OGH 7Ob147/75

OGH7Ob147/7511.9.1975

SZ 48/90

Normen

Entmündigungsordnung §36 Abs1
Entmündigungsordnung §36 Abs1

 

Spruch:

Wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 EntmO vorliegen, darf das Widerspruchsgericht nicht die Entscheidung über den Widerspruch aussetzen, sondern hat die auf Entmündigung lautende Entscheidung des Erstgerichtes dahin abzuändern, daß die endgültige Beschlußfassung über den Antrag auf Entmündigung wegen Trunksucht (oder wegen Mißbrauches von Nervengiften) unter Bestimmung einer Bewährungsfrist ausgesetzt wird

OGH 11. September 1975, 7 Ob 147/75 (KG Steyr R 36/75; BG Kirchdorf/Krems L 14/72)

Text

Das Erstgericht hat den Rekurswerber über Antrag seiner ehelichen Tochter wegen Trunksucht beschränkt entmundigt, ohne den Eintritt der Wirksamkeit dieser Entscheidung im Sinne des § 67 Abs. 1 EntmO aufzuschieben. Das Widerspruchsgericht hat die Entscheidung über den vom beschränkt Entmundigten erhobenen Widerspruch gemäß den §§ 48 Abs. 2, 36 Abs. 1 EntmO ausgesetzt und dem Widerspruchswerber eine Bewährungsfrist bis 1. März 1976 bestimmt. Es hat gleichzeitig ausgesprochen, daß nach Ablauf dieser Frist über den Widerspruch entschieden werde, falls der Antrag auf Entmündigung nicht inzwischen zurückgezogen worden sein sollte. Das Widerspruchsgericht werde jedoch schon vor Ablauf der Bewährungsfrist über den Widerspruch entscheiden, wenn sich zeigen sollte, daß eine anhaltende Besserung des Leopold B ohne dessen Entmündigung nicht zu erwarten sei. Dieser Entscheidung liegen folgende wesentliche Feststellungen zugrunde:

Der am 9. Jänner 1921 geborene Leopold B ist Alleineigentümer einer etwa 15 ha großen Landwirtschaft, die zur Zeit der Einleitung des Entmündigungsverfahrens einen verwahrlosten Eindruck erweckte. Der Verfall der Landwirtschaft ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß Leopold B die Arbeit seiner Familie überließ und es vorzog, erst in den späten Vormittagstunden aufzustehen, sich dann auswärts aufzuhalten und dem Alkohol regelmäßig durch Trinken von Bier zuzusprechen. Seine Kinder sind in anderen Berufen tätig und können nur während ihrer Freizeit der Mutter bei der Arbeit in der Landwirtschaft helfen. Leopold B verträgt infolge seines Gesundheitszustandes keinen übermäßigen Alkoholgenuß. Sein Hausarzt hat ihm wegen Bluthochdruckes und einer vergrößerten Leber den Genuß von Alkohol untersagt und hat ihm wiederholt Vorhalte wegen des Trinkens gemacht. Trotzdem trank Leopold B in einem Bierausschank täglich vier bis sieben Flaschen Bier. Dieser übermäßige, regelmäßige Alkoholgenuß zeitigte entsprechende Auswirkungen. Bei einer am 26. März 1973 durchgeführten Untersuchung wurden unter anderem eine Leberverhärtung und Fingerzittern, wie man es bei chronischen Alkoholikern häufig findet, festgestellt, ferner Persönlichkeitsabbauerscheinungen durch chronischen Alkoholismus mit Gemütsverflachung, erhöhter Reizbarkeit und Aggressivität sowie beginnende intellektuelle Abbauerscheinungen. Eine Alkoholentwöhnungskur wäre angezeigt, weil bereits ein Stadium vorlag, bei welchem es sehr rasch zum Ausbruch einer Alkoholpsychose oder zu vollkommener Verblödung kommt. Es traten Persönlichkeitsveränderungen eines chronischen Alkoholikers ein, der unfähig ist, seine Angelegenheiten allein gehörig zu besorgen.

In den folgenden Jahren ist aber insofern eine Änderung eingetreten, als Leopold B nicht mehr so oft den Bierausschank aufsuchte, weniger trank (zwei bis drei Flaschen Bier pro Tag) und auch alkoholfreie Getränke konsumierte. Sein Taschengeld war auf monatlich 500 S beschränkt worden. Trotzdem ging er Getränkeschulden ein. Am 14. Jänner 1975 kam der Sachverständige neuerlich zu dem Schluß, daß B an chronischem Alkoholismus leide und die erhobenen Befunde auf einen Alkoholmißbrauch hinweisen, so daß eine Entwöhnungskur dringend angezeigt wäre. Eine am 23. April 1975 erfolgte Untersuchung durch einen zweiten psychiatrischen Sachverständigen hat ergeben, daß weder Demenzerscheinungen noch wesentliche Abbauerscheinungen vorliegen, wenngleich B einen verbrauchten, früh gealterten Eindruck macht. Er zittert an beiden Händen und weist Gefühlsstörungen an Händen und Füßen auf. Derartige Erscheinungen kommen bei chronischen Alkoholikern vor. Der Widerspruchswerber ist intelligenzmäßig in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Der neu erhobene Befund vermag die vom ersten Sachverständigen erstellte psychiatrische Diagnose (durch chronischen Alkoholismus hervorgerufene Persönlichkeits- und intellektuelle Abbauerscheinungen, die B zur gehörigen Besorgung seiner Angelegenheiten unfähig machen), nicht zu stützen. Derzeit sind zwar leichte körperliche Schäden vorhanden, wie sie bei chronischem Alkoholismus vorkommen, doch sind intellektuelle Abbauerscheinungen nicht feststellbar. Dies läßt nach dem Gutachten des zweiten Sachverständigen den Schluß zu, daß sich der Widerspruchswerber seit der Begutachtung im Jahre 1973 vom Alkoholgenuß zurückgehalten habe. Wenn er dem Alkohol weiterhin übermäßig zugesprochen hätte, wäre es unwahrscheinlich, daß sich bei der nunmehrigen Untersuchung ein derart günstiges Bild ergeben hätte.

In rechtlicher Hinsicht ging das Widerspruchsgericht davon aus, daß ihm die Bestimmungen der §§ 36 Abs. 1, 48 Abs. 2 EntmO die Möglichkeit eröffnen, die Entscheidung über den Widerspruch durch die Festsetzung einer Bewährungsfrist aufzuschieben. Es lägen zwar die Voraussetzungen für eine Entmündigung im Sinne des § 2 Z. 2 EntmO, vor, doch sei nach den Ergebnissen des Widerspruchsverfahrens eine volle Besserung zu erwarten. Der erstgerichtliche Beschluß werde dem Widerspruchswerber nachdrücklich die Folgen eines ungünstigen Verlaufes des Bewährungsversuches vor Augen führen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Entmundigten Folge, hob den Beschluß des Widerspruchsgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Widerspruchsgericht verkennt zunächst den Inhalt der Bestimmungen der Entmündigungsordnung hinsichtlich der Aussetzung einer Entscheidung über die Entmündigung. Nach dem § 36 Abs. 1 EntmO kann das Gericht die endgültige Beschlußfassung unter Bestimmung einer angemessenen Bewährungsfrist aussetzen, wenn die Voraussetzungen für die Entmündigung wegen Trunksucht oder wegen Mißbrauches von Nervengiften vorhanden sind und wenn nach dem Ergebnis der gesamten Verhandlung zu erwarten ist, daß der zu Entmundigende sich bessern werde. Diese Bestimmung findet gemäß dem § 48 Abs. 2 EntmO auch im Widerspruchsverfahren Anwendung. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das Widerspruchsgericht die Entscheidung über den gegen einen auf Entmündigung lautenden Beschluß erhobenen Widerspruch (§ 37 Abs. 1 EntmO) aussetzen darf, weil nach dem klaren Wortlaut des § 36 Abs. 1 und 2 EntmO nur die endgültige Beschlußfassung über die Entmündigung ausgesetzt werden kann und weil nach Ablauf der Bewährungsfrist über den Antrag auf Entmündigung zu entscheiden ist. Wollte man der vom Widerspruchsgericht vertretenen, mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringenden Auffassung beipflichten, hätte dies zur Folge, daß in jenen Fällen, in denen - so wie auch im Gegenstand - das Erstgericht in seinem auf Entmündigung lautenden Beschluß dessen Wirksamkeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung nicht aufgeschoben hat (§ 67 Abs. 1 EntmO), die noch nicht rechtskräftige Entmündigung während des Laufes der Bewährungsfrist voll wirksam wäre, so daß der für den Entmundigten geltende Schutzgedanke des § 36 EntmO (Einräumung einer letzten Chance, die Entmündigung und deren Folgen durch Abstinenz zu vermeiden) in sein Gegenteil verkehrt würde. Der Entmundigte hätte nämlich die Wirkungen der Entmündigung auch während der Bewährungsfrist hinzunehmen, ohne daß über die Berechtigung seines gegen die Entmündigung erhobenen Rechtsmittels während dieses Zeitraumes überhaupt entschieden würde.

Bei richtiger Anwendung der in Rede stehenden Bestimmungen hat das Widerspruchsgericht, wenn es deren Voraussetzungen für gegeben hält, dem Widerspruch Folge zu geben und die angefochtene, auf Entmündigung lautende Entscheidung des Erstgerichtes dahin abzuändern, daß die endgültige Beschlußfassung über den Antrag auf Entmündigung wegen Trunksucht (oder wegen Mißbrauches von Nervengiften) unter Bestimmung einer Bewährungsfrist ausgesetzt wird. Sache des Erstgerichtes ist es dann, im Sinne der Bestimmungen des § 36 Abs. 2 und 3 EntmO vorzugehen.

Das Widerspruchsgericht hat aber auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen, um über den Widerspruch überhaupt entscheiden zu können. Es hat wohl die jeweiligen Untersuchungsergebnisse der beiden im Verfahren erster und zweiter Instanz vernommenen Sachverständigen wiedergegeben, ohne aber zu beachten, daß diese in den Gutachten der Sachverständigen verwerteten Ergebnisse in entscheidenden Punkten einander widersprechen, und ohne sich für das eine oder andere Gutachten als Feststellungsgrundlage zu entscheiden. So sind die beiden Sachverständigen vor allem in der Frage, ob bei B durch chronischen Alkoholismus hervorgerufene Persönlichkeits- und intellektuelle Abbauerscheinungen vorliegen, die den Widerspruchswerber zur gehörigen Besorgung seiner Angelegenheiten unfähig machen, zu ganz verschiedenen Ergebnissen gelangt. In diesem Zusammenhang wäre zu klären gewesen, ob diese beiden Untersuchungsergebnisse in dem Sinn etwa miteinander vereinbar sind, daß sich der Widerspruchswerber in der letzten Zeit dem Alkohol mehr enthalten hat. Dies hätte allerdings zur Voraussetzung, daß sich die vom ersten Sachverständigen festgestellten Abbauerscheinungen wieder zurückgebildet haben. Zur Frage des Alkoholkonsums in letzter Zeit und den dadurch allenfalls ausgelösten Folgen wären auch Feststellungen auf Grund der zahlreichen Auskunftspersonen zu treffen gewesen.

Bedingung für die Aussetzung der Beschlußfassung im Sinne des § 36 EntmO ist im Gegenstand das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entmündigung wegen Trunksucht. Eine solche Entmündigung setzt voraus, daß der Antragsgegner wegen gewohnheitsmäßigen Mißbrauchs von Alkohol (Trunksucht) sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes preisgibt oder die Sicherheit anderer gefährdet oder eines Beistandes zur gehörigen Besorgung seiner Angelegenheiten bedarf (EvBl. 1971/27; 6 Ob 84/71; 7 Ob 242/70 u. a.). Nun hat das Widerspruchsgericht zwar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Z. 2 EntmO angenommen, doch ist dem Widerspruchswerber zuzugeben, daß die Feststellungsgrundlage aus den bereits erörterten Erwägungen für eine solche Annahme nicht ausreicht.

Dem Rekurs war somit Folge zu geben, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Widerspruchsgericht die Fällung einer neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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