OGH 3Ob643/76 (3Ob644/76)

OGH3Ob643/76 (3Ob644/76)19.4.1977

SZ 50/54

Normen

ABGB §1295
ABGB §1304
ABGB §1295
ABGB §1304

 

Spruch:

Der Pistenerhalter muß mit einer erst durch das Schifahren entstandenen Pistenverbreiterung rechnen und die Schipiste entsprechend ihrem "Erscheinungsbild" sichern, sohin auch im Bereich der solcherart verbreiterten Piste Gefahrenstellen kennzeichnen. Der Schifahrer ist verpflichtet, auf Sicht zu fahren und die Geschwindigkeit der beeinträchtigten Einsehbarkeit der Abfahrtsstrecke anzupassen

OGH 19. April 1977, 3 Ob 643, 644/76 (OLG Innsbruck 5 R 194/76; LG Innsbruck 8 Cg 260/74)

Text

Die Erstbeklagte Partei ist Eigentümerin der von ihr betriebenen Doppelsesselbahn in K, die zweitbeklagte Partei deren persönlich haftende Gesellschafterin. Die Klägerin stürzte am 13. Jänner 1973 nach Benützung der angeführten Sesselbahn mit einer Liftkarte bei der anschließenden Schiabfahrt und zog sich dabei eine schwere Verletzung zu.

Auf Grund dieses Unfalls begehrte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von (nach Klageausdehnung) 200 000 S an Schmerzengeld und 50 000 S gemäß § 1326 ABGB - je samt stufenweisen Zinsen - sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden aus dem Unfall vom 13. Jänner 1973. Sie brachte im wesentlichen vor, ihr Sturz sei nur darauf zurückzuführen, daß sich auf der von ihr benützten, von der Gegenseite angelegten und maschinell gepflegten Piste etwa 200 m unterhalb der Bergstation unmittelbar nach einer Bodenkante apere und mit Steinen bedeckte Stellen befunden hätten, die beklagten Parteien diese Gefahrenstelle entgegen der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht weder abgesichert noch gekennzeichnet hätten, für die Klägerin jedoch die Gefahrenstelle trotz aufmerksamer Fahrweise und normaler Geschwindigkeit nicht rechtzeitig erkennbar gewesen sei.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung, im wesentlichen mit der Behauptung, daß die Klägerin außerhalb der von ihnen angelegten und gepflegten Piste verunglückt sei, sie ihre Verkehrssicherungspflicht nicht vernachlässigt hätten und selbst im Falle der Benützung der von den Beklagten präparierten Piste die Klägerin wegen ihrer zu schnellen und unaufmerksamen Fahrweise ein Mitverschulden treffe.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Schmerzengeldbetrages von 108 000 S samt 4% Zinsen ab 1. August 1973, stellte die Haftung und Ersatzpflicht der Beklagten aus dem gegenständlichen Unfall im Verhältnis von 2 zu 1 zugunsten der Klägerin fest und wies das Mehrbegehren ab.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes fuhr die Klägerin am Unfallstag bei schönem Wetter gegen 11 Uhr am rechten Rand der Abfahrtspiste Nr. 2, und zwar innerhalb der auf das Befahren durch Schifahrer zurückzuführenden Pistenverbreitung, im Jet-Stil, also relativ weit hinten auf den Schienden sitzend, in der Fallinie über die dort vorhandene Buckelpiste. Über ihre Geschwindigkeit sind keine Feststellungen möglich. Wegen des durch die Bodenkante gebildeten toten Winkels und wegen der Fahrweise im Jet-Stil sah die Klägerin vor Erreichen der Bodenkante die darunter befindlichen aperen Stellen und Steine nicht. Sie hörte nach Überfahren der Bodenkante sofort ihre Schier am Boden kratzen, weil unmittelbar unterhalb dieser Kante eine apere Stelle war; es zog ihr beim Überfahren dieser Stelle zuerst den linken Schi weg, anschließend ging die Bindung des rechten Schis auf. Die Klägerin konnte sich noch eine Zeitlang annähernd auf den Beinen halten, stürzte aber schließlich mit der Hüfte nach links auf einen Stein und blieb knapp vor dem Rand der wieder "von Osten hereinkommenden" (in diesem Bereich wieder in westliche Richtung führenden) Piste am Fuße des Steilhanges liegen.

Bei ihren zwei dem Unfall vorausgehenden Bergfahrten mit dem Sessellift nahm die Klägerin die aperen Stellen im Bereich der Stützen, insbesondere auch im Bereich der Stütze 14 nur in der Weise wahr, wie man allgemein eine Abfahrt von einem Lift aus betrachtet. Da sie bei der Bergfahrt keine konkrete Fahrstrecke aussuchte, hat sie sich dabei die aperen Stellen nicht absichtlich oder bewußt gemerkt.

Bei diesem Sachverhalt führte das Erstgericht im wesentlichen aus die Beklagten wären als Verantwortliche für die Pistenpflege im Rahmen der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu einer Absicherung der gegenständlichen Gefahrenstelle gehalten gewesen, die Klägerin hingegen habe ihre Verpflichtung, auf Sicht zu fahren und die vor ihr liegende Piste zu beobachten, nicht entsprechend beachtet, sie hätte überdies bei der Bergfahrt Gelegenheit gehabt, die Gefahrenstelle wahrzunehmen und sich bei der Abfahrt im Bereich des Pistenrandes besonders vorsichtig verhalten müssen. Beide Parteien treffe daher ein Verschulden, wobei eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Gunsten der Klägerin angemessen sei.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen teilweise Folge.

Es bestätigte mit Teilurteil die Entscheidung des Erstgerichtes in Ansehung des Feststellbegehrens und sprach der Klägerin in Abänderung des Ersturteils gemäß § 1326 ABGB (unter Abweisung des Mehrbegehrens) einen Betrag von 20 000 S samt Anhang zu. In Ansehung des Schmerzengeldbegehrens hob es das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht, der Revision der Klägerin nur hinsichtlich der Entschädigung für Verunstaltung Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Zur Revision der Klägerin:

In rechtlicher Hinsicht ist die Auflassung des Berufungsgerichtes, die Klägerin hätte bei nur geringer Aufmerksamkeit das Zufahren auf eine Geländekante wahrnehmen können, in dieser Formulierung allerdings nicht stichhältig, weil bei den festgestellten Geländeverhältnissen von der Klägerin nicht das Vorhandensein einer "Kante", sondern lediglich erkennbar war, daß, von einer bestimmten Stelle angefangen, die weitere Geländebeschaffenheit für einen gewissen Bereich nicht eingesehen werden kann; aus der Sicht der an eine derartige Stelle heranfahrenden Person ist ähnlich dem Zufahren auf eine Straßenkuppe regelmäßig nicht die genaue Beschaffenheit dieser Stelle, wohl aber die fehlende bzw. ungenügende Sicht in den anschließenden Bereich wahrnehmbar. Wenn also entsprechend diesen Ausführungen für die Klägerin nicht vorhersehbar war, daß sich in dem von ihr nicht einzusehenden Bereich eine besondere Gefahrenstelle befindet, so hätte sie nach den insoweit zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen eben wegen der Nichteinsehbarkeit dieses Bereiches entsprechend vorsichtig fahren müssen. Unter Berücksichtigung dieser fehlenden Sichtmöglichkeit war die sich aus dem ganzen Geschehnisablauf ergebende, wenn auch nicht exakt feststellbare Geschwindigkeit tatsächlich relativ überhöht, die Klägerin hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit niemals ohne entsprechende Sichtmöglichkeit, also sozusagen "ins Blaue", auf ein ihr bis dahin völlig unbekanntes Gelände zufahren dürfen (vgl. SZ 43/127 u. a.), noch dazu im Jet-Stil, welcher die Beobachtungsmöglichkeit für den nicht einsehbaren Streckenbereich verschlechtere.

Demzufolge haben die Vorinstanzen der Klägerin am gegenständlichen Unfall zutreffend ein (Mit-)Verschulden angelastet.

2. Zur Revision der Beklagten:

Die Beklagten bestreiten nicht, daß sie im Rahmen der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht für den ordnungsgemäßen Zustand der von ihnen angelegten Schipiste grundsätzlich verantwortlich sind, sie meinen lediglich, daß sich ihre Verantwortlichkeit nicht auf den Bereich der erst durch das Schifahren entstandenen Pistenverbreiterung erstreckt, die sie als "gegen ihren Willen von den Schifahrern eröffnete Fläche" bezeichnen.

Demgegenüber legte bereits das Berufungsgericht richtig dar, daß auch dieser verbreiterte Bereich unter den Begriff "Schipiste" fällt, zumal jeder Pistenerhalter mit dieser Form der Pistenverbreiterung rechnen und die Piste entsprechend ihrem "Erscheinungsbild" sichern muß (vgl. Reindl, ZVR 1975/360 f. u. a.). Da die Beklagten die in der Natur nicht ersichtliche Abgrenzung zwischen der ursprünglich preparierten und der sodann durch die Schifahrer verbreiterten Piste nicht etwa besonders kennzeichneten (vgl. hiezu die von den Beklagten zitierte Entscheidung ZVR 1974/139), bestand für sie im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit für die gegenständliche Schipiste auch die Verpflichtung zur Kennzeichnung der gegenständlichen, im Bereich der solcherart verbreiterten Piste befindlichen Gefahrenstelle. Mit Recht haben daher die Vorsitzenden die Unterlassung dieser Kennzeichnung den Beklagten als Verschulden angelastet.

Schließlich ist auch in der Teilung des somit beiderseitigen Verschuldens im Verhältnis 2 : 1 zu Gunsten der Klägerin kein Rechtsirrtum zu erkennen. Denn einerseits war die Unfallstelle als ausgesprochen gefährlich erkennbar ("heimtükische Falle") und daher die Unterlassung ihrer Kennzeichnung erheblich fahrlässig, andererseits war

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