus einem Seilriß entstandenen Schadens stattgab.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht von den dargelegten Rechtsansichten auszugehen und in die Prüfung des Mitverschuldenseinwandes sowie der einzelnen Ansprüche einzugehen haben.

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