Normen
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §6
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §6
Spruch:
Wird das Fahrzeug vom Halter dem Lenker - obschon mit dem Verbot der privaten Benützung und der Beförderung von Privatpersonen - zur dauernden Verwendung im Rahmen seines Dienstes und nicht bloß zur Vornahme einer einzelnen bestimmten Fahrt zur Verfügung gestellt, so ist es nicht bloß "überlassen" worden, sondern der Lenker war im Sinne des § 6 Abs. 2 EKHG für dessen Betrieb "angestellt", war Gehilfe des Halters (§§ 1313a ABGB); damit liegt die Ausnahme von der Ausnahmsbestimmung des § 6 Abs. 1 EKHG vor
OGH 18. März 1976, 2 Ob 230/75 (OLG Wien 9 R 86/75; LGZ Wien 40a Cg 154/73)
Text
Der bei der klagenden Partei - dem Bundesland Niederösterreich pragmatisch angestellte Beamte Josef Z ist in der Nacht vom 6. auf 7. Juli 1970 bei einem Verkehrsunfall als Mitfahrer in einem vom Erstbeklagten gelenkten, von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und von der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW tödlich verletzt worden.
Die klagende Partei macht gegenüber den beklagten Parteien Ansprüche auf Ersatz der von ihr an die Hinterbliebenen nach Josef Z ausbezahlten Versorgungsgenüsse im Rahmen des vorhandenen Deckungsfonds mit der Begründung geltend, daß die Ansprüche der Hinterbliebenen auf Ersatz ihres Entganges gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 der Dienstpragmatik für Landesbeamte des Landes Niederösterreich in dem Ausmaß auf sie übergegangen seien, als sie Leistungen an die Hinterbliebenen bereits erbracht habe oder noch zu erbringen haben werde. Sie begehrt daher unter Anerkennung eines Mitverschuldens des Getöteten von 50% die Verurteilung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Bezahlung eines Kapitalbetrages von 50 328.82 S samt Anhang für die in der Zeit vom 1. August 1970 bis 31. Juli 1973 geleisteten Versorgungsgenüsse und von Rentenleistungen für die Zeit vom 1. August 1973 bis 31. Dezember 1989, mit welchem Tage der Getötete ohne den Unfall aus dem aktiven Landesdienst ausgeschieden wäre.
Die klagende Partei stellt überdies ein Feststellungsbegehren des Inhaltes, es werde den beklagten Parteien gegenüber festgestellt, daß diese der klagenden Partei zum Ersatz aller Leistungen verpflichtet seien, welche die klagende Partei der hinterbliebenen Witwe nach den Bestimmungen der Dienstpragmatik der Landesbeamten des Bundeslandes Niederösterreich, LGBl. 92/1957, in der jeweils geltenden Fassung, zu erbringen habe, soweit solche Ansprüche nicht noch bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz geltendgemacht werden könnten, ferner soweit sie zu 50% in den Ersatzansprüchen der genannten Witwe wegen entgehenden Unterhaltes gemäß § 1327 ABGB oder anderer Gesetzesbestimmungen Deckung fänden, welche die hinterbliebene Witwe ohne den in § 54 Abs. 1 DPL (nunmehr § 51 Abs. 1 DPL) vorgesehenen Forderungsübergang selbst zu erheben berechtigt wäre.
Die beklagten Parteien beantragten kostenpflichtige Klagsabweisung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich des Erstbeklagten statt und wies es in Ansehung der zweit- und drittbeklagten Partei ab. Es nahm als erwiesen an:
Der Erstbeklagte war bei der zweitbeklagten Partei zur Unfallszeit als Kundendiensttechniker tätig. Von der zweitbeklagten Partei war ihm für Geschäftsfahrten ein VW 21 zur Verfügung gestellt worden. Dem Erstbeklagten waren Privatfahrten mit dem PKW verboten und auch die Mitnahme von Privatpersonen untersagt, ausgenommen Geschäftsfreunde und deren Mitarbeiter, mit denen er eine Geschäftsfahrt zu unternehmen hatte, und Mitarbeiter der zweitbeklagten Partei.
Der Erstbeklagte befand sich am 6. Juli 1970 vor dem Unfall in E im Gasthaus S. Dort lernte er Josef Z und den Hilfsarbeiter Walter S aus E kennen. Nachdem sich die drei Männer bis 20.30 Uhr im Gasthaus unterhalten und auch Wein getrunken hatten, beschlossen sie, zu einem Heurigen in E zu fahren. Dort tranken sie wieder und wechselten gegen 22.00 Uhr das Lokal. Sie fuhren zu einem Heurigen nach R, wo weiter Wein konsumiert wurde. Anschließend begaben sie sich zu einem Heurigen in U. Auch dort wurde Wein getrunken. Gegen Mitternacht traten sie die Heimfahrt an. Bei dieser ereignete sich dann der Unfall.
Die Ehefrau des Getöteten ging weder vor dem Tode ihres Manne noch nach dessen Tod einem Erwerb nach. Ihr Mann hatte ihr sei ganzes Gehalt einschließlich aller Zulagen gegeben. Er war gelernter Automechaniker, verrichtete in der Freizeit Arbeiten und verschaffte sich so ein Nebeneinkommen. Er erhielt auch Reisezulagen, die bei der festgestellten und den fiktiven Bezügen des Getöteten nicht berücksichtigt sind. Es wurden daher ungefähr zusammen 60% des Gehaltes des Josef Z für seine Frau (für diese 40%) und seine Tochter (für diese 20% verwendet. Mit 31. Juli 1971 erfolgte die Einstellung der Waisenrente für die Tochter Josef Z, Doris.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Meinung, daß das Klagebegehren gegenüber der zweit- und der drittbeklagten Partei, weil es sich bei der Fahrt des Erstbeklagten um eine Schwarzfahrt gehandelt habe, abzuweisen sei. Damit falle gemäß § 3 Z. 2 EKHG die Halterhaftung der zweitbeklagten Partei und die Haftung des Haftpflichtversicherers weg. Da die klagende Partei an die Hinterbliebenen nach Josef Z die von ihr in der Klage bekanntgegebenen Versorgungsgenüsse bezahlt habe bzw. noch zu bezahlen haben werde, seien die Ansprüche der Hinterbliebenen auf Ersatz der ihnen nach § 1327 ABGB zustehenden Ansprüche gemäß den Bestimmungen der Dienstpragmatik der Landesbeamten des Bundeslandes Niederösterreich auf die klagende Partei übergegangen, soweit diese Leistungen erbringe, und sei daher, da ihre Forderungen auch unter Berücksichtigung des anerkannten 50%gen Mitverschuldens des Getöteten in dem vorgenannten Deckungsfonds Deckung fänden, dem Leistungs- und Rentenbegehren gegenüber dem Erstbeklagten zur Gänze Folge zu geben. Auch dem Feststellungsbegehren sei stattzugeben, weil nicht ausgeschlossen werden könne, daß infolge einer Erhöhung der von der klagenden Partei zu erbringenden Versorgungsgenüsse sich auch deren Regreßansprüche gegenüber dem Erstbeklagten erhöhen werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Erstbeklagten nur im Kostenpunkt, nicht aber in der Hauptsache statt. Der Berufung der klagenden Partei gab es hingegen zur Gänze Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß alle beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Bezahlung der vom Erstgericht zugesprochenen Beträge verpflichtet seien und die Haftung auch der zweit- und drittbeklagten Partei für die von der Klägerin zu erbringenden Leistungen entsprechend dem Feststellungsbegehren festgestellt wurde, hinsichtlich der drittbeklagten Partei jedoch beschränkt auf die Höhe der zur Verfügung stehenden Versicherungssumme.
Zur Berufung der klagenden Partei erachtete das Berufungsgericht, daß mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 6 Abs. 2 EKHG nicht von einer Schwarzfahrt des Erstbeklagten gesprochen werden könne. Das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug sei ihm von der zweitbeklagten Partei im Sinne des § 6 Abs. 2 EKHG überlassen worden, weil es ihm von ihr in seine Gewahrsame gegeben worden sei. Die Rechtsprechung verstehe unter Überlassung des Fahrzeuges die Einräumung der Gewahrsame, also einer tatsächlichen Beziehung, die eine Benützung des Kraftfahrzeuges, sei es mit oder ohne Willen des Halters, ermöglicht. Es liege hier keine Derogierung des § 3 EKHG vor, sondern lediglich eine Einschränkung in dem Sinne, daß der Halter eben nicht von der Haftung befreit werden soll, wenn das Fahrzeug von jemandem benützt wird, dem er das Fahrzeug überlassen hat und der damit mit seinem Willen über das Fahrzeug verfügen kann. Der Halter hafte auch dann, wenn derjenige, dem er das Fahrzeug überlassen habe, freiwillig, wenn auch in Überschreitung seiner Befugnisse, die mitgenommene Person mit dem Betrieb des ihm zur Verfügung überlassenen Kraftfahrzeuges in Verbindung gebracht habe. Damit sei eine Haftung des Halters, wenn es durch das Verschulden des Fahrers zu einem Unfall komme, bei dem der Mitfahrende verletzt werde, nach § 6 Abs. 2 EKHG grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Ein Dritter, der in Kenntnis eines dem Fahrer geltenden Verbotes, andere Personen mitzunehmen, mitfahre, habe ein Mitverschulden zu vertreten, doch sei ein derartiges Mitverschulden des Getöteten im gegenständlichen Rechtsstreit nicht behauptet worden. Da die zweitbeklagte Partei als Halter für das Verschulden des Erstbeklagten, weil keine Schwarzfahrt vorliege, zu haften habe, komme auch ein Haftungsausschluß nach § 3 Z. 2 EKHG nicht in Frage, da ein solcher Haftungsausschluß zur Voraussetzung habe, daß der Halter lediglich nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz hafte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der zweit- und drittbeklagten Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revisionswerber machen im wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe eine Änderung der Gesetzeslage nicht berücksichtigt, die durch Einführung des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes gegenüber dem früher in Geltung gestandenen Art. IV EVzKfzVerkG hinsichtlich der Halterhaftung geschaffen worden sei. Nach der neuen Gesetzeslage hafte gemäß § 3 Z. 2 EKHG der Halter dann nicht, wenn der Getötete oder Verletzte ohne den Willen des Halters befördert wurde, was für den vorliegenden Fall zutreffe.
Den Ausführungen der Revision kann nicht beigepflichtet werden. Die unterschiedliche Gesetzeslage in bezug auf die Beförderung von Personen ohne der gegen den Willen des Halters vor und nach dem Inkrafttreten des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes ist für den gegenständlichen Fall bedeutungslos, weil der festgestellte Sachverhalt nicht nach § 3 EKHG, sondern nach den Bestimmungen des § 6 EKHG zu beurteilen ist. Wie das Berufungsgericht richtig hervorgehoben hat, betrifft § 3 EKHG nur den Ausschluß der Haftung nach EKHG gegenüber den durch das schädigende Fahrzeug beförderten Personen (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht II, 434). Die von der Revision hier angezogene Bestimmung des § 3 Z. 2 EKHG ist also nur dann anzuwenden, wenn eine Verschuldenshaftung des Halters gemäß § 19 Abs. 2 EKHG, das ist eine Haftung des Halters für das Verschulden des Lenkers, nicht in Betracht kommt, vielmehr lediglich Halterhaftung nach Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz anzunehmen ist (ZVR 1965/87 = 37/101; ZVR 1966/126; zuletzt 2 Ob 52/75). Nur im Falle einer "Schwarzfahrt" würde der Halter weder nach § 19 Abs.2 noch nach § 3 Z. 2 EKHG haften (ZVR 1969/350); von einer Schwarzfahrt im strengen Sinne des § 6 EKHG kann aber vorliegend nicht die Rede sein.
Nach den Feststellungen war der Erstbeklagte am Tage des Unfalls bei der zweitbeklagten Partei als Kundendiensttechniker tätig und mit dem Fahrzeug im Raum E geschäftlich unterwegs. Die Zweitbeklagte hatte ihm den PKW - obschon mit dem Verbot der privaten Benützung und der Beförderung von Privatpersonen - zur Verfügung gestellt, d.
h. also, zur dauernden Verwendung im Rahmen seines Dienstes und nicht bloß zur Vornahme einer einzelnen bestimmten Fahrt. Dem Erstbeklagten war somit das Kraftfahrzeug vom Halter nicht bloß "überlassen" worden, sondern er war im Sinne des § 6 Abs. 2 EKHG für dessen Betrieb "angestellt", war Gehilfe des Halters (§§ 1313a, 1315 ABGB). In beiden Fällen des § 6 Abs. 2 EKHG ("angestellt" und "überlassen") liegt die Ausnahme von der Ausnahmsbestimmung des § 6 Abs. 1 EKHG vor.
Für den angestellten Benutzer wird aber nach dem Wortlaut und Sinn der vorerwähnten Bestimmungen grundsätzlich ohne weitere Voraussetzung gehaftet. "Nach § 19 Abs. 2 EKHG haftet der Halter für jedes Verschulden der Gehilfen, und zwar auch dann, wenn mit dem Geschädigten kein Schuldverhältnis besteht; er hat für den Gehilfen nach den Vorschriften des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, also ohne Haftungshöchstgrenzen, einzustehen" (Koziol, Haftpflichtrecht II, 282). Erforderlich ist lediglich, daß der Benutzer in seiner Eigenschaft als Angestellter - und nicht etwa durch Einbruch in eine abgeschlossene Garage, allenfalls durch einen als gleichwertig zu beurteilenden Vorgang - die Verfügungsgewalt über das Kraftfahrzeug erhielt (vgl. Veit, EKHG[3], Anm. 12 zu § 6; Wussow, UHR[12], 738, 739; RZ 1973/166). Das ist hier der Fall, weshalb das Berufungsgericht die Haftung der zweit- und der drittbeklagten Partei zu Recht bejaht hat.
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