Spruch:
Die Beschränkung der offenen Vollmacht gilt gegenüber dem Dritten, wenn er oder sein Machthaber sie kannte oder kennen mußte; in der Regel muß grobe Fahrlässigkeit vorliegen.
Entscheidung vom 22. Jänner 1964, 6 Ob 305/63. I. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht gab der auf Zahlung von 50.000 S samt Nebengebühren gerichteten Klage mit Ausnahme eines geringfügigen Zinsenbegehrens auf Grund folgender Feststellungen statt:
Am 13. Mai 1960 sei auf Grund des Kaufvertrages vom 5. Mai 1960 das bücherliche Eigentum an der Liegenschaft EZ. 136 Katastralgemeinde G., Haus in Wien, 12., Sch.straße 204, von Frieda B. auf Leopold K. übergegangen. Am gleichen Tag sei auf Grund des Darlehensvertrages vom 12. Mai 1960 und der Vollmacht vom 6. Mai 1960 das Pfandrecht für eine Forderung des Ernst St. im Betrage von 170.000 S einverleibt worden. Diese Hypothekarforderung sei am 28. bzw. 29. Juni 1960 dem Nebenintervenienten auf seiten des Klägers Friedrich F. zediert worden. Am 14. Juni 1960 sei auf Grund des Kaufvertrages vom 4. Juni 1960 das Eigentumsrecht des Beklagten an der Liegenschaft einverleibt worden.
Der Kläger habe seinerzeit von dem inzwischen verstorbenen Dr. Karl M. durch Zession eine Hypothekarforderung gegen Anton K. in der Höhe von 50.000 S erworben und zu deren Hereinbringung zur Zahl E .../59 des Bezirksgerichtes S. Exekution durch Zwangsversteigerung der Liegenschaft geführt. Der Meistbotverteilungsbeschluß sei am 10. November 1960 ergangen. Der derzeit beim Landesgericht für Strafsachen Wien in Untersuchungshaft befindliche Ernst St., der mit Dr. M. in Geschäftsverbindung gestanden sei, habe dem Kläger mitgeteilt, daß gegen den Meistbotverteilungsbeschluß Rechtsmittel ergriffen worden seien und daß der Kläger daher seine Quote nicht so bald erhalten werde; er (St.) habe jedoch für den Kläger ein günstiges Anbot, er könne nämlich einen Teil der für Friedrich F. auf der Liegenschaft des Beklagten einverleibten Hypothekarforderung erwerben. Näheres darüber erfahre er in der Kanzlei des öffentlichen Notars Dr. Alfred Sch. in St. mit dem am 18. November 1960 in dieser Notariatskanzlei geschlossenen Zessionsvertrag, bei dem Ernst St. mit beglaubigter Spezialvollmacht vom 17. November 1960 für Friedrich F. eingeschritten sei, habe der Kläger dann einen Teil der Hypothekarforderung des F. im Betrage von 50.000 S erworben und gleichzeitig an Ella B., eine Angestellte des St., eine Inkassovollmacht zur Empfangnahme eines Betrages von 50.000 S aus seiner Meistbotsquote als Zessionsvaluta ausgestellt. Da dem Kläger dann aus dem Meistbot nur ein Kapitalsbetrag von 37.977.99 S zugewiesen wurde, sei die Vollmacht an Ella B. am 6. Dezember 1960 in der Notariatskanzlei des Dr. Sch. dahin modifiziert worden, daß sie zur Empfangnahme dieses Kapitalsbetrages sowie der auf den Kläger entfallenden Verzugszinsen von 12.022.01 S zusammen also wieder von 50.000 S, ermächtigt wurde.
Am 28. November 1960 habe der von Ella B. bevollmächtigte Wiener Anwalt Dr. Karl H. dem damaligen Anwalt des Klägers Dr. Karl St. in Salzburg die Vollmacht übermittelt und um Überweisung des Betrages von 50.000 S ersucht. Dr. St. habe den Kläger auf verschiedene Bedenken aufmerksam gemacht und zu seiner eigenen Deckung die neuerliche Ausstellung einer beglaubigten Spezialvollmacht des Klägers an Ella B. verlangt. Der Kläger habe sich daraufhin noch einmal beim Notar Dr. Sch. erkundigt und dieser habe ihm versichert, daß es in dieser Angelegenheit keinerlei Bedenken gebe. Dr. Sch. habe dem Kläger eine Vollmacht gezeigt, derzufolge St. berechtigt gewesen sei, namens Friedrich F. Zessionsverträge abzuschließen. Daraufhin habe der Kläger am 6. Dezember 1960 die modifizierte Vollmacht für Ella B. ausgestellt und an Dr. St. übersandt, der nunmehr am 26. Jänner 1961 den Betrag von 50.000 S an Dr. H. überwiesen habe.
Ernst St. sei jedoch auf Grund seiner Vereinbarungen mit Friedrich F. nur zur Löschung der Hypothek, nicht aber zu deren Zession berechtigt gewesen, vielmehr habe er damit seine Vollmacht überschritten. Dies habe aber der Kläger nicht gewußt. Er habe in keiner Weise mit St. zusammengearbeitet, um den Beklagten zu schädigen. Als Tischlergehilfe und einfacher Mensch habe er die Machenschaften des St. nicht erkennen können, habe den Versicherungen des Notars Dr. Sch. vertraut und sei daher durchaus gutgläubig gewesen.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil, das hinsichtlich der Abweisung eines geringfügigen Zinsenbegehrens in Rechtskraft erwuchs, in seinem stattgebenden Teil auf und verwies die Sache in diesem Umfang unter Rechtskraftvorbehalt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es ging davon aus, daß das Vertrauen des Vertragspartners in die offene Vollmacht des Vertreters des anderen Vertragsteiles nach § 1017 ABGB. nur so weit geschützt sei, als er die interne Beschränkung der Vollmacht weder kannte noch bei pflichtgemäßer Sorgfalt kennen mußte. Der Zessionsverfasser Dr. Sch. habe zwar auf die ihm von Ernst St. vorgezeigte Vollmacht des Friedrich F. vom 17. November 1960, wonach St. auch zur Zession der Forderung des F. berechtigt war, vertrauen dürfen. Zur Wirksamkeit der Abtretung einer verbücherten Forderung sei aber deren grundbücherliche Übertragung notwendig. Diese sei hier im März oder April 1961 geschehen. Dr. Sch. sei nach seiner eigenen Aussage aber schon mit Schreiben des Friedrich F. vom 31. Dezember 1960 von der internen Beschränkung der Vollmacht St.'s verständigt worden. Da der Kläger den Zessionsvertrag durch Dr. Sch. habe errichten lassen, sei dieser als sein Bevollmächtigter anzusehen. Es müsse daher auch bei Dr. Sch. Gutgläubigkeit vorliegen, und zwar bis zur Perfektionierung des Rechtsgeschäftes, wobei Schlechtgläubigkeit nicht nur bei Arglist, sondern auch bei jeder Art von Fahrlässigkeit vorliege. Dr. Sch. hätte demnach nach der Mitteilung des F. über die interne Beschränkung der Vollmacht des St. auf die Urkunde nicht mehr vertrauen dürfen. Allerdings habe er als Zeuge angegeben, er habe sich nach Erhalt des Schreibens des F. mit St. in Verbindung gesetzt und dieser habe den Inhalt dieses Schreibens als aus der Luft gegriffen erklärt und auf einen Prozeß gegen Friedrich F. wegen Widerrufs dieser Erklärung verwiesen, in dem er durch Dr. Herbert F. vertreten sei. Dr. F. habe die Einbringung einer solchen Klage telephonisch bestätigt.
Das Erstgericht werde sich bei Prüfung der Gutgläubigkeit des Dr. Sch., deren allfälliges Fehlen der Kläger vertreten müßte, mit diesen Umständen auseinandersetzen müssen. Insbesondere fehle eine Feststellung darüber, ob Dr. Sch. durch Friedrich F. von der Beschränkung der Vollmacht verständigt worden sei; auch werde festzustellen sein, was Dr. Sch. zur Klärung des Widerspruchs zwischen der Mitteilung des F. und der Stellungnahme des St. unternommen habe. Nur dann, wenn Dr. Sch. bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt alles ihm bei dieser Sachlage Zumutbare unternommen habe und auf Grund dessen von der Unrichtigkeit der von F. behaupteten internen Beschränkung der Vollmacht überzeugt sein durfte, könne Gutgläubigkeit auf seiten des Klägers angenommen werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Dem Berufungsgericht ist zunächst darin zuzustimmen, daß der Machtgeber eine allfällige Schlechtgläubigkeit seines Machthabers vertreten muß. Das für den Machtgeber wirksame Rechtsgeschäft wird durch den Willen und die Tätigkeit des Machthabers ins Leben gerufen. Dieser faßt und erklärt auf Grund der ihm erteilten Vollmacht den Geschäftswillen. Hinsichtlich der Einigung und der Erklärung des Willens kommt es somit in erster Linie auf den Machthaber an. Die Fragen des Abschlusses und der allfälligen Mängel des Rechtsgeschäftes sind nach der Person des Stellvertreters zu beurteilen, demgemäß auch die Fragen des Kennens oder Kennenmüssens rechtlich bedeutsamer Umstände (Swoboda in Klang[1], II., S. 773, 776 und 777, SZ. XXXII 77, EvBl. 1961, Nr. 3, JBl. 1963 S. 428).
Da nun der Kläger selbst in einem Schriftsatz vorgebracht hat, daß er infolge seiner Unerfahrenheit die Durchführung der Angelegenheit dem öffentlichen Notar Dr. Sch. überließ, scheint tatsächlich ein Bevollmächtigungsverhältnis vorgelegen zu sein. Auch das Erstgericht geht davon aus, daß der Kläger bei Errichtung des Zessionsvertrages vom 18. November 1960 durch den Notar Dr. Sch. vertreten war. Diesbezüglich bedarf es jedoch noch eingehender Feststellungen über den zeitlichen und inhaltlichen Umfang der Vertretungsmacht sowie der Rechtshandlungen, die Doktor Sch. für den Kläger vorgenommen hat. Erst dann wird beurteilt werden können, ob und inwieweit der Kläger eine allfällige Schlechtgläubigkeit des Dr. Sch. gegen sich gelten lassen muß, weil dieser sein Vertreter war.
Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß Schlechtgläubigkeit dann vorliegt, wenn der Dritte (oder sein Vertreter) die Beschränkung der offenen Vollmacht im Innenverhältnis kannte, oder bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen mußte (Stanzl in Klang[2], IV., S. 859 unten und 860 oben, 5 Ob 363/61, 1 Ob 617/52 u. a.). Diesbezüglich ist, falls Dr. Sch. als Bevollmächtigter des Klägers festgestellt wird, das Verfahren in der vom Berufungsgericht aufgezeigten Richtung ergänzungsbedürftig. Es wird somit gegebenenfalls festzustellen sein, wann Dr. Sch. von der Beschränkung der Vollmacht des St. erfahren und was er unternommen hat, um sich Gewißheit zu verschaffen und schließlich, ob dies ausreicht, um ihm weiter Gutgläubigkeit zuzubilligen. In dieser Beziehung muß allerdings die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes im Sinne der Ausführungen Stanzls (a. a. O., S. 858) eingeschränkt werden, daß eine Interessenabwägung vorzunehmen sein wird und daß im Ergebnis - wenn nicht besondere Umstände vorliegen - dem Kläger nur eine grobe Fahrlässigkeit seines Vertreters zum Schaden gereichen kann.
Was schließlich den Zeitpunkt anlangt, in dem Gutgläubigkeit des Klägers bzw. seines Vertreters vorliegen muß und Schlechtgläubigkeit schaden würde, so ist zwar richtig, daß - wie das Berufungsgericht dargelegt hat - eine bücherliche Forderung mit Wirksamkeit gegen Dritte gemäß § 453 ABGB. nur durch bücherliche Übertragung abgetreten werden kann. Da im vorliegenden Fall der Abtretungsvertrag am 18. November 1960 errichtet, die bücherliche Übertragung aber erst im März oder April 1961 durchgeführt wurde, so müßte Dr. Sch. grundsätzlich bis zur grundbücherlichen Durchführung gutgläubig gewesen sein, widrigens die Zessionsvaluta am 26. Jänner 1961 voreilig und auf Gefahr des Klägers ausbezahlt worden wäre.
Dies würde jedoch dann nicht gelten, wenn - was gleichfalls nicht festgestellt wurde - dem Kläger etwa gemäß § 53 (2) GBG. ein Rangordnungsbescheid über die beabsichtigte Abtretung der Teilforderung von 50.000 S übergeben wurde und er in dem Zeitpunkt von dem an er oder sein Vertreter als schlechtgläubig anzusehen wären, die Zessionsvaluta schon ausbezahlt hatte. Eine nach diesem Zeitpunkt eingetretene Schlechtgläubigkeit in Bezug auf die Vollmacht des Vertreters des Zedenten kann ihm nicht mehr schaden.
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