OGH 2Ob110/77

OGH2Ob110/7730.6.1977

SZ 50/97

Normen

Eisenbahn-Kraftfahrzeug-Haflpflichtgesetz §6 Abs1
Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm ArtXI
Oberster Gerichtshof-Gesetz §8
ZPO §496 Abs1 Z3
ZPO §496 Abs2
ZPO §510
Eisenbahn-Kraftfahrzeug-Haflpflichtgesetz §6 Abs1
Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm ArtXI
Oberster Gerichtshof-Gesetz §8
ZPO §496 Abs1 Z3
ZPO §496 Abs2
ZPO §510

 

Spruch:

Kein Antragsrecht der Parteien auf Entscheidung durch einen verstärkten Senat des OGH

Liegen auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhende Feststellungsmängel vor, dann hat der OGH zufolge erhobener Rechtsrüge die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen

Für das weitere Verfahren vor dem Erstgericht haben dann die Bestimmungen des § 496 ZPO sinngemäß zu gelten, so wie wenn die Aufhebung bereits durch das Berufungsgericht erfolgt wäre

Das bedeutet, daß die Beschränkung des § 496 Abs. 2 ZPO nicht gilt und daß im fortgesetzten Verfahren neues Vorbringen unbeschränkt - abgesehen von dem Fall der Verschleppungsabsicht - zulässig ist

OGH 30. Juni 1977, 2 Ob 110/77 (OLG Linz 1 R 21/77; KG Ried im Innkreis 1 Cg 389/76)

Text

Der ursprünglich mitbeklagte Hermann H verschuldete am 3. September 1974 als Lenker eines Kombiwagens einen Verkehrsunfall, bei dem unter anderem der Kläger verletzt wurde und Sachschaden entstand. Gegen Hermann H erging ein Versäumungsurteil. Der (nunmehrige) Erstbeklagte Maximilian H war Halter des von seinem Sohn Hermann H gelenkten Fahrzeuges. Dieses war bei der (nunmehrigen) Zweitbeklagten haftpflichtversichert.

Der Kläger verlangte von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz seines Schadens, der der Höhe nach mit 80 213.49 S samt Anhang außer Streit gestellt wurde. Zur Frage der Haftung der Beklagten brachte er im ersten Rechtsgang im wesentlichen vor:

Der Erstbeklagte habe die Schwarzfahrt seines Sohnes Hermann H, bei der der Unfall sich ereignet habe, schuldhaft ermöglicht. Er habe nämlich das Fahrzeug selbst und die Garage, in der es untergebracht gewesen sei, nicht versperrt. Hermann H sei nicht im Besitze eines Führerscheines gewesen. Ferner sei dem Erstbeklagten die Fahrleidenschaft seines Sohnes bekannt gewesen. Er hätte sich daher nicht damit begnügen dürfen, seine Fahrzeuge gegen eine unbefugte Inbetriebnahme durch Verstecken der Schlüssel zu sichern. Da Hermann H schon früher Schwarzfahrten unternommen und einmal ein Fahrzeug seines Vaters durch Kurzschließen der Zundung in Betrieb genommen habe, hätte der Erstbeklagte weitergehende Sicherungsmaßnahmen treffen müssen, wie etwa den Ausbau einzelner Teile.

Die Beklagten wendeten ein, es habe sich bei den früheren Schwarzfahrten des Hermann H, die übrigens mit dem Privatkraftwagen des Erstbeklagten, einem VW-Pritschenwagen, unternommen worden seien, dieser jeweils in den Besitz des Autoschlüssels gesetzt. Diese habe er im gegenständlichen Fall nicht gefunden, weil der Erstbeklagte sie besonders vorsorglich verwahrt habe. Der Kombiwagen sei versperrt gewesen. Der Erstbeklagte habe bei der gegenständlichen Schwarzfahrt erstmals ein Fahrzeug aufgebrochen. Das Garagentor sei nur deshalb nicht versperrt gewesen, weil es sich bei der Garage um einen Neubau gehandelt habe, bei dem das Türschloß trotz der Betreibungen des Erstbeklagten noch nicht eingebaut gewesen sei. Der Ausbau von Autobestandteilen und sonstige Vorkehrungen gegen unbefugte Inbetriebnahme der Fahrzeuge sei dem Erstbeklagten nicht zuzumuten gewesen, denn der Unfallswagen habe zu dem Taxiunternehmen des Erstbeklagten gehört, in dem mehrere Fahrzeuge eingesetzt und mehrere Fahrer eingestellt seien.

Nachdem die das Klagebegehren abweisenden Urteile der Vorinstanzen mit hg. Beschluß vom 9. September 1976, 2 Ob 174/76-25, aufgehoben worden waren und die Sache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen worden war, brachten die Beklagten ergänzend vor: Der Erstbeklagte habe im Hinblick auf die früheren Schwarzfahrten seines Sohnes über diesen eine erhöhte Aufsicht ausgeübt. Es sei täglich nach dem Zubettgehen des Hermann H kontrolliert worden, ob sich dieser tatsächlich in seinem Zimmer befinde. Dies sei auch am 2. September 1974 der Fall gewesen, nachdem Hermann H um etwa 22 Uhr das Fernsehgerät in das Zimmer seiner Eltern gebracht habe. Im Anwesen des Erstbeklagten seien keine weiteren Garagen vorhanden, in denen das Fahrzeug versperrt hätte aufbewahrt werden können. Ein Einstellen des Fahrzeuges entfernt vom Haus sei nicht möglich gewesen, weil der Erstbeklagte gehbehindert sei und das Fahrzeug zur Ausübung seines Taxigewerbes in erreichbarer Nähe haben müsse. Eine provisorische Maßnahme am nicht versperrbaren Garagentor, wie etwa das Anbringen einer Kette, sei nicht möglich gewesen. Der Ausbau von Teilen der Fahrzeuge des Erstbeklagten sei nicht möglich und nicht zumutbar gewesen, weil damit das Unternehmen des Erstbeklagten zum Erliegen gekommen wäre.

Dagegen brachte der Kläger vor, dieses neue Vorbringen diene der Prozeßverschleppung und sei außerdem unzulässig, weil die grundsätzliche Haftung der Beklagten bereits in dem erwähnten Aufhebungsbeschluß des OGH vom 9. September 1976 festgestellt worden sei. Die mangelnde Kontrolle des Erstbeklagten über seinen Sohn und sein Fahrzeug, mit dem die Schwarzfahrt unternommen worden sei, ergebe sich daraus, daß der Erstbeklagte weder am Abend des 2. September noch am Morgen des 3. September 1974 in der Garage nachgesehen habe, ob sich das Fahrzeug noch dort befinde.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren neuerlich ab.

Es war der Ansicht, die Haftung der Beklagten für die Folgen der Schwarzfahrt des Hermann H sei zu verneinen, denn der Erstbeklagte habe alles Zumutbare unternommen, um eine Schwarzfahrt seines Sohnes zu verhindern. Er habe nicht nur die Zundschlüssel versteckt, sondern auch seinen Sohn aufs Strengste überwacht. Er habe seinem Sohn dadurch, daß er ihm die Haustorschlüssel nur fallweise zur Verfügung stellte und daß er die Kellertüre kontrollierte, das Verlassen des Hauses ohne sein Wissen nahezu unmöglich gemacht. Daß Hermann H trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen am 2. September 1974 das elterliche Haus heimlich verlassen und den Kombiwagen in Betrieb genommen habe, müsse als ein für den Erstbeklagten unabwendbarer Zufall gewertet werden. Hiefür könnten die Beklagten nicht haftbar gemacht werden.

Die Berufung der Kläger hatte Erfolg, das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne des Klagebegehrens ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zu dem Antrag, die Sache vor einen verstärkten Senat des OGH zu bringen, ist nur zu sagen, daß das Gesetz ein derartiges Antragsrecht der Prozeßparteien nicht vorsieht; ein dennoch gestellter Antrag kann daher nur als Anregung zu einer Beschlußfassung im Sinne des § 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den OGH vom 19. Juni 1968, BGBl. 328/1968, aufgefaßt werden. Demzufolge hat eine formelle Beschlußfassung über einen solchen Antrag nicht stattzufinden (5 Ob 198/75; vgl. dazu auch Fasching IV, 256). Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 8 des zitierten Bundesgesetzes nicht gegeben sind. Er sieht sich daher zu einer Beschlußfassung auf Verstärkung des Senates im Sinne der genannten Gesetzesstelle nicht veranlaßt.

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Zunächst sei auf das Vorbringen des Klägers in der Revisionsbeantwortung eingegangen, daß Gegenstand des Verfahrens im zweiten Rechtsgang nur mehr die Höhe des Anspruches hätte sein dürfen, nachdem die Frage der Haftung der Beklagten schon im ersten Rechtsgang mit dem Aufhebungsbeschluß vom 9. September 1976, 2 Ob 174/76-25, bindend entschieden worden sei. Dies trifft jedoch auf Grund folgender Erwägungen nicht zu:

Die Vorschriften für die Entscheidung über die Revision enthält § 510 ZPO. Diese Bestimmung erwähnt die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen aus dem Gründe, weil dem Revisionsgericht erheblich erscheinende Tatsachen gar nicht erörtert wurden, ebensowenig wie die Beschränkung des vor dem Prozeßgericht fortgesetzten Verfahrens auf die unerledigt gebliebenen Ansprüche und Anträge sowie auf die durch den Verfahrensmangel betroffenen Teile des erstgerichtlichen Verfahrens und Urteiles. Die durch § 510 ZPO geschaffene Gesetzeslage ist unvollständig und mißverständlich. Diese Bestimmung bedarf der korrigierenden Auslegung unter Heranziehung der Vorschriften über die Berufungsentscheidung (Fasching IV, 362). Liegen auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhende Feststellungsmängel vor, dann hat der OGH zufolge erhobener Rechtsrüge die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen (Fasching IV, 365), was ja nach § 496 Abs. 1 Z. 3 ZPO schon durch das Berufungsgericht hätte geschehen können. Für das weitere Verfahren vor dem Erstgericht haben dann die Bestimmungen des § 496 ZPO sinngemäß zu gelten, so wie wenn die Aufhebung bereits durch das Berufungsgericht erfolgt wäre. Das bedeutet, daß die Beschränkung des § 496 Abs. 2 ZPO nicht gilt und daß im fortgesetzten Verfahren neues Vorbringen unbeschränkt - abgesehen von dem Fall der Verschleppungsabsicht - zulässig ist. Dies entspricht der herrschenden Rechtsprechung (JBl. 1936, 106; MietSlg. 5244; EvBl. 1951/422, u. v. a.; so auch Fasching IV, 213). Die Entscheidung EvBl. 1959/76 ist nicht gegenteilig, denn sie bezog sich auf die Frage der Unzulässigkeit neuen Vorbringens in einer fortgesetzten Berufungsverhandlung. Es kann daher das Revisionsvorbringen nicht damit abgetan werden, daß die Ergebnisse des fortgesetzten Verfahrens, soweit sie den Grund des Anspruches betreffen, nicht zu berücksichtigen seien und daß auf Grund der im Aufhebungsbeschluß vom 9. September 1976, 2 Ob 174/76-25, ausgesprochenen Rechtsansichten allein von der Haftung der Beklagten auszugehen sei. Der OGH ist zwar selbst an seine im Aufhebungsbeschluß ausgesprochene Rechtsansicht gebunden. Dies hindert aber nicht die freie Prüfung der neu hervorgekommenen Sachverhalte, die im Aufhebungsbeschluß mangels damaliger Anhaltspunkte unerörtert geblieben sind (7 Ob 603/76 u. v. a.). Die Prüfung der im fortgesetzten Verfahren zusätzlich festgestellten Umstände führt im vorliegenden Fall jedoch zu keinem für die Beklagten günstigeren Ergebnis ...

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