OGH 1Ob35/71

OGH1Ob35/7111.2.1971

SZ 44/14

 

 

Spruch:

Dem Begehren auf Rückzahlung des auf Grund eines rechtskräftigen (Versäumungs‑)Urteiles Geleisteten aus dem Gründe der ungerechtfertigten Bereicherung steht die Tatbestandswirkung des Urteiles entgegen

 

OGH 11. 2. 1971, 1 Ob 35, 36/71 (LGZ Graz 1 R 125/70; BGZ Graz 26 C 197/70)

 

Begründung:

Der Kläger ist der eheliche Vater des am 26. 1. 1964 geborenen Siegfried M. Mit der Behauptung, er habe das Kind gegen Bezahlung eines monatlichen Betrages von S 300.-, ab 1. 6. 1968 von S 350.-, bei sich in Verpflegung und Quartier genommen, der Kläger habe jedoch seit Mai 1968 nichts bezahlt, begehrte der Beklagte vom Kläger zu 4 C ../68 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz die Bezahlung eines Betrages von S 1700.- und zu 4 C .../69 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz die Bezahlung von S 4900.-. Mit rechtskräftigen Versäumungsurteilen vom 8. 10. 1968 und 9. 12. 1969 wurde der Kläger zur Bezahlung dieser Beträge verhalten. Auf Grund der zu 12 E ..../69 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz bewilligten Exekution hat der Kläger den Betrag von S 1700.- bezahlt. Auch zur Hereinbringung des Betrages von S 4900.- wurde zu 12 E ..../70 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz Exekution bewilligt.

Mit der Behauptung, die Klage und Exekutionsführung des Beklagten verstoße gegen die guten Sitten und habe eine ungerechtfertigte Bereicherung des Beklagten herbeigeführt, da er ab 15. 5. 1958 nicht mehr berechtigt gewesen sei, Zahlungen für das Kind Siegfried M vom Kläger zu fordern, stellte der Kläger das Begehren, der Beklagte sei verpflichtet, ihm den Betrag von S 1700.- zurückzuzahlen. Weiter stellte er unter Hinweis auf die bewilligte Exekution zur Hereinbringung des Betrages von S 4900.-, die noch nicht zur vollständigen Überweisung des in Exekution gezogenen Betrages geführt habe, gleichzeitig mit der Klage den Zwischenantrag auf Feststellung, daß das dem Beklagten eingeräumt gewesene, durch ausdrücklichen Widerruf aber beseitigte Recht, die von ihm für den mj Siegfried M zu leistenden Alimentationszahlungen zu übernehmen, mit Wirkung ab Mai 1968 zu bestehen aufgehört habe, also erloschen und nicht wieder aktiviert worden sei. Letztlich beantragte er die Einstellung der zu 12 E ..../70 bewilligten Exekution nach rechtskräftiger Entscheidung im gegenständlichen Prozeß. Zahlungen ab 1. 6. 1968 seien vereinbarungsgemäß an die Großmutter des Kindes Anna V, die es auch pflege, erfolgt, wogegen der Beklagte nicht mehr berechtigt gewesen sei, Zahlungen für das Kind zu verlangen. In seinen Klagen habe der Beklagte wahrheitswidrig behauptet, daß ihm die eingeklagten Beträge zustünden. Nur wegen Unwissenheit und Mißgeschicks des Klägers sei es dazu gekommen, daß die beiden Versäumungsurteile rechtskräftig geworden seien.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren und den weiter gestellten Anträgen des Klägers statt. Der Kläger habe mit Anna V, die seinen Sohn, ihren Enkel, gepflegt habe, mit Wissen des Beklagten vereinbart, daß das bis dahin vom Beklagten empfangene monatliche Pflegegeld von S 300.- ab Juni 1968 direkt an Anna V bezahlt werde, die sodann auch tatsächlich die Lebensmittel für das Kind eingekauft habe. Der Beklagte habe daher seine Ansprüche zu 4 C ../68 und 4 C ..../69 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz zu Unrecht erhoben; die Erwirkung zweier Versäumnisurteile komme aber einem Anerkenntnis nicht gleich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten statt, wies mit Beschluß den Zwischenfeststellungsantrag und den Antrag auf Einstellung der Exekution 12 E ..../70 zurück und änderte im übrigen mit Urteil die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Eine die Bindungswirkung formell rechtskräftiger Entscheidungen außer acht lassende Klage sei, auch wenn sie auf Sittenwidrigkeit, Bereicherung oder Schadenersatz gestützt sei, ausgeschlossen. Der Zwischenantrag auf Feststellung sei unzulässig, weil seine Präjudizialität nicht gegeben sein könne, der Einstellungsantrag aber, weil keine Klage nach den §§ 35 bis 37 EO vorliege.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision und dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 411 Abs 1 ZPO sind durch ein Rechtsmittel nicht mehr anfechtbare Urteile der Rechtskraft teilhaft. Die Rechtskraftwirkung besteht vor allem in der Unerschütterlichkeit der in der Entscheidung ausgesprochenen Rechtssätze (Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, 829; SZ 14/31). Das formell rechtskräftige Urteil stellt hinsichtlich der von ihm entschiedenen Rechtsschutzansprüche unbestreitbar, dauernd, bindend und daher unwiederholbar und unabänderbar die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien fest; keine Prozeßpartei kann sich daher darauf berufen, daß das Urteil nicht richtig sei; auch "ungerechte" Urteile werden rechtskräftig (Pollak, System2, 531). Diese Wirkung auch noch auf anderen als den in der Rechtsordnung dafür vorgesehene Wegen (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Nichtigkeitsklage, Wiederaufnahmsklage) auch dann beseitigen zu lassen, wenn eine Entscheidung nur im Bewußtsein ihrer Unrichtigkeit herbeigeführt wurde, wie es der Kläger will, würde diese Wirkung vernichten und dadurch dem Verkehrsleben nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen. Eine Klage auf Unwirksamkeit einer rechtskräftigen Entscheidung, die sich darauf stützt, daß das Verhalten des Beklagten eine gegen die guten Sitten verstoßende Ausbeutung der Rechtskraft darstelle, ist daher unzulässig (SZ 14/31; ZBl 1931/215; Sperl aaO 830). Aber auch eine auf diesen Rechtsgrund gestützte Schadenersatz- oder Bereicherungsklage ist ausgeschlossen (Pollak aaO 532, Ehrenzweig 2 I/1 349 § 145; Krasnopolski, Obligationenrecht 480; Holzhammer, Zivilprozeßrecht Erkenntnisverfahren, 240; Fasching III 741 und die dort weiter angeführte Literatur; zu Schadenersatzansprüchen: SZ 39/74, ZBl 1931/116 ua). Das gilt auch für Klagen auf Rückzahlung von Beträgen, zu deren Leistung rechtskräftig verurteilt worden war. Dies gilt aber ohne Einschränkung auch für Versäumungsurteile (SZ 14/1; Petschek in ZBl 1927, 632; vgl ImmZ 1968, 73; Fasching III 697). Unterlag der Beklagte im rechtskräftig erledigten Vorprozeß nur, weil er nicht bestritten hatte und nur aus diesem Gründe das Vorbringen des Klägers für wahr zu halten gewesen war (§ 396 ZPO), muß ohnehin gesagt werden, daß der Anstößigkeit des Verhaltens des seinerzeitigen Klägers ein mitwirkendes Verschulden des Beklagten gegenüberstand, das so stark ins Gewicht fällt, daß für eine Infragestellung des rechtskräftigen Spruches auch schon allein deswegen kein hinreichender Grund gegeben wäre (Reichel, Rechtskraft und ungerechtfertigte Bereicherung, FS Wach 3, 85).

Im vorliegenden Falle steht auf Grund der rechtskräftigen Versäumungsurteile fest, daß der Kläger verpflichtet ist, dem Beklagten sowohl den Betrag von S 1700.- als auch den von S 4900.- zu bezahlen, weil der Kläger das dem Beklagten zustehende Verpflegsgeld für den mj Siegfried M über Mai 1968 hinaus trotz bestehender Verpflichtung hiezu nicht bezahlt hatte. An dieses Prozeßergebnis ist jedes Gericht gebunden. Dem Beklagten stand nur nicht die Einrede der entschiedenen Streitsache zu (SZ 41/103); die in den Vorverfahren entschiedene Hauptfrage, ob dem Beklagten die von ihm geltend gemachten Ansprüche zustehen, ist nämlich im nunmehrigen Prozeß, in dem der Anspruch auf einen anderen erst durch die den Versäumungsurteilen nachfolgenden Exekutionsführungen des Beklagten entstandenen Rechtsgrund gestützt wird, bloß Vorfrage; das Begehren des Klägers, das darauf abzielt, die Rechtsfolgen der rechtskräftigen Versäumungsurteile zu beseitigen, ist aber dennoch mit der Rechtskraft dieser Urteile unvereinbar; ihm steht die Bindungswirkung dieser Urteile entgegen (SZ 39/74). Diese Tatbestandswirkung, die sich auch unter den gleichen Prozeßparteien ergeben kann (Sperl aaO, 841), liegt darin, daß die rechtskräftige Verurteilung des Klägers zur Bezahlung der Beträge von S 1700.- und S 4900.- als juristische Tatsache (SZ 14/13) auch in einem anderen Prozeß jede Feststellung ausschließt, daß er diese Beträge dem Beklagten nicht schulde. Das Ergebnis der Vorprozesse mußte unter Ausschluß der sachlichen Verhandlung und Prüfung des Gegenstandes dem neuen Urteil bei der Sachentscheidung über den neuen Anspruch zugrunde gelegt werden (Fasching III 705). Nur so kann endloses Prozessieren, das der Revisionswerber selbst ablehnt, vermieden werden; würde man hingegen seiner Auffassung folgen, wäre die Wirkung der Rechtskraft völlig entwertet, weil man unter Berufung auf Billigkeitserwägungen jeden verlorenen Prozeß neu beginnen könnte, was jedoch unterbunden werden muß (ZBl 1931/215).

Das Revisionsgericht will dabei keineswegs übersehen, daß die Rechtsprechung dann einen anderen Standpunkt vertritt, wenn ein Versäumnisurteil erschlichen wurde (EvBl 1968/360 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung und Literatur). Auch ein erschlichenes Versäumungsurteil rechtfertigt jedoch nicht einen Bereicherungsanspruch, sondern nur eine Klage nach § 36 Abs 1 Z 3 EO (Fasching III 741). Voraussetzung einer solchen Klage ist es jedoch, daß das Versäumungsurteil verabredungswidrig erwirkt wurde, der Gläubiger also vor oder nach Erwirkung des Exekutionstitels sich so verhalten hat, daß daraus auf einen Verzicht auf die Einleitung der Exekution geschlossen werden muß (JBl 1957, 271; SZ 22/148 ua; Heller-Berger-Stix 432 f; zuletzt auch Matscher in JBl 1970, 433). Die vom Kläger erhobene Klage ist aber keine Impugnationsklage und enthält auch nicht die Behauptung, daß der Beklagte ausdrücklich oder zumindest schlüssig auf die Einleitung der Exekution verzichtet habe. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht das Klagebegehren auf Bezahlung von S 1700.- sA abgewiesen.

Auch der erhobene Rekurs ist nicht berechtigt. Der Zwischenantrag auf Feststellung, der als nicht innerhalb des anhängigen Verfahrens (Fasching III 126), sondern als bereits in der Klage gestellt ein Feststellungsbegehren nach § 228 ZPO darstellte, war allerdings entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht deswegen unzulässig, weil er keine für die Entscheidung des Hauptbegehrens dieses Prozesses wesentliche Vorfrage betroffen hätte. Diese Vorfrage wurde jedoch mit den beiden rechtskräftigen Entscheidungen des Bezirksgerichtes für ZRS Graz so gelöst, daß das nunmehrige Begehren damit in unvereinbarem Widerspruch stand und daher deren Rechtskraft verletzte. Der Kläger begehrt nämlich die Feststellung, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ab Juni 1968 Beträge für den mj Siegfried M entgegenzunehmen, obwohl der Kläger bereits rechtskräftig verurteilt worden war, über den Juni 1968 hinaus Zahlungen zu leisten. Der Kläger könnte sich höchstens dagegen beschweren, daß der Zwischenantrag auf Feststellung, da im Verhältnis zu den Vorurteilen nicht Identität der Ansprüche vorliege (vgl hiezu auch JBl 1971, 40), zurückgewiesen und nicht abgewiesen wurde; ein Rechtsschutzinteresse des Klägers an einem solchen geänderten, aber für ihn nach dem Ergebnis der Entscheidung über den Hauptanspruch notwendigerweise immer noch negativen Entscheidungsform kann aber nicht anerkannt werden (vgl Fasching IV 379; JBl 1968, 574 ua).

Zu unrecht beschwert sich der Kläger auch gegen die Zurückweisung des Antrages, nach Rechtskraft der Entscheidung die Exekution 12 E ..../70 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz einzustellen. In einem nicht auf die §§ 35 bis 37 EO gestützten Rechtsstreit kann nicht die Einstellung eines anhängigen Exekutionsverfahrens begehrt werden, insbesondere aber nicht eines Verfahrens, das gar nicht die hier strittigen S 1700.-, sondern die S 4900.- betrifft, über die in diesem Rechtsstreit überhaupt nicht mit Rechtskraftwirkung zu erkennen war.

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