OGH 7Ob219/73

OGH7Ob219/7319.12.1973

 

Spruch:

Bei der Verpflichtung des Rechtsschutzversicherers, die Kosten des Verfahrens und des für den Versicherungsnehmer bestellten Rechtsanwaltes zu tragen, handelt es sich um eine indirekte Leistungsgarantie.

Der Versicherer hat den Versicherungsschutz durch Zahlung der Kosten an den Rechtsanwalt unbeschadet der nach Art. A 3 ERB 1065 möglichen Rückzahlungspflicht des Versicherten zu gewähren.

Wird der Versicherer durch Richterspruch verpflichtet, den Versicherungsschutz zu gewähren, hat er den Rechtsanwalt nachträglich zu beauftragen und die Kosten an ihn unmittelbar zu zahlen.

Trotz Rechtskraft der die Alkoholbeeinträchtigung feststellenden Entscheidung der Verwaltungsbehörde fällt das rechtliche Interesse an der Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers nicht weg.

OGH 19. Dezember 1973, 7 Ob 219/73 (KG Leoben R 259/73; BG Bruck/Mur 3 C 33/73)

 

 

Der bei der Beklagten rechtsschutzversicherte Kläger wurde am 6. Mai 1972 in K von der Polizei beanstandet, daß er seinen PKW in alkoholisiertem Zustand in Betrieb genommen habe. Deshalb wurden gegen ihn ein Verwaltungsstrafverfahren und ein Führerscheinentziehungsverfahren eingeleitet. Der Kläger beauftragte Rechtsanwalt Dr. Gerhard F, ihn in beiden Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde zu vertreten. Die Beklagte lehnte den Versicherungsschutz mit dem Hinweis auf die Alkoholisierung des Klägers ab. Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm für den Versicherungsfall vom 6. Mai 1972 vollen Rechtsschutz zu gewähren.

Das Erstgericht gab der Klage statt, nahm jedoch in den Spruch seiner Entscheidung die Einschränkung auf, daß sich der zu gewährende Versicherungsschutz auf das bei der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur zu 18 We 22/8-1972 wegen §§ 5 und 99 StVO anhängig gewesene Verwaltungsstrafverfahren beschränke. Nach seinen Feststellungen wurde der Kläger am 6. Mai 1972 gegen 3.10 Uhr mit seinem PKW angehalten und ihm der Führerschein vorläufig abgenommen, weil er im Verdachte stand, den PKW im alkoholisierten Zustand gelenkt zu haben. Auf die gleiche Streife hatte der Kläger vorher in einem Gasthaus einen stark alkoholisierten Eindruck gemacht, so daß die Polizeibeamten ihn darauf hinwiesen, daß er den PKW nicht mehr in Betrieb nehmen dürfe. Der Kläger wurde sodann von der Stadtpolizei K wegen Störung der Ordnung an einem öffentlichen Ort (vorher in dem genannten Gasthaus), wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol stark beeinträchtigten Zustand sowie wegen Verweigerung der Untersuchung angezeigt. In dem zu 18 We 22/8.1972 durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren wurde am 28. August 1972 von der Fortführung des Verfahrens wegen der Übertretung nach Art. VIII EGVG 1950 gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG abgesehen und die Einstellung dieses Verfahrens verfügt, der Kläger aber mit Straferkenntnis vom gleichen Tage gemäß § 5 Abs. 2 und § 99 Abs. 1 lit. b StVO zu einer Geldstrafe von 6000 S verurteilt, weil er sich als Lenker geweigert habe, die Atemluft von einem Polizeibeamten auf Alkoholgehalt überprüfen zu lassen, obwohl der begründete Verdacht bestand, daß er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinde. Nach der Begründung des Erkenntnisses habe der Kläger bei bei den Amtshandlungen der Polizeistreife die Alkoholisierungssymptome glasiger Augen, intensiven Alkoholgeruches aus dem Mund und des sichtlichen Schwankens beim Stehen und Gehen gezeigt und auch zugegeben, daß er vor Antritt der Fahrt Alkohol genossen habe; er habe den zunächst angebotenen Alkotest mit der Begründung verweigert, daß er ohnedies zu viel getrunken habe. Ein Führerscheinentziehungsverfahren sei nicht durchgeführt worden.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes erfülle der im Straferkenntnis angeführte Verdacht, daß sich der Kläger in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe, das Erfordernis des Punktes A Z. 3 der ERB 1965, daß die Alkoholbeeinträchtigung in der Begründung des Straferkenntnisses eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt wurde. Die Frage der tatsächlichen Alkoholisierung sei nicht zu lösen. Die Einschränkung im Urteilsspruch diene der Klarstellung, daß das gegen den Kläger wegen Art. VIII EGVG anhängige Verwaltungsstrafverfahren nicht Gegenstand des Versicherungsfalles vom 6. Mai 1972 sei.

Das Berufungsgericht gab der (gegen die eben erwähnte Einschränkung im Spruch des Ersturteiles erhobenen) Berufung des Klägers nicht Folge, wohl aber der Berufung der Beklagten, und änderte das Ersturteil dahin ab, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Es ergänzte das Beweisverfahren durch Einsichtnahme in die Führerscheinentziehungsakten der BH Bruck/Mur und stellte hieraus ergänzend fest, daß mit dem Bescheid vom 16. Oktober 1972 dem Kläger für drei Monate ab 6. Mai 1972 der Führerschein entzogen worden sei. Der Inhalt der Verwaltungsakten und des Führerschein-Entziehungsbescheides 16 We 10/11-1972 deckt sich weitgehend mit dem Straferkenntnis vom 28. August 1972, 18 We 22/8-1972. Die Begründung des letzteren enthält nach der vom Ersturteil abweichenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes die Feststellung, daß sich der Kläger im Zeitpunkt des den Versicherungsfall begründenden Ereignisses nicht nur, wie es im Spruche des Straferkenntnisses heißt, im begründeten Verdacht eines durch Alkohol beeinträchtigten Zustandes befand, sondern tatsächlich in einem solchen Zustand. Es liege deshalb der Fall des Art. 3 ERB 1965 vor. Wenn die Beklagte nach dieser Bestimmung berechtigt sei, sämtliche aus dem Ereignis erbrachten Leistungen zurückzuverlangen, sei sie nach bereits abgeschlossenem Verwaltungsverfahren auch nicht mehr verpflichtet, derartige sofort rückforderbare Leistungen zu erbringen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte fest, daß die Beklagte dem Kläger auf Grund der bestehenden Fahrzeug-Rechtsschutzversicherung für den Versicherungsfall vom 6. Mai 1972 Versicherungsschutz zu gewähren habe.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach Art. 1 Abs. 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 1965) gewährt der Versicherer Versicherungsschutz, wenn dem Versicherten in der in der Polizze bezeichneten Eigenschaft (Kategorie) zur Wahrung rechtlicher Interessen Kostenzahlungen erwachsen, u. a. (lit. b) bei der Verteidigung in einem Strafverfahren, das entweder von einem Gericht oder von einer Verwaltungsbehörde (Polizei) wegen fahrlässiger, nicht aber vorsätzlicher strafbarer Handlungen oder Unterlassungen (Delikte) eingeleitet wurde; die Verletzung von Verkehrsvorschriften fällt jedoch unter den Versicherungsschutz, es sei denn, daß sie zum Zwecke der Erzielung eines kommerziellen Vorteils begangen wurde. Nach Art. 3 Abs. 1 ARB umfaßt der Versicherungsschutz in den unter Art. 1 genannten Fällen die zur Wahrung der rechtlichen Interessen notwendigen außergerichtlichen und gerichtlichen Maßnahmen, das sind u. a. (lit. b) die Verteidigung in gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren. Nach Art. 3 Abs. 3 ARB übernimmt der Versicherer in den vorgenannten Fällen alle Kosten des Verfahrens in allen Instanzen des ordentlichen Rechtsweges und des von ihm beauftragten Rechtsanwaltes. Nach Art. 7 Abs. 2 ARB hat der Versicherer binnen zwei Wochen, nachdem ihm die Anzeige des Versicherten gemäß Art. 6 zugegangen ist, ihm gegenüber schriftlich den Eintritt in den Versicherungsfall grundsätzlich zu erklären oder unter Angabe der Rechtsfolgen begründet abzulehnen. Tritt der Versicherer dem Grunde nach in den Versicherungsfall ein, so hat er nach Art. 7 Abs. 3 lit. b im Strafverfahren die Pflicht, einen Rechtsanwalt "einzuschalten". Hat der Versicherte einen Anwalt vorgeschlagen, der seinen Sitz im Sprengel des Gerichtes oder Verwaltungsbehörde hat, die für das durchzuführende Verfahren zuständig sind, so ist der Versicherer nach Abs. 4 verpflichtet, diesem Vorschlag nachzukommen. Nur wenn dieser Vorschlag unterbleibt, bestimmt der Versicherer den Rechtsanwalt. "Die Beauftragung des Rechtsanwaltes erfolgt ausnahmslos durch den Versicherer." Dementsprechend hat nach Art. 6 Abs. 4 ARB der Versicherte Kostenvorschreibungen, die ihm zugehen, unverzüglich dem Versicherer zu übermitteln.

Aus dem Zusammenhang der angeführten Bestimmungen ergibt sich, daß die Verpflichtung des Versicherers, die Kosten des Verfahrens und des für den Versicherungsnehmer bestellten Rechtsanwaltes zu tragen, im Falle des Eintritts in den Versicherungsfall darin besteht, den Rechtsanwalt selbst - gegebenenfalls nach dem Vorschlag des Versicherten - zu bestellen und die Kosten des so beauftragten Rechtsanwaltes unmittelbar zu tragen. Es handelt sich insoweit um eine indirekte Dienstleistungsgarantie (Krieger VersR 1956, 304, zutreffend auch für die ARB 1965). Die Rechtsschutzversicherung soll den Versicherungsnehmer instandsetzen, sein rechtliches Interesse wahrzunehmen, indem sie für die Kosten des Rechtsschutzes eintritt (BGH VR 1962, 547 f.) und deren Risiko durch Beistellung des Rechtsanwaltes auf Rechnung des Versicherers abnimmt (vgl. Krieger, VersR 301, 303 und Prölss in VersR 1958, 69).

Aus dieser Rechtslage folgt weiters, daß die Gewährung des Versicherungsschutzes, zu der der Versicherer bei unbegründeter Ablehnung des Eintrittes in den Versicherungsfall mit Klage verhalten wird, in gleicher Weise die Übernahme der Kosten beinhaltet. Wird der Versicherer durch Richterspruch verpflichtet, den Versicherungsschutz zu gewähren, dann hat er den Rechtsanwalt nachträglich zu beauftragen und die Kosten an ihn unmittelbar zu zahlen. Der Bestimmung des Art. A 3 lit. a ERB 1965, wonach der Versicherte unter Umständen sämtliche aus dem den Versicherungsfall begründenden Ereignis vom Versicherer erbrachten Leistungen zurückzuzahlen, kann dann nicht die vom Berufungsgericht angenommene Bedeutung zukommen, daß der Versicherte den Versicherungsschutz gar nicht mehr gewähren brauche. Vielmehr ist die Rechtsansicht des Revisionswerbers zu billigen, daß der Versicherer den Versicherungsschutz durch Zahlung der Kosten an den Rechtsanwalt unbeschadet der möglichen Rückzahlungspflicht des Versicherten zu gewähren hat. Diese Auslegung gewährleistet allein die Erfüllung des Zwecks der Rechtsschutzversicherung, daß nämlich dem Versicherten ohne Rücksicht auf seine finanzielle Lage die Rechtsverteidigung und dem mit Hinweis auf die Rechtsschutzversicherung bestellten und den Versicherer hievon sogleich benachrichtigenden Rechtsanwalt die Vertretung ohne Gefährdung der Einbringlichkeit seiner Kosten ermöglicht wird. Kommt es trotz der Beiziehung des Rechtsanwaltes zu einer Verurteilung im Sinne des Art. A 3 ERB 19 demnach der Versicherer das Risiko der Einbringlichkeit der Kosten im Wege der Rückersatzforderung gegen den Versicherten. Eine gegenteilige Auslegung würde eine klare Risikobeschränkung in den ARB voraussetzen, die dort nicht bestimmt ist.

Da im vorliegenden Fall auch sonst kein Risikoausschluß oder eine Obliegenheitsverletzung, die den Versicherer leistungsfrei machen würde, im Rechtsmittelverfahren noch strittig ist, bedarf es keiner Prüfung der weiteren Frage, ob hier die Begründung des Straferkenntnisses die Feststellung einer tatsächlichen Alkoholisierung des Klägers oder nur die eines Verdachtes in der betreffenden Richtung enthält.

Das Klagebegehren ist dem Sinne nach (SZ 42/25) bloß auf die Feststellung der Deckungspflicht gerichtet (SZ 27/206, ZVR 1563/98 u. a.) Für einen Fortfall des rechtlichen Interesses an dieser Feststellung bietet die Aktenlage trotz der möglichen Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren keinen Anhaltspunkt, weil es auf die erfolgte Kostendeckung ankommt, die offenbar im Verhältnis zwischen dem Kläger und seinem Rechtsanwalt noch nicht stattgefunden hat.

In Stattgebung der Revision war daher wie im Spruch zu entscheiden. Das dritte Verwaltungsverfahren wegen Art. VIII EGVG kann nach der zutreffenden Darstellung des Berufungsgerichtes außer Betracht bleiben, weil es ohnehin vom Versicherungsschutz nicht erfaßt wird (Art. 1 ARB 1965).

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