Normen
ABGB §844
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch §745
JN §1
ABGB §844
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch §745
JN §1
Spruch:
Die Geltendmachung des Anspruches auf Ausfolgung einer gemeinsamen Urkunde gemäß § 844 ABGB. gehört auf den ordentlichen Rechtsweg.
Adelsdiplome und Familienurkunden sind gemeinschaftliche Urkunden im Sinne des § 844 ABGB.
Entscheidung vom 11. Jänner 1966, 8 Ob 371/65
I. Instanz: Bezirksgericht Irdning; II. Instanz: Kreisgericht Leoben
Text
Der Kläger begehrte vom Beklagten, dem Sohn seines am 19. April 1962 verstorbenen Bruders, die Herausgabe folgender Familienurkunden und Hinterlegung derselben bei ihm: 1. Urkunde über die Erhebung des Balthasar von W. in den Adelsstand durch Kaiser Ferdinand aus dem Jahre 1627 mit Reichssiegel in Wachs, 2. Urkunde Kaiser Leopolds II., aus dem Jahre 1792, betreffend die Nobilitierung des Genannten zum "Edler von", mit großem Wachssiegel in hölzerner Büchse und 3. Urkunde Kaiser Franz Josephs I. von Österreich vom 29. August 1859 über die Erhebung in den Ritterstand des Moritz Edlen von W. mit gemaltem Wappen und kaiserlichem Siegel in Metallhülse. Der Klagsanspruch wird auf das Miteigentum des Klägers zur Hälfte an den genannten Dokumenten und darauf gestützt, daß der Kläger nunmehr als Ältester der Familie zur Verwahrung der Dokumente berechtigt sei, zumal "der Anspruch in erster Linie nach österreichischem Recht (§ 844 ABGB.) und nur eventuell auch nach deutschem Recht geltend gemacht werden könne".
Der Beklagte wendete entschiedene Streitsache sowie Unzulässigkeit des Rechtsweges ein und beantragte Klagsabweisung, weil er als Erbe nach seinem Vater Alleineigentümer der klagsgegenständlichen Urkunden geworden, aber auch schon als Ältester des Stammes zur Verwahrung der Urkunden berechtigt sei. Er erklärte sich bereit, für den Kläger kostenlos legalisierte Photokopien der Urkunden anfertigen zu lassen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Aus der Begründung des Urteiles geht hervor, daß entschiedene Streitsache deshalb nicht angenommen wurde, weil der Prozeß des Klägers 2 C .../62 des Amtsgerichtes Augsburg, auf den sich der Beklagte bei seiner Einrede berufen hatte, nicht gegen den Beklagten, sondern gegen dessen Mutter geführt worden ist. Das Erstgericht bejahte auch die Zulässigkeit des Rechtsweges. Nach der lex rei sitae sei nicht österreichisches Recht, nach dessen Bestimmungen (§§ 834, 835 ABGB.) der Anspruch allerdings im Verfahren außer Streitsachen geltend zu machen sei, sondern deutsches Recht anzuwenden, denn die Urkunden hätten sich nach dem Klagsvorbringen am 19. April 1962 bei Erich W. in Augsburg befunden. Nach § 745 (2) DBGB. sei der Klagsanspruch zwar im Klagewege geltend zu machen; die alleinige Verwahrung der Urkunden durch den Kläger sei jedoch nicht billig, weil der Beklagte nach dem Tode seines Vaters als Ältester des Stammes wohl in erster Linie zur Verwahrung der Urkunden berufen sei, zumal der Kläger nach den im Adel herrschenden Gepflogenheiten zu einer Seitenlinie gehöre. Das Anbot des Beklagten, dem Kläger kostenlos legalisierte Photokopien der Urkunden zur Verfügung zu stellen, berücksichtige ebenfalls den Billigkeitsgedanken des § 745 (2) DBGB. in ausreichendem Maße. Aber auch wenn österreichisches Recht anzuwenden sei, würde die Berufung des Klägers auf § 844 ABGB. versagen. Diese Gesetzesstelle habe nur Urkunden zum Gegenstand, die zum gemeinschaftlichen Gebrauch einer anderen Sache dienten.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf, verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurück und sprach aus, daß das Verfahren vor dem Erstgericht erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei. Bei seiner Entscheidung ging es davon aus, daß die am 26. November 1934 verstorbene Marie W. im Besitz der klagsgegenständlichen Adelsurkunden der Familie W. gewesen ist. Die Verlassenschaft nach ihr ist ihren Söhnen Erich W. (dem Vater des Beklagten), Dr. Bernhard W. (dem Kläger) und Leopold W., der mit 31. Dezember 1954 für tot erklärt worden ist, zu je einem Drittel eingeantwortet worden. Nach dem Tode des Vaters des Beklagten, der seinerzeit im Besitz der Urkunden gewesen ist, hat der Kläger gegen Eleonore W, (die Witwe nach Erich W.) beim Amtsgericht Augsburg eine Klage auf Herausgabe und Verwahrung der Adelsurkunden eingebracht. Zu einer Sachentscheidung ist es in diesem Rechtsstreit nicht gekommen, weil von der Beklagten in diesem Prozeß eingewendet und vom Kläger hingenommen wurde, daß sich die Urkunden im Besitz des heutigen Beklagten befunden haben.
Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, die gegenständliche Streitsache sei deshalb nicht rechtskräftig entschieden, weil weder die Parteien im Rechtsstreit 2 C .../62 des Amtsgerichtes Augsburg mit den Parteien im vorliegenden Prozeß identisch seien noch es im Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Augsburg zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Sache selbst gekommen sei. Der ordentliche Rechtsweg sei gemäß Art. XLIII EGZPO. zulässig, auch wenn österreichisches materielles Recht zur Anwendung komme, denn es handle sich um einen Anspruch auf Verwahrung gemeinschaftlicher Urkunden und nicht um eine Benützungsregelung zwischen Miteigentümern. Die Bestimmung des § 844 ABGB. gelte auch für Adelsdiplome. Diese seien darnach grundsätzlich beim ältesten Teilhaber zu hinterlegen. Dem § 844 ABGB. lasse sich nicht entnehmen, ob mit dem Ältesten der Älteste eines Stammes oder überhaupt der Älteste der direkten Linie der Familie gemeint sei. Da der Kläger seinen Anspruch auf sein Miteigentum an den Urkunden stütze, gelte die lex rei sitae. Es stehe aber derzeit nicht fest, ob sich die Urkunden im Inland befänden und ob der Kläger Miteigentümer der Urkunden sei. Letzteres werde nach dem Recht jenes Staates zu beurteilen sein, in welchem sich die Urkunden im Zeitpunkt des Eigentumserwerbes durch einen der beteiligten Miteigentümer bzw. Voreigentümer befunden hätten. Mangels der notwendigen Feststellungen sei das Urteil des Erstgerichtes aufzuheben gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zunächst ist dem Berufungsgericht darin beizustimmen, daß die Frage, ob der Klagsanspruch im ordentlichen Rechtsweg oder im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen ist, zufolge der wegen des Wohnsitzes des Beklagten in Österreich gegebenen inländischen Gerichtsbarkeit jedenfalls nach den österreichischen Verfahrensvorschriften zu beantworten ist, wobei es gleichgültig ist, ob inländisches oder ausländisches materielles Recht zur Anwendung zu kommen hat. Da Art. XLIII EGZPO. für die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde den Klageweg vorsieht, ist, wie sich aus der in diesem Artikel zitierten Bestimmung des § 304 (1) Z. 2 ZPO. ergibt, auch für die Geltendmachung des Anspruches auf Ausfolgung einer im gemeinsamen Eigentum stehenden Urkunde der ordentliche Rechtsweg gegeben (vgl. Stagel - Michlmayr, ZPO.[12] Anm. 1 zu § 304; siehe weiter Klang-Komm.[2] III 1135). Der Rekurseinwand, es liege Unzulässigkeit des Rechtsweges vor, ist daher nicht berechtigt.
Zutreffend haben die Untergerichte darauf hingewiesen, daß es der Lehre (Walker, Verdroß - Droßberg, Satter in Klang-Komm.[2] I/1 234) und der Rechtsprechung (SZ. XXXIV 91; EvBl. 1959 Nr. 316 u. a.) entspricht, bei richtiger Auslegung des § 300 ABGB. auch für bewegliche Sachen grundsätzlich die lex rei sitae anzuwenden, wobei sich der Erwerb und der Verlust dinglicher Rechte an solchen Sachen nach den Gesetzen des Ortes richtet, an dem sich die Sachen zur Zeit der Verwirklichung des Tatbestandes, welcher den Erwerb oder Verlust dinglicher Rechte begrundet haben soll, befunden haben. Da sich der Kläger bei seinem Begehren auf sein Miteigentum und auf die Tatsache beruft, daß er ältester Teilhaber an den gegenständlichen Urkunden sei, ist für die Anwendung des materiellen Rechtes der Ort maßgebend, an dem sich die Urkunden in dem Zeitpunkt befunden haben, in dem das Recht des Klägers auf Verwahrung der Urkunden entstanden sein soll. Dieser Zeitpunkt ist der 19. April 1962, an welchem Tag Erich W., der nach Ansicht des Klägers bis dahin die Urkunden mit Recht verwahrt hat, gestorben ist.
Es kann der Ansicht des Erstgerichtes, es entspreche bei Anwendung deutschen Rechtes dem in § 745 (2) DBGB. vorgeschriebenen billigen Ermessen, daß der Beklagte, der sich bereit erklärt hat, dem Kläger kostenlos legalisierte Abschriften der gegenständlichen Urkunden zur Verfügung zu stellen, diese Urkunden verwahre, weil der Beklagte nach dem Tode seines Vaters der Älteste des Stammes - gemeint ist damit offenbar: der älteste Nachkomme seines Vaters - sei, nicht beigepflichtet werden, wobei auch das Vorbringen des Beklagten, häufig in ganz Europa unterwegs zu sein, nicht übergangen wird. Gerade eine solche Annahme würde bei der Beurteilung des Verwahrungsrechtes an den Urkunden dem billigen Ermessen widersprechen und mit den Interessen der Teilhaber an den Urkunden nicht im Einklang stehen (vgl. Klang-Komm.[2] III 1134). Wenn also im vorliegenden Rechtsstreit deutsches materielles Recht zur Anwendung kommen sollte, werden die für die Beurteilung nach § 745
(2) DBGB. noch notwendigen Erörterungen anzustellen und die entsprechenden Feststellungen zu treffen sein.
Es kann aber auch dem Erstgericht darin nicht gefolgt werden, der Kläger habe vorgebracht, die klagsgegenständlichen Urkunden hätten sich am 19. April 1962 bei Erich W. in Augsburg befunden, weshalb schon nach dem Klagsvorbringen deutsches Recht anzuwenden sei. Der Kläger brachte in seiner Klage lediglich vor, Erich W. habe nach dem Tode der Maria W. am 26. November 1934 die Urkunden in Verwahrung genommen und sei am 19. April 1962 in Augsburg gestorben. Das Berufungsgericht wieder ging nur davon aus, daß sich Erich W. "seinerzeit" im Besitz der Urkunden befunden habe. Es fehlen somit auch hier eindeutige Feststellungen, was aber, wie bereits dargelegt wurde, für die Beantwortung der Frage, welches materielle Recht anzuwenden sei, von Bedeutung ist.
Ohne die angeführten Feststellungen und ohne Klarstellung des Rechtes des Klägers an den streitgegenständlichen Urkunden ist eine Entscheidung nicht möglich, weshalb die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles erfolgen mußte.
Es hat aber das Berufungsgericht auch richtig erkannt, daß Adelsdiplome und Familienurkunden als gemeinschaftliche Urkunden im Sinne des § 844 ABGB, anzusehen sind (Klang-Komm.[2] III 1134, bei § 844 ABGB. Anm. 3, GlUNF. 5662) und daß es bei der Beurteilung nach diesem Gesetz grundsätzlich nur auf das Lebensalter des Miteigentümers, dem die Verwahrung der Urkunden zusteht, und nicht auf den Grad seiner Verwandtschaft ankommt.
Die für die Frage, welches materielle Recht zur Anwendung zu kommen hat, entscheidenden Umstände wird das Erstgericht im Rahmen seiner materiellen Prozeßleitungspflicht nach § 182 ZPO. klarzustellen und sodann die notwendigen Feststellungen zu treffen haben.
Da die Entscheidung des Berufungsgerichtes somit weder mit einer Mangelhaftigkeit noch mit einem Rechtsirrtum behaftet ist, war dem Rekurs der Erfolg zu versagen. Es wird lediglich darauf hingewiesen, daß der Kläger seinen Anspruch nicht ausschließlich auf österreichisches Recht gestützt hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)