Spruch:
War der Wechselschuldner bei Unterfertigung berauscht aber nicht volltrunken, so kann seine Erklärung wegen erkennbaren Fehlens der Ernstlichkeit unwirksam sein, doch darf dies einem späteren Inhaber nur unter Voraussetzung des Art. 17 WG. eingewendet werden
Entscheidung vom 12. Jänner 1966, 2 Ob 424/65
I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck
Text
Unbestritten ist, daß der Beklagte den von Alfred G. auf ihn gezogenen Wechsel vom 3. Februar 1964 auf 6000 S als Annehmer fertigte. Der Aussteller indossierte den Wechsel dem Kläger.
Das Erstgericht erließ gegen den Beklagten den Wechselzahlungsauftrag hinsichtlich des Betrages von 6000 S s. A.
Dagegen erhob der Beklagte folgende Einwendungen:
Er sei am 3. Februar 1964 vollkommen alkoholisiert und daher geistig gar nicht in der Lage gewesen, einen Vertrag zu unterfertigen. Auch sei überhaupt kein Grundgeschäft zustandegekommen. Alfred G. habe ihm keine Leistung erbracht, sodaß eine ungerechtfertigte Bereicherung vorliege. Der Skripturakt sei daher absolut nichtig.
Das Erstgericht hielt den Wechselzahlungsauftrag aufrecht und stellte folgenden Sachverhalt fest:
Hermann S., der Vertreter Alfred G.s, begab sich im Herbst 1963 zum Beklagten, um mit ihm einen Vertrag betreffend die Übernahme einer Vertretung für Wandplattenverkauf abzuschließen, doch kam es zu keiner Einigung. Am 3. Februar 1964 verhandelte er mit ihm über den Abschluß eines Rahmenvertrages für die Lieferung von Mosaikfliesen. Es kam dann zu einer Vereinbarung, wonach der Beklagte den Vertrieb von Wandplatten für die Dauer von drei Jahren übernahm. Der Beklagte bestellte hiebei unwiderruflich Wandplatten im Gesamtwert von 40.000 S und zwar auf Abruf innerhalb von drei Jahren. Als Anzahlung übergab er den obengenannten Wechsel auf den Betrag von 6000 S. Der Beklagte ist imstande, Vorgänge, die sich bei der Unterredung vor Vertragsabschluß abgespielt haben und auch Vorgänge, die schon vor dieser Unterredung eingetreten waren, im wesentlichen wiederzugeben und vor allem die Bedeutung dieser Vorgänge darzulegen. Er weiß, wie er im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gekleidet war, ferner, daß im Hause nicht geheizt war und kann sich auch an den Genuß von alkoholischen Getränken und das Eintreffen eines Nachbarkindes und des Vertreters S. erinnern. Er erkannte richtig, daß S. ihm andere Waren als bei einer früheren Begegnung angeboten hatte, kann auch die Art dieser Waren bestimmen und weiß, daß der Vertreter ihm ein Muster an der Wand ober dem Herd in der Küche befestigt hatte. Ebenso brachte er auch soviel Kritikvermögen auf, daß er zur Beurteilung der Muster einen Nachbarn durch einen Buben herbeiholen ließ und diesen um sein Urteil befragte. Er beurteilte die Muster auch dahin, daß sie gefällig und praktisch seien. Er nahm den Vorgang, der zum Vertragsabschluß geführt hatte, als solchen wahr und erkannte ihn auch in seiner Bedeutung. Seine Reaktionen waren der Situation angepaßt und nicht sinnwidrig.
Das Erstgericht kommt zum Ergebnis, daß der Beklagte zur Zeit des Abschlusses des Geschäftes nicht volltrunken gewesen sei, erklärt es aber für möglich, daß bei ihm eine "beträchtliche alkoholische Trunkenheit" bestanden habe, doch sei er jedenfalls bei Unterfertigung des Wechsels nicht so unter Alkoholeinfluß gestanden, daß ihm jegliche Urteilsfähigkeit gefehlt hätte.
Schließlich führt das Erstgericht noch aus, daß sich aus obigen Feststellungen ergebe, daß der Einwand, es sei kein Grundgeschäft vorhanden und es habe der Aussteller des Wechsels keine Leistungen erbracht, unbegrundet sei. Übrigens habe der Kläger den Wechsel im guten Glauben erworben.
In der dagegen erhobenen Berufung bekämpfte der Beklagte die Feststellung des Erstgerichtes, daß er zur Zeit der Fertigung des Wechsels nicht volltrunken gewesen sei, nicht mehr. Er führte noch aus, daß seine Alkoholisierung aber doch einen solchen Grad erreicht habe, daß seine Willenserklärung nicht als ernstlich im Sinne des § 869 ABGB. angesehen werden könne.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Vorbehalt der Rechtskraft auf. Es führte aus, daß in dem Fall, als der Beklagte so angeheitert gewesen sein sollte, daß das Erkenntnisvermögen gestört und die freie Willensbildung beeinträchtigt war, von einer Ernstlichkeit im Sinne des § 869 ABGB. nicht gesprochen werden könne. Da das Erstgericht einen solchen Sachverhalt nur für möglich, aber nicht für ausgeschlossen erklärt hat, seien die Feststellungen ergänzungsbedürftig.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist darauf zu verweisen, daß der Beklagte weder Einwendungen aus dem Wechselbild, insbesondere nicht wegen Fehlens der Voraussetzungen nach Art. 1 Z. 6 WG., noch wegen Bösgläubigkeit des Klägers im Sinne des Art. 17 WG. erhoben hat.
Es braucht nicht untersucht zu werden, ob der gutgläubige Inhaber des Wechsels im Falle einer selbstverschuldeten Trunkenheit des Wechselschuldners diesen aus dem Wechsel selbst in Anspruch nehmen kann oder ob ihm nur Schadenersatzansprüche zustehen. Nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes liegt keine Volltrunkenheit vor, die einen Mangel der Geschäftsfähigkeit, im vorliegenden Fall also der Wechselgeschäftsfähigkeit, im Sinne des § 865 ABGB. darstellen würde. Das Berufungsgericht verweist auf § 869 ABGB. Nun ist es richtig, daß die Rechtsprechung im Gegensatz zu der von Gschnitzer in Klang[2] IV 1 100 und Schlesinger in der ersten Auflage des Kommentars vertretenen Ansicht den Standpunkt vertritt, daß auch ein leichter Grad der Trunkenheit, der eine Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 865 ABGB. nicht darstellt, die Ernstlichkeit des Geschäftes aufheben kann. Vorausgesetzt wird jedoch, daß dieser Zustand und die mangelnde Ernstlichkeit dem Vertragsgegner erkennbar war (GlUNF. Nr. 129, 5809, GerH. 1933 S. 179 u. a.). Eine andere Auffassung würde mit dem Vertrauensprinzip der §§ 870 ff. ABGB. in Widerspruch stehen. Daraus ergibt sich, daß die Ungültigkeit des Geschäftes vom guten oder schlechten Glauben des Vertragsgegners abhängt. Es handelt sich hier also um eine Einwendung des Beklagten aus dem Verhältnis zum Aussteller und früheren Inhaber des Wechsels. Eine solche kann gemäß Art. 17 WG. dem Inhaber nur entgegengesetzt werden, wenn dieser bewußt zum Nachteil des Wechselschuldners gehandelt hat. Dies wurde jedoch nicht eingewendet. Das Berufungsgericht ist zu unrichtigen Ergebnissen gekommen, weil es den Tatbestand des Fehlens der Ernstlichkeit statt richtig als einen Willensmangel, als Fehlen der Wechselgeschäftsfähigkeit angesehen hat. Die Geltendmachung von Willensmängeln gegen den Inhaber ist aber durch Art. 17 WG. beschränkt (s. auch Stranz Anm. 12 zu Art. 17 WG.).
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es der vom Berufungsgericht vermißten Feststellungen nicht mehr bedarf, vielmehr die Rechtssache zur Endentscheidung reif ist.
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