OGH 6Ob701/77

OGH6Ob701/7710.11.1977

SZ 50/143

Normen

ZPO §577
ZPO §599
ZPO §577
ZPO §599

 

Spruch:

Fällt der Streit zwischen Vereinsmitglied und Verein in den Bereich des Privatrechtes, kommt die Entscheidungsbefugnis den ordentlichen Gerichten zu

Enthält das Vereinsstatut eine Unterwerfung der Mitglieder unter die Vereinsschiedsgerichtsbarkeit auch in privatrechtlichen Streitigkeiten, ist dies nur dann verbindlich, wenn das einzelne Mitglied die Schiedsklausel in den Statuten unterschrieben hat

OGH 10. November 1977, 6 Ob 701/77 (OLG Wien 4 R 70/77; LGZ Wien 16 Cg 314/76)

Text

Der Kläger ist Mitglied des beklagten Vereins. Er beantragt dessen Verurteilung, ihm Einsicht in die Protokolle der Generalversammlungen des Vereins vom 25. Feber 1967, vom 9. Oktober 1971, vom 9. November 1973 und vom 31. Oktober 1975 zu gewähren. Er bringt vor, er habe vom Verein verlangt, ihm in diese gemeinschaftlichen Urkunden Einsicht zu gewähren, doch habe der Verein dem nicht Rechnung getragen. Sein Interesse an der Einsichtnahme ergebe sich daraus, daß "immer wieder Behauptungen vorkämen, die über ihn aufgestellt würden".

Bei der ersten Tagsatzung wendete der Beklagte sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes wegen Vorliegens einer Schiedsvereinbarung ein. In der Klagebeantwortung wurde die Prozeßeinrede des näheren dahin ausgeführt, daß § 17 der Satzung des beklagten Vereins ein Schiedsgericht über Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vorsähe. Die Vereinbarungen der Parteien, künftige Streitigkeiten aus einem Rechtsverhältnis durch Schiedsrichter entscheiden zu lassen, begrunde nicht die Unzulässigkeit des Rechtsweges, sondern die Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichtes für solche Streitigkeiten.

Das Erstgericht gab der Prozeßeinrede statt, doch änderte das Rekursgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß die Entscheidung im Sinne der Zurückweisung der Einrede der Unzuständigkeit ab. Es führte aus:

Gemäß § 599 Abs. 2 ZPO seien die in Gemäßheit des Gesetzes vom 15. Oktober 1867, RGBl. 134 - siehe nunmehr § 4 Abs. 2 lit. g Vereinsgesetz 1951, BGBl. 233/1951 - zur Schlichtung von Streitigkeiten aus den Vereinsverhältnissen errichteten Schiedsgerichten den Bestimmungen dieses Abschnittes (nämlich den §§ 577 ff. ZPO) nicht unterworfen. Diese Bestimmung besage nur, daß die Spezialnormen der §§ 577 bis 598 ZPO für Vereinsschiedsgerichte unanwendbar seien - so die Schiedsrichterbestellung durch das Gericht gemäß § 582 ZPO. Hingegen sei nichts darüber gesagt, ob und inwieweit damit für Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis die gerichtliche Rechtsverfolgung an sich beschränkt worden sei.

Da die §§ 577 bis 599 Abs. 1 ZPO eindeutig eine Beschränkung und einen partiellen Ausschluß der gerichtlichen Rechtsverfolgung enthielten, sei diese Beschränkung durch § 599 Abs. 2 ZPO weggefallen. Dies bedeute also, daß Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein innerhalb der allgemeinen Grenzen der Zulässigkeit des Rechtsweges vor den ordentlichen Gerichten anhängig gemacht und von diesen entschieden werden könnten. Soweit Fragen des öffentlich-rechtlichen Vereinsrechtes strittig seien, obliege die Entscheidung den Verwaltungsbehörden. Für die Entscheidungsbefugnis der ordentlichen Gerichte sei somit ausschließlich maßgebend, ob der Streit in den Bereich des Privatrechtes falle, also ob die strittigen Beziehungen zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein privatrechtlicher Natur seien oder nicht. Ein statutengemäß festgesetztes Vereinsschiedsgericht stelle also keinerlei Hindernis für die Anrufung des ordentlichen Gerichtes zur Entscheidung von privatrechtlich zu beurteilenden Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis dar, doch sei es zulässig und wirksam, unter Einhaltung der Formvorschrift des § 577 Abs. 3 ZPO für die Entscheidung dieser Streitigkeiten das Vereinsschiedsgericht zu vereinbaren. Dieses sei aber dann ausschließlich gemäß § 577 ZPO zu beurteilen.

Der Beklagte könne sich zur Stützung seiner Prozeßeinrede nicht darauf berufen, es sei mit ihm eine nach den §§ 577 ff. ZPO zu beurteilende Schiedsvereinbarung getroffen worden, weil der Beklagte im Zuge der Verhandlung über die Prozeßeinrede nicht nachgewiesen habe, daß die zur Gültigkeit einer solchen Vereinbarung gemäß § 577 Abs. 3 ZPO erforderliche Schriftform eingehalten worden sei. Bei richtiger Gesetzesanwendung sei unter Bedachtnahme auf § 599 Abs. 2 ZPO der ordentliche Rechtsweg für den vom Kläger erhobenen Anspruch nicht ausgeschlossen und daher das angerufene Gericht sachlich zuständig.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des beklagten Vereines nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Bemerkung, es sei die Prozeßeinrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges gar nicht erhoben worden, ist entgegenzuhalten, daß das Vorliegen dieser Prozeßvoraussetzung auch ohne Prozeßeinrede von Amts wegen zu prüfen ist. Es stellt deshalb keinen Fehler dar, daß das Rekursgericht rechtliche Überlegungen über die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges und deren Grenzen angestellt hat. Das Ergebnis ist richtig.

Statutenmäßig eingesetzte Vereinsschiedsgerichte sind grundsätzlich nur für eigentliche vereinsrechtliche Streitigkeiten zur Entscheidung berufen. Nicht gehören zu diesen privatrechtliche Streitigkeiten aller Art zwischen den Mitgliedern und dem Verein oder unter den Mitgliedern selbst. Enthält das Vereinsstatut eine Unterwerfung der Mitglieder unter die Vereinsschiedsgerichtsbarkeit auch in solchen Streitigkeiten, dann ist dies gemäß § 577 ZPO nur dann verbindlich, wenn das einzelne Mitglied diese Schiedsklausel in den Statuten ausdrücklich unterschrieben hat (Fasching II, 25). Ein Ausnahmsfall der beschriebenen Art wurde nicht behauptet. Auch sonst könnte das Vereinsschiedsgericht vertraglich berufen werden, soweit dies den Formvorschriften des § 577 ZPO entspricht.

§ 599 Abs. 2 ZPO besagt nichts anderes, als daß eben die Spezialnormen der §§ 577 - 598 ZPO für Vereinsschiedsgerichte unanwendbar sind; hingegen ist damit nichts darüber ausgesagt, ob und inwieweit damit für Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis die gerichtliche Rechtsverfolgung an sich beschränkt wurde. Da die §§ 577 - 599 Abs. 1 ZPO eindeutig eine Beschränkung und einen partiellen Ausschluß der gerichtlichen Rechtsverfolgung enthalten, ist diese Beschränkung durch § 599 Abs. 2 ZPO für die Vereinsschiedsgerichte weggefallen. Das bedeutet also, daß Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein innerhalb der allgemeinen Grenzen der Zulässigkeit des Rechtsweges vor den ordentlichen Gerichten anhängig gemacht und von diesen entschieden werden können. Nur soweit Fragen öffentlichrechtlichen Vereinsrechtes strittig sind, obliegt deren Entscheidung den Verwaltungsbehörden. Für die Entscheidungsbefugnis der ordentlichen Gerichte ist damit ausschließlich maßgebend, ob der Streit in den Bereich des Privatrechtes fällt, ob also die strittigen Beziehungen zwischen Vereinsmitgliedern und Verein privatrechtlicher Natur sind oder nicht (Fasching IV, 896 f.).

Der Kläger begehrt die Einsichtnahme in mehrere Protokolle von Generalversammlungen des beklagten Vereines mit der ausdrücklichen Begründung, es seien im Bereich des Vereines immer wieder Behauptungen über seine Person aufgestellt worden, und zwar teils ehrenrührigen, teils bedrohlichen Inhaltes. Er befürchtet also offenbar eine Rufschädigung seiner Person durch unzutreffende und ihm abträgliche Behauptungen innerhalb des Vereinslebens. Die Einsichtnahme dient daher nach der Absicht des Klägers der Vorbereitung eines Einschreitens gegen die vom Kläger erst festzustellenden, seine Person betreffende Behauptungen. Die Abwehr unzutreffender und rufschädigender verbreiteter Behauptungen fällt ohne Zweifel in den Bereich des Privatrechtes (§ 1330 ABGB), woraus sich im Sinne der obigen Darlegungen sowohl die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges als auch die Nichtberechtigung der Prozeßeinrede des Schiedsvertrages (der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes) ergibt. Ob das vom Kläger gestellte Begehren im Sinne des Schutzes seiner Persönlichkeit begrundet ist, kann hier nicht erörtert werden.

Dem nicht berechtigten Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

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