Spruch:
Der Zusammenhangsgerichtsstand des § 1 (3) ArbGerG. kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn der ihn begrundende Anspruch durch rechtskräftige Teilerledigung vorher weggefallen ist
Entscheidung vom 15. November 1966, 4 Ob 74/66
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien
Text
Der Kläger hat gegenüber Paul W. aus seiner Tätigkeit als Angestellter in dessen Unternehmen Ansprüche auf Abfertigung, Gewinnbeteiligung für 1963, Akontierung der Gewinnbeteiligung für die Monate November und Dezember 1964, Rückzahlung eines Darlehens und Auslagenersatz - nach Berücksichtigung einer Überweisung von 816.249.45 S - in der Höhe von 541.884.10 S s. A. geltend gemacht. Das Erstgericht hat die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Arbeitsgerichtes zurückgewiesen und dem Kläger mit Teilurteil einen Betrag von 133.657.26 S s. A. zugesprochen und vom weiteren Begehren den Teilbetrag von 212.137.94 S (rechtskräftig) abgewiesen. Der stattgebende Teil dieser Entscheidung ist schließlich aufgehoben worden. Nach Fällung des Teilurteils hat der Kläger im fortgesetzten Verfahren das Klagebegehren um das weitere Begehren ausgedehnt, die beklagte Partei sei ferner schuldig, dem Kläger über den Gewinn der protokollierten Einzelfirma Paul W., Elektrogroßhandel in Wien, M.- Gasse 35, für die Jahre 1964 und 1965 binnen 14 Tagen Rechnung zu legen. Dieser Anspruch werde auf Grund der geschlossenen Vereinbarung laut Beilage B als Gesellschafter der beklagten Firma geltend gemacht.
Das Erstgericht hat die Klagsausdehnung als unzulässig zurückgewiesen. Gemäß § 235 ZPO. sei für jede Klagsänderung Zuständigkeit des Prozeßgerichtes Voraussetzung. Diese fehle, weil nunmehr der Kläger selbst seinen früheren Standpunkt, Angestellter zu sein, aufgegeben habe und seine Ansprüche als Gesellschafter geltend mache, wofür das Arbeitsgericht nicht zuständig sei. Davon abgesehen seien die Ansprüche des stillen Gesellschafters auf Bucheinsicht und Rechnungslegung im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen.
Das Rekursgericht ließ die Klagsänderung zu. Das Erstgericht habe bei seinen an sich zutreffenden Überlegungen die Bestimmungen des § 29 JN. und des § 1 (3) ArbGerG. übersehen. Nach § 29 JN. bleibe in Rechtssachen, die rechtmäßigerweise bei einem Gericht anhängig gemacht worden seien, dieses Gericht bis zu deren Beendigung zuständig, wenn sich auch die Umstände, die bei Einleitung des Verfahrens über die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebend gewesen seien, während des Verfahrens geändert hätten, es sei denn, daß durch eine solche Änderung die Rechtssache der inländischen Gerichtsbarkeit oder dem Wirkungskreis der ordentlichen Gerichte entzogen werde. Die rechtmäßige Anhängigmachung der Rechtssache folge aus der rechtskräftigen Zuständigkeitsentscheidung. Das Erstgericht bleibe daher auch für das Rechnungslegungsbegehren zuständig. Nach § 1 (3) ArbGerG. könnten bei den Arbeitsgerichten nämlich auch nicht unter die Abs. 1 und 2 fallende Klagen gegen Unternehmer oder Beschäftigte sowie von solchen gegen Dritte erhoben werden, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der in den Abs. 1 und 2 bezeichneten Art in rechtlichem oder unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehe und für seine Geltendmachung eine ausschließliche Zuständigkeit nicht gegeben sei. Zwischen dem Rechnungslegungsbegehren und dem übrigen Klagebegehren bestehe zumindest ein wirtschaftlicher Zusammenhang. Da auch keine ausschließliche Zuständigkeit gegeben sei, lägen die Zuständigkeitsvoraussetzungen des § 1 (3) ArbGerG. vor.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Kläger hat sich zum Beweis seiner Ansprüche auf einen Vertrag berufen, den er rechtlich als Anstellungsvertrag beurteilt hat. Das Erstgericht hat die begehrte Abfertigung rechtskräftig abgewiesen, weil es den Vertrag nach Verwertung von Zeugenaussagen als Gesellschaftsvertrag beurteilt hat, womit eine sogenannte Innengesellschaft begrundet worden sei. Demnach sind zuständigkeitsbegrundende und klagsbegrundende Tatsachen insoweit zusammengefallen, als ein Abfertigungsanspruch aus einem Angestelltenverhältnis geltend gemacht worden ist. Die Klage ist insoweit mit Recht abgewiesen worden und nicht etwa wegen Mangels der sachlichen Zuständigkeit zurückgewiesen worden (vgl. Arb. 5691, Stanzl, Das arbeitsgerichtliche Verfahren, S. 119). Der Anspruch auf Gewinnauszahlung für 1963 und teilweise auch für 1964 und die die Geltendmachung dieses Anspruches vorbereitende Rechnungslegung bildet mit dem Anspruch auf Abfertigung einen einheitlichen wirtschaftlichen Sachverhalt, sodaß für sämtliche Ansprüche die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit in Anspruch genommen werden kann. Die Tatsache, daß über einen dieser Ansprüche (Abfertigung) bereits rechtskräftig entschieden worden ist, ändert an der einmal mit Recht in Anspruch genommenen Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes für das weitere Verfahren nichts. Dies muß auch für die Klagsausdehnung gelten, mit der ein Anspruch geltend gemacht wird, der in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den bereits anhängigen Ansprüchen steht. Die gegenteilige Auffassung würde zu einer prozeßunökonomischen Befassung verschiedener Gerichte teils mit der Entscheidung über einen Anspruch auf Geldleistung und teils mit der Entscheidung über einen Rechnungslegungsanspruch, der nur als Vorstufe für den Geldanspruch anzusehen ist, führen (vgl. hiezu Stanzl, a. a. O., S. 121, und OGH. vom 13. Jänner 1959 = JBl. 1959 S. 380). Es ist allerdings richtig, daß nach dem Wortlaut des § 1
(3) ArbGerG. der Zusammenhangsgerichtsstand nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn ein Anspruch der in den Abs. 1 und 2 bezeichneten Art schon beim Arbeitsgericht anhängig ist oder gleichzeitig anhängig wird. Diese Formulierung des Gesetzes will aber offensichtlich nur zum Ausdruck bringen, daß vor Anhängigkeit eines Anspruches im Sinne der Abs. 1 und 2 der Zusammenhangsgerichtsstand nicht in Anspruch genommen werden kann, will aber nicht den hier vorliegenden Sonderfall regeln, daß durch Teilerledigung ein den Zusammenhangsgerichtsstand begrundender Anspruch nach Abs. 1 später weggefallen ist. Daß in einem solchen Fall nicht anders vorgegangen werden darf, als wenn der nunmehr mit Klagserweiterung geltend gemachte Anspruch schon vor der Teilerledigung der Klage anhängig gemacht worden wäre, folgt aus den schon dargelegten prozeßökonomischen Erwägungen.
Der Rechnungslegungsanspruch wird vom Kläger nicht als stiller Gesellschafter geltend gemacht. Die Einwendung der Unzulässigkeit des streitigen Rechtsweges geht somit ins Leere.
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