Spruch:
Der Rechtsstreit über eine gerichtliche Aufkündigung wird nicht erst mit der Erhebung von Einwendungen durch den Aufgekundigten, sondern schon mit der Zustellung der Kündigung anhängig.
Entscheidung vom 15. Juni 1967, 1 Ob 111/67.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Die Kläger kundigten mit dem Schriftsatz vom 23. Jänner 1963 die von den Beklagten gemietete Wohnung für den 31. März 1963 gerichtlich auf; die Aufkündigung wurde dem ehelichen Vater der beiden mj. Beklagten als deren gesetzlichen Vertreter am 6. Februar 1967 zugestellt. Über Antrag des Magistrates Graz, Jugendamt-Amtsvormundschaft, der darauf hinwies, daß der eheliche Vater die Interessen der Kinder nicht entsprechend verfolge, wurde das genannte Amt vom Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz als Pflegschaftsgericht mit dem Beschluß vom 1. Februar 1967 zum Widerstreitsachwalter bestellt; die Zustellung dieses Bestellungsbeschlusses erfolgte am 7. Februar 1967 (Widerstreitsachwalter) bzw. am 8. Februar 1967 (ehelicher Vater der Beklagten).
Der Magistrat Graz teilte dem Erstgericht mit dem Schreiben vom 9. Februar 1967 seine Bestellung zum Widerstreitsachwalter mit und verband damit den Antrag, ihm alle Ladungen und Schriftsätze in dieser Rechtssache zuzustellen. Das Erstgericht verfügte daraufhin am 22. Februar 1967 die Zustellung einer von der klagenden Partei abverlangten Gleichschrift der Aufkündigung an den Widerstreitsachwalter, der sodann am 24. Februar 1967 schriftlich Einwendungen gegen die Aufkündigung erhob.
Das Erstgericht wies die Einwendungen unter Berufung auf § 571 (3) ZPO, als verspätet zurück. Die Aufkündigung sei dem Vater der Beklagten am 6. Februar 1967 wirksam zugestellt worden; das gerichtliche Kündigungsverfahren sei ein außerstreitiges Verfahren und deshalb eine Unterbrechung nach § 158 ZPO. vor Erhebung der Einwendungen gegen die Aufkündigung unzulässig.
Infolge Rekurses der Beklagten hat das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und diesem die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahren aufgetragen. Wohl könne in der Zustellung der Aufkündigung an den ehelichen Vater der Beklagten kein Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen erblickt werden; das Erstgericht habe aber die Auswirkungen des Wechsels in der Person des gesetzlichen Vertreters der Beklagten, der während des Laufes der Frist zur Erhebungen von Einwendungen erfolgt sei, insoweit unrichtig beurteilt, als es das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbrechung des Verfahrens nach § 158 (1) ZPO. verneinte; bei Beachtung dieser Bestimmung zeige sich, daß die Einwendungen rechtzeitig erhoben worden seien.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionrekurs der Kläger nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs ist zulässig, da es sich in Wahrheit um einen abändernden und nicht um einen Beschluß im Sinn des § 527 (2) ZPO. handelt, aber nicht berechtigt.
Die von den Vorinstanzen divergierend beantwortete Frage, ob das Verfahren über eine gerichtliche Kündigung des Bestandvertrages bis zur Erhebung von Einwendungen ein außerstreitiges ist und der Rechtsstreit erst mit der Erhebung von Einwendungen durch den Aufgekundigten anhängig wird oder ob diese Anhängigkeit schon mit der Zustellung der Kündigung eintritt, wurde auch in der Rechtsprechung und im Schrifttum verschieden gelöst (siehe einerseits die Entscheidungen GlUNF. 1684 = SpR. Nr. 255 und Handl,
Die Praxis der Gerichte in Mietrechtssachen, Nr. 490, 491, 910; andererseits die Entscheidungen SZ. IV 79, SZ. V 194, SZ. VII 111, SZ. IX 56, SZ. X 55 = JB. 31 neu, SZ. XIX 181, ZBl. 1924 Nr. 182, ZBl. 1926 Nr. 211). Der auch vom Erstgericht verwerteten Entscheidung GlUNF. 1684 = SpR. Nr. 255, die zum Ausdruck bringt, daß es sich beim gerichtlichen Kündigungsverfahren bis zur Erhebung von Einwendungen um ein außerstreitiges Verfahren handle und es deshalb in diesem Verfahrensstadium zu keiner Anwendung der Unterbrechungsvorschriften kommen könne, wird von Fasching (Komm. zu den Zivilprozeßgesetzen, II S. 757) mit dem Hinweis entgegengetreten, daß die gerichtliche Aufkündigung nicht etwa nur eine bloß rechtsgeschäftliche Erklärung darstelle, vielmehr doppelfunktioneller Natur sei, also neben der rechtsgeschäftlichen Bedeutung auch gleichzeitig prozessual den Sachantrag des Kundigenden, des Klägers, enthalte. Daraus folge, daß sowohl der Kundigende wie sein Gegner den allgemeinen Schutzvorschriften der Unterbrechung unterstellt werden müßten, solle nicht dadurch eine Schlechterstellung beider gegenüber den Parteien in anderen Streitigkeiten erfolgen; darüber hinaus müßte, selbst wenn man - der Meinung des SpR. 255 folgend - annähme, es handle sich um außerstreitige Gerichtsbarkeit, der allgemeine Rechtsfürsorgegedanke dieses Verfahrens die analoge Anwendung der Vorschriften über die Unterbrechung fordern.
Der Oberste Gerichtshof schließt sich diesen und damit gleichzeitig auch den überzeugenden Ausführungen Petscheks (ZBl. 1928 S. 143) an, der zutreffend hervorhebt, daß niemals daran gedacht worden sei, die beim unzuständigen Gericht überreichte Aufkündigung dem zuständigen Gericht zu überweisen, auf die Entscheidung über die Vorfrage, ob ein Bestandvertrag vorliege, das Untersuchungsprinzip oder auf die Rechtsmittel die Vorschrift des § 9 AußStrG. anzuwenden (so schon JB. 31 neu).
Ist aber im Sinne dieser Rechtsausführungen durch die während des Laufes der Einwendungsfrist erfolgte Bestellung eines neuen gesetzlichen Vertreters der Beklagten eine Unterbrechung des Verfahrens nach dem § 158 ZPO. eingetreten, dann sind die von den Beklagten durch den bestellten Widerstreitsachwalter erhobenen Einwendungen rechtzeitig erfolgt. Die Bemühungen der Revisionsrekurswerber darzutun, daß die Frist zur Erhebung der Einwendungen jedenfalls mit dem Tag der Zustellung des Beschlusses über die Bestellung zum Widerstreitsachwalter neu zu laufen begonnen und demzufolge spätestens am 19. Februar 1967 geendet habe, müssen scheitern, vernachlässigen sie doch die Bestimmung des § 158 (2) ZPO., wonach die Unterbrechung so lange dauert, bis der neue gesetzliche Vertreter von seiner Bestellung dem Gegner - diesfalls also den Klägern - Anzeige macht und das Verfahren aufnimmt. Da nach dem Akteninhalt eine derartige - von den Klägern selbst nicht behauptete - Anzeigeerstattung keinesfalls vor der Erhebung der Einwendungen erfolgt ist, ergibt sich, daß vom Rekursgericht die Frage der Rechtzeitigkeit der Einwendungen zutreffend bejaht worden ist.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)