OGH 3Ob252/75

OGH3Ob252/7522.6.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Winkelmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Kinzel, Dr. Reithofer, Dr. Stix und Dr. Schubert als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*, Baumeister, *, vertreten durch Dr. Ernst Biel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach dem am *1967 verstorbenen F*, zuletzt wohnhaft *, vertreten durch die erblasserische Witwe M*, ebendort, diese vertreten durch Dr. Gerhard Munk, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenienten auf Seite der beklagten Partei 1.) H*, Hausfrau, *, 2.) F*, Hausfrau, *, 3.) E*, Drogistin, *, 4.) Ma*, Angestellte, *, sämtliche vertreten durch Dr. Johannes Schriefl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 2,117.888,67 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. Juni 1975, GZ 6 R 96/75-58, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 6. Dezember 1974, GZ 39 c Cg 37/73-52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0030OB00252.76.0622.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Gerichte erster und zweiter Instanz werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Kläger ist der eheliche Sohn des am *1967 verstorbenen F*. Der erblasserischen Witwe M* wurde die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen. Der Kläger begehrt mit der Behauptung, daß ihm ein Pflichtteilsanspruch im Ausmaß von 3/8 des Nachlasses im Wert von S 5,647.703,14 zustehe, die Verurteilung der beklagten Verlassenschaft zur Zahlung von 2,117.888,67 S.

In dem zwischen den ehelichen Kinder des Klägers, die als Nebenintervenienten auf der Seite der beklagten Partei dem gegenwärtigen Rechtsstreit beitraten, und der erbl. Witwe anhängigen Erbrechtsstreit wurde Ruhen des Verfahrens vereinbart.

Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 25. April 1969, 14 Cg 176/68-15, wurde die vom Erblasser am 8. Dezember 1966 letztwillig (mündlich) verfügte Enterbung des Klägers als nicht zu Recht bestehend erkannt.

Die Beklagte bestritt den vom Kläger angenommenen Wert des Nachlasses, wendete Verjährung ein und behauptete, daß der Erblasser den Kläger in seinem Testament vom 16. März 1954 enterbt habe, weil dieser beharrlich eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart geführt habe. Das Testament vom 7. September 1966, in dem der Kläger stillschweigend übergangen wurde, enthalte keinen Widerruf. Die Beklagte und die Nebenintervenienten wendeten überdies ein, daß der Kläger in dem mit seiner früheren Ehefrau B* zu 18 Cg 130/53 des Landesgerichtes für ZRS Wien geführten Scheidungsverfahren am 27. November 1954 einen Vergleich geschlossen habe, in dem er auf alle Erbansprüche nach seinem Vater zugunsten seiner Kinder verzichtete. Dieser Vergleich sei mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing 1 P 83/54 pflegschaftsbehördlich genehmigt worden.

Das Erstgericht wies die Klage im dritten Rechtsgang ab. Es stellte folgendes fest: Am *1954 wurde die Ehe des Klägers mit B*, der Mutter der Nebenintervenienten, geschieden. Der damals anwaltlich nicht vertretene Kläger erklärte in dem im Scheidungsverfahren geschlossenen Vergleich, schon jetzt auf alle Erbansprüche nach seinem Vater zugunsten seiner Kinder zu verzichten und sich lediglich die Verwaltung bis zur Großjährigkeit der Kinder vorzubehalten. Dieser Vergleich wurde pflegschaftsbehördlich genehmigt. Der Kläger, über dessen Vermögen während des Scheidungsverfahrens der Konkurs eröffnet worden war, gab diesen Verzicht ab, „damit die öffentliche Hand nicht auf das zu erwartende Erbe greifen könne“. Er teilte aber sein Motiv niemandem mit. Der Kläger äußerte sich nicht, daß der Erbverzicht auch mit der Alimentationspflicht im Zusammenhang stehe. Der Erblasser erfuhr erst später von diesem Erbverzicht. Auf einem Schuldschein des Klägers aus dem Jahre 1955 vermerkte er: „F* erklärt, auf sein Erbe zugunsten seiner Kinder zu verzichten“. In der eigenhändig geschriebenen letztwilligen Verfügung vom *1954 setzte der Erblasser seine Gattin M* und die Nebenintervenienten als Erben ein und erklärte ausdrücklich, den Kläger zu enterben, wenn es ihm auch schwer falle. Der Erblasser führte als Grund Einzelheiten des Lebenswandels seines Sohnes an und wies darauf hin, daß dieser nicht fähig sei, mit Geld umzugehen, ein Vermögen zu verwalten und seine Kinder zu erhalten. Der Kläger habe einkassierte Gelder mit Frauen in Nachtlokalen verlumpt. Infolge der Lügen des Klägers habe er, der Erblasser, noch dazu beigesteuert. Die Mutter der Nebenintervenienten mußte immer den Unterhalt bemessen lassen und Exekution führen, weil der Kläger oft die Arbeitsstelle gewechselt hatte. Der Kläger wurde wegen Verletzung der Unterhaltspflicht strafgerichtlich verurteilt, zuletzt im Jahre 1956. Der Erblasser hatte die wegen der Schulden des Klägers in der Wohnung der Nebenintervenienten gepfändeten Hobel zurückgekaufte. Der ausschweifende Lebenswandel des Klägers von 1951 bis 1954 führte auch zur Scheidung der Ehe. Schließlich wurde dem Kläger mit dem Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 2. Dezember 1957 (1 P 83/54-48 des Bezirksgerichtes Hietzing) die väterliche Gewalt aberkannt. Der Erblasser äußerte gegenüber E* noch in den letzten Jahren vor seinem Tod, daß er seinen Sohn enterbt habe. Seiner Enkelin H* erzählte der Erblasser wiederholt, der Kläger sei um Geld bei ihm gewesen, es sei schon wieder nichts davon da und er sei froh über das Schriftstück bei Gericht, womit der Erblasser den Scheidungsvergleich meinte. Der Erblasser äußerte immer wieder, von seinem Sohn enttäuscht zu sein und ihn schon jahrelang nicht gesehen zu haben. Wenn der Kläger komme, wolle er immer nur Geld, sonst kümmere er sich nicht um ihn. Sein Sohn sei enterbt, er werde nichts mehr bekommen. Am 7. September 1966 errichtete er die der Nachlaßabhandlung zu Grunde gelegte (eigenhändig geschriebene) letztwillige Verfügung und bezeichnete sie ausdrücklich als Testament. Als Erben setzte der Erblasser für seine Haushälfte in * seine Frau M*, für die Häuser *, *, *, *, * und * zu je einem Viertel seine Ehegattin M* und seine Enkelkinder F*, E* und Ma* ein. Ferner verfügte er, daß die Erträgnisse aus dem gesamten Realbesitz seiner Frau zufallen sollen. Die Namen des Klägers und des Enkelkindes H* kommen in dieser letztwilligen Verfügung nicht vor. Der Kläger gab ursprünglich eine Erbserklärung ab, erklärte aber später, sich auf seinen Pflichtteilsanspruch zu beschränken. Die von der erbl. Witwe M* und den Nebenintervenienten F*, E* und M* abgegebenen Erbserklärungen wurden zu Gericht angenommen. M* legte dem Verlassenschaftsgericht einen undatierten und nicht unterfertigten Entwurf einer letztwilligen Verfügung vor. Darin nannte der Erblasser die Namen seiner Gattin und der Enkel wie in der späteren letztwilligen Verfügung und fügte hinzu, daß er seien Sohn wegen seines Vorlebens von jedem Erbe ausschließe. Er führte auch einige Vorfälle an und begründete in einem weiteren Absatz, warum auch H* unwürdig wie ihr Vater sei. Der Kläger unterließ es, die Aufhebung des Beschlusses, mit dem ihm die väterliche Gewalt entzogen wurde, zu beantragen. Er wollte noch zur Zeit des Todes des Erblassers seine Vaterpflichten nicht erfüllen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß die als Testament zu beurteilende letztwillige Verfügung vom *1966 die frühere letztwillige Anordnung, in der der Kläger ausdrücklich enterbt wurde, außer Kraft gesetzt habe. Der rechtsunkundige Erblasser habe trotz der Unwirksamkeit des Erbverzichtes annehmen können, daß der Kläger das väterliche Erbe nicht mehr beanspruchen werde und daß es bei der früher verfügten Enterbung bleibe. Der Erblasser habe auch noch vor seinem Tode geäußert, daß der Kläger enterbt sei. Der Kläger habe seine Kinder im Stich gelassen, „um Schulden zu machen“. Es sei ihm auch die väterliche Gewalt aberkannt worden. Da der Kläger die Aufhebung der Entziehung der väterlichen Gewalt nicht beantragt habe, sei davon auszugehen, daß er seine Vaterpflichten nicht erfüllen wollte. Dies sei als eine gegen die Öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart anzusehen, die der Kläger beharrlich geführt habe. Der Kläger sei daher rechtswirksam enterbt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und ging daher bei seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, daß der Erblasser den Kläger in Enterbungsabsicht übergangen habe. Ob ein für den Entzug des Pflichtteiles maßgebender Tatbestand vorliege, sei nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Es genüge, daß die Handlungsweise des Enterbten geeignet sei, öffentliches Ärgernis zu erregen. Es müsse lediglich eine nach den allgemeinen Anschauungen gegen die guten Sitten verstoßende Lebensweise vorliegen. Darunter falle die gänzliche Vernachlässigung der noch mj. ehelichen Kinder. Schon aus der zweimaligen Verurteilung des Klägers wegen Übertretung nach § 1 USchG. gehe hervor, daß der Kläger beharrlich einen unsittlichen Lebenswandel geführt habe. Zutreffend habe das Erstgericht die Fortdauer des unsittlichen Lebenswandels bis zur Testamentserrichtung und darüber hinaus bis zum Tode des Erblassers angenommen. Schon die Fortsetzung der anstößigen Lebensweise durch längere Zeit oder die Vielzahl der Verstöße lasse auf bewußtes und gewolltes Festhalten an der anstößigen Lebensart schließen. Ob zwischen dem beharrlichen unsittlichen Lebenswandel und dem Übergehen des Klägers in Enterbungsabsicht ein ursächlicher Zusammenhang bestehe, sei eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Der rechtliche Schluß, daß der unsittliche Lebenswandel die juristische Ursache der Enterbung gewesen sei, sei zwar im Ersturteil nicht ausdrücklich angeführt, gehe aber aus dessen Entscheidungsgründen hervor.

Der Kläger erhebt Revision nach § 503 Z. 23 und 4 ZPO. und beantragt, in Abänderung des angefochtenen Urteils auszusprechen, daß der Klagsanspruch dem Grunde nach zu Recht bestehe. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben. Die Nebenintervenienten haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Vor Eingehen auf die Revisionsausführungen ist zu prüfen, ob die erbl. Witwe M* trotz Vorliegen widersprechender Erbserklärungen im Verlassenschaftsverfahren zur Vertretung des Nachlasses im gegenwärtigen Prozeß berechtigt ist. Vor der Einantwortung kann einer von mehreren erbserklärten Erben den Nachlaß vertreten, wenn er von den anderen Erben als ihr Organ aufgestellt und ihm von diesen die Vertretung eingeräumt wurde oder wenn ihm das Verlassenschaftsgericht gemäß § 810 ABGB. Und § 145 AußStrG. die Verwaltung und Besorgung des Nachlasses überlassen hat (JB1 1937 S. 456, 5 Ob 256/62; vgl. auch Fasching, II 143). Im vorliegenden Fall wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16. Juni 1967, 7 A 214/67-16, der erbl. Witwe M* die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen. Der Antrag des Klägers, der ebenfalls eine Erbserklärung abgegeben hatte, der erbl. Witwe die Verwaltung des Nachlasses zu entziehen, wurde vom Verlassenschaftsgericht mit Beschluß vom 30. Jänner 1969, ON 80, (vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß ON 98 wiederhergestellt) , abgewiesen. Die erbl. Witwe ist daher zur Vertretung des Nachlasses auch namens der übrigen Erben befugt (vgl. 3 Ob 299/53).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Das Revisionsvorbringen, daß die Beklagte eine stillschweigende Enterbung des Klägers und das Vorliegen von Enterbungsgründen nicht behauptet habe, ist aktenwidrig. Die Beklagte brachte schon in der Klagebeantwortung vor, daß der Erblasser den Kläger im Testament vom *1966 mit Stillschweigen übergangen habe, weil dieser eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart beharrlich geführt habe (§ 768 Z. 4 ABGB). Sie führte auch aus, in welchem Verhalten des Klägers der behauptete Enterbungsgrund erblickt werde (AS. 13 f).

Die Revision rügt ferner als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, daß das Erstgericht, ohne einen Beweisbeschluß zu fassen, Beweise über Enterbungsgründe und deren Ursächlichkeit für eine stillschweigende Enterbung auf genommen, die Parteienvernehmung des Klägers unterlassen und sich mit den Angaben der Zeugin B* zu wenig auseinandergesetzt habe. In letzterem Fehler sei auch das Berufungsgericht verfallen. Der Kläger hat die vermeintlichen Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens bereits in der Berufung ohne Erfolg gerügt. Nach ständiger Rechtsprechung kann nur in der nächsthöheren Instanz geprüft werden, ob ein Verfahrensmangel vorliegt. Das Revisionsgericht kann daher nur Mängel des Berufungsverfahrens, nicht aber angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz wahrnehmen, die das Berufungsgericht nicht für gegeben erachtet hat (SZ 22/106, SZ 27/4, RZ 1967, 105 u.v.a.). Inwiefern sich das Berufungsgericht mit der Aussage der Zeugin B* zu wenig auseinandergesetzt haben soll, ist der Revision nicht zu entnehmen. Die Mängelrüge, die auf die Berufung verweist, ist daher in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt. Ob die von den Zeugen E*, H* und Berta Schimkowitsch bekundeten tatsächlichen Umstände vorliegen, ist eine Frage der in dritter Instanz unüberprüfbaren Beweiswürdigung der Untergerichte; die Eignung dieser Umstände als Enterbungsgrund fällt in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung.

Zu der Frage , ob der unsittliche Lebenswandel des Klägers die juristische Ursache der Enterbung gewesen sei, führte das Berufungsgericht in der allein maßgeblichen Urschrift der angefochtenen Entscheidung aus, das Erstgericht habe es zwar unterlassen, diesen rechtlichen Schluß ausdrücklich anzuführen, doch gehe dies aus den Entscheidungsgründen der ersten Instanz hervor und reichten auch die Feststellungen zu dieser rechtlichen Beurteilung hin (S. 16 der Urschrift). Es liegen daher auch die von der Revision aus der abweichenden Fassung der Urteilsausfertigung des Berufungsgerichtes („.... zu keiner rechtlichen ….“) abgeleiteten Mängel nicht vor.

Die Feststellung der Untergerichte, daß der Kläger zweimal der Übertretung nach § 1 des USchG. schuldig gesprochen wurde, kann zwar, wie der Revision zuzugeben ist, nicht auf die Aussage der Zeugin B* gestützt werden, findet aber ihre Grundlage im Inhalt des Aktes 1 P 83/54 des Bezirksgerichtes Hietzing und im Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 2. Dezember 1957, ON 48, ist daher entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht aktenwidrig. Ebensowenig begründet es eine Aktenwidrigkeit, daß das Berufungsgericht aus der Anführung des § 178 ABGB. im Beschluß 1 P 83/54-48 des Bezirksgerichtes Hietzing den Schluß gezogen hat, dem Kläger sei die väterliche Gewalt nicht für immer entzogen worden. Die Auslegung einer, wie hier, richtig wiedergegebenen Entscheidung kann nicht mit dem Revisionsgrund nach § 503 Z. 2 ZPO. bekämpft werden. Im übrigen kommt es aus den folgenden Erwägungen nicht darauf an, ob das Pflegschaftsgericht die Entziehung der väterlichen Gewalt des Klägers für immer oder nur bis auf weiteres verfügte.

In der Annahme der Vorinstanzen, daß der Kläger bis zum Tode des Erblassers zur Erfüllung der ihm gegenüber seinen minderjährigen Kindern obliegenden Pflichten nicht gewillt gewesen sei, weil er keinen Antrag auf Aufhebung der Entziehung der väterlichen Gewalt gestellt habe, liegt eine auf einer Schlußfolgerung beruhende Tatsachenfeststellung, die erfolgreich mit dem Revisionsgrund nach § 903 Z. 4 ZPO. angefochten werden kann , wenn die Schlußfolgerung mit den Gesetzen der Logik und der Erfahrung unvereinbar ist. Die Revision bekämpft nun mit Recht die erwähnte Schlußfolgerung als denkgesetzwidrig, weil keineswegs feststeht, daß der Kläger von einer nur zeitweiligen Entziehung der väterlichen Gewalt ausgegangen ist oder ausgehen mußte. Die väterliche Gewalt kann im Falle der böswilligen Nichterfüllung der Unterhaltspflicht für immer entzogen werden (§ 177 ABGB.). Das Pflegschaftsgericht hat seine rechtsgestaltende Verfügung wohl auf § 178 ABGB. gestützt, der nur eine zeitweilige Entziehung der väterlichen Gewalt deckt, aber weder im Spruch noch in den Gründen seiner Entscheidung eine zeitliche Beschränkung dieser Maßnahme angeführt. In Anbetracht der aufgezeigten Unklarheit ist es nicht ausgeschlossen, daß der Kläger der Meinung war, die väterliche Gewalt sei ihm für immer entzogen und eine Aufhebung dieser rechtsgestaltenden Verfügung daher ausgeschlossen. Dem Mangel diesbezüglicher Behauptungen der Streitteile und der Feststellung des Sachverhaltes in diesem Belange kommt jedoch nur insoweit Bedeutung zu, als im Sinne der weiteren Ausführungen das Gesamtverhalten des Klägers zu beurteilen ist.

Das Berufungsgericht hat in den Aufhebungsbeschlüssen vom 24. Jänner 1973, ON. 32, und vom 13. März 1974, ON. 44 zutreffend dargelegt, daß die letztwillige Verfügung vom *1966 ein Testament im Sinne des § 553 ABGB. ist, weil die dort genannten Liegenschaften und sonstigen Vermögensteile weitgehend den ganzen Nachlaß des Erblassers darstellen und die als Erben bezeichneten Bedachten auch tatsächlich zu Erben eingesetzt worden sind. Dem Berufungsgericht ist auch beizupflichten, daß durch diese letztwillige Anordnung das frühere Testament vom 16. März 1954 nicht nur in Ansehung der Erbseinsetzung, sondern auch rücksichtlich der übrigen Anordnungen auf gehoben wurde. Es war daher zu prüfen, ob entsprechend den Behauptungen der Beklagten eine stillschweigende Enterbung vorliegt.

Bei der Annahme der Vorinstanzen, daß der Erblasser dem Kläger in der letztwilligen Verfügung vom *1966 in Enterbungsabsicht übergangen habe, handelte es sich um eine Tatsachenfeststellung, die das Erstgericht mit Zustimmung des Berufungsgerichtes auf Urkunden und Zeugenaussagen sowie auf Schlußfolgerungen tatsächlicher Natur gegründet hat. Diese Tatsachenfeststellung kann, soweit sie sich auf die Glaubwürdigkeit von Urkunden und Zeugenaussagen stützt, in dritter Instanz überhaupt nicht, soweit sie aber auf Schlußfolgerungen beruht, auch nicht mit der Rechtsrüge erfolgreich bekämpft werden, da sie mit den Gesetzen der Logik und der Erfahrung nicht unvereinbar ist. Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist daher, soweit die Revision vom mangelnden Nachweis der Enterbungsabsicht ausgeht, nicht gesetzmäßig ausgeführt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Lebenswandel des Klägers und seiner stillschweigenden Enterbung wäre aber aus den vom Berufungsgericht zutreffend dargelegten Gründen zu bejahen, wenn der Kläger tatsächlich einen seine Enterbung rechtfertigenden Lebenswandel führte.

Der Enterbungsgrund des § 768 Z. 4 ABGB. ist dann gegeben, wenn das Kind eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart beharrlich führt. Bei der Beurteilung der Frage, was darunter zu verstehen ist, muß darauf Rücksicht genommen werden, was im allgemeinen Sprachgebrauch sowie im Sprachgebrauch der österreichischen Gesetze unter Verstößen gegen die öffentliche Sittlichkeit verstanden wird. Der allgemeine Sprachgebrauch versteht darunter wohl in erster Linie Verstöße in sexueller Beziehung. So auch der Gesetzgeber im XIII. Hauptstück des seinerzeitigen Strafgesetzes (§§ 500 ff StG., ebenso 10. Abschnitt des StGB., §§ 201 ff). Der Enterbungsgrund des § 768 Z. 4 ABGB. liegt aber auch vor, wenn der Erbe einen nach den herrschenden sittlichen Begriffen die öffentliche Sittlichkeit gröblich verletzenden, nicht notwendig strafrechtlich verpönten Lebenswandel führt (vgl. Anders, Grundriß des Erbrechtes² S. 131). Erforderlich ist, daß die unsittliche Lebensweise öffentliches Ärgernis erregte und daß sie beharrlich fortgesetzt wird. Die Auslegung verlangt ferner, daß der anstößige Lebenswandel gegen den Willen des Erblassers geführt wird (Baitsch-Swoboda, Das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch 4. Teil Erbrecht² S. 90 Z. 335). Die Strafbarkeit eines Verhaltens genügt also für sich allein nicht um eine Enterbung nach der angeführten Gesetzesstelle zu begründen. Es reicht daher weder die Verurteilung des Klägers nach § 1 des USchG., noch die Entziehung der väterlichen Gewalt für sich allein aus, um diesen Enterbungsgrund herzustellen. Nach §§ 768 Z. 2 und 769 ABGB. können Kinder und Eltern enterbt werden, wenn sie den Erblasser in der Not hilflos gelassen haben, Eltern auch, wenn sie die Erziehung des Kindes vernachlässigten. Die Vernachlässigung anderer Personen als des Erblassers bildet hingegen keinen Enterbungsgrund; eine sinngemäße Ausdehnung des Enterbungsgrundes nach §§ 768 Z. 2, 769 ABGB. ist ausgeschlossen (Weiss in Klang² III S. 845). Mit Rücksicht auf diese Sondertatbestände kann die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber anderen Personen als dem Erblasser auch nicht dem § 768 Z. 4 ABGB. unterstellt werden, sie begründet daher für sich allein ebenfalls nicht diesen Enterbungsgrund.

Die Beklagte hat jedoch auch noch andere Umstände geltend gemacht, die als Enterbungsgrund nach § 768 Z. 4 ABGB. in Betracht kommen, vor allem ehebrecherische Beziehungen des Klägers zu einer verheirateten Frau und zwei straf gerichtliche Verurteilungen des Klägers nach § 461 StG. Weiters wurde behauptet, daß der Kläger einkassierte Gelder mit Frauen in Nachtlokalen „verlumpt“ habe. Ob das diesbezügliche Verhalten des Klägers im Zusammenhalt mit seinen festgestellten Verurteilungen eine Enterbung rechtfertige, kann auf Grund der knappen Feststellungen der Unterinstanzen über den zuletzt erwähnten angeblichen Lebenswandel des Klägers und dessen Einschätzung in der Öffentlichkeit nicht abschließend beurteilt werden. Das Erstgericht hat nämlich hiezu lediglich festgestellt, daß der ausschweifende Lebenswandel des Klägers in der Zeit von 1951 bis 1954 zur Scheidung der ersten Ehe geführt habe, ohne daß nähere Fakten angeführt wurden. Ansonsten beschränken sich die bisher getroffenen Feststellungen auf die Wiedergabe mündlicher oder schriftlicher Äußerungen des Erblassers über den Lebenswandel seines Sohnes, der ihn zur Enterbung veranlasst habe. Die Urteile der Untergerichte leiden also in Bezug auf den behaupteten Lebenswandel des Klägers noch an Feststellungsmängeln, die eine Aufhebung der angefochtenen sowie der Entscheidung der ersten Instanz, notwendig machten.

Der Revision war somit Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

 

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte