Spruch:
Wurde eine Vereinbarung des Gerichtsstandes des Erfüllungsortes durch Bevollmächtigte getroffen, muß zwar mit der beim Gericht des Erfüllungsortes eingebrachten Klage die Vollmacht des Bestellers und nunmehrigen Beklagten, nicht aber die des Lieferers und nunmehrigen Klägers urkundlich nachgewiesen werden
OGH 30. 8. 1972, 1 Ob 147/72 (HG Wien 1 R 87/72; BGHS Wien 3 C 1906/71)
Text
Die klagende Partei, eine Einzelfirma, die den Handel mit Warenverkaufsautomaten in Wien betreibt, hat gegen die Beklagte, die Inhaberin eines Lebensmittelgeschäftes an einem Ort außerhalb des Gerichtssprengels des Erstgerichtes ist, eine Klage aus einem Warenlieferungsvertrag auf Bezahlung von S 2050.- samt stufenweisen Zinsen eingebracht. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes hat sie auf die Bestimmung des § 88 JN gestützt.
Die Beklagte hat örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes eingewendet.
Der Erstrichter hat die Verhandlung auf die Zuständigkeitsfrage eingeschränkt, der Unzuständigkeitseinrede Folge gegeben und die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurückgewiesen. Er hat sich hiebei von der Überlegung leiten lassen, daß von der klagenden Partei zwar das Annahmeschreiben vom 15. 6. 1970, Beilage 4, mit dem der Vertrag nach den Behauptungen der klagenden Partei mit der Beklagten zustandegekommen sei, dem Gericht vorgelegt und von der Beklagten auch die Übereinstimmung desselben mit dem Original und dessen Richtigkeit zugegeben wurde, doch sei dieses Schreiben nicht vom Alleininhaber der klagenden Partei Manfred R, sondern in seiner Vertretung von einer Frau W ("i. A. W") unterfertigt worden. Wenn aber die Vereinbarung gemäß § 88 Abs. 1 JN durch einen Vertreter eines der Vertragsteile zustandegekommen sei, dann sei im Falle der Bestreitung dieser Vereinbarung auch der urkundliche Nachweis der Bevollmächtigung des Vertreters vorzulegen. Ein solcher urkundlicher Nachweis der Bevollmächtigung sei von der klagenden Partei nicht erbracht worden.
Das Rekursgericht hat diesen Beschluß aufgehoben und dem Erstrichter die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen. Es vertrat die Ansicht, im vorliegenden Falle sei die Klage, gestützt auf den durch die Bevollmächtigte geschlossenen Vertrag, zumindest als Wissenserklärung über die vorher erteilte Vollmacht aufzufassen und begrunde auch ohne vorher erteilte Vollmacht ein Vollmachtsverhältnis. Selbst wenn man die Person, die das Annahmeschreiben gefertigt hat, als "falsus procurator" ansehen wollte, sei die Klage, mit der sich die klagende Partei den Vorteil aus dem Vertrage zuwende, als stillschweigende Genehmigung iS des § 1016 ABGB anzusehen. Es liege somit in der Form der Klage eine Urkunde über die Bevollmächtigung vor; damit sei der Gerichtsstand des § 88 Abs 1 JN wirksam begrundet.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs ist zulässig, da der Aufhebungsbeschluß inhaltlich eine Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung darstellt, sodaß auch die Bestimmung des § 527 Abs 2 ZPO (EvBl 1959/115; 1 Ob 267/68 ua) nicht zum Tragen kommen kann; er ist aber nicht berechtigt, wenngleich der Begründung des Rekursgerichtes nicht beigetreten werden kann.
Es ist zwar richtig, daß es dann, wenn die Vereinbarung des Erfüllungsortes durch Bevollmächtigte getroffen wurde, in der Regel auch des urkundlichen Nachweises der Bevollmächtigung bedarf (Fasching I, 446, Anm 5 zu § 88 JN; JBl 1954.541; EvBl 1968/45 = EFSlg 8413). Dies wird von Lehre und Rechtsprechung zu § 88 Abs 1 JN aus dem Zusammenhalt mit § 87a JN abgeleitet, zumal im Durchführungserlaß vom 2. 6. 1914, JMVBl 43 (vgl hiezu die Anm 1 zu § 88 JN in ZPO[12] MGA) ausgesprochen wurde, für die Vorlage der Urkunden über den Erfüllungsgerichtsstand gelte das gleiche, was über die Vorlage der Urkunden beim Gerichtsstand für Warenforderungen der Kaufleute gesagt wurde (vgl hiezu GlUNF 7275).
Im § 87a JN ist aber nur normiert, daß bei Geschäften, die auf Grund einer Bevollmächtigung abgeschlossen wurden, die Vollmacht des Bestellers, dh, die vom vertragsschließenden Besteller der dann gelieferten Waren erteilte Vollmacht urkundlich nachgewiesen werden muß (vgl hiezu Petschek - Stagel, Der österreichische Zivilprozeß 118, Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege 127).
Im gegenständlichen Fall hat die Beklagte die Ware bestellt und in ihrem Anbot an die klagende Partei als Erfüllungsort Wien vorgeschlagen. Dieses Anbot wurde von der klagenden Partei - wenn auch durch einen Vertreter - angenommen. Als Besteller ist also gegenständlich die Beklagte aufgetreten.
Der Sinn der Vorschrift, daß dann, wenn die Vereinbarung des Erfüllungsortes durch Bevollmächtigte getroffen wurde, es auch des urkundlichen Nachweises der Bevollmächtigung bedarf, ist darin zu erblicken, daß der Beklagte davor geschützt werden soll, bei einem Gericht geklagt zu werden, dem er sich nicht persönlich oder - urkundenmäßig bewiesen - durch einen Bevollmächtigten unterworfen hat. Hat aber der Beklagte als Besteller selbst persönlich einen bestimmten Erfüllungsort in seinem Anbot - wie gegenständlich - vorgeschlagen und wurde dieses Anbot von der Gegenseite, also dem Lieferer der Ware - wenn auch durch einen Bevollmächtigten - angenommen und damit auch der Vorschlag der Vereinbarung des Erfüllungsortes, dann kann der Beklagte kein Interesse daran haben, wie es seinerzeit auf der Gegenseite mit der Vollmacht stand, wenn sich die Gegenseite ohnehin an die Vereinbarung hält. Die in der Judikatur bisher entschiedenen Fälle betrafen denn auch durchwegs das Fehlen eines urkundlichen Nachweises der Bevollmächtigung des Vertreters der beklagten Partei, nicht aber - wie diesmal - das Fehlen eines urkundlichen Nachweises der Bevollmächtigung des Vertreters der klagenden Partei.
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