Spruch:
So wie die Gültigkeit einer eigenhändigen letztwilligen Verfügung nicht beeinträchtigt wird, wenn der Erblasser einer früher geleisteten Blankounterschrift einen letzten Willen voransetzt, so kann er auch gültig ohne neuerliche Fertigung Zusätze anbringen, soweit sie der geleisteten Unterschrift räumlich vorgehen und damit durch diese gedeckt sind
OGH 8. Juni 1978, 2 Ob 538/78 (LGZ Wien 45 R 902/77; BG Favoriten 2 A 1079/74)
Text
Dr. Oskar L verstarb am 14. Juni 1974. Er hinterließ eine - unbestrittenermaßen eigenhändig geschriebene - letztwillige Verfügung vom 28. April 1974, in der er seine Frau aus fünfter Ehe, Berta L, geb. R von jedem Erbrecht ausschloß und seine Schwester Verena S zur Alleinerbin einsetzte.
Die auf Grund des Gesetzes von Berta L, geb. R, zu einem Viertel und den mj. erblasserischen Töchtern aus fünfter Ehe, Carmen und Sabine L, je zu drei Achtel und der erblasserischen Tochter aus zweiter Ehe zu einem Viertel und die von Verena S auf Grund des Testamentes vom 28. April 1974 zum gesamten Nachlaß abgegebenen bedingten Erbserklärungen wurden zu Gericht angenommen, hinsichtlich der Erbserklärung der mj. Carmen und Sabine L allerdings mit der Maßgabe, daß sich ihre Erbserklärung infolge Vorhandenseins eines weiteren ehelichen Kindes nur auf je ein Viertel des Nachlasses beziehe.
Die letztwillige Verfügung des Erblassers enthält auf der ersten Seite am linken Blattrand vertikal zum fortlaufenden Text von unten nach oben geschrieben den Satz: " 1. Meine Frau, Berta L, ist von jedem Erbrecht ausgeschlossen", und auf der zweiten Seite, ebenfalls am linken Rand. Von oben nach unten geschrieben, den Satz: "2. Zum Alleinerben berufe ich meine Schwester Verena S." Beide Seiten fertigte der Erblasser mit vollem Namen "Dr. Oskar L", die erste am unteren Blattrand neben den Worten "Siehe nächste Seite",die zweite am rechten Blattrand oben unmittelbar nach dem letzten Satz seines Aufsatzes, den er - offenbar wegen Platzmangels - ebenfalls an den rechten Rand schrieb.
Die gesetzlichen Erben bestritten die Rechtsgültigkeit dieser Verfügung mit der Begründung, daß die auf der Rückseite der letztwilligen Verfügung enthaltene Erbeinsetzung der Verena S vom Erblasser nicht unterfertigt sei. Dieser sei bei Errichtung des Aufsatzes infolge Alkohol- und Medikamentenmißbrauchs unzurechnungsfähig gewesen.
Zufolge widersprechender Erbserklärungen wies das Erstgericht der Testamentserbin die Klägerrolle im Erbrechtsstreit mit der Begründung zu, daß die Erbeinsetzung der erblasserischen Schwester durch den Erblasser nicht unterschrieben worden sei; es mangle daher an einem gültigen Testamente.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Testamentserbin Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahingehend ab, daß es den gesetzlichen Erben die Klägerrolle zuwies und ihnen eine Frist von vier Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses zur Anbringung der Klage bestimmte.
Diese Entscheidung begrundete es damit, daß das Testament vom 28. April 1974 entgegen der Annahme des Erstgerichtes, das auf seinen Irrtum schon im Vorlagebericht hingewiesen habe, vom Erblasser auch auf der zweiten Seite unterfertigt worden sei. Daß die Unterschrift des Erblassers nicht am unteren Blattrande, sondern seitlich am Ende eines die letzte Willenserklärung betreffenden Nachsatzes angefügt worden
sei, bewirke keinen Formfehler im Sinne des § 578 ABGB; gemäß § 126 Abs. 1 AußStrG müsse daher gegen den Erben aus einer in der gehörigen Form errichteten und hinsichtlich ihrer Echtheit unbestrittenen letztwilligen Erklärung jeder als Kläger auftreten, dessen Anspruch nur auf der gesetzlichen Erbfolge beruhe. Der Einwand der gesetzlichen Erben, der Aufsatz sei in einem durch Alkohol- und Medikamentenmißbrauch verursachten Zustand verfaßt worden, betreffe nicht die äußere Form im Sinne des § 126 AußStrG, sondern die materielle Gültigkeit des Testamentes, über die ausschließlich der Prozeßrichter zu entscheiden habe.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs teilweise Folge. Der angefochtene Beschluß wurde dahin abgeändert, daß er zu lauten hat:
"Im Erbrechtsstreit der Erben nach Dr. Oskar L haben gemäß § 126 AußStrG als Kläger die Erbansprecher, die ihre Erbansprüche auf Grund des Gesetzes geltend machen und zwar:
a) die erblasserische Witwe Berta L;
b) die minderjährigen erblasserischen Kinder Carmen L, geb. am 4. August 1967, und Sabine L, geb. am 4. Jänner 1969;
c) die großjährige erblasserische Tochter Verena L und als Beklagte die Erbansprecherin Verena S, die ihre Erbansprüche auf Grund des Testamentes vom 28. April 1974 geltend macht, aufzutreten. Die erstgenannten Erbansprecher werden aufgefordert, binnen vier Wochen ab Rechtskraft dieses Beschlusses dem Gericht die Einbringung der Erbrechtsklage nachzuweisen, widrigenfalls mit der Verlassenschaftsabhandlung ohne Berücksichtigung ihrer Erbansprüche vorgegangen werden würde."
Gemäß § 126 Abs. 1 AußStrG muß gegen den Erben aus einer in der gehörigen Form errichteten und hinsichtlich ihrer Echtheit unbestrittenen letzten Willenserklärung zur Bestreitung des Erbrechts jedermann als Kläger auftreten, dessen Ansprüche nur auf der gesetzliche Erbfolge beruhen. Von dieser im Gesetz festgelegten Wertung der Erbrechtstitel und der dadurch bedingten Verteilung der Parteirollen im Erbrechtsstreit ist nur abzugehen, wenn gegen den stärkeren Erbrechtstitel wegen seiner äußeren Form Bedenken bestehen (SZ 24/208; NZ 1961, 182; RZ 1965, 47; NZ 1971, 29; EvBl. 1975/176; zuletzt 3 Ob 555/77).
Gemäß § 578 ABGB muß, wer schriftlich und ohne Zeugen testieren will, die letztwillige Verfügung eigenhändig schreiben und eigenhändig mit seinem Namen unterfertigen. Die Unterschrift muß am Schlusse des Aufsatzes oder doch in einer solchen räumlichen Verbindung zum Text stehen, daß sie als Abschluß der letztwilligen Verfügung und nach der Verkehrsauffassung diese deckend angesehen werden kann (SZ 41/23; 1 Ob 27/72).
Der Ansicht der Rechtsmittelwerber, daß die Erbeinsetzung der Schwester des Erblassers nicht durch eine - im räumlichen Sinn aufzufassende - Unterschrift gedeckt sei, dieser Anordnung daher der der Unterfertigung innewohnende Vollendungsakt fehle, kann nicht gefolgt werden.
Soweit die Rechtsmittelwerber, den Ausführungen von Weiß in Klang[2] III, 305 zur eigenhändigen Namensunterfertigung folgend, dartun, daß der Aufsatz am Ende einer Bogenseite unmittelbar vor der Unterschrift mitten im Satz abbreche, weichen sie vom feststehenden Sachverhalt ab: Der Erblasser verwies vielmehr am Ende der ersten Bogenseite nach Beendigung eines Satzes mit den Worten "Siehe nächste Seite" auf die Fortsetzung seiner Anordnungen auf der Rückseite. Auch der letzte - horizontal geschriebene - Satz auf der zweiten Seite der letztwilligen Verfügung ist vollendet. Der das Ende des Aufsatzes bildende, am rechten Rand der zweiten Seite hinzugefügte Satz:
"In diesem Falle ..." schließt sprachlich und inhaltlich an den vorhergehenden Satz an. Danach folgt unmittelbar die ebenfalls seitlich angebrachte Fertigung. Die äußere Form, auf die es bei Entscheidung über die Verteilung der Parteirollen im Erbrechtsstreit ausschließlich ankommt, spricht daher gegen ein unvollendetes Schriftstück.
Aus der äußeren Form des Schriftstückes in seiner Gesamtheit geht aber auch deutlich hervor, daß der Erblasser seinen Aufsatz wegen Platzmangels am rechten Rand fortsetzte, wo noch freier Raum geblieben war; dort setzte er dann auch die Unterschrift, so daß diese zwar nicht am unteren Rande des Schriftstückes, wohl aber am Schlusse seines Aufsatzes steht. Insoweit schließt sie das Schriftstück auch im räumlichen Sinne ab, wenn auch zuletzt die Richtung der Zeilen um 90 Grad geändert wurde.
Aber auch die am linken Rand der Rückseite niedergelegte Erbeinsetzung, die als Punkt 2 folgerichtig an die am linken Rand der Vorderseite unter Punkt 1 ausgesprochene Enterbung anschließt, steht in einer solchen räumlichen Verbindung zum laufenden Text, daß sie nach der Verkehrsauffassung als durch die Unterschrift am rechten Rand der Rückseite gedeckt angesehen werden kann. Es entspricht den Schreibgewohnheiten, insbesondere bei handschriftlicher Privatkorrespondenz, einen zunächst freigelassenen seitlichen Rand eines Blattes bei Platzmangel zu beschreiben.
Den Rechtsmittelwerbern ist freilich einzuräumen, daß eine solche Schreibweise die Frage offenläßt, ob der seitliche Zusatz vor oder nach der Unterfertigung des Schriftstückes erfolgte. Mag auch ungültig sein, was der Unterschrift räumlich nachfolgt (Weiß in Klang[2] a. a. O.), so gilt dies keinesfalls für das, was zeitlich nach der Unterschrift geschrieben wurde. Die zeitliche Einheit des Testieraktes ist nämlich nicht Voraussetzung für die Gültigkeit eines eigenhändigen Testamentes (SZ 41/23; insoweit zustimmend auch Sperl, JBl. 1972, 545, dessen Kritik sich lediglich gegen das Verlangen nach zeitlicher Einheit bei den zweiaktigen Testamentsformen richtet).
So wie die Gültigkeit einer eigenhändigen letztwilligen Verfügung nicht beeinträchtigt wird, wenn der Erblasser einer früher geleisteten Blankounterschrift einen letzten Willen voransetzt, so kann er auch gültig ohne neuerliche Fertigung Zusätze anbringen, soweit sie der geleisteten Unterschrift räumlich vorgehen und damit durch diese gedeckt sind.
Für die Verteilung der Parteirollen im Erbrechtsstreit war daher von einer in der gehörigen Form errichteten letzten Willenserklärung auszugehen, so daß insoweit dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
Begrundet ist dieser jedoch, soweit er sich gegen die Setzung der Frist für die Erhebung der Klage wendet. Diese ist so festzusetzen, daß sie erst mit Rechtskraft des Beschlusses über die Zuteilung der Parteirollen zu laufen beginnt (GlUNF 4513, SZ 32/23).
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