Spruch:
Die Ablehnung des Richters ist verspätet, wenn die Partei im Anschluß an die gerügten Bemerkungen des Richters über einen Vergleich verhandelt.
Entscheidung vom 2. Oktober 1969, 2 Ob 249/69.
I. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Im vorliegenden Schadenersatzprozeß nach § 1327 ABGB. ist nur noch die Entscheidung darüber offen, ob der Klägerin ein Schaden dadurch entstanden sei, daß sie wegen des Todes ihres Gatten dessen Dienstwohnung (als Schulwart und Hausmeister in einem Schulungsheim der Landeslandwirtschaftskammer) räumen und sich eine Ersatzwohnung habe beschaffen müssen. Der Oberste Gerichtshof hob das diese Forderung abweisende Urteil der zweiten Instanz auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (2 Ob 309/68).
Vor dem ersten Zivilsenat, dessen Vorsitzender der Senatspräsident des Oberlandesgerichtes Dr. Eduard F. ist, fand daraufhin am 28. Jänner 1969 eine fortgesetzte mündliche Berufungsverhandlung statt. In ihr wurde nach verschiedenen Beweisaufnahmen (Urkunden und Parteienvernehmung der Klägerin) sowie nach Protokollierung neuen Vorbringens beider Parteien ein bedingter Vergleich des Inhalts abgeschlossen, daß der Beklagte die noch offene Forderung der Klägerin mit 30.000 S abgelte und auch die Prozeßkosten auf der Grundlage dieses Betrages ersetze. Dieser Vergleich wurde jedoch vom Beklagten fristgerecht widerrufen. Am 3. Juni 1969 ordnete deshalb der Vorsitzende einen weiteren Verhandlungstermin auf den 24. Juni 1969 an. Die Verhandlung wurde aber abberaumt, weil am 20. Juni 1969 ein gegen den Senatsvorsitzenden gerichteter Ablehnungsantrag der Klägerin beim Berufungsgericht eingelangt war.
Diesen Ablehnungsantrag stützte die Klägerin auf Äußerungen, die der Senatsvorsitzende während der Parteienvernehmung am 28. Jänner 1969 gemacht habe; die Äußerungen ließen den Unmut des Senatsvorsitzenden über den Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes und das Bestreben erkennen, Mittel und Wege zu finden, um über die das Berufungsgericht bindende rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes durch das Revisionsgericht "herumzukommen".
Dr. F. hat sich zu diesem Ablehnungsantrag dahin geäußert, daß er am 28. Jänner 1969 im Zuge der Vernehmung der Klägerin als Partei dem Klagevertreter zu verstehen gegeben habe, es werde angesichts des nun zum Vorschein kommenden Sachverhaltes nicht schwer sein, um die auf ganz unvollständiger Tatsachengrundlage beruhende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes "herumzukommen". Der Klagsvertreter sei sich aber der nachteiligen Veränderung der Tatsachengrundlagen auch selbst bewußt gewesen. Sonst hätte er sich nicht im weiteren Verlauf der Verhandlung mit einem Vergleich begnügt, demzufolge der Klägerin wenig mehr als die Hälfte der noch offenen Forderung zugekommen wäre. Seiner Ansicht nach sei es dem Klagsanwalt vornehmlich darum zu tun gewesen, für das weitere Rechtsmittelverfahren vorsorglich die Tatsache aktenkundig zu machen, daß der Vorsitzende Zweifel an der Stichhältigkeit der Begründung der in der Sache ergangenen oberstgerichtlichen Entscheidung geäußert habe; dies hätte er (Dr. F.) dem Klagsanwalt auch ohne die Ablehnung niemals abgestritten.
Die Vorinstanz war der Ansicht, daß die Klägerin stillschweigend auf die Geltendmachung des behaupteten Ablehnungsgrundes dadurch verzichtet habe, daß sie nicht sofort einen Ablehnungsantrag stellte, sondern weiter verhandelte, und wies deshalb den Ablehnungsantrag als verspätet zurück.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Rekurs ist nach § 24 (2) JN. zulässig (7 Ob 72/65, 3 Ob 569/56), aber nicht begrundet.
Die Rekurswerberin behauptet, die Parteien seien gleich nach der letzten nunmehr gerügten Bemerkung des Vorsitzenden in Vergleichsgespräche eingetreten. Ab dieser letzten Bemerkung habe sich also die Klägerin keineswegs mehr beim Senatsvorsitzenden in weitere Verhandlungen eingelassen, sondern mit der beklagten Partei Vergleichsgespräche geführt und dieselben auch mit einem Vergleich beendet. Da es sich bei einem Vergleich um einen privatrechtlichen Vertrag handle, der nur mehr vom Gericht beurkundet werde, könnten diese Vergleichsgespräche nicht mehr als ein Verhandeln beim abgelehnten Richter angesehen werden. Da die erste Prozeßhandlung der Klägerin nach der Verhandlung vom 28. Jänner 1969 der 4 Monate später eingebrachte Ablehnungsantrag sei, könne auch dieser Zwischenraum nicht als Verspätung ausgelegt werden.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Der gerichtliche Vergleich hat nicht nur den Charakter eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäftes, sondern auch den einer Prozeßhandlung, da er der Prozeßbeendigung dient (ZBl. 1927 Nr. 116, ZBl. 1931 Nr. 333, EvBl. 1968 Nr. 161). Wenn daher die Klägerin trotz den erwähnten Äußerungen des Vorsitzenden im Rahmen der Berufungsverhandlung Vergleichsgesprache geführt und einen Vergleich abgeschlossen hat, so hat sie sich damit in eine Verhandlung eingelassen, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen (§ 21 (2) JN.), 1. und damit ihr Ablehnungsrecht verloren. Eine solche verspätete Ablehnung kann nur dem abgelehnten Richter Anlaß zur Prüfung geben, ob er sich nicht für befangen erklären soll (Baumbach - Lauterbach, ZPO.[29] zu dem mit § 21 (2) JN. wörtlich übereinstimmenden § 43 der deutschen Zivilprozeßordnung). Wenn die Rekurswerberin erklärt, kein Anwalt hätte in der gegenständlichen Situation, wo sich Vergleichsgespräche anboten, diese gerade durch den unangenehmen Ablehnungsantrag gestört, so gibt sie damit selbst zu, daß von einer dem Gesetz entsprechenden unverzüglichen Ablehnung des Vorsitzenden aus prozeßtaktischen Gründen abgesehen wurde.
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