OGH 2Ob136/64

OGH2Ob136/6411.5.1964

SZ 37/72

Normen

AHG §1
JN §1
AHG §1
JN §1

 

Spruch:

Wird eine Gemeinde als Straßenerhalter (Straßenverwaltung) für Schäden in Anspruch genommen, die dadurch entstanden sind, daß eine gefährliche Straßenstelle nicht entsprechend gekennzeichnet war (privatrechtliche Obsorgepflicht), dann finden die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes keine Anwendung und der Rechtsweg ist somit ohne jede Einschränkung zulässig.

Entscheidung vom 11. Mai 1964, 2 Ob 136/64. I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger macht gegen die beklagte Gemeinde Schadenersatzansprüche geltend. Zur Begründung brachte er vor, daß er am 18. Mai 1959 mit seinem Personenkraftwagen den auf einer Gemeindestraße befindlichen Bahnübergang überquert habe und dabei gegen freiliegende Schienen gestoßen sei. Dabei sei sein Wagen beschädigt worden. Die beklagte Partei wäre verpflichtet gewesen, durch entsprechende Vorkehrungen und Warnschilder die "Straßenfalle" zu beseitigen oder wenigstens auf sie aufmerksam zu machen. Weil sie dies unterlassen habe, hafte sie für den Schaden des Klägers.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der beklagten Partei könne man lediglich vorwerfen, die Aufstellung eines Warnschildes "Beschrankter Bahnübergang" nach Abb. 4 der Anlage A zum Straßenpolizeigesetz unterlassen zu haben. Sie habe jedoch bewiesen, daß sich der Unfall auch in diesem Fall ereignet hätte.

Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichtes und das vor diesem und vor dem Berufungsgericht durchgeführte Verfahren als nichtig auf und wies die Klage unter gegenseitiger Kostenaufhebung wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Nach dem Klagsvorbringen mache der Kläger die beklagte Partei für eine Tätigkeit ihrer Organe bei Ausübung ihrer ortspolizeilichen Befugnisse verantwortlich, also für eine Tätigkeit, die zum Bereich der Hoheitsverwaltung gehöre. Es seien die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes anzuwenden. Die vorliegende Klage sei ohne das im § 8 dieses Gesetzes zwingend vorgeschriebene Aufforderungsverfahren erhoben worden.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht auf, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrunde über die Berufung der klagenden Partei zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rekurse sind gemäß § 519 Z. 2 ZPO. zulässig, und zwar - unter dem Gesichtspunkt der Beschwer als Voraussetzung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels - auch der Rekurs der beklagten Partei. Sie sind auch begrundet.

Zutreffend weist das Berufungsgericht unter Anführung der in der ZPO. MGA.[12] zu § 1 JN. unter A Fußnote 4 zitierten Rechtsprechung auf die Gesichtspunkte, die für die Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges maßgebend sind. Seiner Ansicht, der Kläger grunde seinen Schadenersatzanspruch darauf, daß die beklagte Partei die Anordnung entsprechender Vorsichtsmaßnahmen unterlassen habe, weshalb das Amtshaftungsgesetz zur Anwendung komme, kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Kläger hat in der Klage vorgebracht, wie die beklagte Partei seiner Ansicht nach die Gefahrenstelle hätte einrichten oder bezeichnen können und müssen. Dieses Vorbringen ist so zu verstehen, daß er die beklagte Partei als für die Errichtung und Erhaltung der Straße Verantwortliche in Anspruch nehmen wollte, nicht aber wegen Unterlassung einer behördlichen Tätigkeit im Rahmen der Straßenpolizei. Angesichts dieses konkreten Klagsvorbringens kommt dem Umstand, daß er die beklagte Partei als Straßenverwaltung und Straßenaufsichtsbehörde bezeichnete, keine entscheidende Bedeutung zu. Anders läge der Fall, wenn der Kläger die beklagte Partei ausschließlich in dieser letzteren Eigenschaft in Anspruch genommen hätte. Nach ständiger Rechtsprechung einschließlich der vom Berufungsgericht für seine gegenteilige Rechtsansicht zitierten Entscheidungen findet das Amtshaftungsgesetz Anwendung, wenn behauptet wird, daß die Bestimmung eines Aufstellungsplatzes für ein Verkehrszeichen durch die gemäß § 3 StPolG. zuständige Straßenaufsichtsbehörde unterlassen worden sei, während sich alle anderen Verletzungen der Obliegenheiten der Straßenverwaltung hinsichtlich ihrer zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche nach den Sonderbestimmungen des Bundesstraßengesetzes bzw. der Landesstraßenverwaltungsgesetze richten. Der Umstand, daß die Bestimmung eines Aufstellungsplatzes für Verkehrsschilder in den Bereich der Hoheitsverwaltung und somit im vorliegenden Fall ebenfalls der beklagten Partei fällt, vermag diese von ihrer Pflicht zur privatrechtlichen Obsorge nicht zu befreien, weil sie jedenfalls verpflichtet ist zu veranlassen, daß eine gefährliche Straßenstelle entsprechend gekennzeichnet wird. Sie darf in einem solchen Fall auch nicht etwa die Entscheidung der Straßenaufsichtsbehörde abwarten, sondern muß diese veranlassen, oder, falls dies nicht möglich ist, gleich dem Eigentümer eines Grundstückes selbst alles vorkehren, um auf die Gefahr aufmerksam zu machen oder sie zu beseitigen. Wird aber die beklagte Partei als Straßenerhalter in Anspruch genommen, dann finden die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes keine Anwendung und der Rechtsweg ist somit ohne jede Einschränkung zulässig.

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