European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0010OB00012.75.0122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung des Rekursgerichtes dahin abgeändert, daß die erstgerichtlichen Beschlüsse wiederhergestellt werden.
Die gefährdete Partei ist schuldig, der Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 1.492,96 S bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (hievon 110,56 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung:
Die gefährdete Partei (im folgenden der Antragsteller) ist zu drei Achteln, die Gegnerin der gefährdeten Partei (im folgenden Antragsgegnerin) zu fünf Achteln Miteigentümer der Liegenschaft, auf der das Haus *, errichtet ist. Nach einer bestehenden Benützungsregelung steht dem Antragsteller die Benützung des ersten Obergeschosses, in dem sich zwei Klosetts befinden, und eines Büroraumes im zweiten Obergeschoß, der vom Antragsteller zu Wohnzwecken vermietet wurde, der Antragsgegnerin die Benützung der übrigen Räume im Parterre sowie im zweiten und dritten Obergeschoß zu. Im Jahre 1964 vereinbarten die Parteien unter anderem, daß jeder von ihnen in den ihm zugewiesenen Hausteilen tun und lassen könne, was er wolle, und auch Bauführungen durchführen könne; dem anderen dürfe daraus nur kein unmittelbarer Schaden entstehen.
Im Sommer 1974 nahm die Antragsgegnerin im zweiten Obergeschoß Umbauarbeiten vor, deren Ziel die Modernisierung der dort gelegenen beiden Wohnungen und die Schaffung einer dritten Wohneinheit war. Im Zuge der Baumaßnahmen wurde eine Holzveranda über einen zum ersten Stock gehörigen hölzernen, mit einem Schindeldach versehenen Erker hinaus verlängert; die Antragsgegnerin ließ das Schindeldach entfernen und an seiner Stelle als Abgrenzung des Erkers gegen den darüber neu erstellten Verandateil eine Holzdecke einziehen. Des weiteren vergrößerte sie eine Fensteröffnung an der hinteren Außenmauer zu einer auf den neu geschaffenen Verandateil führenden Türöffnung.
Im zweiten Stock befindet sich ein Klosett, das bis zum Sommer 1974 von einem frei zugänglichen Flur aus betreten werden konnte und von der Mieterin des Büroraumes mitbenützt wurde. Im Sommer 1974 wurde über Auftrag der Antragsgegnerin eine Trennwand errichtet; die in dieser Trennwand vorhandene Türe wird von der Antragsgegnerin versperrt gehalten.
Mit der am 29. 7. 1974 erhobenen Klage C 730/74 des Bezirksgerichtes Kitzbühel begehrte der Antragsteller das Urteil, die Antragsgegnerin sei schuldig, es zu unterlassen, im zweiten Stockwerk des Hauses *, die Außenmauer an der Rückseite des Gebäudes zum Gries hin auszubrechen, das Dach des ebenfalls an der Rückseite des Gebäudes im ersten Stockwerk befindlichen Erkers zu entfernen, Balkenträger außen am Mauerwerk zu befestigen und die im zweiten Stockwerk gelegene Glasveranda an der Rückseite des Gebäudes zum Nachbargebäude hin zu verlängern; sie sei weiter schuldig, den vorigen Zustand durch Entfernen der Balkenträger, Wiederanbringen des Daches über dem Erker des ersten Stockwerkes und Verschließen der Außenmauer wieder herzustellen. Der Antragsteller begehrte die einstweilige Verfügung, der Gegnerin zu untersagen, weitere Veränderungen an der rückwärtigen Außenfassade des Hauses vorzunehmen, insbesondere die Außenmauer zu durchbrechen, nach außen stehende Balkenträger am Mauerwerk zu befestigen und das Dach des Erkers im ersten Stockwerk dieses Hauses zu entfernen, sowie ihr aufzutragen, den Erker im ersten Stock an der Rückseite des Hauses sofort wieder mit einem Dach zu versehen. Es sei zu besorgen, daß dann, wenn das Vorgehen der Antragsgegnerin nicht unterbunden werde, die Verwirklichung des Klagsanspruches durch die weiteren baulichen Veränderungen vereitelt oder doch sehr erschwert würde und dadurch unwiederbringlicher Schaden drohe.
Das Erstgericht bewilligte die einstweilige Verfügung in der Weise, daß es der Antragsgegnerin auftrug, sofort zu unterlassen, an der Rückseite des Hauses zum Gries die Außenmauer zu durchbrechen, nach außen stehende Balkenträger am Mauerwerk zu befestigen und das Dach des Erkers im ersten Stockwerk zu entfernen, sowie den genannten Erker sofort wieder mit einem Dach zu versehen; dem Antragsteller wurde der Erlag einer Sicherheitsleistung von 10.000 S aufgetragen. Ein Rekurs der Antragsgegnerin blieb erfolglos. Dem Widerspruch der Antragsgegnerin gab das Erstgericht hingegen statt und hob die einstweilige Verfügung auf. Durch die Vergrößerung der an der Rückseite des Hauses im zweiten Stock angebrachten Veranda und die Schaffung eines weiteren Zuganges zu dieser seien die Benützungsrechte des Antragstellers im zweiten Obergeschoß nicht berührt worden, für den Antragsteller sei auch kein unmittelbarer Schaden eingetreten. Dieses gelte auch nicht für die Entfernung des Schindeldaches des Erkers des ersten Stockes, das offenbar bis in den Bereich des zweiten Obergeschoßes gereicht habe; durch den Ersatz desselben durch die hölzerne Zwischendecke zu dem darüber neu errichteten Verandateil scheine für den Antragsteller keinerlei Nachteil verbunden zu sein. Er habe nicht dartun können, daß seine aus seinem Miteigentum und den getroffenen Benützungsregelungen abgeleiteten Rechte durch die von ihm bekämpften Maßnahmen der Antragsgegnerin berührt worden wären. Eine Anspruchsbescheinigung fehle zur Gänze.
Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß es den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung abwies und die einstweilige Verfügung bestätigte. Der Erker gehöre zu jenem Teil des Hauses, an welchem der Antragsteller ein alleiniges Benützungsrecht habe. Daß auch das Dach des Erkers ein Bestandteil desselben sei, bedürfe keiner weiteren Erörterung. Das eigenmächtige Abtragen des Erkerdaches sei bescheinigt. Die übrigen Arbeiten hingen damit im Zusammenhang, woraus sich auch für die weiteren Ansprüche eine gewisse Anspruchsbescheinigung ergebe. Die Gefahrenbescheinigung sei gegeben, da das eigenmächtige Abtragen des Erkerdaches unter die Bestimmung des § 381 Z 1 EO. Falle.
Mit der am 17. 9. 1974 erhobenen Klage C 959/74 des Bezirksgerichtes Kitzbühel begehrte der Antragsteller das Urteil, die Antragsgegnerin sei schuldig, im zweiten Stockwerk das Verschlossenhalten der Tür in der Trennwand zwischen Stiegenhaus und Hausgang einerseits und ihren Wohnräumen und dem dort befindlichen WC andererseits zu unterlassen. Durch das Verhalten der Antragsgegnerin sei zu besorgen, daß dem Antragsteller unwiederbringlicher Schaden drohe, da ganz einfach die Benützung seiner Räumlichkeiten im zweiten Stock für Wohnzwecke ohne Klosett ausscheide. Er begehrte die einstweilige Verfügung, der Antragsgegnerin werde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage das Verschlossenhalten der Türe in der Trennwand verboten.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung ab. Der Meinung des Antragstellers, durch die Unterbindung des Zuganges zum Klosett des zweiten Stockes drohe ihm unwiederbringlicher Schaden, könne nicht beigepflichtet werden. Der Antragsteller verfüge im ersten Stock über zwei Klosette; es sei ohne weiteres zumutbar, der Bewohnerin der ehemaligen Büroräume im zweiten Stock vorübergehend die Benützung eines dieser Klosetts zu gestatten.
Das Rekursgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es die beantragte einstweilige Verfügung bewilligte. Es nahm als bescheinigt an, daß der Antragsteller zumindest im ruhigen Besitz eines Mitbenützungsrechtes am Klosett im zweiten Stock gewesen sei. Liege eine Störung dieses ruhigen Besitzes vor, die im Besitzstörungsverfahren auch mittels einstweiliger Vorkehrung nach § 458 ZPO abgewendet werden könnte, sei auch die Voraussetzung des § 381 Z 2 EO gegeben. Die einstweilige Verfügung sei zur Verhütung drohender Gewalt nötig.
Gegen beide Beschlüsse des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Beschlüsse dahin abzuändern, daß den Rekursen der gefährdeten Partei keine Folge gegeben werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Was zunächst den ersten Anspruch betrifft, ist nicht strittig, daß die Antragsgegnerin ihre Baumaßnahmen (Verlängerung der Holzveranda im zweiten Stock, Ersetzung des Schindeldaches des Erkers im ersten Stock durch eine hölzerne Decke, Ersetzung eines Fensters durch eine Türöffnung auf die verlängerte Veranda) bereits beendet hat. Soweit die Antragsgegnerin also verhalten werden soll, Baumaßnahmen zu unterlassen, ist die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung zwecklos, soweit der Erker aber wieder mit einem Dach versehen werden soll, nur durchführbar, wenn die Antragsgegnerin die verlängerte Veranda wieder abreißen und den vorigen Zustand zumindest teilweise wieder herstellen müßte. Es sei dahingestellt, ob der Antragsteller überhaupt einen Anspruch auf Durchführung solcher Wiederherstellungsmaßnahmen bescheinigt hat, wurde mit der Vereinbarung aus dem Jahre 1964 den einzelnen Miteigentümern doch eine über die bloßen Rechte aus dem Miteigentum hinausgehende Freiheit in der Gestaltung der ihrer Benützung überlassenen Hausteile eingeräumt, die ihre Grenze nur in der Zufügung unmittelbaren Schadens haben sollte. Die Frage, ob die Antragsgegnerin berechtigt war, den über die Höhe des ersten Stockes hinausreichenden Erkerteil durch eine hölzerne Decke zu ersetzen, um auf Ebene des zweiten Obergeschoßes die dort vorhandene Veranda verlängern zu können, ist unter diesen Umständen jedenfalls nicht eindeutig zu verneinen. Keine Frage kann aber bestehen, daß es dem Antragsteller nicht gelungen ist, die Gefährdung seines Anspruches in der im § 381 EO bestimmten Weise zu bescheinigen. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung der Anspruchsgefährdung jeweils auf die Umstände des einzelnen Falles an; im Hinblick auf die vom Gesetz gebrauchten Ausdrücke „besorgen“ und „drohen" wird aber das Vorliegen von Umständen gefordert, die ohne Bewilligung der einstweiligen Verfügung eine Beeinträchtigung des Anspruches oder des Anspruchsberechtigten als wahrscheinlich erscheinen lassen; es wird die Bescheinigung konkreter Gefährdung gefordert (EvBl 1974/153; SZ 42/135; JBl 1970, 322 u.v.a.). Eine einstweilige Verfügung hat nicht den Zweck, Erfüllung zu erzwingen oder etwaige Vertragsverletzungen unter allen Umständen zu verhindern, sondern nur die Vereitlung der Durchsetzung des Anspruches zu verhindern oder die gefährdete Partei gegen eine Veränderung des gegenwärtigen Zustandes, die für sie mit einem drohenden unwiederbringlichen Schaden verbunden wäre, zu schützen (MietSlg 18.755; SZ 27/329 u.a.; Neumann-Lichtblau³ 1164); unter diesen Umständen kann dann auch eine einstweilige Verfügung erlassen werden, die sich mit dem im Prozeß angestrebten Ziel ganz oder teilweise deckt (SZ 38/133 u.a.). Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller durch den von der Antragsgegnerin herbeigeführten Zustand gegenwärtig – der Erker ist abgedeckt – nicht gefährdet. Der vorherige Zustand ist aber auch mit Geldaufwand wieder herzustellen. Es wäre unter diesen Umständen durch nichts gerechtfertigt, bereits vor Beendigung des Prozesses ohne völlige Klärung der Sach-und Rechtslage durch einstweilige Verfügung Schritte zur Beseitigung der von der Antragsgegnerin getroffenen Maßnahmen zu veranlassen, deren Berechtigung unter Umständen im Rechtsstreit hervorkommen könnte. Mangels jeder Gefährdung des Antragstellers im Sinne des § 381 EO hat daher das Erstgericht die einstweilige Verfügung zu Recht aufgehoben, so daß dessen Entscheidung wieder herzustellen ist.
Gleiches gilt aber auch für die vom Rekursgericht bewilligte einstweilige Ermöglichung der Mitbenützung des Klosettes im zweiten Stock. Selbst wenn man diesen Anspruch als bescheinigt ansehen will, ist doch auch hier eine Gefährdung des Antragstellers nicht bescheinigt.
Daß ein unerträglicher, durch einstweilige Verfügung zu beseitigender Zustand bestünde, wenn der Antragsteller der Mieterin des ehemaligen Büroraumes im zweiten Stock vorübergehend an Stelle der Mitbenützung des Klosettes im zweiten Stock die Mitbenützung eines seiner Klosette im ersten Stock gestattet, kann nicht gesagt werden. Wieso die einstweilige Verfügung zur Verhütung drohender Gewalt bewilligt werden müßte, wurde vom Rekursgericht überhaupt nicht begründet. Ob eine einstweilige Vorkehrung nach § 458 ZPO, für die nach herrschender Auffassung (SZ 13/217 u.a.) weder Anspruchs- noch Gefährdungsbescheinigung gefordert wird (vgl aber dagegen Fasching III 890), erlassen hätte werden können, ist hier nicht zu beurteilen. Auch die zweite Entscheidung des Erstgerichtes ist demnach wieder herzustellen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 78, 402 EO, §§ 41, 50 ZPO.
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