OGH 7Ob28/76

OGH7Ob28/7613.5.1976

SZ 49/67

Normen

ZPO §355 Abs1
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §355 Abs1
ZPO §530 Abs1 Z7

 

Spruch:

Die nachträglich hervorgekommene Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen bildet für sich allein noch keinen Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO

OGH 13. Mai 1976, 7 Ob 28/76(OLG Wien 8 R 280/75; LGZ Wien 40 a Cg 111/75)

Text

Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme des Rechtsstreits 40 Cg 39/66 des Erstgerichtes, der die Rückübertragung des Eigentumsrechtes ob den zu den Gütern A und P gehörigen Liegenschaften wegen Unwirksamkeit der von ihrer Mutter Helene H am 28. Mai 1942 und am 17. Juli 1944 in der Schweiz geschlossenen Verträge zum Gegenstand hatte, mit der Begründung, sie sei nun in Kenntnis von Umständen gelangt, die die Ablehnung des im Hauptprozeß vernommenen Sachverständigen Dr. X rechtfertigen, auf dessen Gutachten die entscheidende Feststellung im wiederaufzunehmenden Verfahren beruhte, daß Helene H im Zeitpunkt der angefochtenen Kaufverträge geschäftsfähig gewesen sei. Sie habe nämlich aus einer Mitteilung des Dokumentationszentrums des Bundes jüdisch Verfolgter des Naziregimes vom 27. Jänner 1975 erfahren, daß Dr. X der SS als

Hauptsturmführer mit der Mitgliedsnummer 308 ... seit 9. November 1942 und der NSDAP mit der Nummer 362 ... angehört habe, woraus auf

seine grundsätzlich negative Einstellung gegen das Judentum zu schließen sei. Der Sachverständige habe gewußt, daß der Großvater der Klägerin, Dr. Ing. Adolf S, Volljude und anderseits die seinerzeitige Käuferin der Liegenschaften und Rechtsvorgängerin der Beklagten, nämlich die Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung Ges. m. b. H., eine Einrichtung der SS gewesen sei, von deren Vertretern einer einen um zwei Stufen höheren Rang und der andere den gleichen Rang in der SS innegehabt habe wie er selbst, der Sachverständige. Im Falle der erfolgreichen Ablehnung des Sachverständigen Dr. X im Hauptprozeß hätte sich das Prozeßgericht lediglich auf die Gutachten der anderen Sachverständigen stützen können, der Prozeß wäre voraussichtlich gegenteilig ausgegangen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme mit der Begründung ab, daß zwar ein gesetzlicher Wiederaufnahmsgrund behauptet werde, so daß die Zurückweisung der Klage nicht möglich sei, die vorgebrachten Ablehnungsgrunde aber schon im Hauptprozeß nicht ausgereicht hätten und der Klägerin überdies dort auch bei Fortfall des Gutachtens des Sachverständigen Dr. X der ihr obliegende Beweis der Handlungsunfähigkeit ihrer Mutter bei Vertragsabschluß mißlungen wäre.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil infolge Berufung beider Parteien auf und wies die Wiederaufnahmsklage mit Beschluß zurück. Es ließ offen, ob im Hauptprozeß einem auf die nunmehr vorgebrachten

Gründe gestützten Ablehnungsantrag stattgegeben worden wäre, verneinte aber dennoch die Eignung des Vorbringens der Wiederaufnahmsklage, eine für die Klägerin günstigere Entscheidung des Vorprozesses herbeizuführen, weil die objektive Unrichtigkeit eines Sachverständigengutachtens keinen Wiederaufnahmsgrund bilde, die Abgabe eines wissentlich falschen Sachverständigengutachtens im Sinne des § 530 Abs. 1 Z. 2 ZPO aber nicht behauptet werde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem gegen diesen Zurückweisungsbeschluß erhobenen Rekurs der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Wiederaufnahmsklage nicht nur dann gemäß §§ 538 und 543 ZPO zurückzuweisen ist, wenn sich der Kläger ziffernmäßig auf keinen der gesetzlichen Anfechtungsgrunde stützt, sondern auch dann, wenn der vom Kläger bezogene Wiederaufnahmsgrund in Wahrheit keinen der gesetzlichen Tatbestände erfüllt (SZ.45/109). Es hat letzteres ungeachtet der Frage, ob einem im Hauptprozeß gestellten Ablehnungsantrag stattgegeben worden wäre, im Ergebnis mit Recht angenommen:

Der Rekurswerberin ist allerdings zuzugeben, daß die Begründung des Rekursgerichtes nicht durchschlägt, eine Wiederaufnahmsklage bloß zur nachträglichen Eliminierung eines Beweismittels sei unzulässig. Wäre die Geltendmachung der nunmehr gegen den Sachverständigen Dr. X vorgebrachten Ablehnungsgrunde im Wiederaufnahmsverfahren zulässig, dann könnte ihre Berücksichtigung abstrakt geeignet sein, ein anderes Bild des entscheidenden Sachverhaltes herzustellen, weil mindestens hinsichtlich des Verkaufes des Landguts P das Gutachten des Sachverständigen Dr. X gegenüber jenem der anderen im Hauptprozeß herangezogenen Sachverständigen den Ausschlag für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit der Mutter der Klägerin gegeben hatte.

Entgegen der Meinung der Rekurswerberin stellt aber eine nachträglich hervorgekommene Besorgnis der Befangenheit, wie sie die Klägerin nun behauptet, für sich allein den geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO nicht her. Der gerichtliche Sachverständige hat nach der österreichischen Prozeßordnung eine Doppelstellung. Er ist einerseits Gehilfe des Richters und anderseits Beweismittel (Fasching III, 467). Der letzteren Funktion entspricht die Gleichstellung mit dem Zeugen beim Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs. 1 Z. 2 ZPO, wenn nämlich das Urteil im Hauptprozeß auf eine falsche Beweisaussage des Zeugen oder Sachverständigen gegrundet war. Auch der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO kommt beim Sachverständigen ausnahmsweise in Betracht. Es genügt zwar nicht, daß sich aus späteren Tatumständen die Unrichtigkeit eines Gutachtens oder die mangelnde fachliche Eignung des im Vorprozeß vernommenen Sachverständigen ergeben soll (Fasching IV, 514 f.; ZBl. 1926/109; EvBl. 1958/203 u. a.). Wohl aber reicht das Vorbringen von Beweismitteln aus, die, wenn sie im Vorprozeß bekannt gewesen wären, zu einer anderen Würdigung streitentscheidender Beweismittel geführt hätten, so etwa der Nachweis, daß der Sachverständige eine behauptete Zwischenerhebung in Wahrheit nicht durchgeführt habe (Fasching IV, 514; EvBl. 1961/26).

Auf solche Umstände beruft sich aber die Rekurswerberin nicht. Sie hat ausdrücklich nicht nur keinen Vorwurf eines wissentlich falsch erstatteten Gutachtens im Sinne des § 530 Abs. 1 Z. 2 ZPO erhoben, sondern überdies die Annahme eines von ihr gemachten Vorwurfs einer tatsächlich vorhandenen Parteilichkeit zurückgewiesen und die Wiederaufnahmsklage lediglich darauf bezogen, durch Geltendmachung dieser prozessualen Möglichkeit jene Besorgnisse auszuschalten, die allenfalls die Unbefangenheit eines Sachverständigen in Zweifel ziehen könnten. Die Wiederaufnahmsklage beschränkte sich somit zu dem einzigen geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs. 1 Z.7 ZPO ausdrücklich auf die Behauptung der nachträglich hervorgekommenen Besorgnis einer Befangenheit des Sachverständigen.

Die Frage, ob die Ablehnung eines Sachverständigen im Wege der Wiederaufnahmsklage nachgeholt werden kann, ist jedoch zu verneinen. Die Möglichkeit, einen Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen, hat mit seiner Funktion als Beweismittel nichts zu tun. Wäre der Sachverständige nur ein solches, dann könnte eine Ablehnung schon im Hauptprozeß nicht gerechtfertigt werden, weil Beweismittel ohne Rücksicht darauf vom Gericht aufgenommen werden, ob sie den Parteien angenehm, vorteilhaft, inhaltlich zuverlässig und richtig erscheinen. Das Ablehnungsrecht der Parteien ergibt sich umgekehrt beim Sachverständigen aus seiner Stellung als Hilfsperson des Gerichtes und ist deshalb auf die gleichen Gründe bezogen,die zur Ablehnung eines Richters berechtigen (§ 355 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 19 JN; Fasching I, 486; Pollak[2], 671). Die Bedeutung des Sachverständigen als Beweismittel tritt somit in dieser Beziehung völlig hinter die zweite Funktion eines Gehilfen des Gerichtes zurück. Selbst beim Richter bildet aber ein nachträgliches Hervorkommen von Gründen, die seine Unbefangenheit in zureichendem Maß in Zweifel ziehen lassen (§ 19 Z. 2 keinen Grund für eine Rechtsmittelklage nach §§ 529 ff. ZPO. Nur der Ausschluß von der Ausübung des Richteramtes im Rechtsstreit kraft Gesetzes ein Nichtigkeitsgrund (§ 529 Abs. 1 Z. 1 ZPO), während darüber hinaus nur eine nach dem Strafgesetz zu ahndende Verletzung einer Amtspflichten den Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs. 1 Z. 4 ZPO gleichermaßen bildet wie beim Zeugen oder Sachverständigen eine falsche Beweisaussage den Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs. 1 Z. 2 ZPO. Die Rechtskraft gilt also dem Gesetz mehr als die später hervorkommende Besorgnis einer - das Ausmaß der Ausgeschlossenheit nicht erreichenden - Befangenheit des Richters. Das gleiche muß dann aber beim Fehlen weiterer, auf die bestimmte Rechtssache bezogener Bedenken gegen die Verläßlichkeit des abgegebenen Gutachtens auch für die Möglichkeit gelten, eine Wiederaufnahme nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO auf nachträgliche Ablehnung des Sachverständigen zu stützen. Diese Wertung findet eine zusätzliche Stütze in der Tatsache, daß das Strafgesetzbuch gegen die falsche Beweisaussage eines Sachverständigen schon bei bedingtem bösen Vorsatz Schutz bietet (§ 5 Abs. 1 und 288 Abs. 1 StGB; Leukauf - Steininger, Komm. z. StGB, 1149), während der Tatbestand des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB neben dem (auch bedingt möglichen) Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, den wissentlichen Mißbrauch der Befugnis, zu dem das Amt berechtigt, im Sinne des § 5 Abs. 3 StGB voraussetzt (Leukauf - Steininger, 1192); der strafrechtliche Schutz ist also gegenüber einem Sachverständigen größer als gegenüber dem Richter, dessen allfällige Befangenheit dennoch keinen Wiederaufnahmsgrund bildet. Wenn somit die Partei nach rechtskräftigem Abschluß des Hauptverfahrens nichts anderes vorbringen kann als die Möglichkeit, daß der Sachverständige befangen war, so muß diese Besorgnis jetzt ebenso wie beim Richter versagen.

Es genügt daher im vorliegenden Fall nicht, daß die Rekurswerberin als einzige Begründung ihrer Wiederaufnahmsklage eine Befangenheit des Sachverständigen besorgt. Auf die geltend gemachten näheren Umstände ist mangels ihrer rechtlichen Bedeutung nicht einzugehen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte