OGH 7Ob38/76

OGH7Ob38/7624.6.1976

SZ 49/84

Normen

Allgemeine Bedingungen
für die Kasko-Insassen-Unfall-Versicherung Art6 Abs2 Z2
Allgemeine Bedingungen
für die Kasko-Insassen-Unfall-Versicherung Art6 Abs2 Z2

 

Spruch:

Keine Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers seinem Kaskoversicherer gegenüber. Dem Versicherer steht es jedoch frei, die ihm vom Versicherungsnehmer erstattete Schadensmeldung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wozu dieser im Rahmen seiner Aufklärungspflicht beizutragen hat

OGH 24. Juni 1976, 7 Ob 38/76 (OLG Wien 2 R 33/76; HG Wien 28 Cg 338/751)

Text

Der Kläger erlitt am 10. November 1974 gegen 3.30 Uhr früh mit dem von ihm gelenkten Pkw der Type Ford Capri XL in Mannersdorf am Leithagebirge einen Unfall, bei dem dieses Fahrzeug beschädigt wurde. Die beklagte Partei war der Haftpflicht- und Kaskoversicherer dieses Kraftfahrzeuges.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß die beklagte Partei für diesen Unfall hinsichtlich der Kaskoversicherung Versicherungsschutz zu gewähren habe. Die voraussichtlichen Reparaturkosten würden 25 785 S betragen. Obwohl der Kläger sofort nach dem Unfall der beklagten Partei den Schaden gemeldet habe, sei von dieser eine Entschädigungsleistung unter Setzung einer Nachfrist (§ 12 Abs. 3 VersVG) mit der Begründung abgelehnt worden, der Kläger sei seiner Verständigungspflicht nach dem § 4 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen und habe hiedurch eine Obliegenheitsverletzung begangen. Er habe jedoch unmittelbar nach dem Unfall an dem Haus, an das er gestoßen sei, keine Schäden feststellen können und habe aus diesem Grund eine Anzeige bei der nächsten Gendarmeriedienststelle unterlassen.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und machte Leistungsfreiheit nach dem Art. 6 Abs. 2 Z. 2 AKIB und nach dem § 61 VersVG geltend. Die Unfallszeit sowie der Umstand, daß der PKW des Klägers ohne Fremdeinwirkung ins Schleudern geraten und gegen eine Hausmauer gestoßen sei, begrundeten den dringenden Verdacht, daß er zur Lenkung eines Fahrzeuges nicht mehr geeignet gewesen sei. Obwohl an der Hausmauer bzw. an dem dort befindlichen Geschäftsportal deutlich sichtbar Schäden entstanden seien, habe der Kläger die Verständigung der Gendarmerie unterlassen. Aus diesem Grund sei er von der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha wegen Verwaltungsübertretung nach dem § 4 Abs. 5 StVO rechtskräftig bestraft worden. Die vorsätzliche Unterlassung der Anzeige habe dazu geführt, daß die fragwürdige Fahrtüchtigkeit des Klägers sowie der Unfallshergang, insbesondere die Unfallsspuren, nicht sofort hätten festgestellt werden können. Überdies habe der Kläger den Unfall dadurch grob fahrlässig herbeigeführt, daß er bei Nacht und Nebel mit einer Geschwindigkeit von mindestens 90 km/h im Ortsgebiet gefahren sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Seiner Entscheidung lassen sich folgende wesentliche Feststellungen entnehmen: Der Kläger fuhr allein mit seinem PKW mit Abblendlicht durch die Jägerzeile in Mannersdorf am Leithagebirge, um nach Au am Leithagebirge zu gelangen. Bei Annäherung an den Schubertplatz, wo dichter Nebel herrschte, hielt er eine Geschwindigkeit von etwa 40 km/h ein. Da er nach rechts in die Fabriksgasse einbiegen wollte, bremste er sein Fahrzeug leicht ab, kam aber dabei ins Schleudern. Er fuhr schräg über die rechts von ihm befindliche Gehsteigkante, streifte, ohne dies optisch oder akustisch zu bemerken, einen dort stehenden Telegraphenmast und, in seiner Fahrtrichtung gesehen, anschließend die Mauer des Hauses S-Platz 14, die dadurch geringfügig beschädigt wurde. Der PKW kam unmittelbar nach dem Mast in einem Abstand von einem halben bis dreiviertel Meter zum Stillstand. Da die Lenkung nicht mehr normal ansprach, verließ der Kläger den Wagen und besichtigte ihn vorne. Auf Grund der schlechten Sichtverhältnisse nahm er dabei lediglich wahr, daß die beiden Vorderreifen platt waren, so daß er nicht mehr weiterfahren konnte. Er brachte den Wagen in die F-Gasse, damit dieser niemanden behindere. Die an der Unfallstelle herrschenden Beleuchtungsverhältnisse reichen nicht aus, um Schäden ohne deren Kenntnis feststellen zu können. Eine solche Möglichkeit bestand für den Kläger umso weniger, als dichter Bodennebel herrschte. Die Mauer war im Anstoßbereich stark verwittert, so daß allenfalls tatsächlich im Verputz ausgebrochene Stellen mit dem Unfall des Klägers nicht in Zusammenhang gebracht werden konnten und Schürfspuren nicht ins Auge fallen mußten. Als der PKW des Klägers schräg über die Gehsteigkante fuhr, trat eine erhebliche Schaukel- und Polterwirkung ein, so daß die Geräuschentwicklung beim Streifen des Mastes und der Mauer für den Kläger nicht mit Sicherheit unterschieden werden konnte. Im Hinblick auf den Winkel, in dem der PKW in die Kontaktposition gelangte, ist nicht anzunehmen, daß der Kläger jemals den Eindruck hatte, direkt auf die Mauer zuzufahren.

Der Kläger begab sich am selben Tag gegen 9 Uhr wieder an die Unfallstelle und stellte hiebei die auf der rechten Seite seines Fahrzeuges befindlichen Schäden sowie Mauerspuren am rechten vorderen Kotflügel und an der rechten Wagenseite fest. Das Gendarmeriepostenkommando Mannersdorf am Leithagebirge wurde von einem Straßenpassanten über den Unfall informiert. Zu diesem Zeitpunkt war das Fahrzeug bereits von der Unfallstelle weggebracht worden. Die Gendarmerie forschte in der Folge den Kläger aus, der sich aber erst zirka drei Wochen später in die Gendarmeriedienststelle begab. Am 18. Dezember 1974 erließ die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha gegen den Kläger eine Strafverfügung wegen Übertretung nach dem § 4 Abs. 5 StVO, die der Kläger in Rechtskraft erwachsen ließ.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht eine Obliegenheitsverletzung, weil der Kläger einen Schaden an der Mauer nicht erkannt habe. Selbst wenn der Kläger den Schaden festgestellt hätte, hätte er davon ausgehen können, daß mit Rücksicht auf den Erhaltungszustand der Mauer mit Schadenersatzansprüchen nicht zu rechnen sei, so daß eine Verpflichtung zur Anzeige nicht bestanden habe. Der Unfall sei vom Kläger nicht grob fahrlässig herbeigeführt worden.

Das Berufungsurteil bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50 000 S übersteigt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte dessen rechtliche Beurteilung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In der Rechtsrüge vertritt die Revisionswerberin die Auffassung, eine Obliegenheitsverletzung sei schon deshalb anzunehmen, weil über den Kläger eine Verwaltungsstrafe wegen Verletzung des § 4 Abs. 5 StVO verhängt worden sei. Spätestens am nächsten Morgen hätte er die Beschädigung der Mauer und des Telegraphenmastes feststellen können und wäre zur sofortigen Anzeige verpflichtet gewesen. Die Unterlassung sei vorsätzlich erfolgt. Aber auch wenn sie nur auf grober Fahrlässigkeit beruhen sollte, läge eine die Leistungsfreiheit bewirkende Obliegenheitsverletzung vor, weil dadurch konkret etwas zur Aufklärung Dienliches versäumt worden sei. Eine am Morgen des nächsten Tages erstattete Anzeige hätte die Feststellung einer allfälligen Alkoholisierung des Klägers zur Unfallszeit ermöglicht. Das Unterlassen der Anzeige habe eine Widerlegung der Vermutung der Fahruntüchtigkeit verhindert.

Diesen Auffassungen kann jedoch nicht zugestimmt werden. Gemäß dem als lex contractus einen Bestandteil des Versicherungsvertrages bildenden Art. 6 Abs. 2 Z. 2 AKIB trifft den Versicherungsnehmer die Obliegenheit, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen. Eine Verletzung dieser Obliegenheit bewirkt nach Maßgabe der Bestimmung des § 6 Abs. 3 VersVG die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung. Wie der OGH bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, ist eine Übertretung der im § 4 Abs. 5 StVO normierten Verständigungspflicht nicht ohne weiteres einer Verletzung der dem Versicherungsnehmer nach den Versicherungsbedingungen obliegenden Aufklärungspflicht gleichzuhalten, weil die Unterlassung einer Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle nicht notwendig zur Folge haben muß, daß dadurch im konkreten Fall etwas versäumt wurde, das zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich gewesen wäre (VersR 1973, 1179; VersR 1967, 791, mit zustimmender Anmerkung von Wahle; 7 Ob 105/75; 7 Ob 236/74; ZVR 1974, 71 u. a.). Die Rechtsordnung enthält keine Norm, die eine Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers seinem Kaskoversicherer gegenüber festlegen würde. Dem Versicherer steht es frei, die an ihn vom Versicherungsnehmer erstattete Schadensmeldung auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Dazu hat der Versicherungsnehmer im Rahmen seiner Aufklärungspflicht beizutragen (ZVR 1975, 202).

Im vorliegenden Fall erblickt die beklagte Partei die dem Kläger vorgeworfene Obliegenheitsverletzung in der Unterlassung einer Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle.

Entgegen dieser Auffassung kann dem Kläger aber schon eine Verletzung dieser Verständigungspflicht nicht zur Last gelegt werden. Die beklagte Partei räumt selbst ein, daß nach den für den OGH bindenden Feststellungen der Untergerichte eine solche Pflicht unmittelbar nach dem Unfall nicht bestanden hat, weil der Kläger den Streifkontakt nicht wahrnahm und infolge der schlechten Sichtverhältnisse (Dunkelheit, Bodennebel) sowie der Geringfügigkeit der an der stark verwitterten Mauer entstandenen Beschädigung diese nicht zu erkennen waren. Zu untersuchen bleibt daher nur die Frage, ob der Kläger, als er um 9 Uhr zur Unfallstelle zurückkehrte und an die an seiner rechten Wagenseite mit Mauerspuren versehenen Schäden feststellte, zur Verständigung der Gendarmerie verpflichtet war. Eine solche Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO setzt den Eintritt eines Sachschadens voraus. Das Erstgericht hat jedoch zutreffend dargelegt, daß im Hinblick auf den stark verwitterten Zustand der Mauer die festgestellten geringfügigen Schäden, falls sie dem Kläger als solche überhaupt auffallen hätten können, die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches nicht hätten erwarten lassen und daß, wie hinzuzufügen ist, ein Sachschaden im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO nach den Feststellungen für den Kläger zumindest nicht erkennbar war.

Da somit eine Obliegenheitsverletzung nicht vorliegt und der Unfall nach den Feststellungen, wie schon das Erstgericht zutreffend dargelegt hat, nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht - auf diesen Grund der Leistungsfreiheit kommt die beklagte Partei in der Revision nicht mehr zurück, so daß nähere Erörterungen dazu unterbleiben können -, erweist sich die angefochtene Entscheidung als richtig. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte