OGH 2Ob227/71

OGH2Ob227/719.12.1971

SZ 44/188

Normen

ABGB §1295
ABGB §1311
Bundesstraßengesetz §11
Niederösterreichisches Landesstraßengesetz §34
StVO §88
StVO §93
ABGB §1295
ABGB §1311
Bundesstraßengesetz §11
Niederösterreichisches Landesstraßengesetz §34
StVO §88
StVO §93

 

Spruch:

Der Schutzzweck der Normen über die Streupflicht ist lediglich, Personen vor Schaden zu bewahren, die eine Verkehrsfläche bestimmungsgemäß und unter Aufbietung der erforderlichen Sorgfalt benützen

OGH 9. 12. 1971, 2 Ob 227/71 (KG Krems/Donau R 79/71; BG Raabs/Thaya C 51/70 )

Text

Am 6. 12. 1968 gegen 6.45 Uhr stürzte der 12jährige Kläger auf der damals nicht gestreuten Landesstraße 8155 im Ortsgebiet von M, einen Meter vom rechten Fahrbahnrand entfernt, wobei er sich einen Oberschenkelhalsbruch rechts zuzog.

Der Kläger begehrte Schadenersatz, weil trotz Glatteises die Fahrbahn nicht gestreut gewesen sei.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung.

Das Erstgericht teilte das Verschulden 4:1 zu Lasten des Klägers, sprach ihm S 2400.- sA zu und wies das Mehrbegehren von S 12.002.40 sA ab.

Das von beiden Teilen angerufene Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Der Kläger erhebt Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, auf Grund einer Verschuldensteilung 1:4 zu Lasten der Beklagten dem Kläger S 11.521.92 sA zuzusprechen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Untergerichte sind von folgenden Feststellungen ausgegangen:

Am Abend des 5. 12. 1968 trat im Raum M infolge gefrierenden Nieselregens Straßenglätte auf, die bis in die Morgenstunden des 6. 12. 1968 anhielt. Die Gemeinde M kam ihrer Streupflicht in keiner Weise nach. Am 6. 12. 1968 gegen 6.45 Uhr versammelten sich auf dem Marktplatz von M bei der Haltestelle des Autobusses mehrere Schüler, darunter auch der Kläger. Bis zum Eintreffen des Schülerautobusses schleiften sämtliche Schüler auf der bei der Haltestelle abfallenden eisglatten und nicht gestreuten Landesstraße Richtung Fahrbahnmitte bergab. Bei einer dieser Rutschfahrten kam der Kläger zum Sturz und brach sich den rechten Oberschenkel.

Das Erstgericht erblickte im Verhalten der Gemeinde M eine grobe Fahrlässigkeit, die zur Verletzung des Klägers geführt habe. Dieser Kausalzusammenhang sei durch das auf den Spieltrieb zurückzuführende Eisschleifen des Klägers nicht unterbrochen worden, da mit einer solchen Handlungsweise nach der Lebenserfahrung insbesondere bei Kindern gerechnet werden müsse.

Das Berufungsgericht hielt ebenfalls die Unterlassung der Streuung durch die Gemeinde M für eine grobe Fahrlässigkeit, verwies aber darauf, daß nach § 34 des nö LStG auch bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit die Schadenersatzpflicht der für die Straßenerhaltung zuständigen Organe nur in dem im § 13 Abs 1 dieses Gesetzes bestimmten Ausmaß eintrete. Nach § 13 Abs 1 seien die Straßen so zu erhalten, daß sie von Fußgängern bei Beachtung der Verkehrsvorschriften und unter Bedachtnahme auf die Witterungsverhältnisse ohne Gefahr benützt werden könnten. Das Schleifen auf einer Straße widerspreche den Verkehrsvorschriften, da es nach § 88 Abs 3 StVO ua verboten sei, die Ordnung des Straßenverkehrs durch Eisschleifen zu stören. Dem bereits 12 Jahre alten Kläger sei zweifellos bewußt gewesen, daß man auf der Straße nicht spielen (eisschleifen) dürfe. Die Gemeinde M sei daher für den Unfall des Klägers nicht haftbar, sodaß auf die Frage des Kausalzusammenhanges nicht einzugehen gewesen sei.

Der Revisionswerber meint, der Kausalzusammenhang zwischen dem Unterlassen der Streuung und dem Unfall des Klägers sei deshalb gegeben, weil die Nachlässigkeit der Gemeinde das Fehlverhalten des Klägers erst ermöglicht, ja wegen des einem Kinde innewohnenden Spieltriebes zu diesem Verhalten geradezu angestiftet habe. Der Kläger sei nicht wegen des Schleifens zum Sturz gekommen, sondern zufolge der Glätte der Fahrbahn.

Diese Behauptung widerspricht jedoch den getroffenen Feststellungen. Der Kläger ist beim Schleifen gestürzt; es ist nicht sicher, daß er auch gestürzt wäre, wenn er ordnungsgemäß auf der Straße gegangen wäre bzw wie seine Schulkolleginnen auf den Autobus gewartet hätte.

Der Revisionswerber bringt ferner vor, § 88 StVO stelle eine Schutznorm für die Kinder wegen der ihnen aus dem Straßenverkehr drohenden Gefahren dar und Abs 3 dieser Bestimmung solle Behinderungen anderer Straßenbenützer hintanhalten. Eine solche Behinderung sei aber durch das Schleifen gar nicht eingetreten. Im Vordergrund steht jedoch die vom Berufungsgericht zutreffend angestellte Überlegung, die Streupflicht bezwecke, daß Fußgänger bei Beachtung der Verkehrsvorschriften und unter Bedachtnahme auf die Witterungsverhältnisse die Straße ohne Gefahr benützen könnten. Der Schutzzweck dieser Normen ist demnach lediglich, Personen vor Schaden zu bewahren, die eine Verkehrsfläche bestimmungsgemäß und unter Aufbietung der erforderlichen Vorsicht benützen. Wer daher eine Verkehrsfläche bestimmungswidrig, nämlich als Rutschbahn und eben deshalb benützt, weil nicht gestreut ist, tut dies auf eigene Gefahr, mag er auch ein 12jähriger Schüler sein. Unter diesen Umständen brauchte weder auf die Frage der Deliktsfähigkeit des Klägers noch auf die Frage, ob ihm Ersatz von Transportkosten gebühre, eingegangen zu werden. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht das Klagebegehren abgewiesen.

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