Spruch:
Haben die Ehegatten bei Auflösung der häuslichen Gemeinschaft mehrere gemeinsame gewöhnliche Aufenthaltsorte, kann jeder derselben zur Begründung der Zuständigkeit nach § 76 JN herangezogen werden
OGH 10. 5. 1972, 6 Ob 94/72 (OLG Wien 7 R 5/72; KG Krems 13 Cg 404/70)
Text
Die Parteien haben am 7. 3. 1950 die Ehe geschlossen, deren Scheidung der Kläger nunmehr begehrt. Die Klage wurde beim KG Krems eingebracht und enthält die Behauptung, "der letzte gemeinsame eheliche Wohnsitz" sei H-Dorf Nr 22 gewesen, woraus sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtshofes ergebe.
Die Beklagte erhob die Prozeßeinrede der örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes und brachte vor, der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Parteien sei in der Wohnung Wien, R-Gasse 81/3/6, gewesen. Deshalb sei nicht das KG Krems, sondern das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien örtlich zuständig.
Nach Durchführung eines Verfahrens gab das Erstgericht der Prozeßeinrede der Beklagten statt und wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Das Erstgericht traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Im Jahre 1965 kaufte der Kläger nach seiner Pensionierung ein Grundstück in H-Dorf und errichtete dort ein Haus. Dieses war als Sommerhaus gedacht und sollte im Jahr während acht bis neun Monaten von den Ehegatten als sogenannte Sommerwohnung bewohnt werden. Bis zum Sommer 1968 hatten die Parteien die gemeinsame Absicht, teils in H-Dorf, teils in Wien zu wohnen. Dabei sollte der Sommer in H-Dorf, der Winter in Wien verbracht werden. Die Wohnung in Wien war eine Naturalwohnung, in der von 1967 bis 1969 auch die Tochter der Parteien mit ihrem Ehemann wohnte.
Den Sommer 1967 und auch den Beginn des Sommers 1968 verbrachten die Parteien gemeinsam in H-Dorf, wohin im Jahre 1968 auch die Mutter der Beklagten zog. Im Juni 1968 kam es zwischen den Ehegatten zu Auseinandersetzungen. Nach einem Vorfall verließen die Beklagte und ihre Mutter das Haus.
Nach diesem Vorfall kam die Beklagte manchmal an den Wochenenden mit Bekannten nach H-Dorf und verbrachte dort den Tag. Meistens wurde dabei das Mittagessen gemeinsam eingenommen, das aber vom Kläger bereitet war. Dieser fuhr auch einige Male nach Wien, doch hielt er sich nur für Stunden in der dortigen Wohnung auf.
Am Karfreitag 1969 erschien der Kläger in der Wiener Wohnung und brachte einen Blumenstrauß und einen Hasen als Beitrag für die Küche mit. Er nächtigte in der Ehewohnung im gemeinsamen Schlafzimmer. Zu dieser Zeit lebten in der Wiener Wohnung auch die Tochter der Parteien, ihr Mann und ihr Kind. Die Beklagte kochte und führte den Haushalt, während sich der Kläger in der Wiener Wohnung aufhielt. Der Kläger bestritt die Kosten der Lebensmittel für die Osterfeiertage, die gemeinsamen Mahlzeiten verliefen friedlich.
Während der Osterfeiertage 1969 versöhnten sich die Ehegatten. Während des Aufenthaltes des Klägers in Wien war nicht nur von alltäglichen Dingen die Rede, sondern es wurden auch Pläne für die Zukunft gemacht, darunter auch, daß die Beklagte an den Wochenenden regelmäßig nach H-Dorf kommen sollte. H-Dorf sollte aber Sommeraufenthalt bleiben. Erst am Abend des Osterdienstag kam es wieder zu einer Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten. Der Kläger reiste hierauf ab. Seither leben die Ehegatten getrennt.
Rechtlich leitete das Erstgericht aus diesem Sachverhalt ab, der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt sei Wien gewesen, woraus sich gemäß § 76 JN die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtshofes ergebe.
Das Rekursgericht änderte die Entscheidung erster Instanz dahin ab, daß es die von der Beklagten erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit verwarf. Dabei ging das Rekursgericht von der Erwägung aus, daß auch mehrere gewöhnliche Aufenthalte denkbar seien und in einem solchen Fall der Kläger die Wahl zwischen den zuständigen Gerichten habe. Das zuerst angerufene Gericht sei zuständig.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Besonderen Wert legt die Beklagte darauf, daß es auf den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten ankomme, und meint, es sei nach den Denkgesetzen ausgeschlossen, daß von zwei Aufenthaltsorten beide auch gleichzeitig der letzte Aufenthaltsort seien. Nach ihrer Auffassung gebe es auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes nur einen einzigen in diesem Sinne letzten Aufenthaltsort und dies sei die Wohnung in Wien.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die zutreffende rechtliche Erwägung, daß es mehr als einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 76 JN geben kann, wird von der Beklagten nicht bekämpft. Es trifft aber nicht zu, daß im Falle der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft in derartigen Fällen ein einzelner unter mehreren gewöhnlichen Aufenthaltsorten der einzige letzte iS des § 76 JN sein könne. Es findet bei Auflösung der häuslichen Gemeinschaft nicht eine Einengung von mehreren gewöhnlichen Aufenthaltsorten auf einen einzigen statt, sondern es kommt allein darauf an, welcher Zustand hinsichtlich des Bestehens allenfalls mehrerer gewöhnlicher Aufenthaltsorte im maßgebenden Stichzeitpunkt, das ist die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft, geherrscht hat. Hatten die Ehegatten in diesem Zeitpunkt mehr als einen gewöhnlichen Aufenthalt, dann ist dies eben der letzte für die Beurteilung der Zuständigkeit nach § 76 JN maßgebende Zustand. Die Merkmale eines doppelten gewöhnlichen Aufenthaltes sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Ehegatten hatten nicht allein die Absicht, das Jahr teilweise in H-Dorf und teilweise in Wien gemeinsam zu verbringen, sondern sie haben diese Absicht auch verwirklicht. Ungeachtet der den Osterfeiertagen 1969 vorausgegangenen Zwischenfälle hat sich im Zeitpunkt der Versöhnung zu Ostern 1969 an dem bis dahin bestehenden Zustand nicht deshalb etwas geändert, weil die Ehegatten die Osterfeiertage zufällig gerade in Wien verbrachten. Nach den Feststellungen schloß ja die Versöhnung eine Planung in sich, die ganz ausdrücklich die Fortsetzung des bis dahin ohnehin faktisch bestehenden Zustandes vorsah. Deshalb hat im Zeitpunkt des Verlassens der häuslichen Gemeinschaft durch den Kläger zu Ostern 1969 der Zustand eines doppelten gewöhnlichen Aufenthaltes der Ehegatten bestanden. Daraus ergibt sich aber iS der zutreffenden Rechtsausführungen des Rekursgerichtes auch eine doppelte örtliche Zuständigkeit der diesen Aufenthaltsorten entsprechenden Gerichtshöfe. Das Erstgericht wurde als erstes angerufen und hat deshalb einzuschreiten.
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