OGH 8Ob97/71 (8Ob96/71)

OGH8Ob97/71 (8Ob96/71)15.6.1971

SZ 44/91

Normen

ABGB §1438
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
ABGB §1438
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332

 

Spruch:

Zur Frage der Aufrechnung der aus dem gleichen Unfall abgeleiteten Gegenforderung des Schädigers gegen den sozialversicherten Geschädigten mit der vom Sozialversicherungsträger gemäß § 332 ASVG geltend gemachten Regreßforderung gegen den Schädiger

OGH 15. 6. 1971, 8 Ob 96, 97/71 (OLG Wien 9 R 164/70; LGZ Wien 34 Cg 274/68)

Text

Am 27. 11. 1965 führte der bei den klagenden Parteien sozialversicherte Christian S auf der F-Brücke in Wien anläßlich einer polizeilich genehmigten Übungsfahrt unter Aufsicht des Beklagten als Lenker des dem Beklagten gehörigen PKW einen Unfall herbei, bei dem S und der Beklagte schwer verletzt wurden. Beide wurden wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG rechtskräftig schuldig erkannt, S, weil er als Lernender mit ungenügender Fahrpraxis ein Überholmanöver durchführte, der Beklagte, weil er als Lehrender sich vorher nicht ausreichend überzeugte, ob der Lenker des Fahrzeuges auf Grund seiner Ausbildung als Kraftfahrer und seiner Fahrpraxis in der Lage sei, das Überholmanöver durchzuführen.

Die Erstklägerin, die Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, anerkannte ein 25%iges Eigenverschulden des Lenkers, bezifferte die an ihm erbrachten Sachleistungen mit S 32.854.58 und die Barauslagen mit S 19.588.35. Die Sachleistungen ergäben verkürzt um den Eigenverschuldensanteil einen Betrag von S 24.641.54, während die Barleistungen in voller Höhe durch den Ersatzanspruch des Versicherten gedeckt seien. Sie begehrt demnach im Regreßwege nach § 332 ASVG einen Betrag von S 44.229.89. Sie stellte weiter das Begehren auf Feststellung, daß ihr der Beklagte für alle künftigen Pflichtaufwendungen hafte, die sie aus Anlaß des Verkehrsunfalls ihrem Versicherten zu erbringen haben werde, soweit diese Leistungen in dem Schadenersatzanspruch Deckung finden, den der Versicherte gegen den Beklagten ohne Legalzession nach § 332 ASVG selbst stellen könnte.

Die Zweitklägerin, die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Landesstelle Wien, begehrt ebenfalls mit Bezug auf die Bestimmungen des § 332 ASVG einen Betrag von S 24.834.70, den sie als Invalidenpension ihrem Versicherten ausbezahlt habe und der im kongruenten Verdienstentgang des Versicherten - auch bei Anrechnung eines Eigenverschuldens von einem Drittel - volle Deckung finde.

Die beiden Klagen wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Beklagte behauptete ein 75%iges Eigenverschulden des Lenkers und wendete aufrechnungsweise Gegenforderungen (Schmerzengeld, Entgelt für Verdienstentgang und Sachschaden am PKW) ein. Hinsichtlich des von der Erstklägerin begehrten Ersatzes für Krankengeld in Höhe von S 13.194.42 beantragte er Abweisung wegen Verjährung. Er behauptete eine Haushaltsersparnis des Versicherten für die Dauer seines Krankenhausaufenthaltes von täglich S 30.-. Die Höhe der von den Klägern für S erbrachten Versicherungsleistungen blieb unbestritten.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung der Erstklägerin mit S 26.106.68, die Klagsforderung der Zweitklägerin mit S 24.834.70 als zu Recht bestehend, die Gegenforderungen des Beklagten als nicht zu Recht bestehend und verurteilte letzteren zur Zahlung der genannten Beträge. Es gab dem Feststellungsbegehren der Erstklägerin Folge und wies deren Mehrbegehren nach S 18.132.21 ab.

Es legte seiner Entscheidung eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 zu 3 zum Nachteil des Beklagten zugrunde.

Das Berufungsgericht entschied mit Teilurteil, der Beklagte hafte der Erstklägerin für alle Pflichtaufwendungen aus Anlaß des Verkehrsunfalls, soweit diese Leistungen in dem um 25% verminderten Schadenersatzanspruch des Geschädigten Deckung finden, und setzte den Betrag des abgewiesenen Mehrbegehrens von S 18.132.21 auf S

13.195.22 sA herab. Letzterer Anspruch sei verjährt. Es hob im übrigen das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf. Es ging dabei von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 zu 3 zum Nachteil des Beklagten aus.

Hinsichtlich der bis zur Klagshöhe eingewendeten Gegenforderungen des Beklagten teilte das Gericht zweiter Instanz nicht die Absicht des Erstgerichtes, der Beklagte könne seine Gegenforderungen nur dem Direktanspruch des Geschädigten entgegenhalten. Da der Sozialversicherungsträger gegenüber dem Schädiger keine eigenen, sondern bloß vom Geschädigten abgeleitete Ansprüche geltend mache, stunden dem Beklagten als Schädiger gegen den Sozialversicherungsträger alle jene Einwendungen zu, die ihm gegen den Geschädigten zugestanden wären. Die Sozialversicherungsträger und der Geschädigte müßten sich vorhandene Gegenforderungen des Beklagten im Verhältnis ihrer Forderungen zum Gesamtanspruch aufrechnen lassen. Das Erstgericht werde daher zunächst die gesamten Ersatzansprüche des S und die Höhe der Gegenforderungen des Beklagten festzustellen haben. Nur mit dem Prozentsatz, der dem Anteil der durch Legalzession auf die Sozialversicherungsträger übergegangenen Forderungen an der Gesamtforderung des S entspreche, könnten gegenüber den klagenden Parteien die Gegenforderungen aufgerechnet werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Erstklägerin gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Ohne den Spruch des Aufhebungsbeschlusses selbst anzufechten, bekämpft die Erstklägerin bloß die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, daß die Gegenforderungen des Beklagten aus dem Unfall im Verhältnis des Regreßanspruches der Sozialversicherungsträger zum Direktanspruch des geschädigten Versicherten aufzurechnen seien. Nach Ansicht der Erstklägerin führe diese Art der Aufrechnung zu Ergebnissen, die dem Sinn und Zweck der Sozialversicherung nicht entsprächen. Der Schädiger dürfe nicht primär gegen den Sozialversicherungsträger aufrechnen. Die Kompensationseinrede stehe zwar nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts dem Schädiger zu, doch sei sie in erster Linie gegen den Direktanspruch des geschädigten Versicherten zu erheben. Nur der überschießende Teil der Gegenforderung könne dem Sozialversicherungsträger entgegengehalten werden. Diese Lösung entspreche den von der Judikatur entwickelten Grundsätzen hinsichtlich des "Quotenvorrechts" des Sozialversicherers. Der um den Eigenverschuldensanteil verkürzte Schadenersatzanspruch des geschädigten Versicherten gehe nach Maßgabe der Leistungen des Sozialversicherungsträgers auf diesen über und bilde den Deckungsfonds, aus dem der Sozialversicherungsträger im Vorrang vor dem dem Geschädigten verbleibenden restlichen Schadenersatzanspruch zu befriedigen sei. Es sei daher die Gegenforderung zunächst mit dem zu ermittelnden Direktanspruch (restlichen Schadenersatzanspruch) des Geschädigten zu verrechnen. Lediglich der durch Aufrechnung noch nicht getilgte Rest der Gegenforderung könne der Regreßforderung des Sozialversicherungsträgers entgegengehalten werden.

Bei den vom Beklagten den beiden klagenden Sozialversicherungsträgern gegenüber aufrechnungsweise geltend gemachten Forderungen handelt es sich um Schadenersatzforderungen, die der Beklagte seinerseits aus dem bereits festgestellten Mitverschulden des versicherten Geschädigten an dem Unfall ableitet. Dieser Schadenersatzanspruch des Beklagten ist ebenso wie der Schadenersatzanspruch des Versicherten bereits zum Unfallszeitpunkt entstanden. Letzterer Anspruch ist auf Grund des § 332 ASVG bis zur Höhe der vom Sozialversicherungsträger an den Versicherten zu erbringenden sachlich und zeitlich kongruenten Leistungen an die Kläger sofort übergegangen, jedoch unter Berücksichtigung des Prozentsatzes des mitwirkenden Eigenverschuldens des Verletzten. Es kann also grundsätzlich der Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem ersatzpflichtigen Schädiger ziffernmäßig nicht höher sein als der Anspruch, der dem geschädigten Versicherten nach bürgerlichem Recht, etwa nach Abzug des auf den Eigenverschuldensanteil entfallenden Schadensteiles, gegen den beklagten Schädiger zusteht (SZ 32/165 ua). Der dem Geschädigten gegen den Schädiger gebührende Schadenersatzanspruch bildet für den Sozialversicherungsträger den sogenannten Deckungsfonds, aus dem die Leistungen des Sozialversicherungsträgers im Vorrang vor dem Leistungsempfänger zu befriedigen sind (Quotenvorrang), während der geschädigte Versicherte nicht mehr als den ihm verbleibenden restlichen Ersatzanspruch geltend machen kann (vgl ZVR 1966/67 ua).

Hat der vom regreßnehmenden Sozialversicherungsträger belangte Schädiger seinerseits durch das Mitverschulden des sozialversicherten Geschädigten einen Schaden erlitten, so kann er die ihm aus diesem Gründe gegen den sozialversicherten Geschädigten zustehende Schadenersatzforderung nach herrschender Lehre (vgl Geigel, Der Haftpflichtprozeß [14], 943, 30/100) und Rechtsprechung (JBl 1959, 596 und 157) dem Sozialversicherungsträger aufrechnungsweise entgegenhalten. Dies folgt daraus, daß der Sozialversicherungsträger keinen eigenen Anspruch gegen den Schädiger geltend macht, sondern einen vom sozialversicherten Geschädigten abgeleiteten. Der gemäß § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergehende Anspruch ist belastet mit dem auf das gleiche Schadensereignis zurückzuführenden und im gleichen Augenblick wie der Schadenersatzanspruch des sozialversicherten Geschädigten entstandenen Schadenersatzanspruch des Schädigers gegen den sozialversicherten Geschädigten (vgl JBl 1959, 157).

Zu der hier strittigen Frage, ob der vom regreßnehmenden Sozialversicherungsträger belangte Beklagte seine Schadenersatzforderung gegen den sozialversicherten Geschädigten dem Sozialversicherungsträger ohne jede Einschränkung entgegensetzen kann, oder - wie das Berufungsgericht angenommen hat - nur mit dem Betrag, der dem Verhältnis zwischen dem auf den Sozialversicherungsträger gemäß § 332 ASVG übergegangenen Teil zu dem beim sozialversicherten Geschädigten verbliebenen Teil der Schadenersatzforderung des letzteren entspricht, ist zu sagen: Die Problematik liegt darin, daß die an sich einheitliche Schadenersatzforderung des sozialversicherten Geschädigten zufolge der Bestimmung des § 332 ASVG in zwei Teile zerfällt, nämlich in den Teil, der auf den Sozialversicherungsträger übergeht, und in den Teil, der beim sozialversicherten Geschädigten verbleibt (insbesondere Schmerzengeld und Ersatz für Sachschäden). Ist die Gegenforderung des Beklagten größer als die - zunächst ungeteilte - Schadenersatzforderung des sozialversicherten Geschädigten, wird durch die auf den Zeitpunkt der Entstehung der beiden Forderungen zurückbezogene Aufrechnung die ganze Forderung des sozialversicherten Geschädigten, also auch der vom Anspruchsübergang gemäß § 332 ASVG betroffene Teil derselben, aufgezehrt. Ist dagegen die Schadenersatzforderung des Beklagten kleiner, dann geht der nach der Aufrechnung verbleibende Rest gemäß § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger über, soweit dieser Leistungen zu erbringen hat. Diese Folgerung muß aus dem in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers gezogen werden, der ja tatsächlich Leistungen in der gleichen Höhe an den sozialversicherten Geschädigten erbringt, bzw zu erbringen hat, so daß sich der Geschädigte dadurch nicht mit Grund als benachteiligt erachten kann. Der vom Sozialversicherungsträger in Anspruch genommene Beklagte ist durch eine solche Regelung nicht benachteiligt, weil ihm ja dadurch die Aufrechnung gegen den Sozialversicherungsträger nur insoweit verwehrt wird, als er ohnehin gegen den sozialversicherten Geschädigten aufrechnen kann. Wäre es dagegen dem Beklagten möglich, seine Schadenersatzforderung dem Sozialversicherungsträger, der ihn vor dem sozialversicherten Geschädigten belangt, ohne eine solche Einschränkung entgegenzuhalten, dann würde sich dies einseitig zu Lasten des Sozialversicherungsträgers auswirken, der sich ja an dem sozialversicherten Geschädigten nicht schadlos halten kann. Eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung des Sozialversicherungsträgers würde aber auch schon dann eintreten, wenn - wie dies das Berufungsgericht für richtig hielt - die Schadenersatzforderung des Beklagten verhältnismäßig auf die Regreßforderung des Sozialversicherungsträgers und auf die Restforderung des sozialversicherten Geschädigten aufgerechnet würde.

Den Ausführungen im Rekurs der Erstklägerin kann daher insoweit Berechtigung nicht abgesprochen werden. Bei der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses muß es allerdings verbleiben, weil es das Erstgericht aus allgemein gehaltenen Erwägungen, ohne ausreichende tatsächliche Feststellungen, für ausgeschlossen hielt, daß dem Beklagten nach Aufrechnung mit der Direktforderung des Geschädigten eine zur Aufrechnung mit der Forderung der Erstklägerin geeignete Gegenforderung verbleibe.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte