OGH 2Ob146/76

OGH2Ob146/768.10.1976

SZ 49/116

Normen

ABGB §1293
VersVG §67
ABGB §1293
VersVG §67

 

Spruch:

Die cessio legis des § 67 VersVG ergreift nur eine um die Selbstbeteiligung verringerte Schadenersatzforderung des Versicherungsnehmers 1 Unmittelbarer (Folge-)Schaden eines Dienstgebers, dessen von ihm weiterhin bezahlter Dienstnehmer sich nach einem Unfall um die Schadensregulierung kümmern muß und daher für andere Arbeitsleistungen nicht zur Verfügung steht

OGH 8. Oktober 1976, 2 Ob 146/76 (OLG Wien 10 R 268/75; LGZ Wien 27 Cg 221/74)

Text

Der Versicherungsnehmer der Beklagten, Alfred D, verschuldete am 2. April 1974 in Wien einen Verkehrsunfall, bei dem ein der Klägerin als Halter gehörender und von Hubert K gelenkter PKW Totalschaden erlitt. Das Alleinverschulden des Alfred D an diesem Verkehrsunfall ist nicht mehr bestritten.

Die Klägerin fordert gemäß § 63 KFG von der Beklagten die Bezahlung ihres gesamten Schadens von 22 784 S (das sind 3164.50 DM zum Umrechnungskurs von 7.20 S). Darunter befinden sich der Selbstbehalt der Kaskoversicherung der Klägerin in der Höhe von 4680 S (das sind 650 DM zum Umrechnungskurs 7.20 S) und die der Klägerin erwachsenen Kosten des unfallsbedingten Arbeitsausfalles des Hubert K von 22 Stunden a 25 DM in der Höhe von 3960 S (das sind 550 DM zum Umrechnungskurs 7.20 S). Die Beklagte wendete ein, daß es einen Schadensbegriff "Selbstbehalt" nicht gebe. Die Klägerin hätte aufzuschlüsseln, wie hoch der Wiederbeschaffungswert abzüglich Umsatzsteuer sei und ferner, wie hoch sie den Restwert annehme. Erst dann werde eine Beurteilung möglich sein, ob ein Schaden eingetreten sei oder nicht. Bei den begehrten Kosten des Arbeitsausfalles des Hubert K handle es sich um einen indirekten Schaden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Betrag von 22 619.65 S samt Anhang, darunter den gesamten vorgenannten Selbstbehalt und den gesamten der Klägerin entstandenen Kosten für den Arbeitsausfall des Hubert K, statt und wies das Mehrbegehren von 164.55 S samt Anhang ab.

Das Berufungsgericht gab der gegen den Zuspruch von 8577.60 S samt Anhang, das sind der Selbsterhalt von 650 DM und die Kosten für den Arbeitsausfall des Hubert K von 550 DM umgerechnet in Schillinge zum Umrechnungskurs von 714.80 S für 100 DM, gerichteten Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne des Zuspruches von insgesamt 18 688.45 S samt Anhang unter Abweisung des Mehrbegehrens von 4095.95 S samt Anhang ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Hingegen wurde der Revision der klagenden Partei Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin geändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Revisionsverfahren sind nur mehr die Ansprüche der Klägerin auf Ersatz des "Selbstbehaltes" und des Arbeitsausfalles des Hubert K strittig.

Diesbezüglich hat das Erstgericht im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der PKW der Klägerin wies zur Unfallszeit einen Kilometerstand von 8000 bis 10 000 auf und hatte einen Zeitwert von 9782.44 DM. Der Restwert nach dem Unfall betrug 600 DM. Der Fahrzeugschaden wurde vom Kaskoversicherer der klagenden Partei bis auf einen Selbstbehalt von 650 DM abgedeckt. Wegen des Unfalles mußte Hubert K einen Arbeitstag und eine Nacht länger in Wien bleiben. Zufolge des Unfalles fiel er für die Klägerin 22 Stunden als Arbeitskraft aus. Der DM-Kurs betrug am 13. Oktober 1975 (das ist der Schluß der mündlichen Streitverhandlung) 714.80 S für 100 DM.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Klägerin Anspruch auf Ersatz ihres vollen Unfallschadens habe. Darunter alle auch "der PKW-Schaden von 650 DM" und der Arbeitsausfall des Hubert K durch 22 Stunden, was einen Betrag von 550 DM ausmache. Der DM-Betrag sei zum Tageskurs zur Zeit des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung in Höhe von 714.80 S für 100 DM umzurechnen gewesen.

Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, gelangte aber zu einer teilweise abweichenden rechtlichen Beurteilung. Soweit die Berufung davon ausgehe, daß die Kaskoversicherung der Klägerin und mit ihr das Erstgericht von der Vergütung des Neupreises des PKWs der Klägerin ausgegangen seien, entferne sie sich von den Feststellungen des Erstgerichtes. Diesbezüglich sei die Berufung somit nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt. Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, daß die Kaskoversicherung der Klägerin den Neupreis des total beschädigten PKWs ersetzt habe, sei für die Beklagte nichts gewonnen, weil selbst dann, wenn der vom Kaskoversicherer nach seinem Vertrag mit dem Versicherungsnehmer festzusetzende Schaden höher sei, als der bürgerlich-rechtliche (Neuwertversicherung), und die Versicherungsleistung hinter diesem Versicherungsschaden zurückbleibe (so z. B. bei Selbstbehalt in der Kaskoversicherung), der Ersatzanspruch in Höhe der Differenz auch dann nicht auf den Kaskoversicherer übergehe, wenn die Versicherungsleistungen den bürgerlich-rechtlichen Schaden decken oder übersteigen; insoweit trete aber auch keine Entlastung des Schädigers ein. Die Beklagte könne sich daher durch den Zuspruch des Selbstbehaltes der Kaskoversicherung in der Höhe von 650 DM umgerechnet in Schillinge nicht beschwert erachten, weil dieser Betrag auf jeden Fall auf den von ihr zu ersetzenden Gesamtschaden der Klägerin zähle, die in Ansehung ihres noch ungedeckten Restschadens den Vorrang vor ihrem Kaskoversicherer habe. Die Klägerin bleibe Gläubiger des Ersatzanspruches gegenüber dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer insoweit, als sie von ihrem Kaskoversicherer nicht entschädigt worden sei. Erst nach Deckung des Schadens der Klägerin durch die Kaskoversicherungsleistung und den Ersatzanspruch gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer komme nämlich der Kaskoversicherer der Klägerin zum Zuge. Der Zuspruch des den Betrag von 650 DM entsprechenden Schillinggegenwertes durch das Erstgericht sei somit gerechtfertigt. Hingegen sei der "Arbeitsausfall" des Beschäftigten der Klägerin, Hubert K, der auf dessen unfallbedingten verlängerten Aufenthalt zurückgehe, in einer Interessenssphäre der Klägerin eingetreten, die nicht durch das Verbot des Eingriffes geschützt werde. Diesbezüglich sei die Klägerin sohin nicht unmittelbar geschädigt. Hinsichtlich dieses Klagepunktes handle es sich somit um einen nach österreichischem Recht nicht ersetzbaren mittelbaren Schaden.

1. Zur Revision der Klägerin:

Die Klägerin wendet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, bei dem ihr durch den Arbeitsunfall ihres Angestellten Hubert K entstandenen Nachteil handle es sich um einen mittelbaren Schaden Wohl liege ein solcher vor, wenn ein Dienstnehmer mit dem PKW des Dienstgebers einen Unfall im Ausland erleide, bei welchem er verletzt und während der Zeit seiner Genesung dem Dienstgeber trotz Weiterzahlung des Entgeltes nicht zur Verfügung stehe. Hingegen liege ein unmittelbarer Schaden vor, wenn der Dienstnehmer bei einem solchen Unfall nicht verletzt werde und daher grundsätzlich dem Dienstgeber sofort zur Verfügung stehen würde, sich aber um die Schadensregulierung kümmern müsse, wodurch seine Arbeitskraft dem Dienstgeber trotz Fortzahlung des Entgeltes entgehe.

Der durch den Unfall entstandene Fahrzeugschaden hat sich im Vermögen der Klägerin ereignet. Als Folge dieses Schadensereignisses hatte sich der Dienstnehmer der Klägerin Hubert K um die Regulierung des Schadens an Ort und Stelle zu kümmern und stand daher der Klägerin, die ihm das Entgelt fortzuzahlen hatte, durch 22 Arbeitsstunden für die Arbeitsleistung nicht zur Verfügung, die er zu verrichten gehabt hätte, wenn es nicht zum Unfall gekommen wäre. Es handelt sich dabei nicht um einen Drittschaden, sondern um einen im Vermögen des Dienstgebers entstandenen Folgeschaden, der ihm vom Schädiger zu ersetzen ist. Bezüglich der Höhe dieses Schadens kann davon ausgegangen werden, daß die der Entgeltfortzahlung entsprechenden Arbeitsleistung des Hubert K der Klägerin als seiner Dienstgeberin zugute gekommen wären. Das Gegenteil wurde nicht behauptet und ist auch nicht hervorgekommen.

Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben.

2. Zur Revision der Beklagten.

Unter dem Revisionsgrund nach § 503 Z. 2 ZPO bringt die Beklagte vor, zur Frage des "Selbstbehaltes" liege weder eine konkrete Klagsbehauptung vor, noch habe das Erstgericht die Klägerin gemäß § 182 ZPO zur Aufstellung einer solchen Behauptung verhalten. Die Vorlage einer Urkunde durch einen Zeugen könne mangelndes Prozeßvorbringen nicht ersetzen.

Da das Berufungsgericht dies schon in der Berufung von der Beklagten geltend gemachten angeblichen Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht als gegeben erachtet hat, ist ihr die neuerliche Geltendmachung im Revisionsverfahren unter dem Anfechtungsgrund nach § 503 Z. 2 ZPO verwehrt (vgl. SZ 27/4; SZ 41/8 u. v. a.).

Unter dem Revisionsgrund nach § 503 Z. 4 ZPO bekämpft die Beklagte die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes hinsichtlich des Ersatzes des "Selbstbehaltes".

Auch in Fällen, in denen der versicherungsrechtliche Schaden höher vergütet wird, als bürgerlich-rechtlich eine Ersatzforderung überhaupt entstehen kann, wie zum Beispiel in der Neuwert-Kaskoversicherung, hat der Schädiger stets nur den Zeitwert zu ersetzen. Aus dem Kongruenzprinzip ergibt sich nun, daß der Schadenersatzanspruch nur insoweit übergehen kann, als der Versicherer für den Zeitwert entschädigt hat. Dies hat vor allem Bedeutung, wenn eine Selbstbeteiligung vereinbart worden ist. Da diese den Substanzschaden betrifft, ergreift die cessio legis des § 67 Abs. 1 VersVG nur eine um die Selbstbeteiligung verringerte Schadenersatzforderung des Versicherungsnehmers. Diesem verbleibt also der Ersatzanspruch in Höhe der Selbstbeteiligung. Der Schädiger kann daher dem geschädigten Versicherungsnehmer nicht entgegenhalten, er schulde ihm den Selbstbehalt deshalb nicht, weil der Versicherungsnehmer von seinem Versicherer mehr als den Zeitwert erhalten habe (vgl. Bruck - Möller, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Anm. 62 cc zu § 67 VersVG, 736). Im Verhältnis zwischen Schädiger und geschädigten Versicherungsnehmer ist daher der Selbstbehalt jedenfalls auf den dem Versicherungsnehmer entstandenen bürgerlich-rechtlichen Schaden anzurechnen, selbst wenn der Versicherer gemäß dem Versicherungsvertrag einen höheren Wert vergütet hat. Dafür, daß der von der Klägerin geforderte Selbstbehalt höher wäre, als der ihr tatsächlich entstandene Schaden, fehlt es im vorliegenden Fall an jeglichen Anhaltspunkten. Auf das Verhältnis zwischen dem Schädiger (Versicherungsnehmer der Beklagten) und dem Kaskoversicherer der Klägerin braucht hier nicht näher eingegangen zu werden.

In der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der Klägerin der Selbstbehalt von der Beklagten zu ersetzen ist, kann daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

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