OGH 6Nd508/77

OGH6Nd508/7728.4.1977

SZ 50/59

Normen

JN §28
JN §42
JN §28
JN §42

 

Spruch:

Die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Entscheidung, mit der für einen bestimmten Rechtsstreit die Prozeßvoraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit bejaht worden ist, erstreckt sich gemäß § 42 Abs. 3 JN auch auf einen anderen Rechtsstreit zwischen denselben Parteien, in welchem aus dem gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt andere Klageansprüche abgeleitet werden

OGH 28. April 1977, 6 Nd 508/77

Text

Die klagende Partei begehrte gemäß § 28 JN die Bestimmung des Handelsgerichtes Wien zum für diese Rechtssache örtlich zuständigen Gericht in Österreich mit der Begründung, daß zwar die inländische Gerichtsbarkeit gegeben sei, nicht aber die örtliche Zuständigkeit eines österreichischen Gerichtes.

Sie begehrt mit der vorliegenden Klage die rückwirkende Aufhebung folgender Rechtsgeschäfte zwischen den Streitteilen:

a) des im Jahr 1974 geschlossenen Kaufvertrages über 6 000 000 Kapseln oder 1520 kg nicht kapsuliertes Nesanelcyclin nach dem kanadischen Patent Nr. 920 124 zum Preis von 144 000 000 bfrs. und aller mit diesem Vertrag zusammenhängenden Vereinbarungen zwischen den Streitteilen, insbesondere der von der klagenden Partei schon um den Jahreswechsel 1973/1974 gegenüber der beklagten Partei übernommenen rechtsgeschäftlichen Verpflichtung zur Veranlassung der Eröffnung eines Akkreditivs zugunsten der beklagten Partei über 144 000 000 bfrs., das später unter der Nr. 908 748 von der A-Bank eröffnet worden ist;

b) des im Oktober 1974 abgeschlossenen Kaufvertrages über 10 000 000 Kapseln zu je 300 mg des Antibiotikums Spectrulatine zum Preis von 9 700 000 US-$ und aller zwischen den Streitteilen im Zusammenhang damit getroffenen Vereinbarungen, insbesondere der von der klagenden Partei in diesem Vertrag übernommenen Verpflichtung zur Veranlassung der Eröffnung eines Akkreditivs zugunsten der beklagten Partei über 9 700 000 US-$, das später unter der Nr. 910 725 von der A-Bank eröffnet worden ist.

In eventu begehrt die klagende Partei die Feststellung, daß die angeführten Rechtsgeschäfte aufgehoben und rechtsunwirksam sind.

Überdies begehrt sie die Feststellung, daß die beklagte Partei schuldig sei, der klagenden Partei jeden Schaden zu ersetzen, der ihr auf Grund der oder im Zusammenhang mit diesen Rechtsgeschäften, insbesondere auch aus den Aufträgen der klagenden Partei zur Erstellung der erwähnten Akkreditive zugunsten der beklagten Partei und der Geltendmachung von Forderungen aus diesen Akkreditiven, erwachsen ist oder noch erwachsen sollte.

Die klagende Partei stützt ihr Begehren im wesentlichen darauf, daß sie der Beklagte arglistig zum Geschäftsabschluß veranlaßt habe. Im Hinblick auf die zu erwartenden Rechtsverfolgungskosten der klagenden Partei, deren Ausmaß nicht abzusehen sei, und wegen der Gefahr der Verjährung habe die klagende Partei ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr jeden im Zusammenhang mit diesen Rechtsgeschäften entstehenden Schaden zu ersetzen.

In dem zu 18 Cg 327/75 des Handelsgerichtes Wien anhängig gewesenen Rechtsstreit hat die klagende Partei begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Geltendmachung jedes Anspruches aus dem zugunsten des Beklagten eröffneten Akkreditivs vom 3. Jänner 1974 Nr. 908 748 auf Zahlung von 144 000 000 bfrs, zu unterlassen und der A-Bank in Wien gegenüber auf jeden Anspruch aus diesem Akkreditiv, der dem Beklagten zustehen sollte, zu verzichten. Überdies hat die klagende Partei in diesem Rechtsstreit begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Inanspruchnahme des zu seinen Gunsten von der A-Bank mit Schreiben vom 22. November 1974 eröffneten Akkreditivs Nr. 910 725 über 9 700 000 US-$ zu unterlassen, die Geltendmachung jedes Anspruches aus diesem Akkreditiv zu unterlassen und der A-Bank in Wien gegenüber auf jeden Anspruch aus diesem Akkreditiv, der ihm zustehen sollte, zu verzichten.

Auch dieses Begehren hat die klagende Partei im wesentlichen darauf gestützt, daß sie vom Beklagten arglistig zum Geschäftsabschluß veranlaßt worden sei.

Das Handelsgericht Wien verwarf in diesem Rechtsstreit mit Beschluß vom 6. Oktober 1976, 18 Cg 327/75-11, die vom Beklagten erhobene Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit; hingegen gab es der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit statt und wies die Klage zurück. Dieser Beschluß wurde von der klagenden Partei nicht bekämpft. Der Beklagte erhob gegen diese Entscheidung Rekurs insoweit, als die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit verworfen wurde; er beantragte ihre Abänderung dahin, daß der Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit stattgegeben werde. Das Oberlandesgericht Wien gab mit Beschluß vom 18. März 1977, 3 R 291/76-14, diesem Rechtsmittel des Beklagten keine Folge; es bejahte das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit. Dieser Beschluß ist formell rechtskräftig.

Der Oberste Gerichtshof bestimmte das Handelsgericht Wien als dasjenige inländische Gericht, das für diese Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Voraussetzung für die Ordination in Sinne des § 28 JN ist, daß für die Rechtssache zwar die inländische Gerichtsbarkeit begrundet ist, die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes aber fehlen oder nicht zu ermitteln sind.

Der OGH hatte daher bei der Entscheidung über den Ordinationsantrag der klagenden Partei zunächst zu prüfen, ob für die vorliegende Rechtssache die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist. Hier stellte sich wieder zunächst die Frage, ob der OGH im Hinblick auf § 42 Abs. 3 JN an die im Rechtsstreit zu 18 Cg 327/75 des Handelsgerichtes Wien getroffene formell rechtskräftige Entscheidung, mit der die inländische Gerichtsbarkeit bejaht wurde, gebunden ist oder ob er ohne Bindung an diese Entscheidung für den vorliegenden Rechtsstreit das Bestehen der inländischen Gerichtsbarkeit überprüfen kann.

Die Prüfung dieser Frage führte zu folgendem Ergebnis:

Es kann zunächst keinem Zweifel unterliegen, daß der OGH im Falle eines Ordinationsgesuches bezüglich des zu 18 Cg 327/75 des Handelsgerichtes Wien anhängig gewesenen Rechtsstreites im Sinne des § 42 Abs. 3 JN das Vorliegen der Prozeßvoraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit im Hinblick auf die in diesem Rechtsstreit ergangene formell rechtskräftige Entscheidung, mit der das Vorliegen dieser Prozeßvoraussetzung bejaht wurde, nicht mehr selbständig und ohne Bindung an diese rechtskräftige Entscheidung überprüfen könnte; dem stunde die in dieser Gesetzesstelle normierte Bindungswirkung der über das Vorliegen dieser Prozeßvoraussetzung ergangenen rechtskräftigen Entscheidung entgegen. Der OGH müßte also einem diesbezüglichen Ordinationsgesuch im Sinne des § 28 JN stattgeben, ohne selbständig das Vorliegen der Prozeßvoraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit prüfen zu können.

Nun kann aber nicht übersehen werden, daß die klagende Partei die mit der vorliegenden Klage erhobenen Ansprüche aus dem gleichen Tatsachenkomplex ableitet und auf den gleichen Rechtsgrund stützt wie die Ansprüche, die sie zu 18 Cg 327/75 des Handelsgerichtes Wien gegen den Beklagten geltend gemacht hat. Sie leitet - in beiden Verfahren - die behaupteten Ansprüche gegen den Beklagten im wesentlichen daraus ab, daß sie vom Beklagten arglistig zum Geschäftsabschluß veranlaßt worden sei. Die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites maßgebliche Frage der behaupteten Arglist des Beklagten war ebenso maßgeblich für die Entscheidung des Vorprozesses; die klagende Partei hätte im Vorprozeß ohne weiteres die Möglichkeit gehabt und hätte sie auch im Fall einer Wiederholung jener Prozeßführung nach einer diesbezüglichen Ordination, im Wege eines Zwischenantrages auf Feststellung im Sinne des § 236 Abs. 1 ZPO die Vorfrage der Gültigkeit ihrer mit dem Beklagten geschlossenen Rechtsgeschäfte mit Rechtskraftwirkung über jenes Begehren hinaus entscheiden zu lassen.

Daraus ist aber abzuleiten, daß der im Vorprozeß getroffenen rechtskräftigen Entscheidung, mit der das Vorliegen der Prozeßvoraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit bejaht wurde, im Sinne des § 42 Abs. 3 JN auch bindende Wirkung für die nunmehr vorliegende Klage zukommt. Die klagende Partei leitet hier nur aus dem gleichen rechtserheblichen Sachverhalt ein anderes Begehren ab. Es widerspräche dem Sinn der im § 42 Abs. 3 JN normierten Bindungswirkung einer rechtskräftigen, das Vorliegen der Prozeßvoraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit bejahenden Entscheidung, streng formell auf das Begehren, zu dem sie ergangen ist, beschränken und nicht auf einen anderen Rechtsstreit zwischen den gleichen Parteien, in dem aus dem gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt nur andere Klageansprüche abgeleitet werden, ausdehnen. Aus dem Wortlaut der Bestimmung des § 42 Abs. 3 JN geht eindeutig hervor, daß die dort normierte Bindungswirkung auch der Entscheidung eines anderen Gerichtes zukommt.

Dies führt zu dem Ergebnis, daß es dem OGH verwehrt ist, bei der Entscheidung über den vorliegenden Ordinationsantrag der klagenden Partei das Vorliegen der Prozeßvoraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit selbständig zu prüfen, daß er vielmehr im Sinne des § 42. Abs. 3 JN an die im Vorprozeß 18 Cg 327/75 des Handelsgerichtes Wien ergangene rechtskräftige Entscheidung, mit der das Vorliegen dieser Prozeßvoraussetzung bejaht wurde, auch bezüglich der nunmehr vorliegenden Klage gebunden ist.

Da nach den Angaben der klagenden Partei die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes nicht gegeben ist, hätte der OGH unter diesen Umständen im Sinne des § 28 JN nach dem Antrag der klagenden Partei ein für diese Rechtssache als örtlich zuständig geltendes Gericht zu bestimmen. Aus Zweckmäßigkeitsgrunden wurde in diesem Sinne entsprechend dem Antrag der klagenden Partei das Handelsgericht Wien orientiert.

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