Spruch:
Auf Grund einer gegen Lenker und Versicherer gerichteten, nach § 63 Abs. 3 KFG 1967 zu beurteilenden Klage kann bei Säumnis bloß eines der Beklagten gegen diesen ein stattgebendes Versäumungsurteil ergehen
OGH 28. August 1975, 2 Ob 112/75 (OLG Innsbruck 2 R 113/75; LG Innsbruck 26 Cg 883/74)
Text
Nach den Klagsbehauptungen verschuldete der Erstbeklagte als Lenker eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Mopeds am 13. Mai 1973 auf der Achensee-Bundesstraße einen Verkehrsunfall, bei dem der Personenkraftwagen des Klägers beschädigt wurde. Der Kläger soll dadurch einen Schaden von 24.319.60 S samt 12% Zinsen aus 13.319.60 S seit 13. Mai 1973 erlitten haben. Er verlangt von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz dieses Schadens.
Die Klage konnte zunächst nur der Zweitbeklagten zugestellt werden, die nach abgehaltener erster Tagsatzung am 20. Dezember 1974 rechtzeitig die Klagebeantwortung überreichte, worauf das Verfahren mit ihr fortgeführt wurde. Es ist in erster Instanz nicht abgeschlossen.
Dem Erstbeklagten konnte die Klage erst am 23. Jänner 1975 durch Hinterlegung zugestellt werden. Da er bei der für 7. Feber 1975 anberaumten ersten Tagsatzung nicht erschien, wurde auf Antrag des erschienenen Klagevertreters ein stattgebendes Versäumungsurteil erlassen.
Die dagegen vom Erstbeklagten erhobene Berufung hatte Erfolg. Das Berufungsgericht hob das angefochtene Versäumungsurteil auf, wies den Antrag des Klägers auf Fällung eines Versäumungsurteiles zurück und trug dem Erstgericht die Bestimmung einer Frist zur Überreichung der Klagebeantwortung sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch hinsichtlich des Erstbeklagten auf. Es sprach aus, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen ist.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers Folge. Der angefochtene Beschluß wurde aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Aufhebungsgrund aufgetragen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht ging bei seiner Entscheidung von folgenden rechtlichen Erwägungen aus:
Die Rechtsprechung (SZ 42/175 = EvBl. 1970/133; ZVR 1971/96; EvBl. 1972/286; EvBl. 1973/6) habe aus der Bestimmung des § 63 Abs. 3 KFG 1967, wonach ein rechtskräftiges Urteil, mit dem der Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten aberkannt werde, wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherer ergehe, auch zu Gunsten des Versicherten, und wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherten ergehe, auch zu Gunsten des Versicherers wirke, den Schluß gezogen, daß Versicherer und Versicherter im Bereiche der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, wenn sie von dem geschädigten Dritten gemeinsam geklagt werden, eine einheitliche Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO darstellen; daraus folge, daß sich die Wirkung der Prozeßhandlungen der tätig gewordenen Partei auch auf den säumigen Streitgenossen erstrecke. In diesem Falle wäre es unzulässig gewesen, gegen den Erstbeklagten ein Versäumungsurteil zu fällen und das Verfahren nur gegen die Zweitbeklagte fortzusetzen, die den Klagsanspruch bestritten und die Abweisung des Klagebegehrens beantragt habe. Der OGH sei zwar inzwischen von diesem eindeutigen Standpunkt abgegangen. Er vertrete nunmehr (so in der Entscheidung 8 Ob 55/73 = VersR 1974, 708 = JBl. 1974, 375) die Auffassung, daß es nicht dem Wortlaut des § 63 Abs. 3 KFG 1967 entspreche, die Beklagten des Haftungsprozesses in ihrer Dispositionsbefugnis über den Streitgegenstand einzuschränken, solange nicht die gesetzliche Voraussetzung der Erstreckungswirkung des § 63 Abs. 3 KFG 1967, nämlich ein rechtskräftiges, den Schadenersatzanspruch aberkennendes Urteil gegen den Versicherer oder Versicherten, vorliege; eine einheitliche Streitgenossenschaft bestehe nur in einem eingeschränkten Umfang; Prozeßhandlungen bzw. unterlassene Prozeßhandlungen (Versäumung), die nur einen Streitgenossen betreffen, seien nur für diesen wirksam. Das Berufungsgericht teile jedoch die von Call bei der Besprechung der oben zitierten Entscheidung an den genannten Stellen dargelegten Bedenken gegen diese Auslegung. Sinn der zitierten Bestimmung könne nur der sein, einem in einem bereits anhängigen Rechtsstreit ergehenden abweislichen Urteil über einen Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten sowohl gegenüber dem Versicherer als auch gegenüber dem Versicherten die gleiche Wirkung zu verschaffen. Bei sinngemäßer Auslegung des § 63 Abs. 3 KFG 1967 könne man - in Übereinstimmung mit der Entscheidung 8 Ob 142/72 - nur zu dem Ergebnis kommen, daß ein stattgebendes Urteil gegenüber einem Streitgenossen (Versicherer oder Versicherter aus der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung) nicht ergehen kann, solange die Möglichkeit besteht, daß das Schadenersatzbegehren des geschädigten Dritten gegen den anderen Streitgenossen auch nur teilweise abgewiesen wird. Ein verschiedener Sachausgang über das Schadenersatzbegehren des geschädigten Dritten gegen den Versicherer einerseits und den Versicherten anderseits widerspräche der ausdrücklichen Vorschrift des § 63 Abs. 3 KFG 1967 nach Wortlaut und Sinn. Da im vorliegenden Fall gegen die Zweitbeklagte aus demselben Rechtsgrund ein wenigstens teilweise abweisendes Urteil möglich wäre, bilden die beiden Beklagten eine wirkungsgebundene einheitliche Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO, weshalb es unzulässig gewesen sei, gegen den Erstbeklagten als Versicherten allein ein Versäumungsurteil zu fällen.
Dagegen führt der Kläger ins Treffen, diese Grundsätze könnten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommen, weil zur Zeit, als die Zweitbeklagte die erste Tagsatzung verrichtete und dann die Klagebeantwortung erstattete, dem Erstbeklagten gegenüber noch nicht einmal Streitanhängigkeit eingetreten gewesen sei, so daß von einer Streitgenossenschaft noch gar nicht gesprochen werden könne. Liege eine einheitliche Streitgenossenschaft vor, dann könne nur eine dem einheitlichen Willen der Streitgenossen entsprechende Prozeßhandlung gesetzt werden. Eine solche sei bei der ersten Tagsatzung vom 7. Feber 1975 nicht gesetzt worden. Die Ansicht des Berufungsgerichtes sei durch Wortlaut und Sinn des § 63 Abs. 3 KFG 1967 nicht gedeckt. Die beiden Beklagten hätten ohne weiters mit getrennten Klagen belangt werden können; ein früher ergangenes Urteil hätte nicht durch ein späteres außer Kraft gesetzt werden können. Da mit der zitierten Bestimmung nur der Direktanspruch des Versicherten gegenüber dem Versicherer gewährt werden sollte, könne der Versicherte im Prozeß in seiner Dispositionsbefugnis nicht als "voll beschränkt" angesehen werden.
Dem letzten Teil dieser Ausführungen ist beizupflichten. Der OGH hat in seinen Entscheidungen 8 Ob 55/73 und 8 Ob 77/73, beide vom 5. Juni 1973, die erstere in JBl. 1974, 375 = VersR 1974, 708, die letztere veröffentlicht in ZVR 1974/185, entgegen der in früheren zu § 63 Abs. 3 KFG 1967 ergangenen Entscheidungen vertretenen Ansicht, Versicherer und Versicherungsnehmer seien bei Klagen des Geschädigten gegen sie eine einheitliche Streitpartei, mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, daß dann, wenn nach einem Verkehrsunfall Versicherer und Versicherter vom geschädigten Dritten mit derselben Klage belangt werden, auf die Prozeßhandlungen und Unterlassungen des Versicherers und des Versicherten die Bestimmung des § 14 ZPO nur insoweit Anwendung findet, als dies zur Verwirklichung der im § 63 Abs. 3 KFG 1967 vorgesehenen Erstreckungswirkung eines den Schadenersatzanspruch hinsichtlich des Versicherers bzw. des Versicherten aberkennenden rechtskräftigen Urteiles auf den anderen Streitgenossen erforderlich ist. Darüber hinaus bleibt die den Parteien zustehende Dispositionsbefugnis aufrecht. Von dieser Rechtsansicht, die auch in den seither zur selben Frage ergangenen Entscheidungen 8 Ob 12/75 und 2 Ob 84/75 beibehalten wurde, abzugehen, besteht kein Anlaß. Insbesondere enthält die vom Berufungsgericht zitierte Kritik Calls (JBl. 1974, 375 bzw. VersR 1974, 708) keine Gesichtspunkte, die den OGH dazu bestimmen könnten, von der in den zitierten Entscheidungen niedergelegten Auffassung wieder abzugehen. Da § 63 Abs. 3 KFG 1967 ausdrücklich nur die Erstreckungswirkung bezüglich abweislicher Entscheidungen normiert, kann ein stattgebendes Versäumungsurteil wie dies auch Gegenstand der Entscheidungen 8 Ob 77/73 und 2 Ob 84/75 war - nicht unzulässig sein. Hiezu sei nur noch bemerkt, daß sich auch die Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes zu § 3 des Pflichtversicherungsgesetzes, die inhaltlich im wesentlichen dem § 63 KFG 1967 entspricht, nunmehr in dieser Richtung bewegt, der hier das Vorliegen einer notwendigen Streitgenossenschaft im Sinne des § 62 Abs. 1 dZPO uneingeschränkt verneint (BGH vom 10. Juli 1974, JR 1975, 66 = NJW 1974, 2124).
Die Voraussetzungen für die Fällung eines Versäumungsurteils nach § 396 ZPO gegen den Erstbeklagten waren daher gegeben. Die Sache ist somit im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Versäumungsurteiles spruchreif.
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