Spruch:
Der Irrtum über das Baujahr eines Gebrauchtwagens ist ein wesentlicher
Entscheidung vom 13. Juli 1966, 7 Ob 124/66
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien
Text
Der Kläger (ein Kraftfahrzeughändler) begehrt nach Einschränkung des Klagebegehrens die Bezahlung des restlichen Kaufpreises von 3500 S für einen vom Beklagten gekauften PKW Marke Ford Taunus 12 M und eine Verwahrungsgebühr von 3900 S, weil der Beklagte den Wagen nicht abgeholt hat.
Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Betrag von 1500 S als Kaufpreisrest und einen Betrag von 2840 S an Garagierungskosten zu und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Beklagte interessierte sich schon vor Ostern 1965 (18., 19. April) für einen am Platz des Klägers stehenden Gebrauchtwagen Marke Ford Taunus 12 M und erkundigte sich bei einem Angestellten des Klägers nach Baujahr und Kaufpreis. Ihm wurde gesagt, daß der Wagen Baujahr 1963, havariefrei sei und 28.000 S koste. Am 24. April 1965 besichtigte der Beklagte neuerlich den Wagen und wurde ihm dabei auch vom Kläger selbst erklärt, es handle sich um einen Wagen Baujahr 1963. Darauf schloß der Beklagte am selben Tag einen Kaufvertrag über den Wagen, der später dahin abgeändert wurde, daß ein Kaufpreis von 26.000 S vereinbart und der Einbau eines Autoradios zugesagt wurde. Am 27. April 1965 bezahlte der Beklagte dem Kläger 4500 S, verweigerte aber in der Folge die Zahlung des restlichen Kaufpreises und die Übernahme des Wagens. Er hatte am 29. April 1965 durch Einsicht in den Typenschein, den er vorher nicht gesehen hatte, festgestellt, daß der Wagen wohl ein Modell 1963, aber Baujahr 1962 war. Ein Ford Taunus 12 M Baujahr 1963 hatte im April 1963 einen Verkehrswert von zirka 27.500 S, während ein gleicher Wagen Modell 1963, aber Baujahr 1962 nur einen Verkehrswert von zirka 24.000 S hatte. Der Wagen blieb in Verwahrung des Klägers und wurde am 17. Jänner 1966 mit Zustimmung des Beklagten um 20.000 S verkauft, wovon 2000 S dem Kläger als Provision zugebilligt wurden.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Beklagte sei hinsichtlich des Baujahres vom Kläger zwar in Irrtum geführt worden, dieser Irrtum betreffe aber nicht die Hauptsache und sei nicht wesentlich. Der Beklagte könne daher nur eine angemessene Vergütung verlangen, die in der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis von 26.000 S und dem angemessenen Kaufpreis von 24.000 S liege. Die Garagierungskosten habe der Beklagte zu bezahlen.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, wertete den vom Kläger veranlaßten Irrtum des Beklagten über das Baujahr des Wagens aber als wesentlich, weil nach diesem Umstand vom Beklagten ausdrücklich gefragt worden war. Der Beklagte sei daher berechtigt gewesen, vom Vertrag abzugehen, und sei auch nicht verpflichtet, Garagierungsgebühren zu bezahlen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Gemäß § 871 ABGB. entsteht für denjenigen Vertragspartner keine Verbindlichkeit, der über den Inhalt der abgegebenen Erklärung in einem Irrtum befangen war, der die Hauptsache oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben betrifft, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt wurde, wenn der Irrtum durch den anderen Vertragspartner veranlaßt war. Der Irrtum des Beklagten über das Baujahr wurde nach den Feststellungen der Untergerichte durch die Angaben des Klägers und seines Angestellten veranlaßt. Daran ändert der Umstand nichts, daß der Beklagte durch Einsicht in den Typenschein, der ihm allerdings am Verkaufsplatz des Klägers nicht zur Verfügung stand, den wahren Sachverhalt hätte feststellen können. Der Käufer einer Ware muß sich auch ohne vorherige Erhebungen auf die Zusage des Verkäufers verlassen können. Nach den Feststellungen der Untergerichte hat der Kläger wiederholt und ausdrücklich nach dem Baujahr des Wagens gefragt und nicht nach dem Modell. Selbst wenn ihm der Unterschied zwischen Baujahr und Modell nicht bekannt gewesen sein sollte, ändert dies nichts daran, daß er hierüber vom Kläger in Irrtum geführt wurde. Es ist gerichtsbekannt, daß für den Verkehrswert eines Gebrauchtwagens vor allem das Baujahr und nicht so sehr das Modell oder der Kilometerstand maßgebend sind. Tatsächlich weist bei der gegenständlichen Wagentype das Baujahr 1962 gegenüber dem Baujahr 1963 einen beträchtlichen Preisunterschied auf, auch wenn es sich um dasselbe Modell handelt. Gerade durch den Hinweis auf die Gebrauchtwagenpreise, betreffend das Baujahr 1963, wurde im Beklagten die Meinung erweckt, einen günstigen Kauf zu tätigen. Wenn aber der Kläger der Meinung war, wie er in der Revision darzulegen versucht, dem Beklagten komme es nicht auf das Baujahr, sondern auf das Modell an, dann hätte er nach Treu und Glauben den Beklagten ebenfalls über den Unterschied und die Preisverhältnisses aufklären müssen. Es ist dem Berufungsgericht daher beizustimmen, daß der Irrtum über das Baujahr ein wesentlicher im Sinn des § 871 ABGB. ist und den Beklagten berechtigt, vom Vertrag abzugehen.
Als mangelhaft rügt der Kläger das Verfahren des Berufungsgerichtes, weil, ohne den Parteiwillen zu erforschen, angenommen worden sei, daß hier ein wesentlicher, die Hauptsache betreffender Irrtum vorliege. Das Berufungsgericht hat die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes zur Gänze übernommen. In der Umwertung des vom Erstgericht nur als unwesentlich angenommenen Irrtums des Beklagten in einen wesentlichen, liegt eine andere rechtliche Beurteilung der Sache. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist darin aber nicht gelegen.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)