OGH 4Ob511/77

OGH4Ob511/7714.6.1977

SZ 50/88

Normen

HGB §115 Abs1
Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art7 Nr. 3
HGB §115 Abs1
Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art7 Nr. 3

 

Spruch:

Rechtsnatur des Widerspruchsrechtes nach § 115 Abs. 1 HGB Dem widersprechenden Gesellschafter steht kein unbedingter Anspruch auf Unterlassung der betreffenden Geschäftsführungshandlung zu; pflichtwidrig erhobene Widersprüche sind unbeachtlich und brauchen nicht befolgt zu werden

OGH 14. Juni 1977, 4 Ob 511/77 (OLG Wien 2 R 266/76; HG Wien 39 Cg 360/76)

Text

Die Parteien sind persönlich haftende Gesellschafter der zu HRA 10 596 des Handelsregisters Wien protokollierten E-OHG. Im vorliegenden,Rechtsstreit begehrt der Kläger die Verurteilung des Beklagten, alle Geschäftsführungshandlungen zu unterlassen, denen der Kläger widerspricht. Mangels einer besonderen vertraglichen Regelung sei nach dem Gesetz jede der Parteien zur Geschäftsführung und zur Vertretung berechtigt. Seit geraumer Zeit bestunden jedoch zwischen ihnen gravierende Differenzen über die Geschäftsführung des gemeinsamen Unternehmens. Der Kläger habe wiederholt Geschäftsführungshandlungen des Beklagten gemäß § 115 Abs. 1 HGB widersprechen müssen, um das Unternehmen vor Nachteilen zu bewahren; der Beklagte setze sich aber immer wieder über solche Widersprüche hinweg und nehme die betreffenden Handlungen trotzdem vor. Zum Beweis dafür führt der Kläger mehrere Fälle einer solchen "geflissentlichen Mißachtung" seines Widerspruches an

Der Beklagte hat dieses Vorbringen bestritten. Der vom Kläger begehrte Urteilsspruch sei nicht vollstreckbar und daher unzulässig. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch müsse schon daran scheitern, daß dem Kläger zur Durchsetzung seiner Rechte verschiedene andere Ansprüche nach dem HGB zur Verfügung stunden. Alle in der Klage angeführten Widersprüche des Klägers gegen beabsichtigte Geschäftsführungshandlungen des Beklagten seien Fälle schikanöser Rechtsausübung ohne sachliche Grundlage gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen ab. Der in § 115 HGB vorgesehene Widerspruch müsse sich gegen bestimmte Geschäftsführungshandlungen richten; ein Widerspruch gegen die gesamte künftige Geschäftsführung eines Mitgesellschafters sei unwirksam und unbeachtlich. Das Begehren des Klägers, der Beklagte habe alle Geschäftsführungshandlungen zu unterlassen, denen der Kläger künftig widersprechen werde, komme aber einem solchen unzulässigen Pauschalwiderspruch gleich. Darüber hinaus sei der Urteilsantrag des Klägers mangels bestimmter Anführung der vom Beklagten zu unterlassenden Handlungen nicht vollstreckbar und daher auch diesem Gründe unzulässig.

Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Aus § 115 Abs. 1, zweiter Halbsatz, HGB sei nach Ansicht des Berufungsgerichtes abzuleiten, daß dem geschäftsführenden Gesellschafter einer OHG erst dann ein Anspruch auf Unterlassung der Geschäftsführung eines Mitgesellschafters zustehe, wenn er dieser Handlung widersprochen habe; die Unterlassungspflicht sei die Folge eines rechtswirksam erhobenen Widerspruches. Da sich das Begehren des Klägers gegen künftige Geschäftsführungshandlungen des Beklagten richte und sich daher notwendigerweise auf keinen bereits erhobenen Widerspruch stützen könne, fehle ihm schon deshalb die gesetzliche Grundlage. Davon abgesehen, habe das Erstgericht richtig erkannt, daß ein Widerspruch nach § 115 HGB nur dann wirksam sei, wenn er sich gegen eine bestimmte Geschäftsführungshandlung wendet; ein Widerspruch gegen alle Handlungen eines Mitgesellschafters sei ebenso unbeachtlich wie ein fortgesetzter planmäßiger Widerspruch gegen Handlungen, die der Widersprechende noch gar nicht kennt. Die Berechtigung eines Widerspruches könne nur von Fall zu Fall beurteilt werden, ein allgemeines Widerspruchsrecht ohne Rücksicht auf die konkrete Handlung oder Handlungsart sei dem Gesetz fremd. Da das Begehren des Klägers jedoch auf eine solche generelle Ermächtigung zum willkürlichen Widerspruch abziele, sei es vom Erstgericht mit Recht abgewiesen worden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Unterlassungsbegehrens ist davon auszugehen, daß das Widerspruchsrecht nach § 115 Abs. 1, zweiter Halbsatz, HGB ein sogenanntes "uneigennütziges" Recht ist, welches dem geschäftsführenden Gesellschafter nicht in seinem persönlichem Interesse zur Wahrung seiner individuellen Belange, sondern allein im Interesse der Gesellschaft eingeräumt ist und ausschließlich dem Schutz der Gesellschaft - und damit der Gesamtheit der Gesellschafter - dienen soll. Das Widerspruchsrecht darf nicht nach freiem, sondern nur nach pflichtgemäßem Ermessen der geschäftsführenden Gesellschafter ausgeübt werden; seine Grenze bildet nicht erst das Schikaneverbot des § 1295 Abs. 2 ABGB, sondern schon das Gebot der Gesellschaftstreue, gegen welches kein Gesellschafter verstoßen darf.

Pflichtwidrige erhobene Widersprüche, die gegen dieses Gebot der Gesellschaftstreue verstoßen, sind unzulässig und unbeachtlich. Als pflichtwidrig ist aber ein Widerspruch insbesondere dann anzusehen, wenn er sachlich nicht gerechtfertigt ist und er Mitgesellschafter bei seiner Erhebung die ihm obliegende gesellschaftliche Sorgfaltspflicht (Art. 7 Nr. 3 EVHGB) verletzt, bzw. durch Vernachlässigung der Interessen der Gesellschaft und Voranstellung seiner eigenen Interessen gegen die gesellschaftliche Treuepflicht verstößt (HS 65/17; HS 1233/19; Kastner, Grundriß des Österreichischen Gesellschaftsrechts[2], 62; Hueck, Das Recht der OGH[4], 130 ff.; Geßler in Schlegelberger, HGB[4] II, 1062 § 115 Anm. 7 f.; Fischer in Großkomm. zum HGB[3] II/I, 152 f. § 115 Anm. 8). Unter diesem Gesichtspunkt ist der Widerspruch insbesondere auch dann wirkungslos, wenn die betreffende Handlung zur Erhaltung des gemeinsamen Gesellschaftsvermögens notwendig ist (Hueck a. a. O., 133; Fischer a. a. O., Anm. 7).

Hält man aber im Sinne dieser Rechtsausführungen daran fest, daß § 115 Abs. 1, zweiter Halbsatz, HGB keinen unbedingten Unterfassungsanspruch des widersprechenden Gesellschafter normiert, pflichtwidrig erhobene Widersprüche vielmehr aus den angeführten Erwägungen unbeachtlich sind und nicht befolgt zu werden brauchen - wobei das Risiko einer solchen Nichtbefolgung freilich der gegen den Widerspruch handelnde Gesellschafter zu tragen hat (Kastner a. a. O.) -, dann fehlt dem vorliegenden Klagebegehren die rechtliche Grundlage: Ein Rechtsanspruch darauf, daß der Beklagte allgemein und unterschiedslos alle Geschäftsführungshandlungen zu unterfassen habe, denen der Kläger widerspricht, kann dem Kläger nach dem Gesagten nicht zugebilligt werden; ob der Beklagte zu einer solchen Unterlassung verpflichtet ist, hängt vielmehr immer von den Umständen des Einzelfalles und insbesondere von der Art der betreffenden Handlung und von den für den Widerspruch ins Treffen geführten Gründen ab. Steht dem Kläger aber ein so allgemeines Unterlassungsrecht, wie er es hier geltend macht, nach dem Gesetz überhaupt nicht zu, dann läßt sich die Schaffung des begehrten Exekutionstitels entgegen der Meinung des Klägers auch nicht damit rechtfertigen, daß dem Beklagten im Fall eines pflichtwidrigen Widerspruches ohnehin der Rechtsweg nach § 36 EO offen stunde.

Bei dieser Sachlage ist auf die Ausführungen der Revision zur Frage eines Rechtsschutzinteresses des Klägers an einem "urteilsmäßig generell erfaßten Unterlassungsanspruch für den Fall des Zuwiderhandelns gegen einen neuerlichen Widerspruch" ebensowenig einzugehen wie auf die - von den Untergerichten verneinte - Frage der Bestimmtheit des Urteilsantrages; die Revision des Klägers mußte viel mehr schon aus den angeführten materiellrechtlichen Erwägungen erfolglos bleiben.

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