OGH 8Ob28/73 (8Ob29/73)

OGH8Ob28/73 (8Ob29/73)27.2.1973

SZ 46/26

Normen

ABGB §1157
ABGB §1169
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz 333
ABGB §1157
ABGB §1169
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz 333

 

Spruch:

Die Ausübung eines lediglich aus § 1169 ABGB abgeleiteten Weisungsrechts des Bestellers (bzw. dessen Aufsehers im Betrieb) hat eine den Haftungsausschluß nach § 333 ASVG rechtfertigende Eingliederung des Dienstnehmers des Unternehmers in den Betrieb des Bestellers nicht zur Folge

OGH 27. Feber 1973, 8 Ob 28, 29/73 (OLG Innsbruck 2 R 151/72; LG Innsbruck 7 Cg 600/70)

Text

Der Ehegatte der Erstklägerin und Vater der Zweit- und Drittkläger Engelbert M war am 9. Oktober 1969 mit einem LKW seines Dienstgebers des Transportunternehmers S, in die Schottergrube des Vaters des Beklagten, Albin Sch. sen., gefahren, um dort Schotter zu laden. Während des Aufladens brach eine Wand der Schottergrube ein. Die herabstürzenden Schottermassen begruben M unter sich. Er wurde dabei getötet. Der Beklagte als verantwortlicher Betriebsleiter der Schottergrube wurde wegen dieses Unfalles mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 4. Mai 1970, 17 Hv 82/70, rechtskräftig des Vergehens nach § 335 StG schuldig erkannt. Das Strafgericht legte ihm zur Last, daß er den Schotterabbau entgegen den Auflagen des Genehmigungsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel und den Vorschriften des § 8 Abs. 1 der VO zum Schutze der Dienstnehmer beim Betrieb von Steinbrüchen vornehmen ließ.

Die Erstklägerin begehrte vom Beklagten den Ersatz ihrer mit dem Tode ihres Mannes verbundenen auslagen von insgesamt 33.938.90 S. Darüber hinaus verlangten die Erstklägerin und die Zweit- und Drittkläger den Ersatz des Unterhaltes, der ihnen durch den Tod ihres Mannes bzw. Vaters entgangen sei unter Bedachtnahme auf die Sozialversicherungsrenten beantragten die Kläger, den Beklagten schuldig zu erkennen, der Erstklägerin eine monatliche Rente von 1441.80 S, den Zweit- und Drittklägern eine solche von je 125.20 S ab November 1969 zu bezahlen.

Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Er wendete insbesondere ein, daß ihm als Aufseher im Betrieb seines Vaters der Haftungsausschluß des § 333 ASVG zugute komme. Nach der Art der Tätigkeit des Verunglückten sei dieser in den Schotterwerksbetrieb Sch. sen. eingegliedert gewesen. Selbst soweit die ursprüngliche Einstellung des Verunglückten für den Betrieb S zu berücksichtigen sei, müsse zumindest ein organisiertes Ineinandergreifen bei der Zusammenarbeit zweier Unternehmungen zu einem gemeinsamen Arbeitserfolg anerkannt werden. Das Erstgericht sprach der Erstklägerin den Betrag von 33.851.90 S sowie eine monatliche Rente von 441.80 S zu und wies das darüber hinausgehende Begehren von 87 S sowie ihr weiteres Rentenbegehren von 1000 S und die Rentenbegehren der Zweit- und Drittkläger ab. Es traf, soweit dies für das vorliegende Rechtsmittelverfahren von Bedeutung ist, folgende Feststellungen: Engelbert M war im Zeitpunkte des Unfalles als Kraftfahrer bei der Firma S, einem Transportunternehmen in W, beschäftigt und meistens als Omnibuslenker eingesetzt. Diese Firma führte damals im Auftrag des Albin Sch. sen., des Alleininhabers des Schotterwerkbetriebes, Schottertransporte zur Aufschüttung eines Fischteiches der Firma D durch, welche diese Arbeiten an die Firma Albin Sch. vergeben hatte. Es bestand demnach ein Vertragsverhältnis zwischen der Firma D und der Firma Albin Sch., zu dessen Ausführung Albin Sch. sich der Firma S als Subunternehmer bediente und mit dieser auch die Transportleistungen verrechnete. Zwischen der Firma D und der Firma S bestand kein Vertragsverhältnis. Engelbert M fuhr am 9 Oktober 1969 mit dem LKW im Rückwärtsgang zur Schotterwand und stellte diesen in einer Entfernung von etwa 4 m davon, wie üblich, ab. Da er noch die rückwärtige Bordwand schließen mußte, stieg er aus, begab sich zum Heck und blieb dann daneben stehen. Als der Schotterwerksarbeiter K mit dem Hublader bereits mit dem Schotteraufladen begonnen hatte, bemerkte dieser, wie es aus der Schotterwand rieselte und schrie deshalb M zu, er solle weggehen. M hörte wohl, daß ihm etwas zugeschrien wurde, konnte aber wegen des lauten Motorenlärms nichts verstehen. Erst als K auf die Schotterwand deutete, drehte sich M dieser zu und wollte sofort davonlaufen. Es war dazu jedoch bereits zu spät. Er wurde von den Schottermassen erfaßt und begraben. M hatte sich insgesamt etwa drei Minuten beim Heck des LKWS aufgehalten.

Rechtlich verneinte das Erstgericht eine Haftungsbefreiung des Beklagten nach § 333 ASVG; es liege weder ein organisiertes Ineinandergreifen bei einer Zusammenarbeit zweier Unternehmungen zu einem gemeinsamen Arbeitserfolg, noch ein Arbeiterleihverhältnis vor.

Das Erstgericht bejahte somit die Haftung des Beklagten für die gesamten Schäden der Kläger.

Es ermittelte den Entgang der Witwe mit monatlich 441.80 S, verneinte jedoch einen solchen der Kinder wegen deren Waisenrenten.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil in seinem Ausspruch über die Todfallskosten der Kläger mit Teilurteil. Im übrigen hob es das Ersturteil unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes zur Verfahrensergänzung auf.

Das Berufungsgericht übernahm die erstrichterlichen Feststellungen im oben angeführten Umfang. Es billigte die Verneinung eines Haftungsausschlusses nach § 333 ASVG durch das Erstgericht und führte ergänzend aus, daß ein solcher bei Gegenübertreten zweier Unternehmungen als Vertragskontrahenten mangels Eingliederung des Dienstnehmers des einen in den Betrieb des anderen Unternehmens nicht Platz zu greifen habe.

Auch das Berufungsgericht ging somit davon aus, daß der Beklagte für die Unfallsschäden der Kläger zur Gänze zu haften habe. Er erachtete jedoch zur Beurteilung des Entganges der Hinterbliebenen nach § 1327 ABGB eine nähere Prüfung der Lebensführung der Ehegatten und deren Kinder, ihrer Bedürfnisse und der Art ihrer Deckung für erforderlich.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision und dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Vergebens versucht der Rechtsmittelwerber, aus dem festgestellten Sachverhalt einen Haftungsausschluß nach § 333 ASVG abzuleiten. Welche Bedeutung es für die Beurteilung eines Haftungsausschlusses nach dieser Gesetzesstelle haben sollte, daß nicht der Besteller Sch. sen. selbst, sondern dessen - rechtskräftig verurteilter - Aufseher im Betrieb, Sch. jun., von den Hinterbliebenen des Unfallsopfers in Anspruch genommen wurde, ist nicht erkennbar, denn der Gesetzgeber stellt im Abs. 4 leg. cit. diesbezüglich den Vertreter des Unternehmers und den Betriebsaufseher dem Dienstgeber gleich. Der Beklagte geht selbst davon aus, daß der Bau- und Schottergrubenunternehmer Sch. sen. mit dem Transportunternehmer S im Rahmen eines Werkvertrages vereinbarte, daß letzterer mit seinen Betriebsmitteln und Arbeitern Materialbeförderungen durchzuführen habe. Stehen sich aber, wie im vorliegenden Fall, zwei Betriebsunternehmer als Besteller und Unternehmer oder sonst als Vertragskontrahenten gegenüber, so ist die Haftung des einen Unternehmers bei Verletzung von Betriebsangehörigen des anderen Unternehmers grundsätzlich nicht durch § 333 ASVG ausgeschlossen (ZVR 1960/95, ZVR 1969/34 u. a.). Die festgestellten Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigen - entgegen den Revisionsausführungen - auch nicht ausnahmsweise die Heranziehung dieser Haftungsbefreiungsbestimmung. Es ist davon auszugehen, daß der Verunglückte nicht Dienstnehmer des Bestellers Sch. sen., sondern des Transportunternehmers S war. Die Haftungsbefreiung des § 333 ASVG könnte dem Besteller und dessen Repräsentanten nur dann zugute kommen, wenn der Verunglückte in den Betrieb des Bestellers nach Art eines Leiharbeitsverhältnisses eingegliedert gewesen wäre. Bei Werkverträgen ist im Verhältnis zwischen Besteller und den Arbeitern des Unternehmers eine derartige Eingliederung dieser Arbeiter in den Betrieb des Bestellers grundsätzlich nicht anzunehmen (EvBl. 1963/250 u. a.). Die festgestellten Umstände des vorliegenden Falles reichen für die ausnahmsweise Annahme einer derartigen Eingliederung nicht aus. Hieran können die von der Revision dargelegten "Berührungspunkte" zwischen den Leuten des Bestellers und jenen des Transportunternehmers beim Beladen und Entladen der Fahrzeuge ebensowenig etwas ändern wie der Umstand, daß der Verunglückte seine Kraftfahr- und Transportleistungen nicht freiwillig, sondern pflichtgemäß zu erbringen hatte. Eine Verpflichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen bestand für den Verunglückten nämlich nur seinem eigenen Dienstgeber, dem Transportunternehmer gegenüber. Durch den Abschluß eines Werkvertrages zwischen Besteller und Unternehmer wurde aber der Verunglückte keineswegs in den Betrieb des Bestellers in der Art eines eigenen Arbeitnehmers desselben eingegliedert. Der vom Rechtsmittelwerber hervorgehobene Umstand, daß der Besteller durch Entrichtung des Werklohnes an den Frächter auch zu den Lohnzahlungen desselben an seine Arbeiter beiträgt, ändert an dieser Beurteilung nichts. Wieso der Verunglückte während der durch die Arbeiter des Bestellers erfolgten Beladung des Lkws den Weisungen des Erstbeklagten nach Art eines eigenen Dienstnehmers des Bestellers unterworfen gewesen sein sollte, vermag der Rechtsmittelwerber nicht zu erklären. Zu Weisungen an den Verunglückten wäre der Beklagte allerdings insoweit berechtigt und sogar verpflichtet gewesen, als er solche in Ausübung der dem Besteller gegenüber den Bediensteten des Unternehmers obliegenden Fürsorgepflicht zum Schutze des Lebens und der Gesundheit derselben gegen Gefahren an der Betriebsstätte erteilt hätte. Solches hat der Beklagte allerdings nicht getan. Im übrigen würde die Ausübung eines derartigen, lediglich aus § 1169 ABGB, abgeleiteten Weisungsrechtes keinesfalls eine den Haftungsausschluß nach § 333 ASVG rechtfertigende Eingliederung des Dienstnehmers des Unternehmers in den Betrieb des Bestellers mit sich bringen. Es kann aber entgegen den Rechtsmittelausführungen auch keine Rede davon sein, daß etwa das Transportunternehmen S und das Steinbruchunternehmen Sch. in bezug auf den dem Bauunternehmen Sch. von D erteilten Auftrag die Herbeifuhrung eines "gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolges" anstrebten. Vielmehr erschöpfte sich die Aufgabe des Transportunternehmers S darin, daß er das von den Leuten des Bestellers Sch. sen. auf seine LKWs geladene Material durch seine Dienstnehmer zur Baustelle führte, auf denen Sch. sen. als Bauführer D"s tätig war. Unter diesen Umständen haben die Vorinstanzen zutreffend die Voraussetzung eines Haftungsausschusses nach § 333 ASVG verneint.

Den dagegen zugunsten des Schädigers angestellten Erwägungen rechtspolitischer Art ist zu erwidern, daß der OGH eine ausdehnende Auslegung der Ausnahmsbestimmung des § 333 ASVG gegenüber Personen, die nicht in den Betrieb eingegliedert sind, in ständiger Rechtsprechung aus der Erwägung ablehnt, daß die durch einen Arbeitsunfall Geschädigten über die vom Gesetz ausdrücklich normierten Fälle hinaus in der Geltendmachung der normalen Schadenersatzansprüche nicht gehindert werden sollen (ZVR 1967/17 u. a.).

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