OGH 8Ob184/72

OGH8Ob184/7226.9.1972

SZ 45/99

Normen

ABGB §1295
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §9
ABGB §1295
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §9

 

Spruch:

Der Begriff des Betriebes iS des § 1 EKHG darf nicht bloß vom maschinentechnischen Standpunkt aus erfaßt werden; er ist vielmehr unter dem Gesichtspunkt der verkehrstechnischen Auffassung zu erweitern

Der Halter haftet für den Auffahrunfall, den sein auf dem ersten Fahrstreifen der Autobahn wegen Achsbruches zum Stillstand gekommener LKW-Zug verursachte

OGH 26. 9. 1972, 8 Ob 184/72 (OLG Wien 10 R 35/72; KG Wiener Neustadt 2 Cg 800/71)

Text

Am 28. 11. 1966 wurde um etwa 23.20 Uhr der bei der Klägerin sozialversicherte Michael P als Beifahrer in dem von Franz St gelenkten LKW schwer verletzt, als Franz St auf den am ersten Fahrstreifen der Südautobahn Richtung Wien im Gebiet der Gemeinde B zum Stillstand gekommenen LKW-Zug auffuhr, dessen Lenker Josef W und dessen Halter der Beklagte Franz Sch war.

Die Klägerin begehrte als Legalzessionarin nach § 332 ASVG vom Lenker und Halter den Ersatz der von ihr für Michael P auf Grund des Unfalles erbrachten Leistungen in der Höhe von insgesamt S 27.360.98 sowie die mit S 16.000.- bewertete Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen unfallsbedingten Pflichtaufwendungen der Klägerin für Michael P, soweit diese Leistungen im Ersatz des Schadens, den dieser selbst fordern könnte, Deckung finden.

Die Beklagten haben Klagsabweisung beantragt, jegliches Verschulden des Lenkers bestritten und, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, eingewendet, daß der Unfall nicht beim Betrieb des LKW eingetreten sei.

Im ersten Rechtsgang hat das Erstgericht mit Urteil vom 25. 1. 1971 das gegen Josef W und Franz Sch gerichtete Klagebegehren abgewiesen und dazu folgenden Sachverhalt festgestellt:

Josef W fuhr am 28. 11. 1966 auf dem ersten Fahrstreifen der Südautobahn um zirka 22.20 Uhr mit dem LKW samt Anhänger in Richtung Wien, wegen starken Nebels mit einer Geschwindigkeit von nur zirka 10 km/h. Beim Baukilometer 36.861 km kam der LKW, wie sich später herausstellte, wegen eines Achsschadens plötzlich und unvorhersehbar zum Stillstand und konnte von der Fahrbahn nicht mehr weggebracht werden. Josef W ließ die Fahrzeugbeleuchtung eingeschaltet, stellte zirka 30 m hinter dem Fahrzeug ein Pannendreieck auf und begab sich zu seinem Dienstgeber, dem Halter des LKW, Franz Sch. Nach zirka einer Stunde kehrte er mit diesem zurück. Inzwischen war Franz St, der bei einer Sicht von zirka 20 m eine Geschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hatte, mit dem von ihm gelenkten LKW auf den stehenden LKW-Zug nahezu ungebremst angefahren. Er hatte das Pannendreieck überhaupt nicht, den LKW-Zug zu spät gesehen. Der mitfahrende Michael P wurde dabei schwer verletzt. Franz St wurde wegen der Übertretung nach § 335 StG rechtskräftig verurteilt.

Das Erstgericht lehnte jegliche Haftung der Beklagten ab: Weder Lenker noch Halter treffe ein Verschulden; der LKW-Zug habe sich nicht mehr in Betrieb befunden.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in Ansehung des Lenkers, welche Entscheidung infolge Bestätigung durch den Obersten Gerichtshof in Rechtskraft erwuchs. In Ansehung des beklagten Halters hob das Berufungsgericht das Ersturteil unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf. Ausgehend von den erstrichterlichen Feststellungen vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, daß sich der Unfall beim Betrieb des LKW-Zuges ereignet habe, weil der Betrieb und die damit verbundenen Gefahren nicht durch einen wegen eines technischen Gebrechens verursachten Stillstand auf der Fahrbahn beendet würden. Damit hafte der Halter auch ohne ein Verschulden des Lenkers nach § 9 Abs 1 EKHG, weil das Ereignis auf einem Versagen der Vorrichtungen des Kraftfahrzeuges beruhe, welcher Umstand eine Haftungsbefreiung ausschließe. Dem Erstgericht wurde die ergänzende Verhandlung über die Höhe des geltend gemachten Anspruches und über das Feststellungsbegehren aufgetragen. Der Rechtskraftvorbehalt wurde von den Parteien nicht ausgenützt.

Im zweiten Rechtsgang bejahte das Erstgericht, ausgehend von der ihm überbundenen Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Haftung des nunmehr allein beklagten Halters Franz Sch nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz. Es erkannte ihn schuldig, der Klägerin den Betrag von S 27.360.98 sA zu bezahlen, und stellte dessen Haftung für die künftigen Pflichtaufwendungen der Klägerin an ihren Versicherten Michael P im Rahmen des Deckungsfonds fest.

Das Berufungsgericht gab der vom Beklagten erhobenen Berufung teilweise Folge. Es hob das Ersturteil in seinem Ausspruch über das Leistungsbegehren zur Verfahrensergänzung ohne Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf, bestätigte es hingegen in seinem Ausspruch über das Feststellungsbegehren.

Der Oberste Gerichtshof gab der gegen das Teilurteil des Gerichtes zweiter Instanz gerichteten Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Hinblick auf die Ausführungen in der Revisionsbeantwortung ist vorweg festzuhalten, daß die Revision gegen das angefochtene Teilurteil zulässig ist, weil es sich infolge der Aufhebung der erstrichterlichen Entscheidung hinsichtlich des auf Zahlung von S

27.360.98 gerichteten Klagebegehrens hiebei weder um ein voll bestätigendes noch um ein einem solchen gleichzuhaltendes Urteil (§ 502 Abs 3 ZPO idF BGBl 1971/291) des Berufungsgerichtes handelt. Nach ständiger Rechtsprechung sind Revision und Revisionsgrunde nicht deswegen beschränkt, weil ein früherer unter Rechtskraftvorbehalt ergangener Verweisungsbeschluß des Berufungsgerichtes (§ 519 Abs 3 ZPO) nicht bekämpft wurde (SprR 37 neu; 1 Ob 274/67 ua).

In der Sache selbst erschöpft sich die Rechtsrüge in dem allein noch aufrechterhaltenen Einwand, daß der Beklagte für den Unfall nicht nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz hafte. Die Revision vertritt die Auffassung, der Unfall habe sich deshalb nicht beim Betrieb des LKW ereignet, weil dieser im Zeitpunkt des Auffahrens infolge seines Achsbruches nicht mehr betriebsfähig gewesen sei. Ihre Argumente vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Die Revision verficht ausdrücklich die sogenannte motortechnische Auffassung, wonach ein Fahrzeug nur dann in Betrieb ist, wenn der Motor läuft, und meint, daß die sogenannte verkehrstechnische Auffassung deshalb abzulehnen sei, weil sie verschiedene, mit der Inbetriebnahme des Motors vor der Teilnahme am Verkehr verbundene, von der Rechtsprechung bejahte Haftungsfälle nicht erfasse. Dem ist zu erwidern, daß nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 23/104, ZVR 1957/104, 1969/177, 1971/55 uva) der Begriff des Betriebes nicht bloß vom maschinentechnischen Standpunkt aus erfaßt werden darf; der Oberste Gerichtshof lehnt eine bloß maschinentechnische Begriffsbestimmung als zu eng ab und tritt für deren Erweiterung unter dem Gesichtspunkt der verkehrstechnischen Auffassung ein. Entgegen den Revisionsausführungen läßt sich aus der Beibehaltung des dem früheren Sonderhaftpflichtrecht entnommenen Begriffs "Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges" durch das seit 1. 6. 1959 in Geltung stehende Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz für die vom Beklagten angestrebte restrictive Interpretation nichts gewinnen. Die EB (470 BlgNR 8. GP) erachteten eine diesbezügliche nähere Bestimmung der Begriffe im Hinblick auf Lehre und Rechtsprechung, die damals längst über die bloß maschinentechnische Begriffsbestimmung hinausgegangen war, als überflüssig. Der Justizausschuß (572 BlgNR 8. GP) erblickte in einer näheren Begriffsbestimmung sogar die Gefahr, daß diese zu einer einschränkenden Auslegung führen könnte. Auch aus der von der Revision herangezogenen älteren deutschen Rechtsprechung zu der mit der Bestimmung des § 1 Abs 1 EKHG im wesentlichen übereinstimmenden Regelung des § 7 dStVO ist für ihren Standpunkt nichts gewonnen. Schon in der Entscheidung vom 9. 1. 1959, NJW 1959, 627, hat der Bundesgerichtshof die frühere engere Begriffsauslegung abgelehnt und sich angesichts der gewaltigen Steigerung des Kraftfahrzeugverkehrs und seiner Gefahren sowie des Zweckes des Gesetzes, die Verkehrsteilnehmer von diesen Gefahren zu schützen, zu einer weiten Auslegung des Begriffes "beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges" bekannt; hievon ausgehend hat der Bundesgerichtshof in einem gleichgelagerten Fall entschieden, daß ein Unfall, der sich durch das Auffahren an ein haltendes Kraftfahrzeug ereignet, auch dem Betrieb des haltenden Fahrzeuges zuzurechnen ist, gleichgültig, ob der Fahrer freiwillig eine Fahrpause einlegt oder ob er durch einen Schaden am Fahrzeug gezwungen wird, auf der Fahrbahn zu halten.

Im vorliegenden Fall ist der LKW-Zug des Beklagten infolge eines Achsbruches auf dem ersten Fahrstreifen der Autobahn zum Stillstand gelangt, wodurch in der Folge ein anderer LKW auffuhr und der Versicherte der Klägerin zu Schaden kam. Es wurde somit beim Betrieb des LKW-Zuges infolge des Versagens seiner Verrichtungen durch dessen Stillstand auf der Fahrbahn einer Schnellstraße für den Folgeverkehr eine Gefahr ausgelöst, die jedenfalls größer ist, als die Betriebsgefahr, die von dem LKW-Zug ausgegangen wäre, wenn er sich in Bewegung befunden hätte. Es ist nicht einzusehen, warum in einem solchen Fall der Halter nicht zur Haftung für die mit dem Betrieb seines Fahrzeuges verbundenen Gefahren herangezogen werden sollte. Vergleichsweise sei darauf hingewiesen, daß der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung ZVR 1971/55 dargelegt hat, daß auch dann ein Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges anzunehmen ist, wenn der Anhänger eines Kraftfahrzeuges ohne Zugfahrzeug am Straßenrand abgestellt wird und Ursache eines Unfalles ist.

Da ein auf der Fahrbahn einer Schnellstraße zum Stillstand gelangter LKW-Zug die generelle Eignung besitzt, einen Auffahrunfall mit Schadensfolgen herbeizuführen, ist - entgegen den Revisionsausführungen - auch der adäquate Kausalzusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und eingetretenem Schaden zu bejahen. Der zwischen dem Achsbruch und dem Auffahrunfall liegende Zeitraum vermag diesen nicht zu unterbrechen. Die von der Revision schließlich noch aufgeworfene Frage, ob sich der Unfall als ein für den Halter unabwendbares Ereignis darstellt, kann auf sich beruhen, weil die Haftungsbefreiungsgrunde des § 9 EKHG dann nicht zur Anwendung kommen, wenn der Unfall durch einen Fehler in der Beschaffenheit des Kraftfahrzeuges oder durch ein Versagen seiner Verrichtungen - diesfalls durch Achsbruch - herbeigeführt wurde.

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