Normen
ABGB §139 Abs1
ABGB §145 Abs1 nF
ABGB §176 Abs1 nF
ABGB §177 Abs1
ABGB §178a
ABGB §139 Abs1
ABGB §145 Abs1 nF
ABGB §176 Abs1 nF
ABGB §177 Abs1
ABGB §178a
Spruch:
Bei geforderter Aufhebung einer bereits wegen Gefährdung des Kindeswohls erfolgten Einschränkung der elterlichen Rechte muß mit großer Wahrscheinlichkeit nunmehr ordnungsgemäße Pflege und Erziehung durch den antragstellenden Elternteil gewährleistet sein
OGH 7. Juli 1978, 1 Ob 668/78 (LG Linz 13 R 211/78; BG Linz 3 P 249/77)
Text
Die Ehe der Eltern der drei Minderjährigen wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24. Oktober 1973, 6 Cg 181/73, rechtskräftig geschieden. Das Kind Gabriele befand sich bereits seit August 1972, die Kinder Susanne und Doris seit August 1973 im Haushalt der mütterlichen Großeltern in Pflege und Erziehung. Am 8. Feber 1974 stellte die Mutter den Antrag, ihr die Kinder in Eigenpflege zu übergeben. Diesem Antrag wurde zunächst stattgegeben, mit Beschluß des Erstgerichtes vom 19. Juli 1974 aber verfügt, daß die Kinder vom jeweiligen durch das Stadtjugendamt Linz vermittelten Pflegeplatz, derzeit von den mütterlichen Großeltern, nur mit Zustimmung des Gerichtes entfernt werden dürften; Erhebungen hatten ergeben, daß die Verhältnisse bei der Mutter ungeordnet waren und die Minderjährigen zu ihr kaum eine Beziehung hatten. Ein weiterer Antrag der Mutter, ihr die Kinder in Eigenpflege zu übergeben, wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 4. Juni 1975 abgewiesen. Festgestellt wurde, daß die Mutter damals aus Mitteln der Sozialhilfe unterstützt werde, ihr zweiter Ehegatte eine gerichtliche Strafe verbüße, die Wohnung aufgekundigt sei und zwischen der Mutter und ihrem Ehegatten erhebliche Differenzen bestunden.
Auch den Antrag der Mutter vom 16. Juli 1976, ihr die Kinder in Eigenpflege zu übergeben, wies das Erstgericht nunmehr ab und stellte im wesentlichen fest: Die mütterlichen Großeltern der Kinder hätten eine aus Wohnküche, Schafzimmer, Kinderzimmer und einem weiteren Zimmer bestehende Wohnung; für die beiden älteren Mädchen stehe das Kinderzimmer zur Verfügung, Gabriele schlafe im Großelternschlafzimmer. Die Großeltern gäben sich bei der Betreuung der Kinder Mühe und pflegten sie gut. Doris werde durch einen Logopäden betreut, wodurch ihre Sprachschwierigkeiten nahezu beseitigt werden konnten. Susanne und Doris besuchten außerhalb der Schule einen Hort und erledigten dort ihre Schulaufgaben; auch die Großmutter helfe mit; nur weil die Intelligenz der Kinder an der Untergrenze des Durchschnittswertes liege, sei der Schulfortgang mittelmäßig. Sonst gediehen die Kinder gut, ihr Verhalten sei unauffällig, es gebe keine Erziehungsschwierigkeiten. Die Großeltern seien bemüht, den Kontakt mit der Mutter aufrechtzuerhalten, die älteren Mädchen würden nahezu immer zum Wochenende zur Mutter nach W gebracht, wo sie mit ihrem Ehegatten und drei Kindern aus zweiter Ehe im Alter von einem bis drei Jahren lebe. Sie bewohne ein Einfamilienhaus mit fünf Zimmern, wofür eine monatliche Miete von 3700 S zu bezahlen sei; es sei die dritte Wohnung innerhalb von zwei Jahren; die vorigen Mietverhältnisse seien jeweils wegen Nichtzahlung des Mitzinses bzw. Nichtverrichten der erforderlichen Tätigkeit gelöst worden. Die Mutter sei nicht berufstätig. Ihr Ehegatte sei bei der Firma A in W in ungekundigter Stellung und verdiene monatlich zwischen 12 000 S und 14 000 S. Bei den Wochenendaufenthalten stunde den Mädchen Susanne und Doris ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Sie würden von der Mutter zur Mithilfe im Haushalt und Überwachung der Kleinkinder aus zweiter Ehe angehalten, worüber sie nicht gerade begeistert seien. Die Mädchen Susanne und Doris hätten an sich eine gute Beziehung zur Mutter, bei der sie sich auch während der Sommerferien 1977 längere Zeit aufgehalten hätten. Sie hätten die Mutter und die Großmutter gleich lieb, wollten aber bei den Großeltern verbleiben, da es zwischen der Mutter und ihrem Ehegatten Differenzen gebe und sie wiederholt Zeugen von Streitigkeiten gewesen seien; sie behaupteten, in solchen Situationen Angst zu haben. Sie wollten auch nicht auf die Stiefgeschwister aufpassen, wenn deren Eltern ausgingen. Sowohl die Jugendbehörde als auch der Jugendpsychiater hätten sich für die Beibehaltung des Pflegeplatzes bei den Großelter ausgesprochen. D Kinder aus der Geborgenheit des derzeitigen Pflegeplatzes wäre nicht im Interesse der Kinder gelegen. Wenn auch diese Entscheidung für die Mutter hart sei, müsse doch darauf Bedacht genommen werden, daß die Großeltern ohnehin bemüht seien, den Kontakt zwischen ihr und den älteren Kindern aufrechtzuerhalten.
Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß die im Beschluß des Erstgerichtes vom 19. Juli 1974 ausgesprochene Einschränkung des Rechtes der Mutter auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder, sie dürften vom jeweils durch das Jugendamt Linz vermittelten Pflegeplatz nur mit Zustimmung des Gerichtes entfernt werden, zu entfallen habe. Das Rekursgericht ergänzte, die Mutter sei für Pflege und Erziehung der Kinder voll geeignet und für die schulischen Belange besser als die 62 und 58 Jahre alten Großeltern. Der Ehegatte der Mutter sei ausdrücklich damit einverstanden, daß die Kinder in seinen Haushalt kommen und dort erzogen werden die räumlichen Voraussetzungen seien gegeben. Eine Störung oder Gefahr Entwicklung der Kinder durch die Übergabe an die Mutter sei nicht zu erwarten. Gemäß § 176 Abs. 1 ABGB sei eine Einschränkung der elterlichen Rechte nur möglich, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl der Kinder gefährden. Die Kinder dürften nur dann bei den Großeltern belassen werden, wenn der nunmehr von der Mutter geforderte Wechsel in der Erziehung und des Aufenthaltes bei den Kindern schwere Erschütterungen hervorrufen würden und ihre Entwicklung dadurch gestört oder gefährdet werde. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die älteren Kinder hätten ohnehin eine gute Beziehung zu ihrer Mutter. Wenn auch der Kontakt zum jüngsten Kind nicht gleich stark sei, so verbiete es schon der Grundsatz, Geschwister möglichst nicht zu trennen, dieses allein bei den Großeltern zu belassen. Ein Schaden durch den Wechsel der Erziehung sei nicht zu erwarten. Das Bestehen von Differenzen zwischen der Mutter und ihrem zweiten Ehegatten reiche nicht aus, um eine Gefährdung der Entwicklung der Kinder anzunehmen.
Der Revisionsrekurs der mütterlichen Großeltern hebt hervor, das Wohl der Kinder sei gefährdet, wenn sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen würden. Die Mutter lasse ihre Kinder aus zweiter Ehe des öfteren allein und vernachlässige auch die Betreuung des sprachgestörten Kindes Hans Jürgen. Die Kinder seien bei den Großeltern bestens betreut; ihre Unreife und Unsicherheit habe ihre Wurzeln in der schwer gestörten familiären Situation der Mutter während ihrer ersten Ehe. Es seien weitere seelische Störungen zu befürchten, wenn die Kinder aus erster Ehe mit denen aus der zweiten Ehe der Mutter in Konkurrenz treten müßten. Es sei unrichtig, daß ein Umgebungswechsel die Entwicklung der Kinder nicht störe und gefährde; dies widerspreche dem Gutachten des Erziehungsberaters Dr. L. Die Mutter sei nicht zuverlässig, kümmere sich nicht ausreichend um ihre Kinder aus zweiter Ehe und sei nicht in der Lage, ihren Haushalt wirtschaftlich zu führen. Ihr Ehegatte neige dem Alkohol zu und habe zu Weihnachten 1977 eine Entwöhnungskur absolvieren müssen. Er habe in der Zwischenzeit zwei Dienstposten verloren und trotz geringen Einkommens hohe Schulden abzuzahlen. Im alkoholisierten Zustand neige er zu strafbaren Handlungen, insbesondere zu Gewalttätigkeiten. Sogar vor den Kindern komme es zu Streitigkeiten. Es sei erforderlich, ein Ergänzungsgutachten des Erziehungsberaters, aber auch Auskünfte über das Verhalten der Mutter und ihres Ehegatten einzuholen.
Der Oberste Gerichtshof hob die Beschlüsse der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Gleich den Vorinstanzen ist davon auszugehen, daß die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches i. d. F. des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes, BGBl. 403/1977, das am 1. Jänner 1978 in Kraft getreten ist, anzuwenden sind. Gemäß § 137 Abs. 1 ABGB haben die Eltern für die Erziehung der minderjährigen Kinder zu sorgen und überhaupt ihr Wohl zu fördern. Es handelt sich hiebei, wie der OGH schon zum früheren § 139 ABGB hervorgehoben hat, nicht nur um eine Pflicht der Eltern, sondern es steht ihnen auch primär das Recht zu, diese Erziehung durchzuführen (SZ 47/137 u. a.). Grundsätzlich kann nur dann einem Großelternpaar (Großelternteil) die Pflege und Erziehung von Kindern zustehen, wenn beide Elternteile verstorben oder voll entmundigt sind, ihr Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt ist, die Verbindung mit ihnen nicht oder nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten hergestellt werden kann oder ihnen die Pflege und Erziehung ganz oder zum Teil entzogen ist und das Gericht dies unter Beachtung des Wohles der Kinder entscheidet (§ 145 ABGB). Die elterlichen Rechte und Pflichten dürften nur dann entzogen oder eingeschränkt werden, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl ihrer minderjährigen Kinder gefährden (§ 176 ABGB). Nach dem Ausschußbericht (587 BlgNR, XIV. GP) erfaßt der Tatbestand der Gefährdung des Kindeswohls sowohl die bloß objektive Nichterfüllung als auch die ein Schuldelement enthaltende Vernachlässigung der elterlichen Pflichten und gilt selbstverständlich auch dann, wenn bloß ein Elternteil durch sein Verhalten das Wohl der Kinder gefährdet. Bei der Beurteilung des Kindeswohls sind die Persönlichkeit der Kinder und ihre Bedürfnisse, besonders ihre Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten sowie die Lebensverhältnisse der Eltern entsprechend zu berücksichtigen (§ 178a ABGB).
Im vorliegenden Fall hatte das Erstgericht rechtskräftig eine Verfügung getroffen, die im Lichte der neuen Gesetzeslage zwar der Mutter allein die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten übertrugen (§ 177 Abs. 2 ABGB), sie aber gemäß § 176 Abs. 1 ABGB wegen Gefährdung des Wohles der minderjährigen Kinder dadurch einschränkten, daß die Minderjährigen von einem durch das Jugendamt bestimmten Pflegeplatz außerhalb des mütterlichen Haushaltes nicht ohne gerichtliche Zustimmung entfernt werden dürften; der Mutter war also weitgehend das Pflege- und Erziehungsrecht entzogen, weil dies zur Sicherung des Wohles der Kinder nötig war (§ 176 Abs. 3 ABGB), Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen angeordnete Einschränkungen der elterlichen Rechte und Pflichten wieder aufzuheben sind. Es ist nur selbstverständlich, daß Voraussetzung für eine solche Maßnahme die Endigung der Gefährdung des Wohles der minderjährigen Kinder sein muß. Während aber die Entziehung oder Einschränkung elterlicher Rechte und Pflichten nur als äußerste Notmaßnahme gerechtfertigt werden kann und das Gericht, wie schon zur alten Rechtslage gesagt wurde, nur einzuschreiten hat, wenn ihm Mißbrauch oder Vernachlässigung der Erziehung angezeigt oder amtlich bekannt wird (SZ 46/88 u. a.) und eine konkrete ernste Gefahr für die Entwicklung der Kinder besteht (SZ 47/137; JBl. 1967, 433 u. a.), wird doch dann, wenn eine Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten bereits stattfinden mußte, weil die Voraussetzungen hiefür angenommen worden waren, bei einem von der an sich erziehungsberechtigten Mutter gestellten Antrag auf Rückführung der Kinder in ihre Pflege und Erziehung ein anderer Maßstab anzulegen sein. Grundsätzlich soll nämlich jede Maßnahme, die einen Wechsel des Pflegeplatzes bedeutet und Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung reißt, vermieden werden. Es muß daher mit großer Wahrscheinlichkeit klargestellt sein, daß nunmehr die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung durch den antragstellenden Elternteil, die schon einmal wegen Gefährdung des Kindeswohls entzogen werden mußte, gewährleistet ist und keine Gefahr mehr besteht, daß wiederum eine Maßnahme nach § 176 Abs. 1 ABGB mit Entziehung der Pflege und Erziehung angeordnet werden müßte. Während also eine Interessenabwägung bei der Entscheidung darüber, ob die Pflege und Erziehung bei einem Elternteil oder bei Großeltern besser gewährleistet ist, nicht stattzufinden hat, sondern das Elternrecht Vorrang hat, hat bei geforderter Aufhebung einer bereits wegen Gefährdung des Kindeswohls erfolgten Einschränkung der elterlichen Rechte eine Abwägung sehr wohl stattzufinden und kann nicht anerkannt werden, daß schon im Zweifel für die Wiederherstellung der vollen rein persönlichen Rechte der Mutter den Kindern gegenüber zu entscheiden ist, auch wenn nicht eindeutig feststeht, daß dies dem Kindeswohl dient. Über dem Elternrecht steht, wie das Gesetz unmißverständlich klarstellt, das Kindeswohl, das gerade auch durch mehrfachen Wechsel der Pflege und Erziehung gefährdet sein kann; das muß insbesondere für Kinder gelten, die ohnehin schulische Schwierigkeiten haben und darüber hinaus, unter Umständen auch durch das Scheitern der Ehe ihrer Eltern, bereits psychisch so belastet sind, daß sie unter anderem Sprechschwierigkeiten haben.
Geht man von diesen Rechtsgrundsätzen aus, kommt den Revisionsrekursausführungen, bei denen es sich zum Teil um gemäß § 10 AußStrG zulässige Neuerungen handelt, wesentliche Bedeutung zu. Wäre der psychische Zustand der Kinder wirklich labil, könnte eine Konkurrenz mit den drei Kindern aus zweiter Ehe schwer wiegen. Es könnte trotz der Zustimmung des zweiten Ehegatten der Mutter die Übersiedlung in deren Haushalt für die Kinder von sehr nachteiliger Wirkung sein, wenn die Mutter schon derzeit, obwohl sie nur für drei Kinder zu sorgen hat, nicht in der Lage wäre, ihren Haushalt wirtschaftlich zu führen und wenn der zweite Ehegatte zum Alkoholgenuß, zu Streitigkeiten und Gewalttätigkeiten neigte, immer nur kurzfristig beschäftigt wäre, häufiger Wechsel der Mietwohnungen wegen Vernachlässigung der damit verbundenen Pflichten stattfände und das Familienleben durch übermäßige Schulden auch finanziell belastet wäre. Es könnte dann erhebliche Gefahr bestehen, daß die Kinder durch Überlassung ihrer Pflege und Erziehung an die Mutter in eine seelisch gefährliche Phase kämen und unter Umständen bald wieder eine Maßnahme nach § 176 ABGB getroffen werden müßte. Die Sache ist damit noch nicht entscheidungsreif.
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