Normen
Mietengesetz §21 (2)
Mietengesetz §21 (2)
Spruch:
Keine über den Prozeß hinausgehende Rechtskraftwirkung des Beschlusses über die strittige Höhe des Zahlungsrückstandes nach § 21 (2) MietG
Entscheidung vom 25. November 1965, 2 Ob 274/65
I. Instanz: Bezirksgericht Bad Aussee; II. Instanz: Kreisgericht Leoben
Text
Anna L. war Eigentümerin eines Hauses mit einer eingerichteten Fleischhauerei in B. Im Jahre 1953 verpachtete sie an ihren Vetter, den Beklagten, den Fleischhauereibetrieb und arbeitete im Betriebe mit. Am 7. Mai 1953 schlossen Anna L. und der Beklagte einen schriftlichen Pachtvertrag ab, in welchem der Pachtzins mit 1000 S monatlich festgesetzt wurde. Mundlich vereinbarten sie ein vom Beklagten zu zahlendes weiteres Entgelt von monatlich 1000 S, wofür Anna L. die Führung der Buchhaltung und der schriftlichen Arbeiten im Geschäft, sowie fallweise ihre Mithilfe beim Verkauf und die unentgeltliche Rechtsberatung durch ihren Ehemann Dr. Franz L. zusagte. Für die Beistellung von Servitutsholz versprach der Beklagte zusätzlich eine Leistung von monatlich 300 S.
Mit dem Vertrag vom 9. August 1957 verkaufte Anna L. das Haus an die klagende Partei. Sie stellte ihre Mithilfe im Betriebe ein. Die Klägerin verkaufte die Liegenschaft im Juni 1960 an Josef B.
Das Erstgericht wies die Klage auf Bezahlung des Betrages von 29.700 S an Pachtschillingrückstand ab. Es legte seiner Entscheidung nur einen Pachtzins von monatlich 1000 S zugrunde; die Festsetzung des Mietzinses mit monatlich 1900 S im Vorprozeß C ... /59 des Bezirksgerichtes B. sei nicht bindend, weil sie über den Prozeß hinaus keine Rechtskraftwirkung beanspruchen könne. Da die Klägerin mehr als monatlich 1000 S zu verlangen nicht berechtigt sei, sei die Klage abzuweisen. Auf die Frage der Verjährung ging das Erstgericht nicht ein.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache mit Rechtskraft, vorbehalt an das Erstgericht zurück. Es ging auf die Beweis- und Mängelrügen nicht ein, sondern hielt die Streitsache aus folgender Erwägung für noch nicht spruchreif: Der im Räumungsprozeß (C ... /59 BG. B.) ergangene Beschluß über die Höhe des Bestandzinses habe materiellrechtlich bindende Wirkung auch für die gegenständliche Rechtssache. Die vom Erstgericht durchgeführten Beweise über die Höhe des Bestandzinses wären daher entbehrlich gewesen. Wenn auch die Höhe des Pachtschillings feststehe, könne aber noch nicht in der Sache selbst entschieden werden, weil keine Feststellungen über die Höhe der bisherigen Pachtzinszahlungen des Beklagten getroffen worden seien, so daß die Restforderung nicht feststehe. Das Berufungsgericht gelangte zu seiner Ansicht über die bindende Wirkung der Pachtzinsfeststellung im Vorprozeß, indem es den Beschluß jenen Beschlüssen unterordnete, die dazu bestimmt sind, Urteilswirkung herbeizuführen und eine Sache meritorisch zu erledigen. Es stellte ihn in seiner Rechtskraftwirkung dem Endbeschluß und Zahlungsauftrag gleich.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Folge und hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Endbeschlüsse und Zahlungsaufträge haben zwar meritorischen Inhalt und über den Prozeß hinausgehende Wirkung. Im Gegensatz zu diesen Entscheidungen kommt dem gegenständlich im Räumungsprozeß erlassenen Beschluß keine Rechtskraftwirkung zu. Er stellte keine Endentscheidung dar, sondern entschied nur eine für den Räumungsprozeß wichtige Vorfrage. Beschlüssen wird materielle Rechtskraft nur dann zuteil, wenn sie über ein Rechtsschutzbegehren entscheiden, also lediglich formell, aber nicht ihrer Funktion nach von einem Urteil differieren. Sonst haben sie keine bindende Kraft für die Zukunft, auch nicht bei gleichbleibendem Tatbestand (Petschek - Stagel, System S. 288). Ein Beschluß über eine Vorfrage wirkt nicht über den Prozeß hinaus. Anders wäre es, wenn der Prozeßrichter über einen Zwischenantrag auf Feststellung des Bestandzinses in Urteilsform entschieden hätte. Die Rechtskraft des Zwischenurteils würde über den Prozeß hinaus ihre Wirksamkeit bewahren (MietSlg. 3943). Die vom Berufungsgerichte vertretene Auslegung findet weder in der Rechtslehre noch in der Rechtsprechung eine Stütze. Das Revisionsgericht sieht keinen Grund, der Meinung des Berufungsgerichtes zu folgen, das bei der neuerlichen Entscheidung zu beachten haben wird, daß unabhängig von der im Räumungsprozeß getroffenen Entscheidung die Höhe des Pachtschillings selbständig zu prüfen ist.
Das Berufungsgericht wird auf die weiteren Ausführungen in der Berufung, die die Klägerin aus den Anfechtungsgrunden der unrichtigen Beweiswürdigung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhoben hat, einzugehen und sonach neuerlich zu entscheiden haben. Sollte das Berufungsgericht nicht aus den vom Erstgericht angeführten Gründen die Abweisung, der Klage für gerechtfertigt erachten, wäre von ihm auch die Frage der vom Beklagten eingewendeten Verjährung zu prüfen, auf die im Ersturteil deshalb nicht Bedacht genommen worden war, weil der Klageanspruch schon dem Gründe nach verneint worden war. In den angefochtenen Entscheidungen der Untergerichte fehlen jene tatsächlichen Feststellungen, die zur Beurteilung des Vorliegens der Verjährung erforderlich wären, weshalb der Oberste Gerichtshof zur Verjährungsfrage noch nicht Stellung beziehen kann.
Da das Berufungsverfahren sohin mangelhaft geblieben war, mußte der angefochtene Beschluß aufgehoben und zur Erledigung der Berufung die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die zweite Instanz zurückverwiesen werden.
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