OGH 5Ob246/70

OGH5Ob246/7028.10.1970

SZ 43/190

Normen

ABGB §1416
Mietengesetz §21 Abs2
ABGB §1416
Mietengesetz §21 Abs2

 

Spruch:

Keine Anwendung des § 1416 ABGB bei der Entrichtung des Mietzinsrückstandes iS des § 21 Abs 2 MG

OGH 28. Oktober 1970, 5 Ob 246/70 (LG Feldkirch R 254/70; BG Dornbirn C 2108/67)

Text

Mit einem an das Erstgericht gerichteten Schriftsatz vom 26. November 1964 kundigten die Kläger als Eigentümer des Hauses D, B-Straße 18 dem Beklagten das Bestandverhältnis über die vom Beklagten in diesem Haus gemieteten Räume (Cafe R) zum 28. Februar 1965 auf.

Der Gekundigte erhob gegen die Aufkündigung, in der u a die Kündigungsgrunde nach § 19 Abs 1 und Abs 2 Z 1 MG geltend gemacht worden waren - die weiteren Kündigungsgrunde wurden im Zuge des Verfahrens fallen gelassen -, mit am 3. Dezember 1964 zur Post gegebenen Schriftsatz Einwendungen. Zum bezeichneten Kündigungsgrund hatten die Kläger behauptet, daß im Mietvertrag eine Klausel enthalten sei, nach der die Bestandgeber berechtigt seien, an Stelle des vereinbarten Mietzinses von 166.67 RM in Bargeld im Falle einer Geldentwertung 800 Liter Milch in bester Qualität monatlich zu verlangen. Die Kläger hätten immer wieder dieses Verlangen gestellt, doch habe der Beklagte jede Zahlung (offenbar gemeint: eine diesem Verlangen entsprechende Leistung) als ungesetzlich abgelehnt. Tatsächlich bezahle der Beklagte allerdings seit Jahren einen Mietzins von 500 S monatlich, der jedoch nur einen Gegenwert von 139 Liter Milch entspräche. Demgegenüber behauptete der Beklagte, daß im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages eine freie Zinsvereinbarung unzulässig gewesen sei. Der Beklagte habe den vereinbarten Mietzins ungefähr im Jahr 1958 freiwillig auf 500 S erhöht. Bis zur vorliegenden Aufkündigung hätten die Beklagten weder einen höheren Zins begehrt noch die Milchklausel des Vertrages geltend gemacht. Schließlich beantragte der Beklagte Art und Höhe seiner Schuld im Sinn des § 21 Abs 2 MG beschlußmäßig festzustellen und mit Zwischenurteil festzustellen, daß die im Mietvertrag der Streitteile enthaltene Klausel, wonach die Kläger im Falle einer Geldentwertung an Stelle des vereinbarten Mietzinses von derzeit 500 S 800 Liter Milch bester Qualität monatlich zu verlangen berechtigt seien, unwirksam und nichtig sei.

Mit Zwischenurteil ONr 21 erkannte das Erstgericht im Sinne der vom Beklagten beantragten Feststellung. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Zwischenurteil mit dem Ausspruch, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige.

Über Revision der Kläger änderte der Oberste Gerichtshof das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß der Zwischenantrag des Beklagten abgewiesen wurde (ONr 34).

Nunmehr behaupteten die Kläger, daß der Beklagte zwar am 29. November 1957 70.300 S als Mietzinsrückstand nachbezahlt habe, daß aber dieser Rückstand im Zeitpunkt der Aufkündigung bereits 85.666 S betragen habe und daß seither ein weiterer Mietzinsrückstand in gleicher Höhe entstanden sei. Es sei nämlich zwischen den Parteien eine Auslegung der streitigen Milchklausel in der Weise vereinbart worden, daß die Kläger an Stelle der Naturalforderung einen Geldbetrag zu fordern hätten. Unter Zugrundelegung des gegenwärtigen Milchpreises erhöhe sich der Rückstand sogar auf 228.442.40 S.

Mit Beschluß ONr 52 entschied das Erstgericht, daß der vom Beklagten den Klägern bis 30. November 1968 geschuldete Mietzins 31.108 S betrage. Ab 1. Juni 1968 betrage der monatliche Mietzins 3360 S. Über Rekurs der Kläger stellte die zweite Instanz die Höhe des vom Beklagten den Klägern bis 30. November 1968 geschuldeten Mietzinses mit 81.595.78 S fest. Der Oberste Gerichtshof hob mit Beschluß ONr 61 die Entscheidungen beider Unterinstanzen auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur weiteren Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurück. Bei der nun folgenden Streitverhandlung vom 16. April 1970 zogen die Kläger ihre Behauptung, daß die vereinbarte Wertsicherung bis zum Tag der effektiven Zahlung gelten sollte, hinsichtlich welcher Behauptung der Oberste Gerichtshof ergänzende Feststellungen für erforderlich gehalten hatte, zurück. Zugleich behaupteten die Kläger, daß der Mietzins in der Zwischenzeit bis auf den in ONr 52 festgestellten Rückstand vollständig bezahlt worden sei. Mit dem in der Folge unangefochten gebliebenen Beschluß ONr 64 stellte das Erstgericht die Höhe des vom Beklagten den Klägern geschuldeten Mietzinses neuerlich mit 31.108 S fest. Diesen Betrag bezahlte der Beklagte am 1. Juni 1970 mit der Erklärung, daß er damit nur den im Beschluß ONr 64 festgesetzten Mietzinsrückstand, jedoch keine Verzugszinsen bezahle. Dem widersprachen die Kläger mit der Behauptung, daß der Beklagte ihnen noch einen Betrag von 15.442.02 S schulde, welcher Betrag sich aus der Berechnung der 4%igen Verzugszinsen vom jeweiligen Mietzinsrückstand ergebe. Die Zahlung des Beklagten sei gemäß § 1416 ABGB zuerst auf diese Zinsen angerechnet worden.

Mit Urteil ONr 67 hob das Erstgericht die Aufkündigung auf, es verurteilte jedoch den Beklagten zum Kostenersatz an die Kläger. Der Beklagte habe, so führte das Erstgericht aus, den rechtskräftig festgesetzten Mietzinsrückstand vor Schluß der mündlichen Streitverhandlung bezahlt. Seine Zahlung dürfe nicht auf allfällig geschuldete Verzugszinsen angerechnet werden, weil die Beschlußfassung nach § 21 Abs 2 MG den Zweck habe, dem Mieter Klarheit darüber zu verschaffen, was er dem Vermieter an Mietzins schulde und wieviel er dem Vermieter zu bezahlen habe, um die Aufkündigung nach § 19 Abs 2 Z 1 MG abzuwenden. Die Vorschrift des § 1416 ABGB sei daher auf die Zahlung des Mietzinsrückstandes nicht anwendbar. Den Beklagten treffe an seinem Mietzinsrückstand kein grobes Verschulden, weil diesfalls auch die Gerichte erster und zweiter Instanz ebenso wie Dr Karl Z, ein Fachmann auf dem Gebiet des Mietenrechtes, in seinem Rechtsgutachten Beilage ./2 die Wertsicherungsklausel des Mietvertrages für rechtsunwirksam und unanwendbar gehalten hätten.

Gegen dieses Urteil erhoben die Kläger Berufung. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz mit dem Ausspruch, daß die Revision zulässig sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie bereits in ihrer Berufung machen die Kläger auch in der Revision ausschließlich geltend, daß die Untergerichte die Vorschrift des § 1416 ABGB unrichtig angewendet hätten. Diese Vorschrift gelte auch für die Zahlung von Mietzinsen. Die Kläger hätten der Widmungserklärung des Beklagten, mit seiner Zahlung nur den festgestellten Mietzinsrückstand abdecken zu wollen, ausdrücklich widersprochen. Da die Höhe der Mietzinsschuld beschlußmäßig feststehe und die Kläger dem Beklagten die Höhe seiner Zinsenschuld bekanntgegeben hätten, habe er die Möglichkeit gehabt, seinen gesamten Rückstand vor Schluß der mündlichen Verhandlung zu bezahlen. Er habe hievon jedoch keinen Gebrauch gemacht, weshalb die Aufkündigung nicht aufgehoben werden dürfe. Im übrigen sei die Meinung des Berufungsgerichtes, daß die Mietzinsschuld des Beklagten die ihm beschwerlichste Schuld sei und deshalb zuerst abgedeckt werden müsse, unrichtig. Die im Gesetz normierte Rangordnung gelte nur für mehrere gleichartige Forderungen, nicht aber, wenn zu einer Kapitalsforderung eine Zinsenforderung hinzukomme.

Dieser zuletzt erwähnten Rechtsansicht der Kläger ist allerdings zuzustimmen: Kommt die gesetzliche Verrechnungsvorschrift zum Tragen, d h also in der Regel, wenn sich die Beteiligten über die Verrechnung der vom Schuldner erbrachten Leistung nicht einigen und der Gläubiger, dem mehrere Forderungen zustehen, der Tilgungsbestimmung des Schuldners widerspricht, dann ist "die gemachte Leistung zunächst auf die Zinsen anzurechnen, ohne daß das Gesetz zwischen gesetzlichen und vertragsmäßigen Zinsen unterschiede" (Gschnitzer in Klang[2] VI 384). Darüber hinaus findet die gesetzliche Verrechnungsvorschrift des § 1416 ABGB aber nach Lehre und Rechtsprechung keine Anwendung, wenn die Leistung nicht hinreicht, um mehrere gleichwertige Forderungen, zB mehrere Zinsenforderungen oder mehrere Kapitalsforderungen zu decken, falls sich von keiner der letztgenannten Forderungen sagen läßt, daß sie dem Schuldner beschwerlicher falle. Ebenso ist die Vorschrift des § 1416 ABGB im Kontokorrentverkehr und bei der Verteilung des Erlöses im Zwangsversteigerungsverfahren (§§ 216 ff EO) nicht anzuwenden (vgl Gschnitzer, Klang[2] VI 386 f und die in Fußnote 29 und 30 ebendort angeführte weitere Literatur und Entscheidungen). Es bestehen nun keine Bedenken gegen die Auffassung der Untergerichte, daß die Vorschrift des § 1416 ABGB auch bei der "Entrichtung" des Mietzinsrückstandes durch den Mieter im Sinn des § 21 Abs 2 MG nicht angewendet werden könne. Nach dieser Gesetzesstelle ist die aus dem Gründe des § 19 Abs 2 Z 1 MG ausgesprochene Aufkündigung aufzuheben, wenn der Mieter, den an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft, vor Schluß der der Entscheidung des Gerichtes erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung "den geschuldeten Betrag entrichtet". Ist die Höhe des geschuldeten Betrages streitig, so hat das Gericht vor Schluß der Verhandlung darüber durch Beschluß zu entscheiden. Der Zweck der zuletzt genannten Vorschrift ist, wie schon das Erstgericht zutreffend erkannte, klarzustellen, welchen Betrag der Mieter zu entrichten hat, um eine Aufhebung der auf § 19 Abs 2 Z 1 MG gestützten Aufkündigung zu erreichen (vgl MietSlg 5978, 9777). Diesfalls hat nun der Beklagte seinen mit rechtskräftigem Beschluß festgestellten Mietzinsrückstand rechtzeitig entrichtet. Er hat daher Anspruch auf die im Gesetz vorgesehene Rechtswohltat, falls die übrigen Voraussetzungen hiefür gegeben sind. Soweit die Kläger darüber hinaus vom Beklagten Verzugszinsen fordern, sind sie auf die Ausführungen im Aufhebungsbeschluß ONr 61 zu verweisen. Ein der Auffassung der Untergerichte entsprechender Gedanke liegt auch der von der Lehre (Klang Komm[2] V 124) gebilligten und bereits in mehreren Entscheidungen vom Obersten Gerichtshof vertretenen Rechtsmeinung (vgl GlU 9609 und 14580) zugrunde, daß das Recht des Vermieters zur Aufhebung des Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB nur durch den Verzug des Mieters in der Zahlung des Mietzinses selbst, nicht aber auch durch einen Verzug in der Zahlung der Nebengebühren, also der vereinbarten oder gesetzlichen Zinsen bzw der Kosten begrundet wird. Die Untergerichte haben somit die von den Klägern allein relevierte Frage zutreffend gelöst.

Da die Untergerichte auch ein grobes Verschulden des Beklagten am Zinsrückstand wegen der zunächst unklaren Rechtslage mit Recht verneinten (vgl MietSlg 19394) - diese Auffassung wird von den Klägern nicht einmal bekämpft -, mußte die auf den behaupteten Zinsrückstand gestützte Aufkündigung erfolglos bleiben.

Was nun die Frage anlangt, ob etwa der in der Aufkündigung noch geltend gemachte und im Zuge des Verfahrens niemals ausdrücklich fallengelassene Kündigungsgrund nach § 19 Abs 1 MG gegeben sei, ist, obwohl in der Revision nicht geltend gemacht, zu beachten: In Ausführung dieses Kündigungsgrundes hatten die Kläger in der Aufkündigung vorgebracht, daß der Beklagte vereinbarungsgemäß als Mietzins wegen der seit Abschluß des Mietvertrages eingetretenen Geldentwertung statt des bedungenen Bargeldes (166.67 RM) monatlich 800 Liter Milch in bester Qualität zu leisten habe, er aber jede "Zahlung" ablehne. Die diesem Vorbringen widersprechende Prozeßbehauptung der Kläger, es sei zwischen den Streitteilen vereinbart worden, daß den Klägern anstelle der Naturalleistung (800 Liter Milch) ein (offenbar dieser Milchmenge entsprechender) Geldbetrag zustehe, konnte jedoch nur dahin verstanden werden, daß die Kläger damit ihren Kündigungsanspruch insoweit fallen ließen, als sie ihn zunächst aus der dem Kündigungsgrund nach § 19 Abs 1 MG unterstellten Behauptung abgeleitet hatten, der Beklagte weigere sich, den angeblich vereinbarten Mietzins (800 Liter Milch monatlich) zu leisten. Eine Prüfung dieses Sachverhaltes war daher entbehrlich.

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