OGH 4Ob523/68

OGH4Ob523/6823.4.1968

SZ 41/48

Normen

ABGB §287
ABGB §288
ABGB §484
ABGB §287
ABGB §288
ABGB §484

 

Spruch:

Stillschweigende Widmung eines im Privateigentum stehenden Weges zum Gemeingebrauch als öffentliche Straße ist möglich; Voraussetzung hiefür ist insbesondere auch ein dringendes Verkehrsbedürfnis.

Entscheidung vom 23. April 1968, 4 Ob 523/68.

I. Instanz: Bezirksgericht Haag, NÖ.; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Die Kläger behaupten, daß über Grundstücke der Liegenschaft EZ. 7 KG. R., die in ihrem Eigentum stehen, ein Privatweg verlaufe, der mit der außerbücherlichen Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechtes zugunsten einiger Liegenschaften belastet sei. Ein solches Geh- und Fahrtrecht stehe auch den Eigentümern der Liegenschaft EZ. 53 der KG. R., eines Kleinlandwirtschaftsbetriebes zu, die sich im Eigentum der Eltern des Beklagten Franz und Maria I. befinde. Das Fahrtrecht sei beschränkt auf Fuhren für den Kleinlandwirtschaftsbetrieb und für gelegentliche Privatfahrten des Eigentümers. Der Beklagte betreibe seit einiger Zeit in einer Werkstätte auf der Liegenschaft seiner Eltern das Gewerbe des Karosseriebaues, der Autospenglerei und der Lackiererei. Er befahre selbst den Privatweg mit Fahrzeugen für sein Gewerbe und lasse auch seine Geschäftspartner diesen Weg befahren. Darin sei eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit im Sinne des § 484 ABGB. zu erblicken. Der Beklagte habe auch eine Tafel gegenüber der Südwestecke des den Klägern gehörigen Grundstückes Nr. 417 errichtet, die einen Hinweis auf seinen Gewerbebetrieb enthalte. Auf dieser Tafel sei auch ein Pfeil angebracht, der auf die Sackgasse des öffentlichen Weges hinweise und dadurch die Geschäftspartner des Beklagten veranlasse, die Sackgasse und den anschließenden Privatweg der Kläger als Zufahrt zu seiner Betriebsstätte zu verwenden. Nicht zuletzt durch diesen Hinweis werde der Privatweg täglich von zahlreichen Kunden und Lieferanten des Beklagten befahren.

Die Kläger beantragen (nach Klagseinschränkung) das Urteil, der Beklagte sei schuldig 1. als Gewerbetreibender im Standort R. Nr. 58 das Begehen und Befahren des in der Natur ersichtlichen Privatweges der Kläger entlang der Grenze der in ihrem Eigentumsrecht stehenden Flurgrundstücke Nr. 417, 715, 716/1 der KG. R. zu unterlassen; 2. den gegenüber der Südwestecke des Grundstückes Nr. 417, jenseits des öffentlichen Weges Parzelle Nr. 972/3, beide der KG. R., auf einer Reklametafel seines Betriebes mit Firma angebrachten Richtungspfeil als Hinweis auf die Zufahrt hinsichtlich des Privatweges der Kläger zu entfernen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Seiner Entscheidung liegen folgende Feststellungen zugrunde: Das strittige Wegstück sei die Fortsetzung eines von der Landeshauptstraße wegführenden öffentlichen Weges. Es weise die gleiche Beschaffenheit auf wie der öffentliche Weg und munde wieder in einen öffentlichen Weg. Der Weg sei etwa 3 m breit, festgefahren und weise Schlaglöcher auf. Es sei möglich, außer über den strittigen Weg, über den man von Süden her zur Werkstätte des Beklagten gelange, auch von Norden von der Landeshauptstraße her über einen öffentlichen Weg zur Werkstätte des Beklagten zu kommen. Allerdings sei es in diesem Fall notwendig, eine Kreuzung, die einen Winkel von 60 - 70 Grad aufweise, zu durchfahren. Seit unbestimmter Zeit, jedenfalls aber seit mehr als 30 Jahren benützten alle Personen, die dort zu tun hätten, das strittige Wegstück zum Gehen und Fahren. Das Fahren sei hiebei nicht nur auf Wirtschaftsfuhren beschränkt, sondern werde für Fahrzeuge aller Art, beispielsweise auch für den Arzt und für Krankentransporte in Anspruch genommen. In dem Haus, das nunmehr den Eltern des Beklagten gehöre, habe bis zum Jahre 1936 ein Schuhmacher gewohnt. Dessen Kunden hätten ebenfalls das strittige Wegstück benützt. Sie seien dabei zu Fuß gekommen oder mit dem Fahrrad gefahren. Gelegentlich seien auch Baumaterialien über das strittige Wegstück geführt worden. Die jeweiligen Benützer des Weges hätten die Kläger und deren Besitzvorgänger nicht um Erlaubnis gefragt, sei seien auch nie von ihnen beanstandet worden. Entsprechend den allgemeinen Verhältnissen und der etwas abseitigen Lage des strittigen Weges sei der Verkehr bis vor etwa 10 - 15 Jahren schwach gewesen. Seit etwa 10 - 15 Jahren führen auch Kraftfahrzeuge über den strittigen Weg. Ortsfremde Personen, die nicht einen der Anrainer besuchen wollten, kämen entsprechend den örtlichen Gegebenheiten nicht dort hin. Bei den baupolizeilichen und gewerbebehördlichen Verhandlungen anläßlich der Errichtung und Inbetriebnahme des Gewerbebetriebes des Beklagten seien die Kläger vertreten gewesen.

Aus diesen Feststellungen folgerte das Erstgericht in rechtlicher Beziehung, daß am strittigen Wegstück Gemeingebrauch bestehe, es dürfe daher von jedermann benützt werden. Der Beklagte habe auch das Recht, seine Kunden auf die Möglichkeit, über den strittigen Weg zu fahren, hinzuweisen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes nur insoweit, als darin das Begehren, dem Beklagten das Begehen des strittigen Wegstückes zu verbieten, abgewiesen wurde, im übrigen erkannte es jedoch gemäß dem Klagebegehren. Es begrundete den stattgebenden Teil seiner Entscheidung wie folgt: Die zu Gunsten der Anrainer und damit auch der Ehegatten I. sen. und des Beklagten ersessene Dienstbarkeit habe als ungemessene Dienstbarkeit nicht dem Bedürfnis des herrschenden Gutes im Augenblick der Bestellung, sondern dem jeweiligen Bedürfnis zu entsprechen. Das Ausmaß werde aber durch den ursprünglichen Bestand und die ursprüngliche Bewirtschaftungsart des Gutes bestimmt, doch könne die Änderung der Benützungsart des herrschenden Gutes eine Änderung in dem Inhalt der Servitut bewirken, sofern dadurch die Belastung des dienenden Gutes nicht erschwert werde. Solange ein Schuhmacher in dem Haus, das jetzt den Eltern des Beklagten gehöre, gewohnt habe, hätten alle Anrainer und natürlich auch die Kunden des Schuhmachers das Recht gehabt, den strittigen Weg entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu benützen. Dieses Benützungsrecht habe sich dann insofern gewandelt, als die Eltern des Beklagten ihre Liegenschaft landwirtschaftlich genutzt hätten. Als der Beklagte auf dem Grund seiner Eltern eine Montagehalle als Werkstättenraum für Autospenglereiarbeiten habe errichten lassen, habe sich die ursprüngliche Bewirtschaftungsart geändert. Während früher der Verkehr verhältnismäßig schwach gewesen sei, habe er der Entwicklung entsprechend zugenommen. In der Änderung der Bewirtschaftungsart des Grundstückes der Eltern des Beklagten durch diesen sei eine Erweiterung der Servitut zu erblicken, die dem § 484 ABGB. zuwiderlaufe. Es sei daher die stärkere Inanspruchnahme des Wegerechtes infolge der Aufnahme eines Gewerbebetriebes unzulässig. Dies habe zur Folge, daß der Beklagte auch nicht auf die Zufahrtsmöglichkeit über den strittigen Weg hinweisen dürfe.

Der Oberste Gerichtshof hob die angefochtenen stattgebenden Teile der Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die beklagte Partei hat behauptet, daß auf dem im Eigentum der Kläger stehenden strittigen Wegstück seit mehr als hundert Jahren für alle Personen, die dort Besitz haben, und für die Bewohner der dort befindlichen Häuser und deren Besucher ein unbeschränktes Recht zum Gehen und Fahren mit Fahrzeugen aller Art bestehe. Der Beklagte macht damit sinngemäß auch geltend, daß am strittigen Wegstück Gemeingebrauch bestehe und daß das strittige Wegstück dadurch zu einer öffentlichen Straße geworden sei. Das Bestehen des Gemeingebrauches nahm auch das Erstgericht an, das Berufungsgericht hat sich aber mit dieser Frage nicht weiter beschäftigt. Wenngleich es sich beim Gemeingebrauch an einer Straße und bei ihrer Öffentlichkeit um Begriffe des Verwaltungsrechtes handelt und die zugrunde liegenden Rechte daher vor den Verwaltungsbehörden geltend zu machen sind, muß auf Grund der Einwendung des Beklagten die Frage, ob an dem den Klägern gehörigen Wegstück Gemeingebrauch besteht und ob sich der Beklagte auf ein solches öffentliches Recht zur Abwehr der Unterlassungs- und Beseitigungsklage berufen kann, doch vom Gericht beantwortet werden. Denn es handelt sich dabei um eine Vorfrage für den auf das Eigentumsrecht gestützten Klageanspruch, die ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zum Verwaltungsrecht vom Gericht zu entscheiden ist.

Daß das strittige Wegstück als öffentliche Straße ausdrücklich gewidmet worden wäre (vgl. §§ 1 (2) und 2 (2) des niederösterreichischen Landesstraßengesetzes vom 12. Juli 1956, LGBl. Nr. 100, in der Fassung der Druckfehlerberichtigung vom 14. Dezember 1956, nö. LGBl. Nr. 119, Krzizek. Das öffentliche Wegerecht, S. 96, Hawelka. Die Rechte an öffentlichen Wegen in Österreich, S. 12 ff., Klang in Klang[2] II, S. 5), ist im vorliegenden Fall nicht behauptet worden. Es könnte aber durch Gemeingebrauch ein öffentlicher Weg ersessen worden sein (vgl. OGH. vom 24. November 1965, JBl. 1966, S. 525, v. 22. März 1961, SZ. XXXIV 49) und eine stillschweigende Widmung des im Eigentum der Kläger stehenden Weges als öffentliche Straße in Betracht kommen. Daß eine solche nach dem niederösterreichischen Landesstraßengesetz möglich ist, nimmt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. Jänner 1962, SlgNF 5698 A (vgl. auch Erk. v. 28. November 1963, SlgNF. 6169 A) an.

Unter Gemeingebrauch versteht man die Benützung einer Straße durch jedermann unter den gleichen Bedingungen ohne behördliche Bewilligung und unabhängig vom Willen des über den Straßengrund Verfügungsberechtigten (vgl. Krzizek, a. a. O., S. 61, Hawelka, a. a. O., S. 93 ff.). Die stillschweigende Widmung als öffentliche Straße setzt neben dem Gemeingebrauch an ihr während einer bestimmten Zeit insbesondere ein dringendes Verkehrsbedürfnis voraus, das gegeben ist, wenn ohne Benützung der Straße wichtige Verkehrsinteressen der Allgemeinheit (einer Gemeinde, einer Ortschaft oder auch nur eines Teiles einer Ortschaft, nicht aber der Bewohner einzelner Gebäude oder Gehöfte) nicht befriedigt oder wesentlich beeinträchtigt werden. Eine nur geringfügige Wegabkürzung vermag ein dringendes Verkehrsbedürfnis nicht zu begrunden, wohl aber eine ins Gewicht fallende (Krzizek, a. a. O., S. 106).

Ungeklärt ist demnach im vorliegenden Falle noch, seit wann und von welchem Personenkreis das strittige Straßenstück benützt wird und welche Nachteile diesen treffen würde, wenn er es nicht benützen könne. Sollte sich nach Ergänzung des Verfahrens in der dargelegten Richtung ergeben, daß das Straßenstück durch Gemeingebrauch stillschweigend dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden ist und sich dieser auch auf das Befahren (früher mit Wagen, jetzt mit Kraftfahrzeugen) erstreckt, dann wäre das Eigentumsrecht der Kläger am Straßengrund insoweit eingeschränkt. Dies würde zur gänzlichen Klagsabweisung führen.

Sollte aber die stillschweigende Widmung der Straße zum öffentlichen Verkehr nicht feststellbar sein, müßte allerdings dem Berufungsgericht darin beigepflichtet werden, daß die Eröffnung eines Gewerbebetriebes für den Karosseriebau und eine Autolackiererei durch den Beklagten zu einer unzulässigen Erweiterung des privatrechtlichen Wegerechtes geführt hat (§ 484 ABGB.), weil der Betrieb dieses Gewerbes ein wesentlich stärkeres Befahren des Servitutsweges mit Kraftfahrzeugen aller Art mit sich bringen muß, als der Betrieb einer Kleinlandwirtschaft. Die seinerzeit auf der herrschenden Liegenschaft betriebene Schuhmacherwerkstätte hat nach den Feststellungen der Untergerichte nur zur Benützung des strittigen Weges durch Fußgänger und Radfahrer, nicht aber auch durch Wagen oder Kraftfahrzeuge geführt.

Es kann dem Berufungsgericht aber darin nicht gefolgt werden, daß der Beklagte den auf einer Reklametafel für seinen Betrieb angebrachten, auf den in Frage stehenden Weg hinweisenden Richtungspfeil bedingungslos entfernen müsse. Der Beklagte verweist mit Recht darauf, daß Fußgänger den Weg auf jeden Fall benützen dürfen und daß auch für Fahrzeuge die Zufahrt zunächst auf einem öffentlichen Weg stattfinden kann. Es muß den Klägern überlassen bleiben, allenfalls, wenn nicht der strittige Weg dem öffentlichen Verkehr schon eröffnet worden ist, ihr Begehren auf Entfernung des Richtungspfeiles einzuschränken, etwa in der Weise, daß nur dann seine Entfernung erforderlich ist, wenn nicht auch in entsprechender Weise darauf hingewiesen wird, daß nur der öffentliche Weg, nicht aber der anschließende Privatweg mit Kraftfahrzeugen befahren werden kann.

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß die Behauptung in der Revision, es sei nicht über das gesamte Klagebegehren abgesprochen worden, die Klagseinschränkung übersieht.

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