Spruch:
Ein vor einem ausländischen Gericht über einen Anspruch anhängiges Verfahren steht der Rechtsverfolgung im Inland entgegen, wenn das ausländische Urteil im Inland vollstreckt werden kann
Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung bedeutet, auch ihre prozeßrechtlichen Wirkungen einer inländischen Entscheidung gleichzustellen
OGH 30. Juni 1976, 1 Ob 636/76 (LG Salzburg 32 R 16/76; BG Tamsweg C 79/75 )
Text
Die klagende Partei, die Franz H AG, begehrte nach Klagseinschränkung den Betrag von 1046.97 DM samt 0.6 Promill Zinsen pro Tag aus 1166.65 DM vom 10. Dezember 1974 bis 12. Mai 1975 und aus 1046.97 DM seit 13. Mai 1975 bzw. den Gegenwert in österreichischen Schilling zum Umrechnungskurs die Wiener Börse Devise (Brief) Frankfurt/Main an dem der Zahlung vorausgehenden Tag. Die klagende Partei begehrt diesen Betrag als Restschuld des Beklagten aus einem ihm gewährten Darlehen.
Der Beklagte bestritt das Klagsvorbringen und wendete entschiedene Streitsache ein, weil die Credit- und Inkassoanstalt V für die gegenständliche Forderung bereits einen rechtskräftigen Zahlungsbefehl in der Bundesrepublik Deutschland erwirkt habe. Im übrigen habe die klagende Partei die Forderung an die Credit- und Inkassoanstalt V zediert; von der Rückzession sei er nicht verständigt worden. Die klagende Partei hielt dem nur entgegen, daß der Zahlungsbefehl in Österreich nicht vollstreckbar sei.
Das Erstgericht wies die Klage wegen rechtskräftig entschiedener Streitsache zurück und stellte fest:
Zu 1 B 13 744/72 des Amtsgerichtes München erwirkte die Credit- und Inkassoanstalt V gegen den Beklagten einen Zahlungsbefehl über 1200 DM als Teilforderung eines Darlehens laut Darlehensvertrag der Franz H AG vom 20. Juni 1972, weiters 135.53 DM für vorprozessuale Kosten und 109.90 DM als Kosten des Verfahrens. Der dem Beklagten am 14. November 1972 zugestellte Zahlungsbefehl wurde vom Amtsgericht München am 27. November 1972 für vorläufig vollstreckbar erklärt. Zu 1 B 5279/73 erwirkte die Credit- und Inkassoanstalt V einen weiteren Zahlungsbefehl über 494.68 DM als Restforderung aus dem Darlehensvertrag der Franz H AG vom 20. Juni 1972 nebst 6% Zinsen pro Tag aus 1289.81 DM seit 25. April 1973 und der Verfahrenskosten von 59.45 DM. Dieser Zahlungsbefehl wurde dem Beklagten am 3. Mai 1973 zugestellt und am 15. Mai 1973 für vorläufig vollstreckbar erklärt. Die Zahlungsbefehle betreffen die mit der gegenständlichen Klage geltend gemachte Forderung.
Das Erstgericht führte zur Begründung aus, daß Zahlungsbefehle deutscher Gerichte in Österreich vollstreckbar seien, so daß daß den Rechtsverfolgung die Rechtskraft der in der Bundesrepublik Deutschland erwirkten Exekutionstitel entgegenstehe.
Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs der klagenden Partei keine Folge und bestätigte den Beschluß mit der Maßgabe, daß an Stelle der Worte "wegen rechtskräftig entschiedener Rechtssache" die Worte "wegen Streitanhängigkeit" gesetzt wurden. Das Rekursgericht führte aus, auf Grund der getroffenen Feststellungen ergebe sich, daß über den Anspruch, der Gegenstand dieses Verfahrens sei, beim Amtsgericht München ein Streit anhängig sei. Gemäß § 700 dZPO gelte nämlich im Falle des Erlasses des Vollstreckungsbefehles der Anspruch als mit der Zustellung des Zahlungsbefehles im Streitverfahren rechtshängig geworden. Daß es sich bei den Zahlungsbefehlen um dieselbe Darlehensforderung handle, die der gegenständlichen Klage zugrunde liege, könne nicht bezweifelt werden. Die Kapitalsbeträge der Zahlungsbefehle seien größer als den Klagsbetrag von (ursprünglich) 1611.46 DM, auch die mit dem zweiten Zahlungsbefehl begehrten Zinsen (0.6 Promille, täglich aus 1289.81 DM seit 25. April 1973) seien mehr als jene, die in der Klage begehrt werden. Ein im Ausland anhängiger Rechtsstreit begrunde im Inland die Streitanhängigkeit dann, wenn das über den Anspruch ergehende Urteil im Inland vollstreckt werden könne. Die Zahlungsbefehle seien aber noch nicht in Rechtskraft erwachsen, weil hiefür erforderlich wäre, daß der Vollstreckungsbefehl dem Beklagten zugestellt wurde. Da die Zahlungsbefehle nicht nur vorläufig, sondern endgültig vollstreckbar sein werden wenn die Zustellung erfolgt ist, können die klagende Partei dann auch in Österreich gegen den Beklagten Exekution zur Befriedigung führen. Demzufolge liege derzeit zwar nicht rechtskräftig entschiedene Streitsache, wohl aber Streitanhängigkeit vor.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs den klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zunächst hatte sich der OGH mit der Frage der Zulässigkeit des Revisionsrekurses zu befassen, da gemäß § 528 Abs. 1 ZPO Rekurse gegen Entscheidungen des Gerichts zweiter Instanz, durch die der angefochtene erstrichterliche Beschluß bestätigt wurde, unzulässig sind. Das Rekursgericht hat nun zwar die erstgerichtliche Entscheidung bestätigt, jedoch ausgesprochen, daß an Stelle der vom Erstgericht beschlossenen Zurückweisung wegen rechtskräftig entschiedenen Streitsache, die Zurückweisung wegen Streitanhängigkeit zu treten habe. Voraussetzung für die Annahme eines bestätigenden Beschlusses ist es, daß die vom Gesetz gebotene Erledigungsart in beiden Instanzen übereinstimmt, und zwar in dem Sinn, daß entweder in beiden meritorisch oder formal entschieden wurde. Daß das Erstgericht und das Rekursgericht die Zurückweisung des Antrags der klagenden Partei aus anderen Gründen für gerechtfertigt hielten, macht die Entscheidung des Rekursgerichtes grundsätzlich noch nicht zu einer abändernden; die ständige Rechtsprechung hält vielmehr auch in solchen Fällen den Revisionsrekurs für unzulässig (4 Ob 78/75; 6 Ob 18/75; 1 Ob 57/72; EvBl. 1970/211; EvBl. 1969/266; EvBl. 1968/280; JBl. 1964, 42; EvBl. 1963/268). Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Grund für die Zurückweisung - wie hier - in den Spruch der Entscheidung aufgenommen wurde. Übereinstimmende Entscheidungen im Sinne des § 528 Abs. 1 ZPO werden aber dann nicht angenommen, wenn die Rechtskraftwirkung der Entscheidung verschieden ist. Die Anfechtbarkeit eines die Sachentscheidung ablehnenden Beschlusses hängt nicht von dem rein negativen Inhalt des Spruchs, sondern von dem durch die Begründung bestimmten Umfang der Rechtskraftwirkung ab(1 Ob 57/72; JBl. 1971, 94; 1 Ob 394/58 und SZ 12/311). Die Rechtskraftwirkung der vom Erstgericht als gegeben erachteten Rechtskraft und der vom Rekursgericht angenommenen Streitanhängigkeit ist aber eine verschiedene.
Der Rechtsmittelwerber führt aus, es sei richtig, daß die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache nicht begrundet sei, doch liege auch Streitanhängigkeit nicht vor, weil diese voraussetze, daß das Urteil im Inland uneingeschränkt vollstreckt werden kann. Dies sei aber nach dem derzeitigen Stand der Dinge nicht möglich, weil nur Exekution zur Sicherstellung bewirkt werden könne. Im übrigen hätte es der Verpflichtete in der Hand, sich einer Exekution zur Befriedigung dadurch zu entziehen, daß er die Zustellung des Vollstreckungsbefehles nicht nachweist und vor österreichischen Gerichten die Einrede der Streitanhängigkeit erhebt.
Diesen Ausführungen kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Zunächst ist darauf zu verweisen, daß ein vor einem ausländischen Gericht über einen Anspruch anhängiges Verfahren der Rechtsverfolgung im Inland dann entgegensteht, wenn das ausländische Urteil im Inland vollstreckt werden kann (Fasching III, 85; Holzhammer, Zivilprozeßrecht, 155). Im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland ist auf den Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag vom 6. Juni 1959, BGBl. 1960/105, Bedacht zu nehmen. Gemäß Art. 1 dieses Vertrages werden die in Zivilsachen ergangenen Entscheidungen der Gerichte im anderen Staat anerkannt, auch wenn sie noch nicht rechtskräftig sind. Aus Art. 1 Abs. 2 des Vertrages ergibt sich, daß auch Zahlungsbefehle deutscher Gerichte anzuerkennen sind. Eine ausländische Entscheidung anerkennen heißt aber, sie hinsichtlich ihrer prozeßrechtlichen Wirkungen einer inländischen Entscheidung gleichstellen (Matscher, Der neue österreichisch-deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag, JBl. 1960, 270; Hoyer. Zur Streitanhängigkeit im österreichischen internationalen Prozeßrecht, ZfRV 1969, 244). Im besonderen bedeutet die Anerkennung noch nicht rechtskräftiger Entscheidungen, daß auch solche Entscheidungen eines Gerichtes des anderen Staates dieselbe Wirkung haben wie inländische nicht rechtskräftige Entscheidungen (Hoyer - Loewe, Staatsverträge über Rechtshilfe und Vollstreckung 118 Anm. 3). Art. 17 des Vertrages normiert, daß dann, wenn eine Sache vor dem Gericht eines Staates streitanhängig (rechtshängig) ist und die Entscheidung in der Sache in dem anderen Staat anzuerkennen sein wird, das Gericht dieses Staates in einem Verfahren, das bei ihm wegen desselben Gegenstandes und zwischen denselben Parteien später anhängig wird, die Entscheidung abzulehnen hat. Es ergibt sich also auch aus dem im anderen Staat anhängigen Verfahren unter der Voraussetzung der zu erwartenden Anerkennung der Entscheidung die Einrede der Streitanhängigkeit (Hoyer - Loewe, 127 Anm. 29).
Anerkennungshindernisse (vgl. Art. 2 des Vertrages) wurden im vorliegenden Fall weder behauptet noch sind vorgekommen. Art. 17 des Vertrages beschränkt freilich seinem Wortlaut nach die Beachtung der Streitanhängigkeit auf den Fall, daß ein Rechtsstreit später wegen desselben Gegenstandes zwischen denselben Parteien anhängig wird. Vor dem Amtsgericht München hat nun die Credit- und Inkassoanstalt V, die sich dort als Gläubiger bezeichnete, die gegenständliche Forderung geltend gemacht. Dem Sachvorbringen des Beklagten, wonach die Forderung von der klagenden Partei zediert und dieser wieder rückzediert worden sei, ist die klagende Partei nicht entgegengetreten, so daß davon ausgegangen werden kann, daß sie die Forderung als Einzelrechtsnachfolger der Credit- und Inkassoanstalt V geltend macht. Sowohl nach deutschem als auch nach österreichischem Prozeßrecht erstreckt sich die Wirkung der Streitanhängigkeit aber auch auf den Einzelrechtsnachfolger (Fasching III, 90; Judikat 63 neu; Baumbach - Lauterbach - Albers - Hartmann, ZPO[33], 570). Die Einrichtung der Streitanhängigkeit soll nun verhindern, daß in einem Prozeß zwei verschiedene, allenfalls sogar widersprechende Entscheidungen ergehen. Auch der Gedanke der Prozeßökonomie fordert die Beachtung der Streitanhängigkeit (vgl. Fasching III, 83; Hoyer, 242.249; SZ 42/76). Dies rechtfertigt wegen der in Art. 1 des Vertrages allgemein angeordneten Bedachtnahme auf noch nicht rechtskräftige Entscheidungen im anderen Vertragsstaat, Streitanhängigkeit - über den Wortlaut des Art. 17 hinaus auch im vorliegenden Fall anzunehmen. Dem Einwand, der Beklagte könne dadurch, daß er die Zustellung des Vollstreckungsbefehls nicht bewirke, sich einer Befriedigungsexekution im Inland entziehen, ist entgegenzuhalten, daß die Zustellung des Vollstreckungsbefehls gemäß § 699 dZPO durch den Kläger zu veranlassen ist, der damit die Voraussetzungen für die endgültige Vollstreckbarkeit und damit für eine Exekution zur Befriedigung im Inland schaffen kann.
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