Normen
AußStrG §16
Rechtspflegergesetz §16
ZPO §477 Abs1 Z2
AußStrG §16
Rechtspflegergesetz §16
ZPO §477 Abs1 Z2
Spruch:
Die Bestellung der ehelichen Mutter zur besonderen Sachwalterin im Sinne des § 271 ABGB zwecks Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für ihre Kinder gehört nicht zum erweiterten Wirkungskreis des Rechtspflegers nach § 16 Abs. 1 RPflG
Ein vom Rechtspfleger in Überschreitung der ihm vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsgewalt erlassener Beschluß ist gemäß § 477 Abs. 1 Z. 2 ZPO nichtig
OGH 27. März 1974, 5 Ob 78/74 (LGZ Wien 43 R 73/74; BG Döbling 1 P 151/73)
Text
Das Erstgericht wies in der Besetzung durch einen Rechtspfleger die Anträge der ehelichen Mutter ab,
a) sie zur Geltendmachung der Unterhaltsansprüche für die beiden Kinder zur besonderen Sachwalterin gemäß § 271 ABGB zu bestellen,
b) dem ehelichen Vater monatliche Unterhaltsleistungen von 2000 S für den minderjährigen Sohn Anton und 1500 S für den minderjährigen Sohn Johann aufzutragen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurse der ehelichen Mutter Folge, hob diesen Beschluß - in seinem Punkte a) als nichtig - auf und trug dem Erstgerichte eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Bestellung eines besonderen Sachwalters für ein eheliches Kind sei nicht unter den in § 16 Abs. 1 RPflG erschöpfend aufgezählten Agenden enthalten. Z. 1 dieser Gesetzesstelle beziehe sich nur auf die Bestellung und Enthebung von Vormundern. Ein besonderer Sachwalter im Sinne des § 271 ABGB sei aber kein Vormund, sondern Kollisionskurator im Streit zwischen einem Kind und seinem Vater. Wenn seine Bestellung auch die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche des Kindes betreffe, so könne dies allein wegen des Zusammenhanges nicht der dem Rechtspfleger im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 5 RPflG obliegenden Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen für eheliche Kinder unterstellt werden. Die Überschreitung des Wirkungskreises des Rechtspflegers bewirke die Nichtigkeit seiner Entscheidung, so daß das Erstgericht in richtiger Besetzung durch den Richter neuerlich zu entscheiden haben werde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Vaters gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes leidet ein vom Rechtspfleger in Überschreitung der ihm vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsgewalt erlassener Beschluß an einer Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs. 1 Z. 2 ZPO (vgl. EvBl. 1973/219). Ob dies der Fall ist, stellt eine amtswegig wahrzunehmende verfahrensrechtliche Frage dar, die nicht zur Unterhaltsbemessung gehört und daher der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof offensteht (vgl. RZ 1968, 137; EvBl. 1969/168; 8 Ob 52/69). An der unvorschriftsmäßigen Besetzung ändert auch der Umstand nichts, daß sich der Pflegschaftsrichter in dem gemäß § 12 RPflG verfaßten Vorlagebericht an das Rekursgericht der Entscheidung des Rechtspflegers anschloß (EvBl. 1965/241; 8 Ob 155/72).
Der Rekurs ist sohin zulässig, aber nicht berechtigt.
Auszugehen ist davon, daß auch in Vormundschafts- und Pflegschaftsverfahren die gerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich dem Richter zustehen. Der erweiterte Wirkungskreis des Rechtspflegers kann daher nur jene Agenden umfassen, die ihm ausdrücklich zur selbständigen Erledigung zugewiesen sind und die in § 16 Abs. 1 RPflG BGBl. 180/1962 i. d. F. BGBl. 149/1964, 172/1970 und 108/1973 taxativ aufgezählt werden (vgl. RZ 1973, 148). Der Mutter kann die Stellung eines Antrages, den ehelichen Vater zur Unterhaltspflicht gemäß § 141 ABGB heranzuziehen, nicht verwehrt werden. Ob sie zur Geltendmachung der Ansprüche der minderjährigen Kinder formell zum Kollisionskurator nach § 271 ABGB bestellt werden muß, wurde in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (vgl. SZ 38/163), von der Lehre aber bejaht (vgl. Bydlinski zu 8 Ob 325/64 in JBl. 1965.368; Wentzel - Plessl in Klang[2]I/2, 46). Dagegen bestehen keine Zweifel darüber, daß auch über diesen Antrag der Mutter im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist.
Für einen die Erledigung dieses Antrages umfassenden Wirkungskreis des Rechtspflegers wären allenfalls die Bestimmungen des § 16 Abs. 1 Z. 1 und 5 RPflG in Betracht zu ziehen. Nach der erstgenannten Gesetzesstelle kommt dem Rechtspfleger die Bestellung und Enthebung von Vormundern zu. Einem Vormunde obliegt im Sinne des § 187 ABGB der Schutz einer minderjährigen Person, der die Sorge eines Vaters nicht zustatten kommt. Wenngleich dieser Schutz bei Vorliegen der in §§ 271 ff. ABGB bezeichneten Tatbestände in der Rechtsform der Kollisionskuratel gewährt wird, die ungeachtet des Bestehens der väterlichen Gewalt erforderlich sein kann (vgl. Wentzel - Piegler in Klang[2]I/2, 289), kann nicht davon gesprochen werden, daß der Gesetzesbegriff des Vormundes den des Kollisionskurators im Sinne des § 271 ABGB mitumfasse. Wenn auch die Erl. Bemerkungen in 663 der Beilagen zu den stenographischem Protokollen des Nationalrates, IX. GP, bezüglich des Rechtspflegergesetzes darauf hinweisen, daß der Wirkungskreis des Rechtspflegers in Vormundschafts- und Pflegschaftssachen gegenüber der früheren Regelung (§ 12 RPflV) in mehreren Punkten erweitert werden sollte, so kann ihnen bezüglich § 16 Abs. 1 Z. 1 RPflG in dieser Richtung nur entnommen werden, daß der Rechtspfleger zur Bestellung und Enthebung von Vormundern für eheliche Kinder nunmehr auch dann zuständig sein soll, wenn sie nicht im Zuge einer in seinen Wirkungskreis fallenden Verlassenschaftsabhandlung vorzunehmen ist. Im Hinblick darauf, daß in § 16 Abs. 1 RPflG die dem Rechtspfleger zur Erledigung zugewiesenen Agenden erschöpfend aufgezahlt sind, kann auch aus dem Umstande, daß er nach Z. 5 dieser Gesetzesstelle zur Aufnahme und Genehmigung von Vergleichen auf Leistung des Unterhalts und zur Festsetzung von Unterhaltsbeträgen für eheliche Kinder befugt ist, nicht auch auf einen in diesem Zusammenhang in Richtung der Bestellung besonderer Sachwalter im Sinne des § 271 ABGB erweiterten Wirkungskreis geschlossen werden.
Der Rekurswerber will eine solche Befugnis aus der dem Rechtspfleger im Sinne der Z. 3 der zitierten Gesetzesstelle zukommenden Kompetenz zur Erteilung der Ermächtigung zur Erhebung von Klagen auf Leistung des Unterhaltes ableiten, weil es sich auch hier um einen Eingriff in die Rechte des ehelichen Vaters nach § 147 ABGB handle. Der Rekurswerber verweist aber in diesem Zusammenhange selbst darauf, daß die Entscheidung über den Unterhaltsanspruch dann vom Richter zu fällen sei. Im Hinblick auf das System der Festlegung des Wirkungsbereiches des Rechtspflegers und die unter Umständen schwerwiegenden Folgen der Übertragung eines Teiles der väterlichen Vertretungsmacht infolge Kollision auf andere Personen hätte es einer besonderen gesetzlichen Regelung im Rahmen des dem Rechtspfleger in § 16 Abs. 1 RPflG eingeräumten Wirkungskreises bedurft. Es kann nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber dem Rechtspfleger weitere ähnliche Aufgabenbereiche zuteilen wollte. In Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Zuordnung der Bestellung eines besonderen Sachwalters im Sinne des § 271 ABGB zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den ehelichen Vater muß dies aber dem Richter vorbehalten bleiben, dessen Agenden in § 16 Abs. 2 RPflG nur demonstrativ aufgezählt werden.
Da die Überschreitung des gesetzlichen Wirkungsbereiches des Rechtspflegers die Nichtigkeit seiner Entscheidung nach sich zieht (5 Ob 205/72 und die vom Rekursgerichte zitierte Rechtsprechung), muß dem Rekurs ein Erfolg versagt bleiben.
Es kann nicht verkannt werden, daß die gesetzliche Regelung des Wirkungsbereiches des Rechtspflegers im Zusammenhang mit der Geltendmachung gesetzlicher Unterhaltsansprüche gegen den ehelichen Vater unbefriedigend und nach den Erfordernissen einer ökonomischen und zweckmäßigen Verfahrensgestaltung unzureichend ist was schon Mähr und Pichler zutreffend aufgezeigt haben (RZ 1974, 4), doch kann dem nach den dargelegten Erwägungen nur im Rahmen einer entsprechenden Gesetzesänderung wirksam abgeholfen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)