OGH 1Ob103/65

OGH1Ob103/6515.6.1965

SZ 38/98

Normen

ABGB §785
ABGB §785

 

Spruch:

Ein Enkel, der selbst durch den lebenden Elternteil vom Pflichtteilsrecht ausgeschlossen ist, kann nicht als Testamentserbe die Anrechnung von Schenkungen auf den Pflichtteil verlangen

Entscheidung vom 15. Juni 1965, 1 Ob 103/65

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz

Text

Die Erblasserin Barbara A. setzte in ihrem Testamente vom 2. September 1950 ihren Enkel, den mj. Rudolf A. zum Universalerben ein, seiner Mutter, also ihrer Tochter Emma A. hinterließ sie zur Berichtigung des Pflichtteiles die Fruchtnießung am hinterlassenen unbeweglichen Vermögen bis zur Volljährigkeit des berufenen Erben und den übrigen Kindern (Maria W., Barbara H. und Friederike E.) vermachte sie "ebenfalls zur Pflichtteilsberechtigung" einen Barbetrag von je 6000 S. Der Erbe wurde angewiesen, die Legate binnen Jahresfrist nach dem Ableben der Erblasserin wertgesichert und zinsenlos zu bezahlen; falls die Töchter der Erblasserin wider Erwarten Pflichtteilsansprüche steilen sollten, hätten sie sich alle Vorausempfänge, die sie von der Erblasserin bei Lebzeiten erhalten haben, auf den Pflichtteil anzurechnen.

Die Klägerinnen behaupten, der Liegenschaftsbesitz der Erblasserin und damit der reine Nachlaß habe einen Wert von 1.304.183 S. Die Klägerin Barbara H. rechnet diesem Betrag noch Vorausempfänge von 50.240 S zu und errechnet so das ihr als Pflichtteil zustehende Achtel des reinen Nachlasses mit 169.302.85 S, worauf sie einen Vorausempfang von 10.000 S anrechnet und zu einer Pflichtteilsforderung von 159.302.85 S gelangt. Die Klägerin Maria W. berechnet ihren Pflichtteil in gleicher Weise wie Barbara H., verlangt darüber hinaus aber noch die Anrechnung eines Vorausempfanges der Emma A. im Betrage von 160.000 S; sie begehrt somit einen Pflichtteil von 179.302.85 S Gerda P. (Tochter der vorverstorbenen Friederike E.) begehrt die Anrechnung von Vorempfängen im Betrage von 20.000 S, berücksichtigt aber nicht eigene Vorempfänge und gelangt so zu 1/16 des reinen Nachlasses im Betrage von 82.761.50 S.

Die beklagte Partei - Verlassenschaft nach Barbara A., vertreten durch den erbserklärten Erben - behauptet, die Kläger müßten sich Vorempfänge in einer solchen Höhe anrechnen lassen, daß ihnen ein Anspruch überhaupt nicht zustehe.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei, der Erstklägerin und der Zweitklägerin je 128.350.62 S, der Drittklägerin 64.175.31 S zu bezahlen und wies das Mehrbegehren ab.

Der abweisende Teil dieses Urteils blieb unbekämpft. Die Berufung der beklagten Partei hatte Erfolg. Das Berufungsgericht hob den stattgebenden Teil des Urteils unter Rechtskraftvorbehalt auf. er Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Berufung der beklagten Partei führte zur Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles unter Rechtskraftvorbehalt. Die beklagte Partei bekämpft den Aufhebungsbeschluß mit Rekurs nur deshalb, weil darin Rechtsfragen mit bindender Wirkung für die erste Instanz unrichtig gelöst seien. Die Aufhebung selbst wird nicht bekämpft. Die Zulässigkeit des Rekurses entspricht der Prozeßökonomie, (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung, SZ. XXIII 159, RZ. 1965 S. 83 und ähnliche).

Die Meinung des Rekurses, der Erblasser könne letztwillig unbeschränkt die Anrechnung von Vorausempfängen zum Pflichtteil anordnen, entspricht nicht dem Gesetz. Was zum Pflichtteil anzurechnen ist, ist im § 788 ABGB. aufgezählt. Außerdem anerkennt die Rechtsprechung für anrechnungspflichtig noch jene Vorausempfänge, die vereinbarungsgemäß als Vorschuß auf den Pflichtteil gegeben worden sind. Fehlt eine solche Vereinbarung, dann kann auch der Erblasser die Anrechnung nicht verfügen.

Der erbserklärte Erbe ist im konkreten Falle nicht pflichtteilsberechtigt nach der Erblasserin, da seine Mutter lebt und selbst erb- und pflichtteilsberechtigt ist. Sie schließt ein Erb- und Pflichtteilsrecht ihres Sohnes aus. Wenn nun nach § 785 ABGB. "auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes" bei Berechnung des Nachlasses Schenkungen des Erblassers unter Lebenden anzurechnen sind, so kann dies nicht dahin ausgelegt werden, daß ein Abkömmling (Enkel), der durch den lebenden Elternteil vom Pflichtteilsrecht ausgeschlossen ist, als Testamentserbe die Anrechnung von Schenkungen auf den Pflichtteil fordern könnte. § 785 ABGB. bezweckt, dem Noterben den Pflichtteil zu sichern, und ist daher bei einem Kinde, das gar nicht Noterbe ist, unanwendbar. Auch in der E. SZ. XV 196, die allerdings nicht den gleichen Sachverhalt betraf, hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, das Gesetz verstehe unter einem pflichtteilsberechtigten Kinde im Eingang des § 785 ABGB. nicht einen noterbberechtigten Abkömmling schlechthin, also auch einen solchen Noterben, dessen Pflichtteilsanspruch auf eine der im § 778 ABGB. bezeichneten Weisen befriedigt ist, sondern nur ein Kind, das den Pflichtteil (oder dessen Ergänzung) noch zu fordern hat, in diesem Sinne also noch pflichtteilsberechtigt ist. § 785 ABGB. räumt also immer nur einem in concreto pflichtteilsberechtigten Kinde das Recht ein, die Anrechnung von Schenkungen zu verlangen. Ein solches konkrete Pflichtteilsrecht fehlt dem erbserklärten Erben im vorliegenden alle völlig.

Bis zur wirklichen Zuteilung ist die Verlassenschaft in Ansehung des Gewinns und der Nachteile als ein zwischen den Haupt- und Noterben verhältnismäßig gemeinschaftliches Gut zu betrachten (§ 786 ABGB.). Zuteilung ist die ziffernmäßige Feststellung des Pflichtteils. Werterhöhungen zwischen der Schätzung des Nachlasses auf den Todesfall und der wirklichen Zuteilung, die nicht vor Schluß der Verhandlung in erster Instanz erfolgt, sind demnach zu berücksichtigen (SZ. XXXII 78, Ehrenzweig[2], II/2 S. 579, Anm. 29 a; Klang[2] III S. 917 ff.). Von dieser im Gesetz begrundeten Auffassung abzugehen, geben die Rekursausführungen keinen Anlaß. Die mit dem Gesetz übereinstimmende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist somit frei von Rechtsirrtum.

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