Normen
ABGB §1489 Satz 2
ZPO §268
ABGB §1489 Satz 2
ZPO §268
Spruch:
Bei Verurteilung wegen einer Übertretung kann der Zivilrichter das Vorliegen eines Verbrechens gemäß § 1489 Satz 2 ABGB. annehmen
Entscheidung vom 9. Februar 1965, 8 Ob 29/65
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz
Text
Der Kläger wurde am 26. September 1953 durch einen Messerstich des Beklagten schwer verletzt. Er begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Schmerzengeld und Verdienstentgang in der Höhe von zusammen 39.041 S und einer Rente von monatlich 1378 S ab 1. Jänner 1963 bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres des Klägers; außerdem begehrt er die Feststellung, daß der Beklagte für alle zukünftigen Schäden ersatzpflichtig sei.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es ist hiebei von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgegangen:
Der Beklagte habe dem Kläger am 26. September 1953 mit einem Stilett einen Stich in den Rücken in der Nähe der Wirbelsäule versetzt, weshalb er wegen Übertretung nach § 335 StG. zu vier Monaten strengen Arrestes verurteilt worden sei. Im Jahre 1954 habe der Kläger beim Bezirksgericht für ZRS. Graz eine Klage auf Schmerzengeld eingebracht, der im wesentlichen Folge gegeben worden sei. Eine neue Klage auf Schmerzengeld und Verdienstentgang sei mit Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS. Graz vom 1. Mai 1956 abgewiesen worden. Bei der Verletzung vom 26. September 1953 habe es sich um einen Messerstich in die Rückenmuskulatur rechts seitlich der Wirbelsäule gehandelt, der bis zur Fascie der langen Rückenmuskulatur gereicht habe. Im Heilungsverlauf sei es zu Komplikationen gekommen, weil Narbenwucherungen im Bereiche der peripheren Nervenstämme aufgetreten seien. Zu ihrer Entfernung sei der Kläger vom 5. März bis 24. März 1958 und dann nochmals vom 22. bis 26. November 1959 im Spital gewesen. Nach der Operation vom 24. März 1958 sei der Kläger beschwerdefrei gewesen. Im Jahre 1960 habe er neuerlich starke Schmerzen behauptet. Da keine Neurombildungen oder sonstige Wucherungen festgestellt werden konnten, habe der Arzt eine sogenannte Förstersche Operation durchgeführt, bei der am 28. Juli 1960 die schmerzleitenden Rückenmarkwurzeln durchtrennt worden seien. Am 27. September 1960 habe noch eine Nachoperation vorgenommen werden müssen. Die Schmerzen hätten andere Ursachen gehabt und seien nicht mehr mit der ursprünglichen Verletzung in Zusammenhang zu bringen gewesen. Die beiden letzten Operationen seien daher nicht mehr als Folge der Stichverletzung anzusehen. Die Krankenhausaufenthalte des Klägers in den Jahren 1962 und 1963 mit der Diagnose "spondylogene Neuralgien bei verformender Erkrankung der Wirbelsäule" könnten ebenfalls mit der Stichverletzung nicht in Zusammenhang gebracht werden. Der Beklagte sei in diesem Zeitraum als spondylos erkrankter Mensch und außerdem wegen eines Magenleidens behandelt worden; in diesem Zeitraum seien keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Neuromen festzustellen gewesen. Die vom Beklagten angegebenen Schmerzen könnten daher nicht von Neurombildungen, aber auch nicht von der festgestellten Spondylose stammen. Da die Ursache der Schmerzen des Klägers nicht objektiv erkennbar sei, bestehe die Möglichkeit, daß der Kläger die Schmerzen psychisch fixiert habe, was mit einer Neurose erklärbar sei. Zusammenfassend stellte das Erstgericht daher fest, daß nur die Operationen vom 11. März 1958 und 14. November 1959 als indirekt mit dem Unfall in Kausalzusammenhang stehend anzusehen seien, dagegen die weiteren Operationen und Spitalsaufenthalte sowie der gegenwärtige Gesamtzustand des Klägers mit der ursprünglichen Stichverletzung nicht in Kausalzusammenhang zu bringen seien. Dem Kläger sei der Beweis, daß diese Operationen, Spitalsaufenthalte und Schmerzen auf die Stichverletzung vom 26. September 1953 zurückzuführen seien, nicht gelungen. Da das Zivilgericht an das rechtskräftige Erkenntnis des Strafgerichtes gebunden sei, das den Beklagten nur wegen einer Übertretung verurteilt habe, sei der Anspruch des Klägers infolge Verstreichens der dreijährigen Verjährungszeit verjährt.
Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Urteil mit Rechtskraftvorbehalt aufgehoben. Der Kläger habe sein Begehren darauf gestützt, daß der Beklagte nicht in Notwehr gehandelt, sondern das Verbrechen der schweren Körperbeschädigung nach § 152 StG. begangen habe. Die strafgerichtliche Verurteilung binde das Zivilgericht nur insoweit, daß zumindest der Tatbestand der Übertretung vorliege. Dies stehe dem vom Kläger angebotenen Beweis des Vorliegens eines Verbrechens für den zivilgerichtlichen Bereich nicht entgegen. Bei Vorliegen des objektiven Tatbestandes nach § 152 StG. hätte überdies der Beklagte zu beweisen, daß er dem Kläger die Stichverletzung in Notwehr zugefügt habe, da das Strafurteil in dieser Hinsicht keine bindende Wirkung habe. Das Vorliegen des Tatbestandes eines Verbrechens würde aber zu einer 30jährigen Verjährungsfrist für die Ansprüche des Klägers führen. Infolge der Widersprüche zwischen dem Gutachten des Sachverständigen Obermedizinalrat Dr. L. und der Zeugenaussage des Prof. Dr. H. wäre es auch notwendig gewesen, dem Beweisantrag des Klägers, einen Facharzt aus dem Gebiete der Neurochirurgie als Sachverständigen zu hören, Folge zu geben. Schließlich werde sich das Erstgericht gegebenenfalls von Amts wegen mit der Frage der durch die beiden bisherigen Urteile des Bezirksgerichtes für ZRS, Graz geschaffenen Rechtskraft hinsichtlich der Schmerzengeldansprüche des Klägers auseinanderzusetzen haben, weil die Rechtskraft eines Anspruches über zustehendes Schmerzengeld auch voraussichtlich zu erwartende zukünftige Schmerzen erfasse und nur mehr darüber hinausgehende Schmerzen zusätzlich gesondert geltend gemacht werden könnten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Beklagte wendet sich vor allem dagegen, daß das Berufungsgericht es für zulässig erklärt, im Zivilverfahren den Tatbestand eines Verbrechens anzunehmen, obgleich das Strafgericht den Beklagten nur wegen einer Übertretung verurteilt habe. Nun bindet das verurteilende Erkenntnis des Strafgerichtes den Zivilrichter in der Richtung, daß sich die Straftat wirklich so ereignet habe, wie sie das Strafgericht seiner Verurteilung zugrunde gelegt hat, und daß die Straftat nach dem Strafgesetz jenes Delikt bilde, wegen dessen der Schuldspruch erfolgt ist (Sperl, Lehrbuch der bürgerl. Rechtspflege, S. 711). Das Zivilgericht darf nicht etwas als nicht erwiesen annehmen, was vom Strafgericht in diesen Richtungen zu Lasten des Angeklagten als erwiesen angenommen wurde (SZ. XIV 145). Es ist also an die diesbezüglichen Feststellungen des Strafrichters gebunden. Es ist aber an das Strafurteil insoweit nicht gebunden, als dieses einen bestimmten Umstand zugunsten des Angeklagten nicht als erwiesen angenommen, z. B. deshalb den Angeklagten nur wegen eines fahrlässigen und nicht wegen eines vorsätzlichen Deliktes verurteilt hat. So hat der Oberste Gerichtshof wiederholt, vor allem bei den Delikten nach §§ 143 und 157 StG., ausgesprochen, daß der Zivilrichter ein weitergehendes Verschulden des Beklagten feststellen (SZ. XXX 80), bei einer Verurteilung nach § 143 StG. ein Delikt nach § 140 StG. und bei einer Verurteilung nach § 157 StG. ein Delikt nach § 152 StG. annehmen kann (s. SZ. XIV 145). Dieselben Grundsätze, auf den vorliegenden Fall angewendet, ergeben wohl die Bindung des Zivilgerichtes an die Feststellung des Strafgerichtes, daß der Beklagte dem Kläger am 26. September 1953 eine Stichverletzung zugefügt und dabei zumindest fahrlässig gehandelt hat; eine weitere Bindung an die Qualifikation der Tat des Beklagten als Übertretung gegen die körperliche Sicherheit nach § 335 StG. besteht aber nicht, da diese Qualifikation nur darauf beruhte, daß die Verantwortung des Angeklagten (des jetzt Beklagten), er habe in Putativnotwehr gehandelt, nicht zu widerlegen war. Daher konnte der Kläger im vorliegenden Zivilverfahren die Behauptung aufstellen, daß der Beklagte vorsätzlich gehandelt und daher das Verbrechen nach § 152 StG. begangen habe, und das Berufungsgericht hat mit Recht eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz darin erblickt, daß das Erstgericht auf diese Behauptung des Klägers nicht eingegangen ist und die hiezu angebotenen Beweise nicht durchgeführt hat. Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß der Beklagte die Beweislast für das Vorliegen der Notwehr bzw. Putativnotwehr zu tragen habe, während der Kläger den ursächlichen Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und dem Eintritt des Schadens nachzuweisen hat (s. ZBl. 1932, S. 934).
Der Beklagte bekämpft ferner den angefochtenen Beschluß insofern, als dieser eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens in der Unterlassung der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Gebiet der Neurochirurgie erblickt. Die Frage, ob ein weiterer Sachverständiger vernommen werden soll, gehört aber der Beweiswürdigung an, die nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch im Rekursverfahren nicht überprüft werden kann.
Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
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