OGH 1Ob192/72 (1Ob165/72)

OGH1Ob192/72 (1Ob165/72)30.8.1972

SZ 45/87

Normen

ABGB §166a
AußStrG §14 Abs2
AußStrG §16 Abs1
ABGB §166a
AußStrG §14 Abs2
AußStrG §16 Abs1

 

Spruch:

Die Rechtsmittelbeschränkung des § 14 Abs 2 AußStrG gilt nicht, wenn ein Revisionsrekurs nicht die Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes, sondern die Rechtsgrundlage dieser Bemessung anficht

Es ist offenbar gesetzwidrig, wenn bei Bemessung des Unterhaltes eines unehelichen Kindes nur auf die nach durchschnittlichen Erfahrungssätzen angenommenen Bedürfnisses des Kindes Bedacht genommen wird und die Lebensverhältnisse des Vaters und der Mutter überhaupt nicht berücksichtigt werden

OGH 30. 8. 1972, 1 Ob 165, 192/72 (LGZ Wien 43 R 742/71; BG Schwechat P 108/71)

Text

Auf Grund eines Urteiles des BG B ist Gerhard G, der uneheliche Vater der am 12. 6. 1968 geborenen Sabine M, zur Bezahlung eines monatlichen Unterhaltes von S 500.- verpflichtet. Mit der durch eine Aufstellung über den angeblichen Bedarf des Kindes unterstützten Behauptung, das Kind benötige monatlich S 1011.- und damit unter Berücksichtigung der vom Ehemann der Mutter bezogenen Familienbeihilfe von S 280.- den Betrag von S 730.- monatlich, begehrte der Amtsvormund des Kindes die Verpflichtung des Vaters zur Bezahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 730.- ab 17. 7. 1971.

Das Erstgericht wies den Antrag ab, da der durchschnittliche Bedarf eines Kindes im Alter der Minderjährigen nur bei etwa S 700.- monatlich liege.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, da mit monatlich S 780.- (S 500.- Unterhaltsbetrag des Vaters zuzüglich S 280.- Familienbeihilfe) die Bedürfnisse eines erst im vierten Lebensjahr stehenden Kindes, die in diesem Alter noch nicht besonders differenziert seien, ohne weiteres befriedigt werden könnten; besondere in der Person des Kindes begrundete Mehrbedürfnisse, etwa auf Grund einer Krankheit, seien nicht behauptet worden und ergäben sich auch nicht aus der Aktenlage. Jeder gesetzliche Unterhaltsanspruch sei aber umfänglich durch die Höhe der Unterhaltsbedürfnisse des Unterhaltsberechtigten begrenzt; das gelte auch seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes, BGBl 1970/342 (§ 166a Abs 1 ABGB neue Fassung). Es sei allerdings wahrscheinlich möglich, Beträge in jeder beliebigen Höhe für den Unterhalt eines Kindes aufzuwenden; maßgeblich sei aber der Durchschnittsbedarfsatz, solange kein diesen Regelbedarf überschreitender relevanter Einzelbedarf des Kindes bestehe. Sei aber der Unterhaltsbedarf des Kindes durch die vom Vater erbrachten Unterhaltsleistungen gedeckt, dann könne seine allfällige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zur Erbringung höherer Unterhaltsleistungen unerörtert bleiben. Den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs des Amtsvormundes wies das Rekursgericht zurück. Sowohl die Frage des durchschnittlichen Bedarfes von Kindern bestimmter Altersgruppen als auch die Rechtsfrage, ob die Familienbeihilfe eine dem Kind selbst gewidmete Zweckzuwendung sei, seien Bestandteile jener Erwägungen, die nach dem Judikat 60 neu zur Bemessungsfrage gehörten. Das Rechtsmittel des außerordentlichen Revisionsrekurses sei daher gemäß § 14 Abs 2 AußStrG unzulässig.

Der Oberste Gerichtshof hob den Zurückweisungsbeschluß des Rekursgerichtes auf. Gleichzeitig gab er dem Revisionsrekurs gegen die bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes in der Unterhaltssache Folge, hob die Beschlüsse der Untergerichte auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Beschlußfassung über den Antrag des Amtsvormundes zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 14 Abs 2 AußStrG sind Rekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche unzulässig. Nach dem Judikat 60 neu (SZ 27/177) gehört zur Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes die Beurteilung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der zur Deckung dieser Bedürfnisse vorhandenen Mittel, die vor der Leistung des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen sind sowie der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Das Judikat 60 neu ging dabei nach seiner Begründung davon aus, daß das Gesetz keine Berechnungsmethode zur Verfügung stelle, die eine Ermittlung der Höhe des Unterhaltsanspruches aus diesen Umständen nach gebundenen Regeln zuließe; es sei vielmehr dem Ermessen der Gerichte überlassen, aus den festgestellten Verhältnissen auf die Höhe des Anspruches zu schließen. Ein Revisionsrekurs sei daher ausgeschlossen, wenn nur geltend gemacht werde, daß sich bei entsprechender Berücksichtigung der erwähnten drei Umstände ein höherer oder niedrigerer Unterhaltsbetrag ergebe als der, den die zweite Instanz bestimmt habe. Der Oberste Gerichtshof hat aber auch erkannt, daß das Wort "Bemessung" ein Bemessen voraussetze, was nur dann der Fall sei, wenn die Entscheidung abwäge, wie hoch der Unterhalt innerhalb eines gegebenen Spielraumes zu sein habe, wenn es also um das Wieviel und nicht um das Ob gehe; von einem Bemessen könne aber nicht gesprochen werden, wenn es darum gehe, ob es nur auf die Bedürfnisse des Kindes oder auch auf die Vermögensverhältnisse der Eltern ankomme (SZ 39/196; in diesem Sinne auch EFSlg 10.840). Letztere Auffassung ist allerdings nicht unbestritten geblieben; so wurde unter ausdrücklicher Ablehnung der zuletzt zitierten Entscheidungen die Meinung vertreten, daß es sich immer dann um ein Bemessungsproblem handle, wenn Streit über das Ausmaß, über ein Mehr oder Weniger der Unterhaltsleistung und nicht über die Frage, ob eine Unterhaltsverpflichtung überhaupt bestehe, herrsche; gehe es nur um das Mehr oder Weniger, sei eine Anfechtung der zweitinstanzlichen Entscheidung ohne Rücksicht darauf ausgeschlossen, welche Fehler immer der zweiten Instanz bei ihrer Entscheidung unterlaufen sein mögen (EFSlg 12.686). Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes, BGBl 1970/342, ausgesprochen, daß die Beurteilung der zweiten Instanz, ein dem Vater bei Bedachtnahme auf das Alter des Kindes und die dem Vater unter Berücksichtigung seiner Sorgepflichten und Lebenshaltungskosten verbleibenden Beträge zur Zahlung auferlegte Unterhaltsbetrag sei angemessen, zur Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes selbst dann gehört, wenn das Ergebnis der Beurteilung darin besteht, daß eine höhere Unterhaltsleistung als die bisherige nicht geschuldet werde (8 Ob 280/71). Im letzterwähnten Fall hatten die Untergerichte allerdings die Lebensverhältnisse des Vaters festgestellt und waren zum Ergebnis gelangt, daß er mit dem bezahlten Unterhaltsbetrag das Kind an seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen teilhaben lasse; die Untergerichte hatten damit auf die Bestimmung des § 166a Abs 1 ABGB in der derzeitigen Fassung Bedacht genommen, wonach bei der Bemessung des Unterhaltes die Lebensverhältnisse sowohl des Vaters als auch der Mutter und die Bedürfnisse des Kindes angemessen zu berücksichtigen sind.

Im vorliegenden Falle fehlen nun aber alle Hinweise auf die Lebensverhältnisse des Vaters und der Mutter; der Unterhaltserhöhungsantrag wird nur abgewiesen, weil die Unterhaltsbedürfnisse eines im vierten Lebensjahr stehenden Kindes nach den errechneten Durchschnittsbedarfsätzen mit S 780.- monatlich ohne weiteres befriedigt werden könnten, der gesetzliche Unterhaltsanspruch umfänglich durch die Höhe der Bedürfnisse begrenzt sei und eine allfällige weitere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vaters unter diesen Umständen unerörtert bleiben könne. Aus rechtlichen Gründen haben damit die Untergerichte die Berücksichtigung der Lebensverhältnisse des Vaters und der Mutter abgelehnt. Es ist nun aber nach Ansicht des erkennenden Senates ein entscheidender Unterschied, ob ein Gericht unter Berücksichtigung aller nach dem Wortlaut des Gesetzes wesentlichen Umstände zur Bemessung des Unterhaltes mit einem bestimmten Betrag kommt bzw eine begehrte Unterhaltserhöhung ablehnt oder ob es zu diesem Ergebnis nur gelangt, weil es aus rechtlichen Gründen von der Anwendung eines für die Bemessung des Unterhaltes wesentlichen Maßstabes absieht. Ebenso wie die Entscheidung SZ 39/196 mit Recht dargetan hat, es sei nicht eine Frage der Bemessung des Unterhaltes, ob einem unehelichen Kind nach der alten Rechtslage der notwendige oder der angemessene Unterhalt gebührte, ist es auch keine bloße Bemessungsfrage, ob für die Bemessung des Unterhaltes nur die Bedürfnisse des Kindes allein oder auch die Lebensverhältnisse der Eltern angemessen zu berücksichtigen sind. Diese Auffassung widerspricht auch nicht dem Inhalt des Judikates 60 neu, das nur dann das Vorliegen einer bloßen Unterhaltsbemessung annahm, wenn die Untergerichte alle für die Bemessung maßgeblichen Umstände berücksichtigen. Ist hingegen die Ansicht des Rekursgerichtes, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vaters zur Erhöhung der Unterhaltsleistung könne unerörtert bleiben, strittig, wird nicht die Bemessung des Unterhaltes, sondern die Rechtsgrundlage der Bemessung angefochten. Es wird nicht, wie auch das Judikat 60 neu voraussetzte, nur geltend gemacht, daß die für die Bemessung maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften innerhalb des dort gezogenen Rahmens falsch angewendet wurden, sondern gerügt, daß ein gesetzlicher Grundsatz der Unterhaltsbemessung infolge Verkennung der Rechtslage nicht beachtet und daher aus einem Rechtsirrtum nicht in die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Ermessenserwägungen einbezogen wurde. Es geht dann nicht um die bloße Bemessung des Unterhaltes, sondern um den Grund des Anspruches. Ein außerordentlicher Revisionsrekurs, der sich wie der des Amtsvormundes gegen die bei der Bemessung des Unterhaltes anzuwendenden Rechtsgrundsätze wendet, verstößt damit nicht gegen das Anfechtungsverbot des § 14 Abs 2 AußStrG.

Es würde der Verfahrensökonomie widersprechen, die Sache an das Rekursgericht nur zur Vorlage des Revisionsrekurses an den Obersten Gerichtshof zurückzuverweisen und dann erst über den Revisionsrekurs zu entscheiden. Im Sinne der herrschenden Auffassung (RZ 1965, 98 ua) ist vielmehr sogleich auch über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Amtsvormundes zu erkennen.

Da das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichtes bestätigte, steht dem Amtsvormund nur der sogenannte außerordentliche Revisionsrekurs nach § 16 Abs 1 AußStrG zu, also nur aus den

Gründen der Nichtigkeit (Nullität), der offenbaren Aktenwidrigkeit und der offenbaren Gesetzwidrigkeit. Letzteren Anfechtungsgrund macht der Revisionsrekurs geltend. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur vor, wenn die zur Beurteilung gestellte Frage im Gesetz so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (JBl 1972, 328; EvBl 1972/72; SZ 39/103 uva). Das Gesetz sagt nun im § 166a Abs 1 ABGB eindeutig, daß bei Bestimmung des Unterhaltsspruches des unehelichen Kindes die Lebensverhältnisse sowohl des Vaters als auch der Mutter und die Bedürfnisse des Kindes angemessen zu berücksichtigen sind. Es ist daher offenbar gesetzwidrig, wenn die Untergerichte nur auf die nach durchschnittlichen Erfahrungssätzen angenommenen Bedürfnisse des Kindes Bedacht nahmen und die Lebensverhältnisse der Eltern überhaupt nicht berücksichtigten. Damit wurde nämlich die vom Gesetzgeber gewollte Individualisierung des Unterhaltsanspruches unter Bedachtnahme auf die Verhältnisse des Kindes und seiner Eltern abgelehnt. Daß der Gesetzgeber aber die Absicht hatte, auch die Berücksichtigung der Verhältnisse der Eltern durch die Gerichte zu verlangen, ergibt sich nicht nur aus dem in dieser Richtung unmißverständlich formulierten Gesetz, sondern auch aus Darlegungen der für die Gesetzwerdung maßgebenden Organe und Personen. So heißt es in den EB zur RV des Bundesgesetzes über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes, 6 der BlgN XII. GP, 23, daß für die Unterhaltsansprüche des außerehelichen Kindes zwar in erster Linie die Bedürfnisse des Kindes maßgebend zu sein haben, dabei aber auch die Lebensverhältnisse des Vaters und der Mutter zu berücksichtigen sind. Daß aber die Lebensverhältnisse der Eltern die Höhe des Unterhaltes wesentlich beeinflussen und damit weit über das Durchschnittsmaß hinaus anheben können, ergibt sich aus den Ausführungen auf S 24; hier wird nämlich gesagt, daß es bei Berücksichtigung der besonderen Umstände, unter denen das Kind aufwächst (§ 166a Abs 1 Satz 2 ABGB), nicht sinnvoll wäre, ein Kind, das in bescheidenen Verhältnissen bei seiner Mutter aufwächst, auf Grund eines höheren Einkommens des Vaters mit solchen Mitteln auszustatten, daß die Lebensführung des Kindes in einem krassen Gegensatz zu seiner Umgebung stehen würde; es soll ein höheres Einkommen des Vaters auch nicht ermöglichen, daß die Pflegeperson des Kindes vom Unterhalt des Vaters miterhalten wird. Daraus ist nämlich zu schließen, daß ein Kind, deren Eltern beide wohlhabend sind, sehr wohl einen Unterhalt bekommen kann, der unter Berücksichtigung ihrer Lebensverhältnisse weit höher liegt als der eines Durchschnittskindes. Diese Absicht des Gesetzgebers läßt sich auch aus dem Bericht des Justizausschusses, 155 der BlgNR XII. GP, 4, aber auch den Ausführungen der Berichterstatterin Lona Murowatz (Stenographische Protokolle des Nationalrates, XII. GP, 930) und von Debattenrednern im Nationalrat (Herta Winkler aaO 932, Dr Kerstnig aaO 946, Dr Marga Hubinek aaO 954, wo von einem Vermögensausgleich die Rede ist), ableiten. Daß man aber für den Unterhalt eines Kindes Beträge in (fast) jeder beliebigen Höhe aufwenden kann, hat das Rekursgericht selbst erkannt. Er kann und darf aber auch, wenn es die Lebensverhältnisse der Eltern gestatten, verlangt und muß auferlegt werden, wenn er nur den Rahmen der Angemessenheit nicht überschreitet. Das kann bei dem von der Amtsvormundschaft begehrten Betrag jedenfalls nicht ohne weiteres - dies im Konkreten zu beurteilen, ist Sache der Bemessung - gesagt werden.

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