Spruch:
Es gehört zu den selbstverständlichen Pflichten eines Anwalts, der mit der Abfassung eines Kaufvertrages über eine Liegenschaft betraut wird, vor Verfassung des Vertrages in das Grundbuch Einsicht zu nehmen.
Entscheidung vom 8. März 1967, 6 Ob 384/66.
I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Anläßlich des Erwerbes der EZ. 362 KG. A. durch die Beklagte vereinbarte die Beklagte mit Rechtsanwalt Dr. Hans A., dem Vater des Klägers, daß sämtliche Verträge über den Verkauf von Grundstücken dieser Liegenschaft durch die Kanzlei Dr. A. zu errichten seien. Diese Arbeiten führte der Kläger zunächst als Konzipient seines Vaters und seit 1962 auf Grund einer Kanzleigemeinschaft mit seinem Vater aus. Es kam zu mehreren Grundstücksteilungen, in deren Verlauf die Grundstücke Nr. 634/211 und Nr. 634/212 der EZ. 362 KG. A. geschaffen wurden.
Trotz der mit Dr. A. getroffenen Vereinbarung verkaufte Rechtsanwalt Dr. Helmut R., der Syndikus der Beklagten, mit Kaufvertrag vom 30. September 1963 diese beiden Grundstücke an Norbert und Reinfried K. Das Eigentum dieser Käufer wurde am 29. April 1964 bücherlich einverleibt.
Im Zuge des Verkaufes der einzelnen Grundstücke durch den Kläger wendete sich dieser an die Firma K., die ihn mit Schreiben vom 8. Jänner 1964 mitteilte, daß sie die sie interessierenden Grundstücke bereits von der Beklagten gekauft habe. Mit Schreiben vom 10. Jänner 1964 gab Dr. R. dem Vater des Klägers bekannt, daß "die fraglichen Grundstücke" bereits am 30. September 1963 an die Herren K. verkauft wurden seien. Dies nahm Dr. Hans A. zum Anlaß, der Beklagten mit Schreiben vom 15. Jänner 1964 vorzuhalten, daß auch andere Verträge über Grundstücke der EZ. 362 KG. A. vertragswidrig von anderen Vertragsverfassern errichtet worden seien.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 1964 beauftragte die "G."
Gemeinnützige Bau-, Wohnungs- und Siedlungs-Gesellschaft mit beschränkter Haftung den Kläger, über die Grundstücke Nr. 634/211 und 634/212 mit Arthur W. einen Kaufvertrag zu errichten. Der Kläger ersuchte daraufhin Dr. R. mit Schreiben vom 4. November 1964 unter Hinweis auf den zwischen der "G." und den Eheleuten W. über die Grundstücke Nr. 634/211 und Nr. 634/212 geschlossenen Kaufvertrag, ihm den Ranganmerkungsbeschluß vom 17. März 1964 (es war dies der Beschluß über die Anmerkung der Rangordnung für eine beabsichtigte Veräußerung der Liegenschaft EZ. 362 KG. A.) zur Verfügung zu stellen. Diesen Ranganmerkungsbeschluß hatte der Kläger bereits im April 1964 zur Durchführung anderer Verträge von Dr. R. erhalten. Dr. R. übersandte diesen Ranganmerkungsbeschluß neuerlich dem Kläger, er forderte ihn mit Schreiben vom 9. November 1964 jedoch wieder zurück.
Der Kaufvertrag über die genannten Grundstücke wurde am 15. Dezember 1964 bzw. am 12. Jänner 1965 von Arthur W. und von der Beklagten unterfertigt. Mit Schreiben vom 8. Februar 1965 ermächtigte Dr. R. den Kläger, den im Grundbuch zu einer bestimmten Tagebuchzahl erliegenden Ranganmerkungsbeschluß vom 13. März 1964 zur Verbücherung des Eigentumsrechtes des Ehepaares W. hinsichtlich der Grundstücke Nr. 634/211 und Nr. 634/212 zu beheben bzw. zu verwenden. Anfangs März 1965 stellte der Kläger fest, daß die Beklagte nicht mehr Eigentümerin der beiden Grundstücke war, der mit W. geschlossene Vertrag daher nicht verbüchert werden konnte. Da die Käufer W. jedoch auf Durchführung des Kaufvertrages bestanden, war die Beklagte genötigt, diese beiden Grundstücke von den bücherlichen Eigentümern K. zurückzukaufen, wodurch ihr ein Schaden von über 136.000 S entstand. Mit dem Schreiben vom 4. November 1965 und vom 5. April 1966 forderte die Beklagte den Kläger auf, ihr diesen Schaden zu ersetzen, weil er seiner Sorgfaltspflicht bei Abwicklung des Grundstücksverkaufes nicht nachgekommen sei.
Der Kläger beantragt, der Beklagten gegenüber festzustellen, daß er für den der Beklagten aus dem Doppelverkauf der Grundstücke Nr. 634/211 und Nr. 634/212 je KG. A. entstandenen Schaden nicht ersatzpflichtig ist.
Der Erstrichter stellte fest, daß der Kläger für den obbezeichneten Schaden der Beklagten zur Hälfte nicht ersatzpflichtig ist; das Mehrbegehren auf Feststellung, daß der Kläger für die weitere Hälfte des Schadens nicht ersatzpflichtig sei, wies er ab.
Das Berufungsgericht änderte dieses von beiden Parteien bekämpfte Urteil dahin ab, daß den Kläger keine Schadenersatzpflicht trifft.
Während der Erstrichter der Rechtsansicht war, es treffe sowohl den Kläger als auch die Beklagte ein Verschulden an dem Doppelverkauf, und zwar den Kläger, weil er es verabsäumt habe, vor Abschluß des Kaufvertrages in das Grundbuch einzusehen, die Beklagte, weil sie dem Kläger den Auftrag zur Errichtung eines Kaufvertrages über ein von ihrem Syndikus bereits verkauftes Grundstück gegeben, dem Kläger zur Durchführung dieses Kaufvertrages den Ranganmerkungsbeschluß zur Verfügung gestellt und überdies die Ausschließlichkeitsvereinbarung mit dem Kläger gebrochen habe, verneinte das Berufungsgericht ein kausales Verschulden des Klägers. Dem Umstand, daß der Verkaufsauftrag nicht von der Beklagten, sondern von der "G."
Gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungs-Gesellschaft m. b. H. erteilt worden sei, komme keine entscheidende Bedeutung zu, weil die Beklagte die vom Kläger verfaßte Vertragsurkunde unterfertigt und dadurch den erteilten Auftrag genehmigt habe. Der der Beklagten entstandene Schaden sei auf den Doppelverkauf zurückzuführen. Zu diesem sei es durch den bestimmten Auftrag vom 13. Oktober 1964 gekommen, der in einem Zeitpunkt erteilt worden sei, in dem, auf Grund eines von Dr. R. in Verletzung der Ausschließlichkeitsvereinbarung geschlossenen Kaufvertrags, das Eigentumsrecht der Käufer K. bereits einverleibt gewesen sei. Überdies habe Dr. R., der Vertreter der Beklagten, dem Kläger über dessen Ersuchen den Ranganmerkungsbeschluß zur Durchführung des ihm bekannt gegebenen Kaufvertrages widerspruchslos zur Verfügung gestellt. Der Kläger habe dem ihm erteilten Auftrag und dem Verhalten des Dr. R. vertrauen dürfen, zumal er durch Einsicht in das Grundbuch am 13. April 1964 habe feststellen können, daß eine Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung der EZ. 362 KG. A. angemerkt sei. Die Kenntnis von der Vertragsuntreue der Beklagten habe den Kläger nicht zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen, weil er nicht damit habe rechnen können, daß Dr. R. ihm bei Bestehen von Hindernissen den Ranganmerkungsbeschluß zur Durchführung des Verkaufes der beiden Grundstücke vorbehaltslos überlasse. Aus der Korrespondenz wegen des vertragswidrigen Verkaufes von Grundstücken an K. habe der Kläger nicht erkennen können, daß es sich um die gegenständlichen Grundstücke gehandelt habe. Eine Einsichtnahme in das Grundbuch vor Vertragsverfassung sei daher nicht erforderlich gewesen. Mangels eines kausalen Verschuldens des Klägers sei auf die in der Klage aufgeworfene Frage, ob nicht die Willenseinigung der Parteien über den Kaufvertrag, somit der Vertragsabschluß, nicht etwa der Verfassung der Urkunde vorausgegangen sei, nicht einzugehen. Das Feststellungsinteresse des Klägers sei mit Rücksicht auf die wiederholten Behauptungen der Beklagten, daß ihr der Kläger für den Doppelverkauf schadenersatzpflichtig sei, zu bejahen,
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und hob die Urteile beider Untergerichte auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Ansicht des Berufungsgerichtes, es sei rechtlich nicht entscheidend, ob der Kläger lediglich die Urkunde über einen zwischen den Parteien bereits vorher vereinbarten Kaufvertrag auszufertigen hatte oder ob der Kaufvertrag erst durch Unterfertigung der vom Kläger verfaßten Urkunde zustande gekommen war, weil dem Kläger keinesfalls ein Verschulden im Sinne des § 1299 ABGB. an dem Doppelverkauf treffe, kann nicht gefolgt werden.
Es gehört nämlich zu den selbstverständlichen Pflichten eines Anwaltes, der mit der Abfassung eines Kaufvertrages über eine Liegenschaft betraut wird, vor Verfassung des Vertrages in das Grundbuch Einsicht zu nehmen, um festzustellen, ob nach dem Grundbuchstand Hindernisse der Durchführung des erteilten Auftrages entgegenstehen bzw. ob auf bestimmte bücherliche Eintragungen bei Verfassung des Kaufvertrages Bedacht zu nehmen ist. Den Ausführungen des Berufungsgerichtes, daß aus den besonderen Gründen des vorliegenden Falles das Unterlassen der Lustrierung gerechtfertigt gewesen wäre, wäre folgendes entgegenzuhalten: Der strikte Auftrag der "G." Gemeinnützige Bau-, Wohnungs- und Siedlungs- Gesellschaft m. b. H. vom 13. Oktober 1964, den die Beklagte - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - infolge nachträglicher Genehmigung gegen sich gelten lassen muß, könnte den Kläger ebensowenig von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Überprüfung des Grundbuchsstandes befreien, wie die langjährige Beschäftigung der Kanzlei des Klägers mit den sogenannten "R.grunden" oder die zwischen dem Vater des Klägers und der Beklagten geschlossene Ausschließlichkeitsvereinbarung. Es ist Aufgabe und Pflicht des Anwalts, die Aufträge seiner Mandantschaft auf ihre Durchführbarkeit zu prüfen und sich zu diesem Behufe die erforderlichen Unterlagen und Kenntnisse zu verschaffen. Aus seiner langjährigen Befassung mit diesem Komplex war dem Kläger wohl bekannt, daß die beiden Grundstücke, die an W. mit dem vom Kläger verfaßten Vertrag verkauft wurden oder bereits vorher verkauft worden waren, durch Teilung entstanden sind. Er hätte aber aus dieser langjährigen Befassung allein nicht mit Sicherheit erkennen können, ob einer Übertragung des Eigentums an diesen beiden Grundstücken an W. nicht etwa Hindernisse entgegenstunden. Der zwischen dem Vater des Klägers und der Beklagten seinerzeit geschlossene Ausschließlichkeitsvertrag hätte die Unterlassung der Einsicht in das Grundbuch nur dann gerechtfertigt, wenn der Kläger berechtigterweise der Ansicht hätte sein können, daß ohne sein Wissen keine Änderungen im Grundbuch durchgeführt wurden. Es war ihm jedoch bekannt, daß in drei Fällen (K., Sch., Verein der Freunde des Wohnungseigentums) entgegen der getroffenen Vereinbarung durch das Einschreiten Dritter Veränderungen der Eigentumsverhältnisse an den R.-Grundstücken eingetreten waren, von denen der Kläger erst nachträglich erfahren hatte. Der Kläger hätte daher auch auf Grund des Ausschließlichkeitsübereinkommens nicht darauf vertrauen können, daß Änderungen des Grundbuchstandes nur in den Fällen eingetreten waren, in denen er sie beantragt hatte.
Auch die Tatsache, daß dem Kläger im Zeitpunkt der Verfassung der Vertragsurkunde die Anmerkung der Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung auf der EZ. 362 KG. A. bekannt war und daß Dr. R., der Syndikus der Beklagten, ihm den Beschluß über die Anmerkung der Rangordnung zu dem bekannt gegebenen Zweck der Durchführung des Kaufvertrages W. zur Verfügung gestellt hatte, hätte die Verpflichtung zur Einsicht in das Grundbuch nicht beseitigt. In diesem Zusammenhang wäre überdies zu klären, ob der Kläger nicht gerade mit Rücksicht auf den ihm zur Verfügung gestellten Ranganmerkungsbeschluß genötigt gewesen wäre, in das Grundbuch Einsicht zu nehmen. Nach § 56 (1) GBG. sind nämlich das Eigentumsrecht betreffende Eintragungen auf der Ausfertigung des Ranganmerkungsbeschlusses anzumerken (§ 576 Geo. und § 139 GV.) und nach § 3 (3) LiegTeilG. ist die Abschreibung von Grundstücken einer Liegenschaft auf der die Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung angemerkt ist, nur bei Vorlage des Ranganmerkungsbeschlusses zulässig, es ist in diesem Fall die Abschreibung, die Bezeichnung der für das Trennstück eröffneten neuen Einlage auf der vorgelegten Ausfertigung anzumerken. Da die Einverleibung des Eigentumsrechtes der Käufer K. am 29. April 1964, sohin nach der Anmerkung der Rangordnung für die beabsichtigte Veräußerung vom 17. März 1964 erfolgte, wäre zu klären, ob nicht eine Veränderung im Grundbuch zufolge des Kaufvertrages K. auf der Ausfertigung des Rangordnungsbeschlusses für den Kläger auch ohne Einsicht in das Grundbuch erkennbar gewesen wäre.
Ein in mehrfacher Hinsicht schuldhaftes und schadenskausales Verhalten der Beklagten oder ihrer Organe könnte den Kläger nicht davon befreien, daß ihn gleichfalls ein Verschulden an dem Doppelverkauf zumindest deshalb träfe, weil er vor dem Abschluß eines Vertrages mit W. Einblick in das Grundbuch hätte nehmen müssen.
Anders läge der Fall allerdings, wenn bereits vor Verfassung der Vertragsurkunde durch den Kläger infolge einer Willenseinigung über Kaufgegenstand und Kaufpreis ein die Beklagte bindender Kaufvertrag zustande gekommen wäre, dessen Rechtswirksamkeit nicht etwa von der schriftlichen Beurkundung durch den Kläger abhängig gemacht worden wäre. In diesem Fall hätte die Tätigkeit des Klägers lediglich darin bestanden, einen ohne sein Zutun geschlossenen Vertrag zu beurkunden. Dem Käufer W. wäre in diesem Fall bereits auf Grund des mit der Beklagten geschlossenen Vertrages der Anspruch auf Vertragserfüllung zugestanden. Die auf die Vertragsbeurkundung beschränkte Tätigkeit des Klägers wäre daher für den aus dem Doppelverkauf entstandenen Schaden nicht kausal.
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