OGH 2Ob286/68 (2Ob285/68)

OGH2Ob286/68 (2Ob285/68)4.6.1970

SZ 43/96

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §191 Abs2
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §191 Abs2

 

Spruch:

Keine besondere Form für die Anzeige, daß der Unfallversicherungsträger die Gewährung der Unfallsheilbehandlung an sich gezogen hat

OGH 4. Juni 1970, 2 Ob 285, 286/68 (OLG Wien 3 R 9/68; LG Eisenstadt 1 Cg 110/66)

Text

Robert S hat am 4. April 1963 in R als Mopedlenker durch den Zusammenstoß mit dem vom Beklagten gelenkten Personenkraftwagen einen Verkehrsunfall erlitten. Bei diesem Anlaß ist auch die Sozia des Mopedlenkers, dessen Gattin Gertrude S, verletzt worden. Es ist nicht bestritten, daß den Beklagten das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfalle trifft. Die Erstklägerin (Unfallversicherungsanstalt) hat mit Bescheid vom 27. Mai 1964 bzw 13. August 1964 den bezeichneten Verkehrsunfall als Arbeitsunfall des Robert S bzw der Gertrude S (Dienstgeber August S Söhne, Textilfabrik in R) anerkannt. Sämtliche Klägerinnen - die Streitsachen sind zu gemeinsamer Verhandlung verbunden worden - erbringen an Robert S bzw Gertrude S im Zusammenhange mit dem Verkehrsunfall vom 4. April 1963 Pflichtleistungen aus der Sozialversicherung und verlangen vom Beklagten Ersatz ihres Aufwandes gemäß der Legalzession nach § 332 ASVG bzw § 1542 RVO. Daneben werden Feststellungsbegehren gestellt. Gegenüber der Zweitklägerin (Pensionsversicherungsanstalt) hat die beklagte Partei das Leistungsteilbegehren von 806.57 S samt 4% Zinsen seit 1. Mai 1965 anerkannt, worauf in dieser Hinsicht Teilanerkenntnisurteil vom 24. Mai 1966 ergangen ist. Die restlichen Klagsansprüche hat die beklagte Partei bestritten. Die beklagte Partei hat in der Tagsatzung vom 26. September 1967 erklärt, die tatsächliche Erbringung aller sozialversicherungsrechtlichen Leistungen durch die klagenden Parteien der Höhe nach nicht zu bestreiten.

Mit Endurteil hat das Erstgericht I. festgestellt, daß die beklagte Partei verpflichtet sei, 1. den Klägerinnen zu 1. und zu 2. alle jene Aufwendungen zu ersetzen, welche diese aus Anlaß der Unfälle des Robert S und der Gertrude S vom 4. April 1963 auf Grund der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen zu erbringen hätten, jedoch nur insoweit, als diese Beträge im Schaden Deckung fänden, dessen Ersatz die Geschädigten ohne den im § 332 ASVG vorgesehenen Rechtsübergang auf die Klägerinnen zu 1. und 2. vom Beklagten selbst zu fordern berechtigt wären; das Erstgericht hat II. die beklagte Partei schuldig erkannt, 1. der Erstklägerin a) den Betrag von 39.648.24 S s A; b) ab 1. Oktober 1967 bis 31. Dezember 1967 monatlich einen Betrag von 243.60 S zuzüglich am 1. Oktober 1967 den weiteren Betrag von 243.60 S und c) ab 1. Jänner 1968 bis 31. Jänner 1995 monatlich einen Betrag von 259.20 S sowie zusätzlich an jedem 1. Mai und 1. Oktober während dieses Zeitraumes den weiteren Betrag von je 259.20 S zu bezahlen; 2. der Zweitklägerin die Beträge von 7627.60 S s A und 23.688.03 S s A zu bezahlen; 3. das Mehrbegehren der Zweitklägerin puncto 806.57 S s A ist abgewiesen worden.

Die bezeichnete Abweisung ist nicht angefochten worden. Die beklagte Partei aber hat das Ersturteil (in allen dem Begehren der Klägerinnen stattgebenden Aussprüchen) mit dem primären Abänderungsantrag angefochten, sämtliche Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht hat der Berufung teilweise Folge gegeben. Es hat den Zuspruch von 16.670.98 S s A an die Erstklägerin und jenen von 23.688.03 S s A an die Zweitklägerin bestätigt und das Ersturteil hinsichtlich des weiteren Zuspruchs von 12.545.28 S s A an die Erstklägerin i S der Abweisung dieses Teilbegehrens abgeändert und demnach folgendes Teilurteil formuliert: Der Beklagte ist schuldig, der Erstklägerin den Betrag von 16.670.98 S s A und der Zweitklägerin den Betrag von 23.688.03 S s A zu bezahlen. Das Mehrbegehren der Erstklägerin puncto 12.545.28 S s A und der Zweitklägerin hinsichtlich 806.57 S s A ist abgewiesen worden. Beschlußmäßig ist das Ersturteil im Ausspruch über alle Feststellungsbegehren, im Zuspruch des Teilbetrages von 10.431.98 S s A an die Erstklägerin, im Ausspruch über das Rentenersatzbegehren der Erstklägerin, im Zuspruch des Teilbetrages von 7627.60 S s A an die Zweitklägerin sowie im Kostenausspruch aufgehoben worden; die Rechtssache ist im Umfang dieser Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung ans Erstgericht zurückverwiesen worden. Zugleich hat das Berufungsgericht ausgesprochen, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zur Revision der beklagten Partei:

Unter dem Revisionsgrunde des § 503 Z 4, hilfsweise jenem des § 503 Z 2 ZPO bekämpft der Beklagte die Bestätigung des Zuspruchs des Teilbetrages von 16.670.98 S s A an die Erstklägerin. Der Revisionswerber vertritt die Ansicht, daß die Erstklägerin als Trägerin der Unfallversicherung die Aktivlegitimation fehle; hilfsweise wird unter dem Gesichtspunkte eines Feststellungsmangels geltend gemacht, daß offen geblieben sei, welcher Aufwandersatz der Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte als Trägerin der Krankenversicherung einerseits und der Erstklägerin andererseits gebühre. Ein Feststellungsmangel in dieser Hinsicht ist aber nicht gegeben, weil die Aktivlegitimation der Erstklägerin bezüglich des gesamten diesfalls in Betracht kommenden Aufwandersatzes mit der Berufungsinstanz zu bejahen ist. Im Vordergrund steht die Frage, ob die Erstklägerin die Gewährung der sonst vom Träger der Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen der im § 189 Abs 2 ASVG bezeichneten Art wirksam an sich gezogen habe (§ 191 Abs 2 ASVG). Denn, wie bereits in 2 Ob 321/68 vom 11. Dezember 1969 dargelegt wurde, geht dann, wenn ein Unfall sowohl für den Krankenversicherungsträger wie auch für den Träger der Unfallversicherung eine Leistungspflicht auslöst, der Anspruch gegen den Ersatzpflichtigen aus der Legalzession nach § 332 ASVG unabhängig von den Bestimmungen über den internen Ausgleich unter den Sozialversicherungsträgern (§§ 315 bis 319 c ASVG im Ersten Unterabschnitt des Abschnittes I des Fünften Teils des ASVG) auf jenen Versicherungsträger über, der nach den Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes dem Verletzten gegenüber unmittelbar leistungspflichtig ist (vgl für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland bei im wesentlichen gleichen Rechtsgrundlagen das Erkenntnis des BGH 17. April 1958 II ZR 198/56 BGHZ 27.107 ff). Nun normiert § 191 Abs 2 ASVG die Befugnis des Unfallversicherungsträgers, die Gewährung der sonst vom Träger der Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen der im § 189 Abs 2 bezeichneten Art (Unfallheilbehandlung) jederzeit an sich zu ziehen, mit der Wirkung, daß der Träger der Unfallversicherung dann hinsichtlich dieser Leistungen dem Versehrten und seinen Angehörigen gegenüber in alle Pflichten und Rechte des Krankenversicherungsträgers eintritt. In diesem Zusammenhange verweist der Revisionswerber zwar theoretisch zutreffend auf die weiteren Bestimmungen des § 191 Abs 2 ASVG, wonach der Unfallversicherungsträger in diesen Fällen dem Träger der Krankenversicherung anzuzeigen hat, daß er von einem bestimmten Tage an die Heilbehandlung gewährt; von diesem Tage an hat der Versehrte gegen den Träger der Krankenversicherung keinen Anspruch auf die entsprechenden Leistungen der Krankenversicherung. Dem Revisionswerber ist aber nicht beizupflichten, wenn er dem Umstande, daß die beiden Versehrten schon ab 4. April 1963 im eigenen Arbeitsunfallkrankenhaus Graz der Erstklägerin behandelt wurden, im Zusammenhange mit der von der Berufungsinstanz unangefochten festgestellten Tatsache, daß der Erstbericht des Unfallkrankenhauses an den Krankenversicherungsträger auf die Erstklägerin als Kostenträgerin hingewiesen hatte, keine Bedeutung für die Auslegung des § 191 Abs 2 ASVG beimessen will. I S der bisherigen Praxis (vgl 2 Ob 321/68; 2 Ob 373/68) kommt vielmehr dem erwähnten Erstbericht an den Träger der Krankenversicherung unter den sonstigen Umständen dieses Falles die Bedeutung einer Ansichziehung i S des § 191 Abs 2 ASVG zu. Eine besondere Form der Anzeige ist im Gesetze nicht normiert und selbst die Verständigung des Versehrten ist nicht vorgeschrieben, zumal seine Stellung durch die Übernahme der Unfallheilbehandlung seitens des Trägers der Unfallversicherung nicht beeinträchtigt wird. Bei diesen Umständen wäre eine überstrenge Auslegung der Voraussetzungen für die Ansichziehung gem § 191 Abs 2 ASVG nicht gerechtfertigt. Was der Revisionswerber des weiteren gegen die Beurteilung der Berufungsinstanz in diesem Punkte vorbringt, vermag nicht zu überzeugen. Denn aus welchen Gründen ein Verletzter in ein der Erstklägerin gehöriges Unfallkrankenhaus eingeliefert wird, ist für die Frage der Ansichziehung nach § 191 Abs 2 ASVG bedeutungslos, wenn nur die dort selbst vorgeschriebene Anzeige erfolgt ist. Daß der Verkehrsunfall des Robert S vom 4. April 1963 erst mit Bescheid der Erstklägerin vom 27. Mai 1964 als Arbeitsunfall anerkannt worden ist und jener der Gertrude S erst am 13. August 1964. steht der obigen Beurteilung ebensowenig entgegen wie der Umstand, daß Krankenversicherungsträger und Unfallversicherungsträger über ihre Leistungsverpflichtung und demgemäß auch über ihre Berechtigung, Ersatz vom Schädiger zu verlangen, nicht immer gleicher Auffassung waren. Es darf doch nicht übersehen werden, daß die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall mitunter strittig sein kann, so daß diese Frage in einem derartigen Falle erst längere Zeit nach Beginn der Unfallheilbehandlung endgültig geklärt werden kann. Dennoch hat der Gesetzgeber die Wirksamkeit der Ansichziehung i S des § 191 Abs 2 ASVG nicht auf diese Zweifelsfragen abgestellt, woraus zu schließen ist, daß es im Verhältnis zum Versehrten bzw zum ersatzpflichtigen Schädiger lediglich auf die seitens des Unfallversicherungsträgers an den Träger der Krankenversicherung vorgenommene Anzeige ankommt; sollte sich in der Folge die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht rechtfertigen, müßte diesem Umstand im Wege des internen Ausgleichs zwischen den Versicherungsträgern Rechnung getragen werden, was aber die rechtlichen Beziehungen zwischen Sozialversicherungsträger und Schädiger bzw dessen Haftpflichtversicherer nicht berührt. Der wiederholte Hinweis des Revisionswerbers auf das Teilungsabkommen ist verständlich; denn der Umfang der Berechtigung der Erstklägerin, Aufwandersatz vom Schädiger zu verlangen, ist verschieden vom Umfang der Ersatzberechtigung eines Sozialversicherungsträgers, der - anders als die Erstklägerin - Partner des Teilungsabkommens ist. Der Unterschied in wirtschaftlicher Hinsicht erklärt zwar den Standpunkt der beklagten Partei bzw des in ihrem Namen einschreitenden Haftpflichtversicherers; für die Erledigung ist aber entscheidend, wer gegenüber dem Versehrten leistungspflichtig war. Diesbezüglich ist die Erstklägerin i S der obigen Ausführungen in Betracht gekommen. Sie ist unbestrittenermaßen nicht Partnerin des Teilungsabkommens, so daß dieses für die Erledigung der Revision bedeutungslos ist.

Bloß am Rande erwähnt der Revisionswerber das "Taggeld". Es genügt daher der Hinweis auf die Bestimmungen der §§ 143 Abs 1 Z 2 und 152 Abs 1 ASVG. Was die Erstklägerin als Revisionsgegnerin in diesem Zusammenhange vorbringt, ist richtig. In Fällen, in denen der Unfallversicherungsträger die Gewährung der Unfallheilbehandlung gem § 191 Abs 2 ASVG an sich gezogen hat, wird die Anstaltspflege nicht auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers, sondern des Unfallversicherungsträgers gewährt. Es besteht daher aus diesem Grund kein Anspruch des Versicherten auf Familiengeld aus der Krankenversicherung. Vielmehr ist das Familiengeld in diesem Falle gem § 191 Abs 1 ASVG auf Rechnung des Trägers der Unfallversicherung zu gewähren (vgl Gehrmann - Rudolph - TeschnerI 297 FN 2 zu § 152 ASVG). Die Aktivlegitimation der Erstklägerin ist also auch in dieser Hinsicht zu bejahen.

Aus diesen Erwägungen muß die Revision der beklagten Partei erfolglos bleiben.

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