Spruch:
Bei wesentlichem Irrtum kann nicht nur neben, sondern auch statt der Aufhebung des Vertrages angemessene Vergütung gefordert werden; dem Irregeführten muß es ja freistehen, seinen Irrtum als nebensächlich hinzustellen.
Entscheidung vom 15. Oktober 1964, 2 Ob 145/64. I. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Kläger begehrt von den beklagten Parteien die Zahlung des restlichen Entgeltes aus dem Werkvertrage für die Errichtung der von ihnen bestellten Wasserversorgungsanlage in U. zur ungeteilten Hand. Nach dem letzten Stande des erstinstanzlichen Verfahrens werden 20.501.63 S s. A. verlangt. Der Kläger geht vom Gesamtentgelt in der Höhe von 133.879.03 S aus und bringt in Abzug Zahlungen von insgesamt 60.064 S und den Betrag von 51.671.40 S zufolge Zession dieser Teilforderung an Josef O.; im Laufe des Verfahrens hat der Kläger das Klagebegehren wegen erhaltener Zahlung um 1642 S auf 20.501.63 S s. A. eingeschränkt. Die beklagten Parteien haben den Anspruch bestritten.
Das Erstgericht hat die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, dem Kläger den Betrag von 3203 S s. A. zu bezahlen, und das Mehrbegehren pcto. 17.298.63 S abgewiesen (aus den Gründen des Ersturteils ergibt sich auch die Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens von 1%). Das Erstgericht war zum Ergebnis gekommen, daß von einem Gesamtentgelt in der Höhe von 98.267 S (nämlich 71.000 S, 13.700 S, 5000 S und 8567 S) auszugehen sei; abzuziehen seien Zahlungen in der Höhe von 60.064 S - nicht berücksichtigt wurde dabei die erwähnte Klagseinschränkung wegen Zahlung um 1642 S - und ein Betrag von 35.000 S, entsprechend der von den Beklagten an den Zessionar Josef O. geleisteten Zahlungen; der Restbetrag ist 3203 S zu dessen Zahlung das Erstgericht die Beklagten verurteilt hat.
Gegen das Ersturteil haben beide Streitteile Berufung erhoben: der Kläger suchte damit zu erreichen, daß seinem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; die beklagten Parteien aber verlangten in der Berufung die gänzliche Klagsabweisung.
Das Berufungsgericht hat Beweise nicht aufgenommen und der Berufung des Klägers keine Folge gegeben; der Berufung der beklagten Parteien aber hat es stattgegeben und in Abänderung des Ersturteils das gesamte Klagebegehren pcto. 20.501.63 S s. A. abgewiesen.
Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile beider Vorinstanzen auf und verwies die Streitsache zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision des Klägers ist im Sinne der folgenden Ausführungen begrundet.
Nach dem Vorbringen der Parteien in dritter Instanz stehen zwei Fragenkomplexe zur Erörterung, nämlich 1. die Bedeutung des Zessionsbetrages von 51.671.40 S als Abzugspost und 2. die Höhe des Gesamtentgeltes aus dem Werkvertrag, insbesondere auch im Zusammenhange mit der vom Kläger in eventu vorgenommenen Irrtumsanfechtung.
zu 1.:
In diesem Punkte ist die Revision offensichtlich unbegrundet. Der Kläger hat doch schon in der Klage den Zessionsbetrag von 51.671.40 S zur Gänze als Abzugspost behandelt und setzt sich somit in Widerspruch zu seinem eigenen Prozeßvorbringen in erster Instanz, wenn er nunmehr - zurückgreifend auf die unhaltbare Auffassung der ersten Instanz - nur jenen Betrag als Abzugspost gelten lassen will, den der Zessionar Josef O. von den Beklagten auf Grund dieser Zession bereits erhalten hat, nämlich 35.000 S. Die Unterscheidung des Revisionswerbers von Zession an Zahlungsstatt zu Zession zahlungshalber betrifft das Rechtsverhältnis zwischen Überträger (dem Kläger) und dem Übernehmer der Forderung (Josef O.), nicht aber die vorliegendenfalls allein bedeutsame Frage, ob der Kläger nach Vornahme der Zession und Verständigung der Schuldner (der Beklagten) noch berechtigt sei, die zedierte Forderung gegen den debitor cessus geltend zu machen. Im Umfange der Zession ist der Kläger gegenüber den Beklagten nicht mehr forderungsberechtigt, gleichgültig, ob diese an den Zessionar gezahlt haben und in welcher Höhe. Der in der Revisionsbeantwortung hilfsweise erhobene Einwand der Streitanhängigkeit (im Zusammenhange mit dem Prozesse des Zessionars Josef O. gegen die Beklagten zu 14 Cg 156/62 des Erstgerichtes) ist allerdings unbegrundet, weil es sich in dem bezogenen Rechtsstreite und dem vorliegenden Prozesse um voneinander verschiedene Kläger handelt. Bei der dargestellten Rechtslage sind auch die vom Revisionswerber damit im Zusammenhange gerügten Feststellungsmängel nicht gegeben.
zu 2.:
Was der Revisionswerber gegen die Annahme der Pauschalvereinbarung des Klägers mit den Beklagten in der Höhe des Entgelts von ursprünglich 71.000 S (bezogen auf die ersten 20 Anschlüsse) vorbringt, ist nichts anderes als ein Angriff auf die Beweiswürdigung der Untergerichte, der nach der Regelung des § 503 ZPO. erfolglos bleiben muß. Der Kläger hat aber schon in erster Instanz vorgebracht und unter Beweis gestellt, daß sich später herausgestellt habe, daß die Rohrleitungen nicht, wie am 27. August 1961 vermutet, zirka 2500 m, sondern tatsächlich rund 4200 m lang seien; den Beklagten sei am 27. August 1961 durchaus bekannt gewesen, daß die zu verbauenden Rohrleitungen tatsächlich um mehr als ein Drittel länger seien als 2500 m; der dieser Berechnung zugrundeliegende Voranschlag der Firma K. sei irrtümlich erfolgt, wobei "alle Beklagten dies genau wissen mußten und konnten und der Kläger mangels Ortskenntnis diese große Diskrepanz damals ... nicht im entferntesten ahnen konnte". Damit hat der Kläger hilfsweise - sein primärer Standpunkt, die Vereinbarung eines Entgeltes von ursprünglich 71.000 S sei nicht endgültig gewesen, ist von den Tatsacheninstanzen als nicht gerechtfertigt angesehen worden - einen Kalkulationsirrtum geltend gemacht, dessen Bedeutung und Folgen für die rechtlichen Beziehungen der Streitteile untereinander zu erörtern ist. Aus den später darzulegenden Gründen ist diese Irrtumsanfechtung beachtlich. Daraus ergibt sich aber nach der Aktenlage, daß der Revision wegen der in diesem Zusammenhange gerügten Feststellungsmängel Berechtigung zukommt, so daß mit der Aufhebung der Urteile beider Vorinstanzen und der Rückverweisung der Streitsache an das Erstgericht laut Spruch vorzugehen ist. Das Erstgericht hat sich nämlich mit der vom Kläger vorgenommenen Anfechtung überhaupt nicht befaßt und die Berufungsinstanz hat - ohne Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen - zu diesem Punkte bloß rechtliche Erwägungen angestellt, denen aber in den entscheidenden Fragen nicht zu folgen ist. Im einzelnen ist dazu folgendes zu bemerken:
Nach der von Ehrenzweig (Allgemeiner Teil, 1951, S. 227 f.) gebilligten Rechtsprechung, (vgl. Fußnote 12 auf S. 228 sowie z. B. ÖJZ. 1957, EvBl. Nr. 37) ist ein Kalkulationsirrtum als Geschäftsirrtum zu behandeln; wenn also die Voraussetzungen erfüllt sind, die nach § 871 ABGB. zur Anfechtung berechtigen (diesfalls hat der Kläger behauptet, daß den Bestellern der Irrtum des Klägers aus den Umständen offenbar auffallen mußte), ist der Anfechtung stattzugeben. Dies vorausgesetzt, sind die Folgen der Vertragsanfechtung zu erörtern. Die Aufhebung des Vertrages könnte allerdings nicht zu einem Erfolg des Klägers im vorliegenden Prozeß führen, weil er einen Kondiktionsanspruch nicht erhoben hat. Das Revisionsgericht folgt aber der Ansicht Ehrenzweigs (a. a. O., S. 235) auch darin, daß bei wesentlichem Irrtum nicht nur neben, sondern auch statt der Aufhebung des Vertrages angemessene Vergütung gefordert werden kann; diese Ansicht ist überzeugend und damit begrundet worden, daß es dem Irregeführten freistehen muß, seinen Irrtum als nebensächlich hinzustellen. Wäre also die Vertragsanfechtung des Klägers in bezug auf das pauschal vereinbarte Entgelt gerechtfertigt, dann kann er von den Beklagten nach der allgemein anerkannten (vgl. Ehrenzweig, a. a. O., S. 235, zu und in Fußnote 40; ferner Gschnitzer in Klangs Kommentar[2], IV, S. 142) Verhältnisrechnung eine Erhöhung des Entgelts verlangen (im vorliegenden Fall wird es auf das Verhältnis der ursprünglich angenommenen Rohrlänge zu der später tatsächlich verlegten ankommen, wobei aber die später zusätzlich bestellten und besonders vergüteten Arbeiten des Klägers nicht zu berücksichtigen sind).
Unter diesen Gesichtspunkten wird das Erstgericht im künftigen Verfahren das Vorbringen der klagenden Partei zur Irrtumsanfechtung zu erörtern und zu prüfen haben. Erst dann wird beurteilt werden können, ob es beim Ausgangspunkt der Entgeltsberechnung in der von den Vorinstanzen derzeit angenommenen Höhe von 98.267 S zu verbleiben hat oder ob und in welchem Ausmaß dieser Betrag (der Kläger hat im vorausgegangenen Verfahren diesbezüglich 133.879.03 S genannt) eine Erhöhung erfährt.
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