Spruch:
Mit der Bestimmung des § 29k LuftverkG wurde keine unbeschränkte Haftung auch für mittelbare Schäden normiert
OGH 8. Juli 1976, 2 Ob 151/76 (OLG Wien 4 R 54/76; LG Eisenstadt 1 Cg 457/75)
Text
Am 15. Mai 1975 beschädigte um 17.08 Uhr ein von Vizeleutnant Rudolf F gesteuerter Hubschrauber des österreichischen Bundesheeres während eines Übungsfluges im Raum Oberschützen die 20-Kilovolt-Freileitung Willersdorf der BEWAG zwischen den Masten Nr. 24 und Nr. 35. Durch die Beschädigung der Hochspannungsleitung, von der auch die Fabriksanlage der Klägerin gespeist wird, entstand ein Stromausfall.
Die Klägerin behauptet, daß ihr durch diesen Stromausfall in ihrem Betrieb ein Schaden, und zwar teilweise durch die Vernichtung von Waren, teilweise durch Beschädigung von Betriebsanlagen und teilweise infolge des Produktionsausfalles, in Höhe des Klagsbetrages entstanden sei. Sie verlangt von der Beklagten (Republik Österreich) Ersatz dieses Schadens unter Berufung auf die nach dem Luftverkehrsgesetz (i. d. F. des Bundesgesetzes vom 8. Juni 1971, BGBl, 236) bestehende Erfolgshaftung. Die Beklagte beantragt Abweisung des Klagebegehrens und wendet ein, es handle sich um bloß mittelbar entstandene Schäden, zu deren Ersatz sie nicht verpflichtet sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen aus rechtlichen Gründen ab. Es schloß sich der in der Entscheidung des OGH vom 6. September 1972, 1 Ob 176/72, veröffentlicht in JBl. 1973, 579 und EvBl. 1972/297, vertretenen Ansicht an, daß der Schaden aus einem Produktionsausfall infolge der Beschädigung eines im Eigentum eines Dritten stehenden Stromkabels als mittelbarer Schaden nicht zu ersetzen sei. Die gegenteilige Entscheidung des OGH vom 18. April 1972, 8 Ob 49/72 (veröffentlicht in JBl. 1973, 581 und EvBl. 1972/296) sei vereinzelt geblieben. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klägerin macht in der Revision geltend, § 19 des LuftverkG statuiere, wie sich aus der Marginalrubrik ergebe, eine "Erfolgshaftung bei Drittschaden". Entscheidend sei daher lediglich, ob ein Schaden durch ein Militärluftfahrzeug der Beklagten eingetreten sei, für den die Beklagte nach § 29k des LuftverkG ohne Rücksicht auf ein Verschulden und betragsmäßig unbeschränkt hafte. Nach Abs. 2 und 3 dieser Bestimmung werde die Halterhaftung über den Bereich des bürgerlichen Rechtes hinaus erweitert. Es sei daher eine Differenzierung nach mittelbarem und unmittelbarem Schaden nicht vorzunehmen und die frage der Kausalität nicht zu prüfen. Die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung betreffe Fälle der Haftung für deliktisches Verhalten. Die dort entwickelten Grundsätze könnten auf den vorliegenden Fall einer reinen Erfolgshaftung nicht angewendet werden. Dem ist folgendes entgegenzuhalten:
Auch im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um eine vertragliche sondern um eine aus einer widerrechtlichen Beschädigung abgeleitete somit um eine Deliktshaftung. Nach der Rechtsprechung ist im Fall einer außervertraglichen Schadenshaftung zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Schaden zu unterscheiden. Nicht ersatzfähiger mittelbarer Schaden liegt vor, wenn er nicht in der Richtung des Angriffes, sondern infolge einer Seitenwirkung in einer Interessensphäre eintritt, die nicht durch das Verbot des Angriffes geschützt ist. Die Grenze des unmittelbaren zum mittelbaren Schaden bestimmt sich daher nach dem Schutzzweck der verletzten Gesetzesnorm (SZ 34/112; EvBl. 1971/340; ZVR 1972/27; EvBl. 1973/173 und 174 u. v. a.; vgl. dazu auch Ehrenzweig[2] II/1, 72; Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts[3] I, 303; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz, 167; Wedl in ÖJZ 1958, 645, 648; Klang in Festschrift zur Jahrhundertfeier des Obersten Gerichtshofes, 133 ff.). Der durch die Rechtsprechung unter Verwendung der Begriffe des mittelbaren und des unmittelbaren Schadens anerkannten Abgrenzung wurde allerdings in letzter Zeit entgegengetreten Kramer in ZVR 1971/141 ff., und ZVR 1974/129; Posch in JBl. 1973, 565 ff., Migsch in VersRdSch. 1974, 109) Kramer vertritt in ZVR 1971/146 die These, daß bei der Zurechnung nach der herrschenden Adäquanztheorie normativ zu fragen sei, ob der zu beurteilende Schaden im Schutzzweck der übertretenen Norm liege (vgl. auch ZVR 1974, 132). Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I, 115, stellt bei der Abgrenzung der Haftung auf den Rechtswidrigkeitszusammenhang und bei dessen Prüfung auf den Normzweck ab; auf Grund eines rechtswidrigen Verhaltens soll nur für jene verursachten Schäden gehaftet werden, die vom Schutzzweck der Verbotsnorm erfaßt werden, wenn sie gerade diese Schäden verhindern wollte; die Norm müsse gerade den Schutz des Geschädigten bezwecken, aber auch die Art des Schadens müsse vom Normzweck erfaßt sein (116). Auch Migsch (118) will auf die Verkehrsnormen abstellen und aus ihnen beurteilen, inwieweit weiter entfernt liegende oder ungewöhnliche Schädigungen zu erfassen sind; er will die Probleme des mittelbaren Schadens in die Sphäre der allgemeinen Schadenszurechnung verschieben (122). Übereinstimmung besteht jedenfalls darin, daß eine uferlose untragbare Ausweitung der Schadenszufügung abgelehnt werden muß. Zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangte die Rechtsprechung (vgl. EvBl. 1972/296 einerseits und EvBl. 1972/297 sowie EvBl. 1973/174 anderseits) nur bei Beurteilung der Frage, inwieweit bei Beschädigungen von Strom- und Fernsprechkabeln bei den Strombeziehern unmittelbarer Schaden eintrete bzw. ob diese noch vom Schutzzweck der in Betracht kommenden Normen mitumfaßt seien. An der Haftung nur für den unmittelbaren Schaden, der vom mittelbaren Schaden nach dem Schutzzweck der verletzten Gesetzesnorm abgegrenzt wird, hat der OGH bis in die jüngste Zeit festgehalten (EvBl. 1973/174; 1 Ob 196/74; 8 Ob 119/75; 5 Ob 258/75). Es besteht auch hier kein Anlaß, davon abzugehen. Es sei hier auch darauf verwiesen, daß die in eine andere Richtung gehenden, oben zitierten Entscheidungen des Deutschen Bundesgerichtshofes als bedenklich und als im Gegensatz zur sonstigen Rechtsprechung stehend kritisiert wurden (Geigel, Haftpflichtprozeß[15], 15, Randzahl 8).
Im vorliegenden Fall handelt es sich darum, daß durch die Beschädigung einer Starkstrom-Freileitung der BEWAG die der Klägerin auf Grund eines Stromlieferungsvertrages von der BEWAG zugesicherte Stromzulieferung eine Zeit lang unterblieb, wodurch im Betrieb der Klägerin die behaupteten Schäden eingetreten sein sollen. Der Zweck der Normen, deren Verletzung der Beklagten von der Klägerin vorgeworfen werden kann, nämlich der Normen des allgemeinen bürgerlichen Rechtes, aus denen sich die Rechtswidrigkeit der Beschädigung fremden Eigentums ergibt, ist der Schutz des Eigentumes. Er bezieht den Schutz desjenigen, der vom geschützten Eigentümer nur obligatorische Rechte ableitet, nicht ein. Koziol, 119 meint zur Rechtslage bei Verstoß gegen eine Verhaltenspflicht, die den Schutz fremden Eigentumes bezweckt, allerdings, daß das Kriterium des Rechtswidrigkeitszusammenhanges nicht dazu führe, daß nur der Schaden an dem absolut geschützten Eigentumsrecht in den Schutzbereich der die Haftung begrundenden Verhaltensnorm falle; auch weitere Schäden (Folgeschäden) des Rechtsinhabers seien zu ersetzen. Rechtsinhaber ist aber wieder nur der Eigentümer; nur dessen Folgeschäden, nicht aber die Schäden anderer, die als Folge der Eigentumsverletzung entstanden, sind zu ersetzen. Entsprechend dem sachlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang soll (Koziol, 230 nach auch nur der Schaden ersetzt werden, der einem Eigentümer einer Sache typischerweise entstehen kann. Zusätzliche Schäden Dritter hingegen werden nicht ersetzt (so ausdrücklich 1 Ob 196/74 und im wesentlichen damit übereinstimmend 8 Ob 119/75).
Entgegen der Ansicht der Klägerin ändert sich an diesen Ergebnissen dadurch, daß der Schaden an der Starkstrom-Freileitung durch ein Militärluftfahrzeug der Beklagten verursacht wurde, nichts. Nach § 29k des LuftverkG (i. d. F. des Bundesgesetzes vom 8. Juni 1971, BGBl. 236) besteht für derartige Schäden eine betraglich nicht beschränkte Erfolgshaftung der Republik Österreich als Halterin ihrer Militärluftfahrzeuge. Davon, daß mit dieser Bestimmung eine unbeschränkte Haftung auch für mittelbare Schäden statuiert worden wäre, kann keine Rede sein. Richtig ist zwar, daß im Abs. 2 der zitierten Gesetzesbestimmung, analog zu § 845 DBGB (nach Koziol II, 421 ein "Fremdkörper im österreichischen Recht"), für den Fall der Tötung oder Verletzung einer Person, die einem Dritten kraft Gesetzes zur Leistung von Diensten in dessen Hauswesen oder Gewerbe verpflichtet war, einen Ersatzanspruch des Dritten aus dem Entgang dieser Dienste vorsieht, also einen Ersatz "mittelbaren Schadens" in einem begrenzten Umfang kennt.
Daraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, daß der Gesetzgeber den Ersatz mittelbaren Schadens schlechthin gewähren sollte. Es muß vielmehr angenommen werden, daß über den im Gesetz normierten Umfang hinaus mittelbarer Schaden auch hier nicht zu ersetzen ist.
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